29. Fall - Elisabeth Hemberger, Walter Protze und Frieda Weise (Berlin 1918)
Kurze Einleitung: Der Mord an dem Oberlehrer Anselm Hemberger (* 23. Dezember 1859 in Hettingen (Buchen); † 1918 in Berlin) gehörte zu den aufsehenerregendsten Verbrechen der Zeit unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg. Für manche Historiker gelten die von einer Frau angestiftete Tat und der Strafprozess als Zeichen einer Verrohung der Männer durch den Krieg und eines Widerstands der Frauen gegen eheliche Gewalt. Die Ehe zwischen Anselm und Elisabeth Hemberger, geb. Grassme wurde am 27. April 1909 geschlossen; sie war 24, er 49 Jahre alt. Aus der Ehe gingen zwei Söhne hervor. Wegen brutaler Übergriffe und Vergewaltigungen, so die übereinstimmende Beurteilung später im Prozess, zog Elisabeth mit den Söhnen in eine andere Wohnung. Ihr Mann entführte die Kinder von der Straße weg und steckte sie in ein Findelheim. Elisabeth unterhielt ein Verhältnis mit ihrem 13 Jahre jüngeren Neffen Walter Protze, der als Soldat im Krieg diente und in Breslau verheiratet war, und bat ihn 1918, ihr dabei zu helfen, ihren Ehemann zu töten.
Ein Beispiel aus den neuesten Annalen der Kriminalgeschichte ist auch der Fall Hemberger, ebenfalls typisch für die Gattenmörderin, wenn auch die Geschworenen abweichend geurteilt haben.
Die sechsunddreißigjährige Frau Elisabeth Hemberger war 25 Jahre jünger als ihr Ehemann, der Oberlehrer Dr. Anselm Hemberger, mit dem sie seit 1909 verheiratet war. Sie ist die Tochter eines Dorfschullehrers und hat bis zu ihrem 14. Jahre eine Schule in einem Spreewalddörfchen besucht. Mit etwa 19 Jahren kam sie nach Berlin, um die Handelsschule zu besuchen und bei mehreren Firmen im Kontor Stellung zu nehmen. Sie hat ihren Mann beim Tanzunterricht kennengelernt und ihn aus Liebe geheiratet, sie als Vierundzwanzigjährige den Mann von 49 Jahren, da sie stets mehr eine Vorliebe für ältere Herren gehabt haben will. Dr. Hemberger ist früher katholischer Geistlicher der Diözese Würzburg gewesen, dann aber aus der Kirche ausgetreten, um zu heiraten. Vorübergehend war er in England. Seine erste Ehe wurde aber schon 1908 wieder geschieden.
Er wurde Lehrer und kam wegen Sittlichkeitsverbrechens eineinhalb Jahr ins Gefängnis. Trotzdem wurde er Oberlehrer an einer höheren Mädchenschule in Berlin. An dieser Schule küsste er eine Schülerin und machte ihr eine Liebeserklärung. Deshalb wurde er an eine Oberrealschule versetzt, in deren Lehrerkollegium er sich binnen kurzem unmöglich machte, so daß er abermals an eine andere strafversetzt werden sollte. Hemberger wurde von seinen Vorgesetzten‚ als außerordentlich sinnliche Natur geschildert. Er war an und für sich kein schlechter Lehrer, aber gar kein Jugenderzieher und kannte in seinen Maßnahmen den Schülern gegenüber kein Maß und Ziel.
