Vom Mittelalter bis in die heutige Zeit.




1. Der Fall - Johann Georg Dietrich

Junger Mann ermordet Eltern.
Johann Georg Dietrich trägt eine schwere Last. Als junger Mann von 24 Jahren drängt ihn seine Mutter dazu, das elterliche Gut zu übernehmen. Doch trotz harter Arbeit bleibt die Ernte aus. Die Familie bangt ums Überleben. Doch in der Not rücken die Dietrichs nicht zusammen. Im Gegenteil: Johann Georgs Vater weigert sich, mit dem Sohn an einem Tisch zu sitzen. Dieser sorgt für seine Eltern - er muss sogar für sie aufkommen. Bei der Übernahme des Hofes ließ er sich dazu verpflichten, seinen Eltern die Hälfte des Ertrags zu überlassen - bis zu ihrem Lebensende.
Diese Broschüre sollte die Bürger vor solchen Verbrechen abschrecken.

Die Unterhöfener kennen Johann Georg Dietrich als fleißigen Arbeiter und guten Haushälter. Er lebt friedliebend, still und zurückgezogen auf seinem Gut - doch das feindselige Verhalten seines Vaters belastet ihn sehr. Im Dorf ist bekannt, dass der alte Dietrich ein bösartiger, unverträglicher und arbeitsscheuer Mensch sein soll. Auch seine Gattin sei getrieben vom Eigennutz, erzählt man sich. Und man hat Mitleid mit dem armen Bauernjungen, der Tag für Tag ums Überleben der Familie kämpft.
Keiner jedoch kennt die geheimen Gedanken des Johann Georg Dietrich. So groß ist der Hass auf den Vater, dass er immer wieder daran denkt, ihn umzubringen. Arsen ist im Haus. Johann Georg hatte es ursprünglich zur Rattenbekämpfung gekauft, doch man könnte damit doch auch . . . Doch der 24-Jährige verwirft die Gedanken schnell, stürzt sich in die Arbeit. Im Sommer 1817 bekommt seine Wut jedoch neue Nahrung. Er streitet sich heftig mit seinem Vater, der wutentbrannt aufs Feld flüchtet. In diesem Moment steht für Johann Georg Dietrich fest: Ich werde ihn töten! Nach Öhringen zum Erntefest ist seine Frau mit den Kindern gefahren. Seine Mutter wärmt gerade die Suppe für den Vater. Sie habe schon gegessen, ließ sie ihren Sohn wissen. Aber der Vater werde doch bestimmt hungrig vom Feld heimkehren. Johann Georg Dietrich nutzt die Gelegenheit. Er schleicht sich in die Küche und mischt das Arsen in den Suppentopf. Dann geht er auf den Hof und geht seiner Arbeit nach als ob nichts geschehen wäre.

Urteil gegen Johann Georg Dietrich

Doch Johann Georg wird vom Ächzen seiner Mutter ins Haus gelockt. Weil der Vater so lange auf sich warten ließ, hatte sie doch noch einmal von der Suppe gekostet. Krämpfe suchten die Frau heim und sie ist sich sicher: Das hat mit der Suppe zu tun! Sie fordert ihren Sohn auf, von der Suppe zu kosten. Er nimmt ein kleines Löffelchen und taucht es in den großen Kochtopf. Wird es mir schaden, fragt er sich. Das Schlückchen Suppe wandert seine Kehle hinunter. Johann Georg verspürt keinen Schmerz, bekommt keine Krämpfe. So serviert er dem Vater nach der Heimkehr in aller Seelenruhe sein Abendessen. Die heiße Suppe dampft im Teller, der Vater schlingt die Mahlzeit nur so hinunter. Johann Georg schaut dem Vater zu - und wartet, bis das Arsen seine Wirkung entfaltet. Allzu lange muss sich Johann Georg nicht gedulden. Wenige Minuten später verlässt sein Vater den Raum. Er muss sich übergeben und sein Kreislauf wird schwach. Sechs Stunden später verstirbt er in seinem Bett. Auch die Mutter überlebt die Kostprobe der Suppe nicht. Johann Georg hat aus Furcht, seine Tat könnte entdeckt werden, keinen Arzt gerufen.
Die Nachbarn zählen eins und eins zusammen. Sie hatten nach der vor Schmerzen stöhnenden Frau geschaut und dabei erfahren, dass ihr von einem Teller Suppe übel geworden sei. Anzeige wird erstattet. Die Ermittler fackeln nicht lange. Sie lassen die Leichen der Eltern obduzieren - und es steht fest: Michael und Anna Dietrich wurden vergiftet. Besonders betroffen scheint der einzige Sohn Johann Georg über den Tod seiner Eltern jedoch nicht zu sein. Die Behörden schöpfen Verdacht und durchsuchen die Giftbücher in Öhringen. Der Beweis ist erbracht. Johann Georg hatte bereits 1815 Arsen gekauft. Doch Johann Georg schweigt. Obwohl das Verhör in seinem eigenen Haus im Beisein der obduzierten Leichen geschieht. Er greift sogar theatralisch nach der kühlen Hand der Mutter, dankt ihr für alles und hofft, er werde sie im Himmel wieder sehen. Doch die Ermittler sind sich einig: Johann Georg Dietrich hat seine Eltern ermordet. Er wird nach Öhringen ins Gefängnis gebracht. Auf dem Weg dorthin sprudelt es nur so aus Johann Georg heraus. Ja, er habe seine Eltern umgebracht, grausam vergiftet mit Arsen.
Vor dem Kriminalrat Mergentheim wiederholt er das Geständnis seiner grausamen Tat. Die Richter geben die Akten nach Ellwangen weiter, wo die Richter ihr Urteil fällen: "dass derselbe zur Richtstätte geschleift, mit dem Rade von oben vom Leben zum Tod gebracht, sofort der Kopf auf den Spieß gesteckt und der Körper auf das Rad geflochten, auch alle Kosten aus dem hinterlassenen Vermögen des Dietrich bezahlt werden sollen."
Später erscheint eine Broschüre zu dem Fall, detailliert ist der grausame Mord beschrieben. Der König verfolgt damit ein Ziel: "Möge das Vaterland nie wieder ein ähnliches Beispiel menschlicher Verworfenheit ausweisen können."

Quellen: - Ludwigsburger Kreiszeitung vom 27.August 2005 (von Katja Sommer) und - Die Akten können im Staatsarchiv Ludwigsburg unter den Signaturen E 341 Bü 91 und IL 425 Tom. XVIII 63 eingesehen werden.


2. Der Fall - Andreas Herold

Der 63-Jährige wird von Trio ermordet.

Andreas Herold ist ein gefragter Zimmermann. Auch wenn ihm sonst wenig positive Eigenschaften zugeschrieben werden - er gilt als dumm, unzuverlässig und dem Alkohol sehr zugetan - überzeugt er mit Können in seinem Handwerk. Jahrelang zieht er von Ort zu Ort. Seine Rosine vermisst ihn nicht sehr. In Oberkessach erzählt man sich ohnehin, dass die beiden nicht glücklich miteinander sind.

Abgelehnt hat der König eine Begnadigung der Mörder - so steht es in der Akte geschrieben.

1831 kehrt er nach Oberkessach zurück, bezieht mit Rosine das Haus seiner Eltern. Doch nicht nur das Ehepaar wohnt unter diesem Dach. Die Hebamme Regina Arnold hat im Dachgeschoss ein Wohnrecht auf Lebenszeit. Mit dieser Nachbarin kann es kein gutes Auskommen geben. Denn Regina Arnold ist nicht nur ein geschwätziges Weib. Sie schafft es auch immer wieder, Menschen gegeneinander aufzuhetzen. So gelingt es ihr auch, dass Rosine ihrem Mann nicht mehr über den Weg traut. Doch 1839 stirbt Rosine. Andreas Herold trauert nicht allzu lange. Bereits am 16. Februar 1841 heiratet der 63-jährige Herold die blutjunge Walburga Schweikert. 25 Jahre alt ist das Mädchen, das alles andere als wahre Liebe im Sinn hat. Sie sieht die Ehe mit Andreas Herold als "gute Zukunftssicherung". Geliebt aber hat sie den Soldaten Bernhard Appel. Auch Walburga war nicht gefeit vor den Sticheleien der Hebamme. "Bring ihn doch um", fauchte sie immer wieder zu der jungen Frau, wenn diese ihr unglücklich ihr Leid klagt. Was Walburga allerdings nicht weiß: Ihr geliebter Soldat Appel hat nicht nur mit ihr sein Bett geteilt. Auch Regina Arnold lockt den jungen Mann immer wieder in ihre Kammer - und Appel kann den weiblichen Reizen nicht widerstehen.

Die Rede des Pfarrers.