Von den früheren Verfehlungen hatten Verwandte der Braut erfahren und widerrieten ihr deshalb eine Ehe mit Hemberger. Die gleichwohl geschlossene Verbindung war von Anfang an auch nicht glücklich. Er ging mit dem Gelde sehr leichtsinnig um, so daß die Eheleute in wirtschaftliche Sorgen gerieten. Er wiederum machte ihr Vorwürfe, daß sie nicht genug Geld in die Ehe mit eingebracht habe. Die Zerwürfnisse spitzten sich schließlich so zu, daß sie sich einmal mit Gas vergiften wollte. Um die Geldnöte zu beseitigen, ging die Frau wieder ins Geschäft, so daß zur Versorgung der Wirtschaft und des 1911 geborenen Kindes ein Dienstmädchen eingestellt werden musste. Der Mann wurde zu dem Mädchen zudringlich, so daß sie innerhalb anderthalb Jahren acht Dienstmädchen hatten. Der Mann wieder beklagte sich über die häusliche Nachlässigkeit seiner Frau. Als die Frau die Gewissheit eines Ehebruchs ihres Mannes mit einem der Dienstmädchen hatte, wollte sie sich scheiden lassen, sah aber auf sein Bitten davon ab.
1916 wurde das zweite Kind geboren. Vorher habe sie, so behauptet Frau Hemberger, ihr Mann auch schwer mißhandelt und von ihr verlangt, sie solle einen strafbaren Eingriff an sich vornehmen lassen. Bei einer solchen Misshandlung will sie einen doppelten Bruch davongetragen haben und deshalb vorübergehend zu ihrer Mutter gezogen sein. Alle Zeugen stimmen darin überein, daß Hemberger eine sehr eigenartige Natur war, aber an seinen Kindern sehr hing. Über Frau Hemberger haben die Leumundszeugen teils Günstiges, teils Ungünstiges ausgesagt. Eine Zeugin hat gehört, daß die Frau ihrem Manne erklärte, er sei ihr viel zu alt, sie wolle einen jüngeren haben; wenn er stürbe, würde sie eine schöne Pension beziehen.
Im Herbst 1918 verließ Frau Hemberger heimlich die eheliche Wohnung und zog unter Mitnahme einiger Möbel in eine Ladenwohnung in der Urbanstraße. Ihr Neffe, der 23jährige Kaufmann Walter Protze, und die 24jährige Frau Frieda Weise, geb. Zierlein, halfen ihr beim Umzug und blieben bei Frau Hemberger in der neuen Wohnung wohnen. Frieda Zierlein hatte schon vorher mit anderen jungen Mädchen bei Hembergers gewohnt. Ihre beiden Kinder nahm die Mutter mit sich, ließ sie aber dann nach einem Kinderheim überführen. Frau Hemberger machte auf der Anklagebank keinen günstigen Eindruck. Ihre Züge waren gleichgültig, reizlos, unschön; die eingebogene slawische Nase gab ihrer Physiognomie etwas Gewöhnliches, ihre Augen waren kalt, ihr Mund mit den geschwellten Lippen zeigte starke Sinnlichkeit.
Die Angeklagte hat die Darstellung gegeben, als ob Protze, nachdem er erfahren hatte, in welcher Weise Dr. Hemberger seine Frau behandelte, einen derartigen Hass gegen den Oberlehrer gefasst habe, daß er beschloss, Dr. Hemberger aus der Welt zu schaffen. Er sei Mitglied einer geheimnisvollen Loge. Diese habe beschlossen, an Dr. Hemberger eine Art Femgericht zu vollziehen. Dr. Hemberger werde ständig von Beauftragten der angeblichen Loge beobachtet. Auch sie, die Angeklagte, stehe unter Bewachung. Frau Hemberger bestritt, daß sie Protze in die Wohnung ihres Ehemannes geschickt habe mit dem Auftrage, Dr. Hemberger dort zu ermorden.