Im August 1841 ist Walburga am Ende ihrer Kräfte. Sie hatte sich eine "Versorgungsehe" einfach anders vorgestellt - zu sehr forderte Herold ihre ehelichen Pflichten ein. Sie hingegen hatte mit einem baldigen Tod ihres alten Mannes gerechnet. Sie beschließt - gemeinsam mit ihrem geliebten Appel - den Weg für das junge Glück zu bereiten. Als Andreas Herold am 29. August betrunken von einer Zechtour nach Hause kommt, lauert sie ihm hinter der Tür auf. Schwummrig ist es Herold, es war wohl wieder einmal ein Glas zu viel. Er dreht den Schlüssel im Schloss, torkelt in seine Wohnung, als ihn ein schwerer Schlag trifft. Walburga schmettert ihm einen dicken Wackerstein auf den Hinterkopf. Andreas Herold sinkt zu Boden. Aber er lebt noch. Bernhard Appel tritt den alten Mann mit Füßen, stößt ihn die Treppe hinunter. Regungslos bleibt Herold auf den Stufen liegen. Ganz oben steht die Hebamme und blickt teilnahmslos ins Treppenhaus. Doch wohin mit dem toten Herold? Der junge Soldat packt den Toten und schleift ihn mitten in der Nacht an den Ortsrand. Dort wirft er den Toten in die Kessach.
In Berlichingen wird Herold am nächsten Tag vermisst. Dort sollte er bei Dacharbeiten zur Hand gehen. Der Bauherr fährt zu Walburga, erkundigt sich nach ihrem Ehemann. "Fortgefahren ist er heute morgen, um sich neues Werkzeug machen zu lassen", lässt sie den Berlichinger wissen. Als Herold auch abends nicht auftaucht, gibt der Schultheiß eine Vermisstenmeldung auf. Sieben Tage später schrecken zwei schreiende Mädchen ganz Oberkessach auf. Hysterisch rennen die beiden Zwölfjährigen durch den Ort, links und rechts der Straße recken die Bewohner die Köpfe aus den Fenstern. Ein Toter wurde im Bach entdeckt - bis zum Bauch liege er im Wasser. Der Schultheiß eilt zum Fundort, schickt gleichzeitig einen Kurier zum Oberamt nach Künzelsau. Es dauert nicht lange, bis eine ganze Heerschar von Ermittlern den kleinen Ort erreicht. Keiner spricht sie aus, die Vermutung, die alle haben: Das muss der Herold sein! Von seinem Gesicht ist kaum mehr etwas zu erkennen. Doch seine Kleider und sein Hut, der einige Meter flussaufwärts im Gebüsch hängt, lassen keine Zweifel an seiner Identität.
An Ort und Stelle obduzieren Mediziner den Leichnam. Sie sind sicher: Andreas Herold wurde ermordet. Sowohl an der Schläfe als auch am Hinterkopf finden sie Knochenbrüche. In Oberkessach munkelt man gleich, dass Walburga und ihr Geliebter dahinter stecken könnten. Auch das Verhältnis zwischen der Hebamme und dem Soldaten kommt ans Licht. Die drei werden verhört - und der Schultheiß pokert: "Die anderen beiden haben gestanden, nun geben Sie's doch auch zu", sagt er zur Hebamme. Sie kommt ins Stottern und gesteht, ebenso die anderen beiden. Der Kriminalsenat Ellwangen verurteilt die drei: Ihnen soll der Kopf abgehackt werden.
Am 4. September 1843 wird das Urteil in Künzelsau vollstreckt. Kaum hat der Scharfrichter sein Werk vollendet, tritt Pfarrer Haßler auf das Schaffott und hält vor den Leichen und ihren Köpfen seine Predigt: "Von solch schauderhaften und schmerzlichen Empfindungen war mein Herz noch nie ergriffen."

Quellen: - Ludwigsburger Kreiszeitung vom 3.September 2005 (von Katja Sommer) und - Die Akten können im Staatsarchiv Ludwigsburg unter den Signaturen E 341 Bü 83-90 eingesehen werden.


3. Der Fall - David Reichardt

Wegen eines Kastens mit Wertpapieren den Besitzer und seine Frau erschlagen.

Die Not ist groß bei den Reichardts. Reichtum ist für den Familienvater ein Fremdwort. Der heimische Hof wirft kaum Gewinn ab und das wenige Geld, das er als Nagelschmid verdient, reicht hinten und vorne nicht aus, um die vierköpfige Familie zu ernähren. Der Schuldenberg wächst. Der Entringer Reichardt leiht sich hier mal ein paar Mark, dort mal ein paar Mark. Und bei einem gewissen Gallus in Tübingen steht er mit stolzen 800 Mark in der Kreide. Im November 1881 fordert Gallus sein Geld zurück. Zum Martinitag - den 11. November - will der Tübinger die geliehenenen 800 Mark wieder haben. David Reichardt ist verzweifelt. Er fragt Nachbarn. Geht zu Freunden und bittet sie um Hilfe. Doch niemand vermag dem Familienvater zu helfen - zu groß ist die Angst, man könne das Geliehene nie wieder zu Gesicht bekommen.

Fein säuberlich skizziert haben die Ermittler den Tatort - das Wohnhaus der Familie Weiß.

In seiner Not macht sich David Reichardt auf nach Wurmlingen. Dort wohnt Johannes Weiß mit seiner Gattin Salome. "Weiß hat immer Bares im Hause", heißt es sogar im Nachbarort Entringen. Reichardt zieht bei dem Wurmlinger Ehepaar alle Register. Die Frist für ihn sei abgelaufen, er sei schon sechs Tage überfällig mit der Rückzahlung an den Tübinger Gallus. Dennoch schickt ihn der 78-jährige Weiß nach Hause. Auch seine Frau Salome bestärkt ihn in seiner Entscheidung. Sie fürchten, nie wieder ihr Geld zurückbezahlt zu bekommen. Traurig verlässt Reichardt das Weiß'sche Haus. Aufmunterung und Abwechslung verspricht er sich von einem kleinen Abendessen in einer Wirtschaft. Doch Reichardts Gedanken drehen sich nur um eines: Um den Kasten mit dem Berg von Schuldscheinen und Wertpapieren von Johannes Weiß. Ein kleiner Einbruch - und seine Geldsorgen wären Vergangenheit!
David Reichardt macht sich an diesem Abend nicht auf den Nachhauseweg. Er schlendert über die Feldwege rund um Wurmlingen. Als die Nacht über den kleinen Ort hereinbricht, macht sich David Reichardt auf zur Wurmlinger Kirche. Nicht weit davon entfernt steht das Weiß'sche Haus, versteckt hinter einer Scheune. Dort angekommen, drückt Reichardt zaghaft gegen die Tür. Sie ist verschlossen.
Doch Reichardt sucht ein Schlupfloch, schleicht um das Haus herum - und entdeckt schließlich ein angelehntes Fenster. Reichardt klettert durchs Fenster und steht in der Werkstatt von Johann Weiß. Im Treppenhaus angekommen, zündet er sich eine kleine Kerze an. Den Weg ins Wohnzimmer mit der Kasten voller Schuldscheine und Wertpapiere muss er nicht suchen. Dieser ist noch gut vom Besuch vor ein paar Stunden in Erinnerung.
Diesen Brief hat David Reichardt aus dem Gefängnis an seine Frau Maria und seine Kinder geschrieben.

Reichardt schleicht die Treppe hoch. Behutsam setzt er einen Fuß vor den anderen, um das schlafende Ehepaar Weiß nicht aufzuwecken. Wenige Minuten später steht Reichardt im Wohnzimmer. Sein Herz klopft bis zum Halse, denn neben dem Kasten liegt Salome Weiß in ihrem Bett und schläft. Ihr Mann schlummert im Nebenzimmer. Reichardt fühlt sich sicher. Er stellt die Kerze auf den Tisch und macht sich am Kasten zu schaffen. In diesem Moment erwacht Johannes Weiß. Ein Blick ins Nebenzimmer versetzt ihm einen großen Schreck. "Feurio!", schreit der alte Mann und springt auf, um seiner Frau zu Hilfe zu eilen. David Reichardt fährt der Schrei des alten Mannes durch alle Knochen. Er greift zu seinem Nageleisen und schlägt es dem ebenso erschreckten alten Mann auf den Kopf. Weiß' Frau - vom Lärm in der Stube geweckt - wird ebenso Opfer des Einbrechers. Noch während sie im Bett liegt, erwischt sie das Nageleisen das erste Mal. David Reichardt schlägt weiter zu, bis sich auch Salome Weiß in ihrem Bett nicht mehr regt.
Den Griff in den Kasten vergisst Reichardt dennoch nicht. Er öffnet den Schrank und holt zwei Wertpapiere der ungarischen Ostbahn heraus. Gesamtwert: 1450 Mark. Zudem findet er 100 Mark Bares in einem Geldsäckel, das er in die Hosentasche steckt. Als er wenig später zu seiner Frau nach Hause kommt, lässt er sie wissen: "Weck mich morgen in der Früh um Drei. Ich will nach Stuttgart zum Arzt."
Was die Gattin nicht ahnt: Kein Wehwehchen plagt ihren Mann, sondern die zwei Wertpapiere. Diese will Reichardt schnell zu Bargeld machen. Als Johann Fischer aus Plieningen stellt er sich am nächsten Tag in Stuttgart den Banken vor - und hält alsbald 1450 Mark Bares in seinen Händen.
Als er nach Hause zu seiner Frau nach Entringen kommt, ist der Mord an Johann Weiß einziges Thema im Flecken. "Hoffentlich wird der Täter gefunden", sagt er bestürzt zu seiner Maria, als die ihm von der unfassbaren Tat erzählt. Die Staatsanwaltschaft Tübingen ermittelt - und hat als erstes die Schuldner von Weiß im Blick. Der Verdacht fällt auf den 36-jährigen Pius Müller. Ordentliche Schulden hatte dieser bei Johannes Weiß. Doch die Ermittler müssen bald zugeben: "Das ist der Falsche." In Entringen wundert man sich derweil über den plötzlichen Wohlstand Reichardts. Im Wirtshaus lässt er sich oft nachschenken, Prostituierte tanzen, weil er ihnen Geld zuschiebt und auch sein Haus wirkt immer weniger verfallen. Bis bei den Ermittlern in Tübingen ein anonymer Hinweis eingeht und die Aufmerksamkeit der Polizisten dadurch auf den Entringer gelenkt wird. Am 10. Januar 1882 wird David Reichardt verhaftet. Das Schwurgericht Tübingen lässt sein Urteil am 15. Mai 1882 im Gefängnis in Rottenburg vollstrecken: David Reichardt wird mit der Guillotine der Kopf abgeschlagen.

Quellen: - Ludwigsburger Kreiszeitung vom 17.09.2005 (von Katja Sommer) und - Die Akte kann im Staatsarchiv Ludwigsburg unter der Signatur E 332 Bü 38 eingesehen werden.


4. Der Fall - Wilhelm Heinrich Armbruster

Ein geplanter Raub gerät aus den Fugen und wird Mord.

Es ist ein heißer Tag im Juni 1847. Der Metzgergeselle Wilhelm Heinrich Armbruster schuftet auf einem Acker an der Neckarweihinger Straße. Armbruster rinnt der Schweiß herunter, er rammt seinen Spaten in die Erde und stützt die Arme auf das inzwischen glitschige Holz des Griffes. Viel lieber würde er jetzt ein Nickerchen im Schatten machen. Armbruster ist als Faulpelz bekannt. Andere bezeichnen ihn zudem als heimtückisch, unbarmherzig und sogar charakterlos. Er lässt seinen Blick über die Felder schweifen. In der Ferne taucht ein Schatten auf. Er entdeckt einen Viehtreiber. Mit ein paar Ochsen ist dieser auf dem Weg nach Ludwigsburg. Johann Gottlieb Winter marschiert mit seinem Vieh regelmäßig nach Ludwigsburg. Der Markt ist bekannt, für Ochsen werden gute Preise bezahlt.

In der Akte schlummert nicht nur Papier: Die Tatwaffe – das Messer – ist ebenso erhalten wie das Geldsäckel. Anhand des abgerissenen Ärmels wurde der Täter einst überführt. Man konnte ihn eindeutig seinem Metzgerschurz zuordnen.

Das weiß auch der Metzgergeselle. Er zählt eins und eins zusammen: Wenn der Viehtreiber jetzt nach Ludwigsburg geht, seine Ochsen verkauft, dann tritt er mit einem gefüllten Geldsäckel seinen Nachhauseweg an. Armbrusters Plan ist schnell geschmiedet: Er wird Winter auflauern und ihm das Geldsäckel rauben. Der Viehtreiber lässt nicht allzu lange auf sich warten. Die stattlichen Ochsen waren gefragt. 327 Gulden hat er für sein Vieh bekommen. Der Weg nach Ludwigsburg hatte sich für ihn gelohnt.
In Neckarweihingen trifft Winter auf einen Metzgergesellen. Winter erkennt ihn an seinem blauen Schurz. Armbruster verwickelt den Viehtreiber in ein Gespräch. Er wolle nach Maubach, ein Kuh kaufen, flunkert er den Viehtreiber an. In Maubach trennen sich dann ihre Wege. Armbruster erkundigt sich wirklich nach einer Kuh - an einen Kauf aber denkt der Metzgergeselle nicht wirklich. Sein Plan ist durchdacht. Schließlich will er nicht mit Winter gemeinsam in Maubach gesehen werden. Armbruster will keine Zeugen für seine Tat. Winter marschiert weiter. Von seinem Verfolger ahnt er nichts. Dieser hält sich in sicherem Abstand, versteckt sich immer wieder hinter Büschen und Bäumen. Es dämmert schon, als der Viehtreiber mit seinem unbekannten Verfolger den Ungeheuerhof zwischen Backnang und Unterweissach passiert.
Das Gelände wird unwegsamer, immer weniger Menschen begegnen dem Viehtreiber. Armbruster sieht seine Zeit gekommen. Er überfällt den Viehtreiber, will das Geldsäckel an sich bringen. Doch Winter ergibt sich nicht kampflos. Er wehrt sich heftig.
Damit hat Armbruster nicht gerechnet. Er hat die glänzenden Gulden im Kopf und will um jeden Preis an das Vermögen des Viehtreibers. Mit einem Messer sticht er auf Winter ein. Geschwächt übergibt dieser sein Geldsäckel. Doch Armbruster tritt nicht die Flucht an. Er fürchtet, der Mann könnte ihn nach seiner Genesung verraten. Deswegen beschließt er kurzerhand, den einzigen Zeugen seiner Tat umzubringen. Er schneidet Winter die Kehle durch. Doch Armbruster ist kein kaltblütiger Mörder. Ihn packt die Panik. Er flüchtet angsterfüllt und bemerkt nicht, dass ihm ein Stück seines Kittels fehlt. Dieses hatte Winter ihm im Kampf vom Metzgersschurz abgerissen.
Spaziergänger finden die Leiche Winters wenige Minuten nach der Tat. Blutüberströmt liegt der tote Viehtreiber am Wegesrand - und neben ihm die blaue Manschette. Sofort fällt der Verdacht auf einen Metzger. Denn der blaue Kittel gilt als Merkmal der Zunft. Feldarbeiter erinnern sich zudem an einen Metzger, der den Fürstenhof bei Großaspach passiert habe und in Richtung Stuttgart marschiert sei. Ein Knecht des Fürstenhofs gibt den Fahndern einen weiteren Hinweis: Blutverschmiert sei das Hemd des Metzgers gewesen, ist dieser überzeugt. Doch Armbruster gelingt die Flucht. Das Geldsäckel trägt er stets bei sich. 135 Gulden hatte er erbeutet. Eine stolze Summe. Was Armbruster nicht weiß: Winter hatte die restlichen 192 in anderen Taschen versteckt.
Der Metzgergeselle fühlt sich sicher. Fünf Tage nach der Tat lässt er sich in der Wirtschaft zum grünen Baum in Bietigheim ein kühles Bier schmecken. Doch die Fahnder haben ihn im Visier: Sie verhaften Armbruster vom Biertisch weg. Die beim Ermordeten gefundene Manschette passt exakt an seinen Metzgerschurz. Er ist überführt.
Das Oberamtsgericht Backnang verhört Armbruster. Dieser legt ein Geständnis ab und der Prozess vor dem Kriminalsenat nimmt seinen Lauf. Am 5. August 1847 wird Armbruster angeklagt. Das Urteil fällen die Richter am 14. Dezember. Armbruster wird zum Tode durch das Schwert verurteilt. Bis zu 8000 Menschen verfolgen die öffentliche Hinrichtung des Metzgergesellen am 8. Januar 1848 auf der Bleichwiese in Backnang - zugleich die letzte öffentliche Hinrichtung im Oberamt Backnang.

Quellen: - Ludwigsburger Kreiszeitung vom 9. Juli 2005 ( von Katja Sommer) und - Die Akte kann im Staatsarchiv Ludwigsburg unter der Signatur E 319 Bü 153-154 eingesehen werden.