Auf die Frage des Vorsitzenden: „Weshalb haben Sie am 11. Dezember 1918, dem Tage des Mordes, Ihre Wohnung in der Urbanstraße verlassen und bei Ihrem Fortgange zu Protze die Äußerung getan: ‚Halte die Ohren steif!‘?“
- erklärte die Angeklagte: „Ich habe an dem Tage eine Verwandte besucht, weil es mir in der düsteren Wohnung unheimlich war. Abends habe ich mich auf dem Heimwege verfahren, ich bin in eine falsche Elektrische eingestiegen und langte gegen 12 Uhr wieder in der Urbanstraße an. Dort erwartete mich an einer Ecke Fräulein Zierlein, die zu mir sagte: ‚Nehmen Sie sich zusammen, es ist etwas passiert!‘ Als ich dann in der Küche auf dem Tische die Brille, die Uhr, die Brieftasche meines Mannes liegen sah, erschrak ich furchtbar, denn nun dachte ich, mein Mann sei von Protze vielleicht im Tiergarten überfallen und beraubt worden. Fräulein Zierlein erzählte mir dann, daß mein Mann erschossen im Laden liege. Ich wollte erst hinauseilen und Hilfe holen, wurde aber von Fräulein Zierlein zurückgehalten. Protze kam dann ins Zimmer und fragte mich, ob ich meinen Mann noch einmal sehen wollte. Ich bejahte. Der Anblick meines toten Mannes erschütterte mich furchtbar. Protze erklärte dann, es bleibe weiter nichts übrig, als den Körper zu zerstückeln. Ich zeigte ihm daher, wo er Messer und Säge finden könne. Selbst mitanzufassen, war ich nicht imstande. Ich habe noch nie in meinem Leben ein Tier schlachten können, wie wäre es wohl möglich, daß ich die Leiche meines eigenen Mannes zerlegen könnte! Während ich nach hinten ging, hörte ich dann Protze schon die Säge handhaben. Protze hat auch das Einpacken und Verschnüren der Leichenteile besorgt.“
Der Mitangeklagte Protze nennt die Angeklagte Hemberger nicht etwa „Tante“, sondern er spricht von ihr immer als von der „Frau Doktor“. Er will mit ihr Geschlechtsverkehr gepflogen haben. Über seine Personalien gibt er an, daß er ursprünglich Lehrer werden sollte, aber infolge nervöser Störungen auf der Schule nicht weitergekommen sei und deshalb die Volksschule besuchen musste. Er trat später bei der Firma Heyl als Lehrling ein, musste aber diese Stellung wieder aufgeben, da verschiedene Unregelmäßigkeiten vorkamen. Er wurde dann als sogenannter Pendler, d. h. als Radfahrer, welcher die Filme des Abends zu den verschiedenen Kinos schafft, beschäftigt. Im Kriege war er als Freiwilliger mehrere Male ins Feld gegangen und wurde wiederholt leicht verwundet, unter anderem auch durch einen Kopfschuss. Er will im Felde häufig seelische Depressionen gehabt und sich mit Selbstmordgedanken herumgetragen haben.
Die Angeklagte Hemberger habe er schon als Kind kennengelernt. Er sei jahrelang mit ihr gut befreundet gewesen. Als er sie in der Zeit des Umzuges nach der Urbanstraße wieder aufsuchte, habe sie ihn gebeten, bei ihr zu bleiben, da sie sich allein fürchte. „Frau Doktor ist ganz systematisch vorgegangen,“ erklärt der Angeklagte Protze. „Sie klagte erst fortgesetzt über die Leiden, die sie in ihrer Ehe ausstehen musste, und trat dann mit dem Plan hervor, den Alten zu beseitigen. Ich sollte dem Dr. Hemberger in der Maske eines Detektivs ein Aktenstück vorlegen und ihn, wenn er darin las, erschießen. Frau Doktor hat mir auch zu diesem Zweck einen englischen Revolver übergeben, und ich bin eines Tages in die Wohnung des Dr. Hemberger gegangen. Als ich aber die schussbereite Waffe auftragsgemäß aus der Tasche ziehen wollte, fehlte mir der Mut dazu. Bei dieser Gelegenheit bat mich Dr. Hemberger, einen die Kinder betreffenden Auftrag auszuführen. Er