5. Der Fall – George Allen

Dass es sich im Falle des George Allen, der am 30. Mai 1807 von den Assisen von Stafford zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde, um einen schlechterdings durch nichts zu rechtfertigenden und nur aus der Rückständigkeit der englischen Gesetze und der starren Grausamkeit einer englischen Hängejury zu erklärenden Justizmord handelt, wird nach der folgenden, dem Neuen Pitavalentnommenen Schilderung niemandem zweifelhaft sein.
George Allen in Upper-May-Field in Staffordshire war nach dem Zeugnis aller seiner Nachbarn ein rechtschaffener Mann, der sich in ehrbarer Weise von seiner Arbeit nährte. Durch siebzehn Jahre hatte er in der glücklichsten Ehe mit seiner Frau gelebt. Man wusste von keinem Zwist zwischen Mann und Frau, und die Ehe war durch Kinder gesegnet. Nur hatte er das Unglück, dann und wann epileptischen Zufällen unterworfen zu sein. Montag, am 12. Januar 1807, befand er sich aber besser, und auch am Tage vorher hatte man nichts von diesen Anfällen bemerkt. An diesem Montage ging er um acht Uhr abends zu Bett. Als seine Frau etwa nach einer Stunde ihm folgte, fand sie ihn aufrecht im Bett sitzen, seine Pfeife rauchend. Es war dies nichts Ungewöhnliches. Im selben Zimmer, in einem anderen Bett, lagen drei seiner Kinder schlafend: ein Knabe, der älteste, von zehn Jahren, ein Mädchen, die zweite, von sechs und noch ein Knabe von etwa drei Jahren.
Als die Frau sich auch ins Bett gelegt, mit ihrem jüngsten Kinde an der Brust, fragte George Allen plötzlich: „Du, welchen Mann hast du sonst im Hause?“ – Sie erwiderte: Im ganzen Hause sei keine Mannsperson als er selbst. Er schwor darauf, es verhalte sich anders. Sie fragte, wie er dazu komme, sie sei gewiss und wahrhaftig ganz unschuldig. Mit einem Satz war der Mann aus dem Bett und rannte die Treppe hinunter. Von Angst getrieben, folgte sie ihm, den Säugling noch immer im Arm. Sie ereilte ihn noch auf der Treppe und fragte ihn, was er denn in solcher Hast tun wolle? Er antwortete ihr barsch, sie solle sich auf der Stelle zurückscheren. Zitternd stieg sie die Treppe wieder hinauf; er folgte ihr.
Oben trat er ans Bett der Kinder und riss wütend die Decken und Kleider fort, womit sie zugedeckt waren. Als das Weib ihn daran hindern wollte, schrie er, sie solle ihn allein lassen oder es würde ihr ebenso gehen. Sie ließ nicht ab; das kleine Kind im Arme, suchte sie den Wütenden zu halten; aber er, mit einem Messer in der Hand fuhr nach ihrem Halse. Ein Tuch, welches sie um Kopf und Nacken trug, fing den Streich auf und hinderte die tödliche Wirkung. Aber an der rechten Brust verwundet, fuhr sie zurück, mit Leib und Armen nur ihr Kind deckend, und stürzte dann oder fiel vielmehr die steile, enge Treppe hinab; wunderbar glücklich genug, dass ihr Säugling keine Schaden nahm. Sie selbst verlor nur für den Augenblick die Besinnung.
Aber schon im nächsten Augenblick ward sie aufs entsetzlichste erweckt; ehe sie Knie und Füße zum Aufstehen rühren konnte, fiel ihr zweites Kind, das sechsjährige Mädchen, auf die unglückliche Mutter. Der Hals war ihr fast durchgeschnitten; der Vater hatte den rauchenden Leichnam ihr nachgeschleudert. Das arme Weib raffte ihre letzten Kräfte zusammen; sie riss die Haustür auf und schrie mit herzzerreißenden Wehlauten auf die Straße: „Hilfe, um Gotteswillen Hilfe! Mein Mann schneidet den Kindern die Köpfe ab!“
Ein Nachbar kam endlich zu ihrer Hilfe herbei. Man schaffte ein Licht, zündete es an und trat in das Unglückshaus. In der Mitte des Flurs stand das Ungeheuer, ein blutiges Rasiermesser in der Hand schwingend. „Was hast du getan?“ schrie man ihn an. Er antwortete ruhig und kalt: „Jetzt noch nicht. Ich habe erst drei von ihnen geschlachtet.“
Man entriss ihm den Stahl, was er sich ruhig gefallen ließ.
Der Anblick oben, als man die Treppe hinaufging, war noch entsetzlicher. Der älteste Knabe und der jüngste waren schon tot. Dem einen war der Kopf so abgeschnitten, dass er nur noch mit einer dünnen Haut mit dem Körper zusammenhing. Beiden war der Bauch aufgeschlitzt, die Gedärme waren mit Gewalt herausgerissen und lagen auf dem Boden umhergeschleudert.
Allen ließ sich ruhig ergreifen und machte auch nachher keinen Versuch zu entfliehen.
Als ihn der Leichenbeschauer in Gegenwart der blutigen Körper verhörte, bekannte er mit der Ruhe von vorhin seine Schuld, ohne mit einem Wort oder Zeichen Reue auszudrücken. Er erklärte aufs Bestimmteste, es sei seine Absicht gewesen, sein Weib und alle seine Kinder zu ermorden und dann Hand an sich selbst zu legen. Nein, setzte er hinzu, ich wollte dann noch eine umbringen, das alte Weib, das bei uns im Schafstalle liegt.
Dennoch sagte er später, es drücke ihn etwas, und er habe etwas Schweres zu bekennen. Der Coroner vermutete, dass noch eine frühere, unentdeckte Blutschuld auf ihm laste. In Gegenwart ehrenwerter Männer ward ihm zugeredet, dass er sein Gewissen entlaste. Es kostete ihm sichtliche Überwindung, bis er die ungeordnete, wüste Erzählung über die Lippen brachte: Ja, es sei wahr und müsse heraus; vor vier Jahren sei ihm ein Geist erschienen in Gestalt eines schwarzen Rosses, in einem Stall sei es gewesen, und das habe ihn bezaubert. Da hätte es ihm Blut aus den Adern gesogen und er hätte sich nicht rühren können, und plötzlich hätte es Flügel bekommen und sei durch die Lüfte davon gesaust, und seitdem liege es auf ihm.
Man sagt uns nichts davon, dass eine Untersuchung über seinen Geisteszustand angeordnet worden sei, nicht einmal ein Arzt scheint als Zeuge vernommen worden zu sein.
Quellen: - Die Irrtümer der Strafjustiz unserer Zeit – Geschichte der Justizmorde von 1779-1910 (von Erich Sello) Ausgabe 2001 – S.270 – ISBN 3-929349-40-X


6. Der Fall – Mr. und Mrs. Mayers

Am 11. Februar 1883 fand ein herumschnüffelnder Hund den abgetrennten Kopf eines ca. 11-jährigen Mädchens im Schlossteich von Apsley Castle. Der Schädel war in einen mit weißem und rosa Garn zugenähten Kopfkissenbezug eingewickelt und ganz offensichtlich gebraten worden, um eine Identifizierung zu erschweren. Die Beine des Kindes entdeckte die Polizei während der Spurensuche unweit des Teiches im Gras.
Die Mörder waren schnell ermittelt. Von dem im Schloss als Gärtner angestellten Ehepaar Mr. und Mrs. Mayers war allgemein bekannt, dass es wegen mehrfacher Misshandlung seiner kleinen Tochter bereits eine Gefängnisstrafe verbüßt hatte. Und Mr. Ogle, der Verwalter des Anwesens, vermutete, dass das Mädchen auch nach der Haftentlassung weiterhin verprügelt worden war. Erst Anfang Januar hatte das Kind versucht zu fliehen, war aber im 20 km entfernten Shrewsbury aufgegriffen und zu seinen Eltern zurück gebracht worden. Eine Durchsuchung der Mayers´schen Dienstwohnung brachte sowohl die Reste der benutzten farbigen Garne als auch die zerschnittenen, blutbesudelten Kleider des Mädchens zu Tage. Die Eheleute, die vor Gericht keine Reue zeigten, da sie der Meinung waren, mit ihrem eigenen Kind tun und lassen zu können, was ihnen gefiel, wurden einen Monat nach der Tat schuldig gesprochen und von William Marwood gehenkt.
Wie man sieht, ist der Mörder zwar nicht immer, aber eben manchmal doch der Gärtner.

Quellen: - Tatort Großbritannien – Galgen, Mörder und Verbrechen (von Gerald Hagemann) Ausgabe 2002 – S. 115 – ISBN 3-89102-448-7


7. Der Fall - Wenzel Babinsky

Wenzel Babinsky (auch Josef Schmid, Anton Müller, tschechisch Václav Babinský) (* 20. August 1796 in Pokratitz bei Leitmeritz; † 1. August 1879 in ?epy bei Prag), war ein böhmischer Räuber. Sein Leben und seine Taten wurden in vielen populären tschechischen Liedern und Romanen des späten 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts beschrieben.
Babinský stammte aus der Familie eines Tagelöhners. Ob er eine Schulbildung besaß, ist ungeklärt. 1816 trat er den Militärdienst an, wurde aber wegen einer (vorgetäuschten) psychischen Krankheit und Bedrohung anderer Soldaten in das psychiatrische Militärkrankenhaus in Prag eingewiesen. Nach der Entlassung 1824 zog er als Landstreicher und Dieb durch das nördliche Böhmen. 1825 und 1829 wurde er verhaftet, die Anklage wegen Diebstahls wurde jedoch fallen gelassen.