erbot sich dann aber selbst, wegen der Kinder nach der Urbanstraße zu kommen. Als am Tage der Tat sich Frau Doktor von mir verabschiedete, um zu ihrer Schwester zu fahren, ermutigte sie mich noch einmal heimlich. In Gegenwart von Fräulein Zierlein, der jetzigen Frau Weise, jedoch sagte sie zu mir, offenbar um sich eine Entlastungszeugin zu schaffen, ich solle ihrem Manne nichts tun. Sie erklärte mir beim Abschied, daß sie mir, wenn es schief gehen sollte, einen tüchtigen Verteidiger und einen guten Psychiater stellen wolle, so daß ich freikäme. Als Dr. Hemberger dann in der Wohnung anlangte, war Fräulein Zierlein abwesend. Ich trug die Waffe in der Hosentasche und schoss von hinten auf Hemberger. Dabei war ich so aufgeregt, daß ich nicht weiß, wieviel Schüsse ich abgegeben habe. Ich dachte nur: Wenn du es jetzt nicht tust, so setzt dir die Frau wieder zu. Dann nahm ich der Leiche alle Sachen aus der Tasche, unter anderem auch ein Bankbuch und legte die Gegenstände auf den Küchentisch. Es kam dann Fräulein Zierlein, die, als sie erfahren hatte, was vorgefallen war, sich wieder entfernte. Bei dem Eintritt der Frau Doktor; in später Nachtstunde, sagte ich zu ihr: ‚Es ist geschehen!‘ Sie antwortete: ‚Gott sei Dank!‘ Der Ausruf schien aus vollem Herzen zu kommen. Sie sah sich die Sachen ihres Mannes an, verbrannte das Bankbuch und schenkte mir die Uhr und den Ring des Toten sowie 40 Mark. Fräulein Zierlein, die dann wieder erschien, wurde zu Bett geschickt. Frau Doktor war in freudig erregter Stimmung. Sie hob den Kopf des Toten hoch und ließ ihn wieder zurückfallen mit den Worten: ‚Na, siehst du, jetzt hast du bekommen, was du verdientest.‘ Als sich die Unmöglichkeit ergab, die Leiche in einem Korbe wegzuschaffen, sagte Frau Doktor: ‚Dann muss er eben klein gemacht werden!‘ Sie fing an, die Leiche zu entkleiden, während ich entgeistert dabeistand. Sie legte dann mit mir die Leiche über die Zinkwanne, und als ich zögerte, ans Werk zu gehen, begann sie mit der Zerteilung, wobei sie mir zurief: ‚Du willst ein Sanitäter sein und kannst kein Blut sehen?‘ Mir wurde bei dem grausigen Anblick übel, und ich musste mich übergeben. Sie schickte mich hinaus, um Wasser heiß zu machen.
Als ich dann wiederkam, war die Leiche bereits zerstückelt. Sie übergab mir schließlich den eingenähten Rumpf und sagte: ‚Geh, lasse ihn ins Wasser fallen.‘ Die Gliedmaßen und den Kopf trug ich in einer Handtasche nach dem Tempelhofer Felde, wo ich die Tasche vergrub. Nachdem alle Spuren beseitigt worden waren, ging Frau Doktor am anderen Tage zur Polizei und machte dort die Vermisstenanzeige mit absichtlich ungenauen Angaben.“
Den Angeklagten Protze hat die dritte Mitangeklagte, Frau Weise, bei dem Umzug zum ersten Male gesehen; er schien Frau Hemberger sehr willkommen zu sein, da diese sich in der neuen Wohnung fürchtete. Die Angeklagte Weise schilderte dann mehrfache Anfälle, die sie bei dem Angeklagten Protze beobachtet hat. Protze ist dabei angeblich hingefallen, habe einen starren Blick gehabt und phantasiert. Davon, daß die Absicht bei Frau Hemberger und Protze bestanden hätte, den Dr. Hemberger zu beseitigen, will die Angeklagte nichts bemerkt haben. An dem Tage, an dem Dr. Hemberger nach der Urbanstraße kommen sollte, hat die Angeklagte Weise das Haus verlassen; sie fürchtete, daß Dr. Hemberger ihr Vorwürfe machen würde, weil sie seiner Frau beim Umzug behilflich
gewesen war. Am Tage der Tat hat sich Frau Weise aus der Wohnung in der Urbanstraße entfernt. Als sie wieder nach Hause kam, sagte Protze zu ihr, er habe soeben den Dr. Hemberger getötet. Er zog dabei einen Revolver hervor und erklärte, es wären noch zwei Kugeln drin; diese würden genügen, um Frau Weise zu beseitigen, falls sie es wagen sollte, etwas zu verraten. Die Angeklagte will darüber so erschrocken gewesen sein, daß sie sich tatsächlich gescheut habe, Anzeige zu erstatten. Bei der Rückkehr der Frau Hemberger sagte Frau Weise zu ihr: „Es ist etwas passiert!“ Frau Hemberger erwiderte darauf: „Ich habe es geahnt, denn bei Frau Otto, wo ich zu Besuch war, fiel plötzlich eine Nippfigur herunter!“ — Beim Anblick der auf dem Küchentische liegenden Gegenstände des Ermordeten erlitt Frau Weise einen Schwächeanfall. Frau Hemberger soll dazu lächelnd bemerkt haben: „Gott, wie sieht die Kleine blass aus! Gehen Sie doch lieber zu Bette.“ Die Angeklagte Weise betont, daß Frau Hemberger bei dem Empfang der schwerwiegenden Nachricht vollkommen gefasst gewesen wäre und gelächelt hätte. Frau Weise will dann sich ins Bett gelegt und in einen totenähnlichen Schlaf gesunken sein. Am anderen Tage hat Frau Hemberger angeblich zu ihr gesagt: „Wir haben ihn zerstückelt. Protze hat mächtig zu schleppen gehabt.“ In einem vor dem Untersuchungsrichter abgelegten Geständnis der Frau Weise heißt es, Frau Hemberger hätte Protze wiederholt gebeten, sie von ihrem Manne zu erlösen, und als Protze der Frau Hemberger seinerzeit mitteilte, daß Dr. Hemberger nach der Urbanstraße kommen werde, habe Protze hinzugesetzt: „Vielleicht ist das die Erlösung!“ Am Abend der Tat habe Protze dann wieder zu Frau Hemberger gesagt: „Die Erlösung ist da!“
Aus dem Landwehrkanal geborgener Torso des Opfers
Ausgegrabene Gliedmaßen und Kopf von Anselm Hemberger
Bilder - vom Polizeipräsidium Berlin zur Verfügung gestellt, zeigen den aus dem Wasser gezogenen Rumpf und die in der Hasenheide vergraben gewesenen, durch Protzes Geständnis aufgefundenen sonstigen Leichenteile. Sie machen das Werk einer Zerstücklung sehr anschaulich. |
Um durch das Verschwinden ihres Ehemannes keinen Verdacht rege werden zu lassen, setzte Frau Hemberger eine raffiniert ausgedachte Komödie ins Werk.
In Grünau war die Leiche eines unbekannten Mannes gefunden worden, der sich dort erhängt hatte. Frau Hemberger erklärte den Behörden, nachdem sie sich den Toten angesehen hatte, daß er große Ähnlichkeit mit ihrem verschwundenen Ehemann hätte. Bei dem Toten war ein Bund Schlüssel gefunden worden. Frau Hemberger erhielt die Schlüssel ausgehändigt und fügte heimlich einige ihrem Manne gehörige Schlüssel an das Bund an. Bei einer Probe am Schreibtisch Dr. Hembergers ergab sich infolgedessen, daß einer der Schlüssel zu dem Schreibtisch passte, und man war jetzt überzeugt, daß der Grünauer Tote der verschwundene Oberlehrer wäre. Die Leiche wurde als die Dr. Hembergers auch beerdigt.
Das Verbrechen würde vielleicht unentdeckt geblieben sein, wenn nicht der junge Protze sich mit seiner Tante entzweit hätte und, nachdem er sich verheiratet hatte, von Gewissensqualen gepeinigt worden wäre. Er verfasste unter diesem Druck ein schriftliches Selbstbekenntnis, das er in einem Briefumschlag seiner Ehefrau, mit der er zuletzt in Breslau gelebt hatte, übergab. Er sagte ihr dabei, sie möge den Briefumschlag öffnen, wenn er einmal nicht mehr nach Hause kommen würde. Bald darauf wurde Protze in eine Strafsache wegen Unterschlagung verwickelt. Seine Ehefrau öffnete nun den Briefumschlag, und als sie in der Unterschlagungssache ihres Mannes als Zeugin vernommen wurde, übergab sie Protzes Selbstbekenntnis der Polizei.