Zeitgenössische Fotografie Václav Babinskýs nach der Entlassung aus dem Gefängnis 1861

1830 organisierte er eine kleine Bande von Wegelagerern, zu deren Mitgliedern auch seine Geliebte Apolena Hoffmann zählte.
Am 19. Januar 1832 kam es aufgrund einer Panne zu einer erneuten Festnahme. Bei einer Kontrolle im Dorf Hühnerwasser fiel dem dortigen Dorfschulzen der gefälschte Pass des Räuberhauptmanns auf, noch dazu fielen seiner Geliebten zwei geladene Pistolen aus dem Rock. Apolena Hoffmann gelang die Flucht, während Babinský inhaftiert wurde. Vier Monate später konnte er aus dem Gefängnis in Prag entkommen. Nach der Flucht ließ er sich in der Gegend von Oberkamnitz nieder. Hier beging er sein größtes nachgewiesenes Verbrechen, als er im Wald bei Hasel bei einem Raubüberfall am 4. Juli 1833 den Webereifaktor Johann Gottfried Blumberg aus Hirschfelde ermordete. Vor der eingeleiteten Fahndung flüchtete er nach Lódy in Kongresspolen.
1835 besuchte Babinský unvorsichtigerweise unter dem Pseudonym Anton Müller seine Heimatstadt Leitmeritz. Er wurde gefangen genommen und zusammen mit seiner Geliebten und vier weiteren Bandenmitgliedern vor dem Kriminalgericht in Prag wegen 12 Verbrechen, darunter drei Raubmorde, angeklagt. Da er als Organisator der Überfälle meist im Hintergrund blieb, von den Zeugen daher nicht immer identifiziert wurde, und zudem seine Taten stets abstritt, konnten ihm allerdings nur sechs nachgewiesen werden. Am 1. Dezember 1840 wurde er zu 20 Jahren schwerer Zuchthausstrafe verurteilt. Apolena Hoffmann bekam 12 Jahre ebenfalls schweres Zuchthaus, starb jedoch 15 Tage nach der Urteilsverkündung an Blutsturz. Sie wurde 41 Jahre alt.
Babinský wurde am 10. Juni 1841 als Häftling Nummer 1042 in die Festung Spielberg bei Brünn, deren Kasematten für die gefährlichsten Verbrecher der Habsburgermonarchie bestimmt waren, eingeliefert. Er war als ruhiger Gefangener bekannt, der stets einen Rosenkranz bei sich trug und betete. Dadurch gewann er das Vertrauen des Kaplans und später auch der Gefängnisleitung. Er durfte Kranke betreuen und erhielt dadurch zahlreiche Vergünstigungen. 1855 wurde das Gefängnis in Spielberg aufgelöst und der Häftling nach Kartouze bei Jilín verlegt. Hier gewann er das Vertrauen der barmherzigen Schwestern des Boromäerordens, die sich der Betreuung der Inhaftierten widmeten. Nach seiner Entlassung 1861 stellten sie den 65-jährigen als Gärtner im Frauengefängnis in Lepy ein, wo er bis zu seinem Tod 1879 blieb.
Das Grab Babinskýs in Lepy bei Prag.

An der Pustý zámek genannten Felsklippe zwischen Jeská Kamenice und Líska erinnert ein Denkmal an die Mordtat von 1833 an dem Webereifaktor Blumberg. Der nach 1946 umgeworfene Gedenkstein wurde 1998 wiederhergestellt. Am 24. März 1830 überfiel Babinský mit vier Kumpanen das Haus des Müllers Anton Heine. Die Räuber fesselten ihn und seine Haushälterin und stahlen 500 preußische Taler. Heine starb danach an Herzschlag.
In der Nacht auf den 1. Mai 1830 stieg er mit einer siebenköpfigen Bande in das Haus des Jan Paul in Lysá nad Labem ein. Pauls Frau wurde niedergeschlagen, Paul selbst sollte ans Bett gefesselt werden. Durch einen Luftzug ging jedoch den Räubern das Licht aus, Paul konnte flüchten und im Dorf Hilfe holen, die jedoch zu spät kam. Die geringe Ausbeute des Überfalls bestand in Bekleidung im Wert von 15 Goldstücken.
In der Nacht des 15. Januar 1831 brach die Bande in das Haus des Fährmanns Jan Krejza in Brozany ein, um dessen Ersparnisse zum Kauf einer Gastwirtschaft zu rauben. Sie stahlen 2.500 Goldstücke und Loscoupons im Wert von 380 Goldstücken.
Bei der Inhaftierung am 19. Januar 1832 in Hühnerwasser benutzte Babinský einen gefälschten Pass auf den Namen Josef Schmid, ausgestellt durch einen korrupten Kanzleischreiber der Stadt Vrchnov. Außerdem erfolgte eine Verurteilung wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt, da er bei der Festnahme den Dorfschulzen in den Daumen biss und zwei Gehilfen verletzte.
In der Nacht zum 4. Juli 1833 hat Babinský im Wald bei Oberkamnitz den Faktor Johann Gottfried Blumberg mit acht Messerstichen tödlich verletzt, ihm 200 Taler und einige Ellen Stoff sowie Kaffee gestohlen.
Obwohl seine Taten vergleichsweise wenig aufsehenerregend waren, wurde der Räuberhauptmann in der tschechischen Spätromantik zu einer Berühmtheit und entgegen den Ergebnissen der Gerichtsermittlungen zu einem Beschützer der Armen gegen die Obrigkeit stilisiert, der nie einen Mord begangen habe. Der „Nachruhm“ begann bereits zu seinen Lebzeiten: Bereits 1860-61 schrieb der Prager Jahrmarktsänger František Hais ein populäres Bänkellied mit dem Titel „Babinský žije“ (Babinsky lebt), und 1862, ein Jahr nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis, erschien der Heftroman „Babinský, v?dce loupežník? v ?eských zemích“ (Babinsky, Führer der Räuber in den böhmischen Ländern). In der Folgezeit entstanden zahlreiche weitere Lieder, romantische Erzählungen und Sensationsromane. 1926 wurde Babinský zur Hauptfigur in einem gleichnamigen Stummfilm von V. Ch. Vladimírov. Noch 1929 verwendete Gustav Meyrink die Figur in seinem Roman - Der Golem, und Egon Erwin Kisch nahm ihn 1931 in seine kriminalistische Sammlung Käsebier und Fridericus Rex, Aus dem Prager Pitaval auf.

Quellen: - Babinský, v?dce loupežník? v ?eských zemích, Hefte, 110 Seiten, Hradec Králové 1862 und - Dagmar St?tinová: Babinský - strašlivý les? pán. Legenda a skute?nost. Fontána 2005, ISBN 80-7336-224-4 sowie - "Wenzel Babinsky" ist Teil der Freien-Enzyklopädie weiterhin - http://www.spsmvbr.cz/cesky/os_stranky/jedlicka/muzeumzla/babinsky/babinsky.htm