Hierauf erstattete Prof. Strauch sein Gutachten. Es ist durchaus nach Ansicht des Sachverständigen möglich, daß nur eine Person an der Zerstückelung der Leiche beteiligt war, da es sich ja nicht um eine Sezierungsarbeit handelte. Natürlich war es für zwei bequemer. Prof. Strauch äußerte sich über den Geisteszustand zunächst der Frau Hemberger. Die Angeklagte stamme aus gesunder Lehrerfamilie vom Lande. Körperlich sei bei ihr eine mittlere Nervenschwäche feststellbar, sonst nichts Auffallendes. Ihr Gedächtnis ist ungeschwächt, auch ihre sonstigen Anlagen, besonders geweckt ist sie allerdings nicht. Gewisse ethische Defekte sind vorhanden. Man merkt keine eigentliche Reue bei ihr. Leicht sinnlich-erotische Züge lassen sich auch feststellen. Bis zur Tat war Frau Hemberger nicht roh, viele haben sie sogar als sorgsam und tugendhaft geschildert. Der Ehemann war brutal und hat sie sicher mißhandelt. Im Ganzen: Frau Hemberger ist eine geistig gesunde Person.
Protze stammt aus gesunder Familie. Schlichte, ordentliche Eltern. Bei ihm liegt dagegen ein bedeutender Grad von Nervenschwäche vor. Er leidet auch an hysterischen Krämpfen. Seine eigenartige Form der Grimassen und Gestikulation, seine etwas theatralische, selbstbewusste Art, all das passt zum Bilde eines an übergroßen Stimmungsschwankungen leidenden Menschen. Auch die Liebe zu den Eltern erscheint bisweilen eigenartig übertrieben. Dagegen ist er nicht im eigentlichen Sinne Morphinist. Sein ganzes Wesen ist unstet. Ob ihn echte Reue zum Geständnis trieb, bezweifelt der Sachverständige. Er hat etwas Ähnlichkeit mit Karl Moor, auf dessen Kopf 1000 Louisdor ausgesetzt waren. In diesem Sinne wollte er seiner Frau helfen. Starke lügnerische Züge dürfen auch nicht vergessen werden. Er fabuliert von Fallschirmerfindungen, Löwentötungen usw., hat auch kriminelle Züge, wofür andere schwebende Verfahren sprechen. Protze ist ein hysterischer Nervenschwächling, eine unausgereifte, unausgeglichene Persönlichkeit, die durch Kriegsereignisse noch mehr geschädigt wurde. Was den $ 51 betrifft, ist es nicht leicht, gutachtlich sich in diesem Fall zu äußern.
Die Angeklagten belasten sich gegenseitig, Tatzeugen sind nicht da. Was Frau Hemberger betrifft, so untersteht die Würdigung ihrer Behauptungen rein richterlicher Prüfung. Anders bei Protze. Hier ist der Psychiater unbedingt zu hören; Protzes Glaubwürdigkeit ist sehr gering, das muss in diesem Zusammenhang betont werden. Prof. Strauch meint, es sind manche Vergleiche mit dem Prozess der Frau Schönebeck und ihres Liebhabers Hauptmann v. Göben zu ziehen. Wahrscheinlich habe Frau Dr. Hemberger oft geklagt und Protze sich dann selbstgefällig in die Rolle des Rächers hineingespielt. Prof. Strauch nimmt bei beiden Angeklagten das Vorliegen von $ 51 nicht an, dagegen kann von ruhiger Überlegung im Augenblick der Tat bei dem exzentrischen Protze nicht gesprochen werden.