8. Der Fall - Anna Delpech

In den letzten Wochen des August 1868 starben zu Corbarieu bei Montauban im südlichen Frankreich zwei Frauen fragwürdigen Rufes, eine an Blutungen aus dem Unterleib, die andere an einer Darmfellentzündung. Beide waren, die eine im vierten, die andere im fünften Monat schwanger. Nach dem Gutachten der Ärzte wurde der Tod der Frauen durch Operationen herbeigeführt, die zur Beseitigung der Schwangerschaft vorgenommen worden waren. Die Polizei schöpfte Verdacht gegen Anna Delpech zu Montauban. Man schritt gegen sie ein und hatte bald genug Belastungsmaterial gesammelt, um einen Kriminalprozeß gegen sie einzuleiten.
Anna Delpech bewohnte ein kleines Haus in einer Vorstadt von Montauban, welches am Ufer eines Flüßchens lag. Man kannte es in der Stadt wegen eines über der Tür gemalten weißen Vierecks unter dem Namen Perno blanco. Bei der Polizei allerdings war es als Schlupfwinkel lichtscheuer Zusammenkünfte berüchtigt. Sie selbst hatte von ihren Nachbarn den wenig schmeichelhaften Beinamen gatano gatasso erhalten, was so viel wie dicke oder böse Katze bedeutete. Anna Delpech war 53 Jahre alt, von großer Figur und einer Körperfülle, die jeder Beschreibung zu spotten schien. Mit großen tückischen Augen und weingeröteter Nase war sie ein Bild gemeinster Verworfenheit. Bereits 1863 verbüßte sie eine Strafe wegen Diebstahls und Betrugs.
Im November 1867 entband die junge Nähterin Emilie Lages zu Montauban eine Tochter. Bedingt durch ihre Armut gab sie das Kind auf Anraten einer Freundin in die Obhut von Anna Delpech. Diese versprach, nachdem sie am 13. August 1868 40 Francs für die Reise und die Unkosten der Unterbringung erhalten hatte, das Kind in Cadillac in eine Anstalt namens Nazareth zu bringen, wo man sich um das Kind kümmern werde. Schon nach wenigen Tagen erkundigte sich Emilie Lages, wie das Kind die Reise überstanden habe. „Vortrefflich“, entgegnete Anna Delpech, „es hat allen Syrup, den Sie uns mitgaben, ausgetrunken und ich habe ihm noch eine Flasche Milch geben lassen. Ich habe es der Frau Fougères übergeben, die mir versprochen hat, bestens dafür zu sorgen.“
Nach der Verhaftung der Delpech schickte die Mutter eine Freundin nach Cadillac, Erkundigungen über ihr Kind und die Nazareth genannte Anstalt einzuholen. Dort gab man ihr die Auskunft, daß eine solche Anstalt nicht existiere und das Kind wahrscheinlich an Zigeuner verkauft worden war. Die unglückliche Mutter erwirkte nun die Erlaubnis, die Delpech im Gefängnis aufzusuchen, um sie nach dem Verbleib ihrer Tochter zu fragen. Lange machte die Verbrecherin Ausflüchte. Endlich entgegnete sie mit entsetzlichem Zynismus: „Dein Kind liegt längst im Abtritt!“
Die Polizei stellte im Perno blanco Nachforschungen an. Man fand im Abtritt zuerst die oberhalb der Knie abgeschnittenen Beine und dann den Körper eines etwa neun Monate alten Kindes. Sonst wurde in diesem Haus nichts gefunden. Viel schrecklicher waren dagegen die Untersuchungen in einem in derselben Straße gelegenen kleinen Haus, in dem die Delpech bis 1864 zwei Jahre lang gewohnt hatte.
Unter dem Fußboden eines Wohnzimmers fand man zwei, unter einer Treppe drei und in einem Anbau verscharrt zwei zum Teil verstümmelte und von Ratten zernagte Skelette, die von Kindern zartesten Alters herrührten. Anna Delpech, die inzwischen ein umfassendes Geständnis abgelegt hatte, war bei den Nachgrabungen zugegen.
Der Polizeikommissar, der die Untersuchung leitete, versicherte später, sie habe ihm die Verstecke meist selbst gezeigt und zwischendurch harmlos mit einem anwesenden kleinen Knaben gescherzt. Sie gestand aber nicht nur, diese Kinder ermordet zu haben, sondern sie beschuldigte eine der angesehensten Hebammen von Montauban, eine gewisse Frau Coyne, ihr einige dieser Kinder zum Zweck der Tötung überliefert zu haben. Sie gestand weiter, in Gemeinschaft mit Frau Coyne an einer Reihe von Mädchen und Frauen verbrecherische Operationen zur Beseitigung der Schwangerschaft vorgenommen zu haben.
Diese Enthüllungen riefen in Stadt und Umgebung von Montauban eine helle Aufregung hervor. Die Zahl der Schlachtopfer wurde auf das ungeheuerlichste übertrieben. Im Volksmund verbreitete sich bald das Gerücht, Anna Delpech habe die ermordeten Kinder zubereitet und verspeist, und man gab ihr den Namen L`Ogresse - von Ogre, einem märchenhaften, menschenfressenden Ungeheuer in der französischen Mythologie.
Die Gerichtsverhandlungen begannen am 3. März 1869. (...)
Die Reihe der Verbrechen, die Anna Delpech lachenden Mundes eingestand, begann mit einem, das der Ahndung des Gesetzes bereits entrückt war, da nach damaligem französischen Recht selbst die schwersten Verbrechen nach Ablauf von zehn Jahren verjährten. Ihre Tochter Jeanne (Frau Barrière) wurde 1857 siebzehnjährig zum ersten Mal Mutter. Die Angeklagte Delpech behauptete, ihr gesagt zu haben, sie werde sie des Kindes entledigen. Jeanne aber stritt dies ab.
Die mörderische Großmutter benutzte einen Augenblick, als die Hebamme Paul, in deren Haus die Entbindung stattfand, abwesend war, um ihrem kaum 48 Stunden alten Enkel etwas verdünnte Schwefelsäure einzuflößen. Das Kind starb fast unmittelbar darauf. Die Hebamme und ihr Ehemann schöpften Verdacht. Es wurde ein Arzt gerufen, der die Todesursache jedoch nicht feststellen konnte. Die Mörderin tröstete ihre Tochter damit, daß sie ihr erklärte, da sie selbst noch so jung sei, sei das Kind nicht gehörig ausgebildet gewesen und habe deshalb nicht leben können. Sie wußte sich neugeborene Kinder zu verschaffen, versprach, sie in einer Anstalt in Pflege zu geben, ließ sich dafür bezahlen und ermordete die Kinder.
Das Tötungsverfahren war, nach ihrer Aussage, immer das gleiche: Sie hielt die unglücklichen Opfer so lange in einem Gefäß mit dem Kopf unter Wasser, bis sie erstickt waren. Dann grub sie irgendwo in ihrer Behausung ein Loch und verscharrte sie. War das Loch zu klein geraten, so zerschnitt sie die Leichname oder zerbrach die Knochen. Lachend macht sie in der Sitzung die Pantomime des Zerbrechens über dem Knie, und läßt sich`s nicht sehr anfechten, als in dem überfüllten Zuhörerraum ein Geheul der Wuth und des Abscheus ausbricht. Einzelne Leichen warf sie auch in die Senkgrube.
Die Kindermörderin war mit einem Totengräber verwandt und besuchte ihn bisweilen. Auf die Frage, ob sie auch diese Bekanntschaft genutzt habe, um Leichen fortzuschaffen, entgegnete sie: „O nein, Kinder, die einmal in mein Haus gekommen waren, kamen nie wieder heraus!“ (...)
Im Jahre 1863 beseitigte Anna Delpech für 100 Francs das Kind der Marie Villadieu, bald darauf für 400 Francs das der Antoinette Fourcade. Dann wurde sie durch eine Verurteilung wegen Betrugs auf kurze Zeit unschädlich gemacht, verließ das Gefängnis im Juni 1864 und ermordete im November 1865 das Kind der Eulalie Laroque mit einem Gewinn von 300 Francs. Der Umstand, daß sie endlich in Emilie Lages eine Mutter fand, die sich nicht mit leeren Ausflüchten abspeisen ließ, führte zu ihrer Entdeckung. Bisweilen scheint sie ein Kind wegen eines etwas weniger verbrecherischen Geschäfts eine Zeitlang verschont zu haben.
Über die anderen Verbrechen legten alle Angeklagten mehr oder weniger umfassende Geständnisse ab. Aus denen ergab sich, daß Anna Delpech und Frau Coyne zahlreichen Mädchen und Frauen auf jede mögliche Weise behilflich waren, die Schwangerschaft zu beseitigen. Sie hatten mit ihrer „Kunst“ beinahe ein öffentliches Gewerbe getrieben.
Das kontinuierliche, merkwürdige Lachen der Angeklagten Delpech konnte nicht den Eindruck verhehlen, als habe man es mit einer Wahnsinnigen zu tun. Hinzu kam, daß sie auf die Frage, was sie zu ihrem Geständnis bewogen habe, einmal antwortete, sie habe geglaubt, man wisse dies alles schon, ein anderes Mal aber, ihre verstorbenen Eltern seien ihr erschienen und hätten ihr befohlen, alles zu gestehen.
Der Gerichtshof verurteilte Anna Delpech zu lebenslänglicher Zwangsarbeit. Frau Coyne erhielt zehn Jahre Zwangsarbeit. Die anderen Frauen kamen mit Gefängnisstrafen von ein bis drei Jahren davon. Frau Boyer, die Gattin des Bürgermeisters, wurde freigesprochen.

Quellen: - Historische Serienmörder (von Michael Kirchschlager) 1. Auflage 2007 - S.205 - ISBN 978-3-934277-13-7


9. Der Fall - Bernhard Matter

Bernhard Matter (* 21. Februar 1821 in Muhen, † 24. Mai 1854 in Lenzburg, enthauptet) war ein notorischer Dieb und Einbrecher aus dem Kanton Aargau. Seine Hinrichtung war die letzte, die im Aargau stattfand. Er gilt als Schweizer Robin Hood.
In Muhen am 21. Februar 1821 geboren und aufgewachsen, schwänzte er dort nicht selten die Schule und beging schon als Knabe regelmässig Diebstahl. 1836 stand er zum ersten Mal vor Gericht, weil er einen Aarauer Juwelier um vier Goldringe erleichtert hatte. 1841 heiratete er die Näherin Barbara Fischer. Der Chronist vermerkte dazu: „Aber auch diese um sechs Jahre ältere und als verständig geltende Weibsperson vermochte den haltlosen Burschen nicht im Zaume zu halten.“
Mit geschickten Methoden verstand er es meist, sich einer Festnahme durch die Polizei zu entziehen. Bei der damaligen Armut gewann Matter viele Freunde, weil er nur Begüterte um ihren Reichtum „erleichtert“ und die Beute freigebig verteilt haben soll.
Nach einer Verhaftung wurde er zu einer Strafarbeit verurteilt: er musste beim Bau der Kaserne in Aarau helfen. Gleichzeitig machte er nachts seine Raubzüge und versorgte Dorfbewohner Muhens mit dem Diebesgut zu niedrigen Preisen. Wenn es gelang, ihn zu verhaften, fand er stets einen Fluchtweg. Er versteckte sich in Muhen, und die Dorfbewohner gaben seinen Aufenthaltsort nicht Preis. Eines Tages verleideten einem Dorfbewohner die Umstände, so dass er Matters Aufenthaltsort verriet.
Er machte seine Einbrüche und Diebstähle im Alleingang oder als Kopf einer Bande. Allmählich machten sie fast das ganze Schweizer Mittelland unsicher. Neben seiner Rolle als Robin Hood spielte er ebenso erfolgreich jene des Don Juan: er hatte viele Frauenbekannt- und Liebschaften, tanzte gerne und war anscheinend sehr attraktiv: „Alle Maitli waren in ihn verschossen!“
Matter wurde schliesslich zu 16 Jahren Zuchthaus (Kettenhaft) verurteilt, brach aber nach kurzer Zeit aus der Strafanstalt in Baden aus und setzte seine Raubzüge fort. Eine 20-jährige Haftstrafe sollte er ab 1851 in der Strafanstalt Lenzburg verbüssen, fand aber auch dort einen Fluchtweg. Kurz darauf wurde er wieder festgenommen und in der Festung Aarburg untergebracht. Nach drei misslungenen Ausbruchsversuchen stellte er einen Antrag zur Versetzung in eine ausländische Strafkolonie. Sogar die Landesregierung wollte da mithelfen, konnte aber auch keinen Erfolg verbuchen.
Am 11. Januar 1853, in einer Sturmnacht, gelang ihm sein Meisterstück: nach mehrwöchiger Vorbereitung „verliess“ er das bislang ausbruchsichere Zuchthaus. Am Neujahrstag 1854 wurde er in der Herberge Teufenthal entdeckt und erneut festgenommen. Die zuständigen Richter verurteilten ihren „Staatsfeind Nr. 1“ am 15. April zum Tode. Ein letzter Ausbruchsversuch misslang, und sein Gnadengesuch wurde, nachdem auch das Obergericht das Urteil bestätigt hatte, vom Aargauer Grossen Rat abgelehnt. Am Abend des 24. Mai 1854 wurde der Volksheld vor über 2'000 Zuschauern in Lenzburg aufs Schafott geführt und geköpft.
Vielen Leuten wurde er so zu einer Märtyrergestalt; ihnen blieb er als Freund der Armen und Rechtlosen in Erinnerung. Zahlreiche Geschichten und Anekdoten ranken sich um ihn.
Heute ist kaum nachzuvollziehbar, wie jemand, der nie einen Menschen verletzt, geschweige denn getötet hatte, zum Tode verurteilt werden konnte. Einen vergleichbaren „Ruhm“ - wenigstens in Teilen der Schweizer Bevölkerung - genoss in den 1970er- und 1980er-Jahren der Ostschweizer „Ausbrecherkönig“ Walter Stürm.

Quellen: - Nold Halder: Leben und Sterben des berüchtigten Gauners Bernhart Matter. Eine Episode aus der Rechts- und Sittengeschichte des 19. Jahrhunderts. Sauerländer (Beiträge zur Geschichte des Strafvollzuges und des Gefängniswesens im Kanton Aargau, Heft 3), Aarau 1947.
- Kurt Hutterli: Gaunerblut. Das Leben des Ein- und Ausbrecherkönigs Bernhart Matter posthum von ihm selbst dargestellt und mit Materialien aus der Sammlung seines Schreibers ergänzt, Limmat-Verlag, Zürich 1990, ISBN 3-85791-174-3
- Hans A. Jenny: Bernhart Matter. Meisterdieb und «Robin Hood», in: Schweizer Originale. Porträts helvetischer
Individuen. Band 2, Nebelspalter-Verlag, Rorschach 1992, S.34-39, ISBN 3-85819-176-0


10. Der Fall - Johann Gottfried Kaltofen

Man schreibt den 29. Dezember 1819, da »findet ein Fuhr­mann, abends 6 Uhr, in einer mondhellen Nacht, auf der von Dresden nach Großenhayn führenden Kunststraße, ungefähr 900 Schritte von dem Gasthofe zum Wilden Mann, den Tisch­lergesellen Gottlob Leberecht Winter ermordet und beraubt«. So meldet ein zeitgenössischer Bericht. »Der Erschlagene war noch mit Stiefeln, Strümpfen, Beinkleidern und dem Hemde bekleidet; die Handschuhe lagen neben ihm.«

Der tote Tischlergeselle ist dem Augenschein nach minde­stens seines Überrocks und seiner Barschaft beraubt und im Frost liegengelassen worden. Ein paar Tage später wird die Leiche beerdigt. Auf die Ergreifung des unbekannten Mör­ders werden 100 Taler Belohnung ausgesetzt. Vergeblich. Nie­mand meldet sich. Keine Anzeige geht ein. Es scheint, als werde der Mörder nie gefunden werden. Der Winter vergeht. Im Frühjahr 1820 macht der Mörder wieder von sich reden. In Dresden lebt zu der Zeit der ange­sehene Porträtmaler und Professor an der königlichen Kunst­akademie Gerhard von Kügelgen. Er bewohnt eine Etage im Gottessegen-Haus in der Neustadt. »An Gottes Segen ist alles gelegen« heißt es noch heute in goldenen Buchstaben unter­halb des Dachfirstes.
Professor Gerhard von Kügelgen besitzt einen Weinberg bei Loschwitz, mit einem weiten Blick über das Land bis hin zu den Höhen des östlichen Erzgebirges. Kü­gelgen ist dabei, das alte Winzerhaus umbauen zu lassen. Er will sich darin auch ein großes helles Atelier einrichten. Am 27. März 1820 geht er an einem späten Nachmittag nach Loschwitz hinaus, um nach dem Rechten zu sehen und den Handwerkern den Lohn auszuzahlen.
Der Biograph des Künstlers, Hasse, schildert die Ereignisse des verhängnisvol­len Tages in der im Jahre 1824 veröffentlichten Lebensbe­schreibung so: »Er kam gegen fünf Uhr an, ordnete und besorgte, was nötig war, bezahlte die Arbeiter, bestellte junge Birken für den Weinberg und begab sich nach halb sieben Uhr auf den Rück­weg.
Als er jetzt, ungefähr ein Viertel nach sieben Uhr, bei Mondlicht, auf der fast nie menschenleeren Landstraße, die von Dresden nach Bautzen führt, mitten in einer freien, über­all leicht zu übersehenden Gegend, 180 Schritte vor dem gräf­lich Marcolinischen Vorwerke, der Vorstadt des schwarzen Thores und dem Linckeschen Bade schon bis auf einige hun­dert Schritte sich genähert hatte, beschlich ihn meuchlings im Rücken ein Raubmörder und zerschmetterte ihm den Schädel mit einem Beile.
Darauf schleppte er den Bewußtlosen seit­wärts von der Straße, über einen schmalen Sturzacker, etwa hundert Schritte weit hinab nach der Elbe zu, die eben ausge­treten war und den Fußsteig am Ufer ungangbar gemacht hatte. Dort legte er ihn hinter einem deckenden Feldraine in eine Vertiefung des daselbst befindlichen Röhrenlagers, wo er ihn beraubte und bis aufs Untergewand entkleidete, ohne von einem der auf der Straße vorübergehenden Menschen bemerkt zu werden.«
Der Sohn des Ermordeten, Wilhelm von Kügelgen, befin­det sich, als der Vater unter dem Beilhieb des Mörders zusam­menbricht, in einem Konzert im »Alten Posthaus« in der Pir­naischen Gasse und hört Joseph Haydns »Die sieben Worte«. »Als ich nach Hause kam und den Vater nicht vorfand« - so erzählte er später -, »ergriff mich die lebhafteste Sorge. Ich machte mich sogleich auf den Weg und lief durch die helle Mondnacht ihm entgegen bis auf den Weinberg. Hier schlief schon alles, und ich mußte den Winzer aus dem Bette holen. Von ihm erfuhr ich, daß mein Vater freilich da gewesen sei, mehrere Anordnungen getroffen, aber schon vor sieben Uhr den Rückweg angetreten habe.