Auf die Frage des Vorsitzenden: „Sie bezweifelten die Glaubwürdigkeit Protzes stark. Er hat doch aber im Ganzen die Tat, soweit es objektiv nachprüfbar ist, ganz wahr geschildert!“ bleibt Prof. Strauch dabei, daß er warnen müsse, Protze Glauben zu schenken. Auf Frage des Rechtsanwalts Dr. Alsberg, ob bei Protze ein sogenannter pathologischer Daueraffekt vorliegt, führt Prof. Strauch noch aus, daß sich von Dauerzustand schwer bei Affekthandlungen sprechen lasse. Man könne aber sagen, daß er sich die Idee, der Tante helfen zu müssen, allmählich sozusagen eingehämmert habe. Sanitätsrat Dr. Magnus Hirschfeld der nur ein Gutachten über Protze abzugeben hatte, war der Ansicht, daß dem Angeklagten eine ins Pathologische gesteigerte Abenteuer- und Großmannssucht zu eigen sei. Er habe sich bei der Ausführung der Tat offenbar selbst eine Art Erlöserrolle suggeriert. Die Voraussetzungen des $ 51 lägen nicht vor, doch gleiche die freie Willensbestimmung - eines solchen Menschen bei Affekthandlungen nicht der eines Normalen. Von sexueller Hörigkeit sei keine Rede.
Dr. Magnus Hirschfeld , (* 14. Mai 1868 in Kolberg , Preußen [heute Kołobrzeg, Polen] – † 14. Mai 1935 in Nizza , Frankreich), deutscher Arzt, ein bedeutender Theoretiker der Sexualität und früher ein prominenter Verfechter der Rechte von Homosexuellen 20. Jahrhundert.
Hirschfeld wurde als Sohn jüdischer Eltern in einer preußischen Stadt an der Ostseeküste geboren. Er studierte zunächst neusprachliche Sprachen und dann Medizin , wo er 1892 promoviert wurde. Nach einer Wanderzeit kehrte er nach Deutschland zurück und eröffnete 1894 eine Arztpraxis in Magdeburg . Zwei Jahre später zog er nach Berlin , wo er sich aktiv engagierte in der wissenschaftlichen Erforschung der Sexualität – insbesondere der Homosexualität – und der Interessenvertretung zugunsten sexueller Minderheiten.
Die Geschworenen, die zu ihrer Beratung 2 ½ Stunden brauchten, gaben gegen Protze ihren Wahrspruch auf schuldig des Totschlages unter Versagung mildernder Umstände ab. Bei Frau Hemberger wurden die Hauptschuldfragen nach Mord und Totschlag verneint. Die Angeklagte wurde nur der Begünstigung des Protze nach der Tat, ferner der schweren intellektuellen Urkundenfälschung unter Zubilligung mildernder Umstände sowie der Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung schuldig gesprochen.
Der Wahrspruch gegen Frau Weise lautete auf schuldig der Begünstigung nach der Tat.
Das Gericht verurteilte Frau Hemberger zu 2 ½ Jahren Gefängnis unter Anrechnung von einem Jahr und drei Monaten auf die Untersuchungshaft. Protze wurde zu fünf Jahren Zuchthaus unter Anrechnung von einem Jahre und vier Monaten Gefängnis verurteilt. Gegen Frau Weise erkannte das Gericht auf einen Monat Gefängnis.
Es ist richtig, daß man über die juristische Schuld der Frau Hemberger nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme verschiedener Ansicht sein kann. Wer nach der Tat so raffiniert und hinterlistig verfährt, dem dürfen wir schon mehr zutrauen. Gerade das kennzeichnet diese Frau, wie sie sich trotz aller Mitschuld an der Handlung Protzes nach der Tat seiner entledigt, um möglichst straffrei ausgehen zu können. Er war sicher nur ihr Werkzeug, das wollte und wusste sie. Dabei braucht man alle Einzelheiten, die Protze hinsichtlich der Frau Hemberger berichtet, nicht für wahr zu halten.
Quellen: Dr. Erich Wulffen - Dr. Magnus Hirschfeld - Bilder - vom Polizeipräsidium Berlin und erichs-kriminalarchiv.com