Spornstreichs rannte ich jetzt zurück und klopfte die Wirtsleute auf Findlaters (ein Kaffee­haus auf dem Grundstück, auf dem seit 1850 das Albrechts­schloß steht, ursprünglich Privatbesitz eines Engländers Findlater) und dem Linckeschen Bade heraus, ob er viel­leicht plötzlichen Unwohlseins halber dort eingetroffen sei; aber niemand wollte ihn gesehen haben. Möglich, dachte ich, daß er in der Stadt noch einen Besuch gemacht und nun längst zu Hause ist - aber das war er nicht, und wir brachten die Nacht in namenloser Angst hin.
Am andern Morgen in aller Frühe meldete ich den Fall auf der Polizei an. Man gab mir Polizeidiener und Hunde mit, die Gegend abzusuchen. Am Linckeschen Bade verteilten wir uns zu beiden Seiten der Chaussee; die Hunde revierten vor und zwischen uns. Auf halbem Wege zum „Waldschlösschen“ stand plötzlich der mir zunächst laufende Hund. Ich sprang herzu - da lag mein Vater mit dem Gesicht auf nackter Erde, erschlagen und ent­kleidet, in einer Ackerfurche.«
Die Suche nach dem Mörder setzt ein. Die Umstände des Verbrechens und seine Ausführung deuten auf denselben Täter hin, dem auch der Tischlergeselle Winter zum Opfer ge­fallen ist. Hasse schildert, überraschenderweise nur verhält­nismäßig knapp, das merkwürdige Resultat der fragwürdigen polizeilichen Fahndungsarbeit: »Anfangs war jede Nachfor­schung vergeblich. Zwar wurden einige Personen, die in der Nähe des Ortes oder auf der Straße gesehen worden waren und verdächtig zu sein schienen, verhaftet; aber es zeigte sich keine nähere Spur.
Die Regierung setzte daher schon am 29. März 1820, nach dem Vorschlage des Justizamtes, einen Preis von tausend Thalern auf die Entdeckung des Mörders. An demselben Tag fand man den Mantel des Erschlagenen. Kinder, die bei dem aufgefahrenen Schutte hinter dem „Accishause“ vor dem schwarzen Thore spielten, zogen ihn unter Stei­nen hervor. Noch befand sich in demselben das kleine Gebet­buch, welches Kügelgen bei sich gehabt hatte.
Nach dieser Spur mußte der Raubmörder innerhalb der Mauern der Stadt sich aufhalten. Er hatte nicht gewagt, das große Kleidungs­stück durch das Thor in seine Wohnung zu bringen; darum verbarg er den Mantel an jenem Orte, um ihn ein anderes Mal unbemerkt auf die Seite zu schaffen. Am 4. April 1820 (inzwi­schen war im »Dresdner Anzeiger« ein Verzeichnis der dem Ermordeten geraubten Sachen veröffentlicht worden) brachten einige jüdische Handelsleute dem untersu­chenden Richter die Uhr des Ermordeten und veranlaßten die Verhaftung eines Unterkanoniers (Fischer), von dem sie die­selbe gekauft haben wollten. Jedoch bei näherer Betrachtung erkannten sie ihn nicht als den Verkäufer.
Gleichwohl ge­stand dieser am 19. April, den doppelten Raubmord verübt zu haben, und zwar allein; indeß widersprach seine Aussage den schon erforschten Umständen der Tat. Endlich führte am 24. April die Anzeige eines andern jüdischen Handelsmannes in Dresden, welcher von einem Unterkanonier
(Kaltofen) den Oberrock des Ermordeten gekauft hatte, auf die Entdeckung des Täters.«
Wie kam es, daß anfangs, im ersten Stadium der beginnen­den Untersuchung des Mordfalls Kügelgen, gleich zwei Ka­noniere des sächsischen Artilleriekorps den Raubmord an Kü­gelgen und Winter zugaben und Geständnisse ablegten?
Kügelgens Biograph hat diese Frage, die jeder Unbefangene so­fort stellt, nicht direkt beantwortet, wohl aber indirekt dem Leser das Urteil überlassen, indem er als Anhang zur Lebens­beschreibung Kügelgens einige aufschlußreiche Auszüge aus dem amtlichen Protokoll des Untersuchungsverfahrens gegen Fischer und Kaltofen veröffentlichte. Daraus geht für den, der diese unter den Bedingungen der feudalen Verhältnisse veröffentlichten dokumentarischen Fragmente zu lesen ver­steht, klar und eindeutig hervor, daß dem unschuldigen Kano­nier Fischer Selbstbezichtigung und Geständnis seitens des untersuchenden Amtsfrons durch Einflüsterung, Einschüch­terung und Folterung abgenötigt und erpreßt wurden. Zwar war die Folter bereits fünfzig Jahre zuvor, 1770, in Sachsen of­fiziell abgeschafft worden, lebte aber in dieser und jener Form weiter, begünstigt durch die feudalen Verhältnisse im König­reich Sachsen.
1789 hatte die bürgerliche Revolution in Frankreich die mündliche Verhandlung vor den neu geschaffenen Schwurge­richten eingeführt. Seither waren dreißig Jahre vergangen. Aber im Königreich Sachsen hielt man am Althergebrachten auch im Bereich der Justiz zäh fest. Man fällte die Urteile im Falle von Kapitalverbrechen auf Grund des so genannten schriftlichen Verfahrens, so auch in der Mordsache Kügelgen. War das einem Verdächtigen abgepreßte »Geständnis« erst einmal in die für den Schöppenstuhl zu Leipzig bestimmten Akten eingegangen, so war der »Geständige« schon halb ver­urteilt. Der Willkür der untersuchenden Beamten war bei die­ser Methode der »Beweisermittlung« Tür und Tor geöffnet.
Auch im Fall Fischer. Die spätere bürgerliche Geschichts­schreibung hat sich daher wohlweislich kurz und knapp dar­auf beschränkt, den Kanonier Kaltofen als den überführten Mörder Kügelgens zu bezeichnen. Es wurde nicht erwähnt, daß und weshalb der unschuldige Kanonier Fischer um Haa­resbreite Opfer eines Justizmordes geworden wäre. Fischer wäre trotz seiner Unschuld verurteilt worden, hätte er nicht in dem seit 1798 in Dresden tätigen, damals knapp fünfzigjähri­gen Dr. Eisenstuck einen Verteidiger gefunden, der die mittel­alterlichen Vernehmungsmethoden des Amtsfrons als Ursa­che der »Geständnisse« seines Mandanten Fischer aufdeckte, damit als Grundlage für einen Schuldspruch aus den Angeln hob und wertlos machte.
Eisenstuck gelang der Nachweis, daß Fischer den Mord an Kügelgen gar nicht begangen haben konnte, denn er besaß ein einwandfreies Alibi. Am 27. März nämlich, »an welchem Tage abends gegen 8 Uhr Herr von Kügelgen erschlagen wor­den war, war Fischer auf seiner Stube in den Kasernen«.
Am 24. April 1820 bahnte sich die Wende des Falles an. Da erstattet der Handelsmann Graf Anzeige. »Am 3. Februar 1820 habe er von dem Unterkanonier Kaltofen einen stahlgrü­nen Oberrock und am 4. April einen dunkelblauen Oberrock nebst ein paar langen Beinkleidern gekauft, weil er nun die von den Kleidungsstücken der beiden Ermordeten öffentlich angezeigten Merkmale an den erkauften Röcken wahrgenom­men, so habe er den Verkäufer deshalb zur Rede gestellt, die­ser habe vorgegeben, daß er beide Röcke von dem verhafteten Kanonier Fischer gekauft habe.«
Kaltofen wird verhaftet. Er ist Offiziersbursche und nicht kaserniert, sondern lebt in der Stadt in einer Bodenkammer im Hause seines Vorgesetzten. Eine erste Haussuchung fördert die dem ermordeten Kügelgen gehörenden Schlüssel zutage. Kaltofen versucht, sich damit herauszureden, die Schlüssel hätten in dem »von Fischer gekauften blauen Rock gesteckt«. Fischer, zunächst allein vernommen, später Kaltofen gegen­übergestellt, bestritt energisch, irgend etwas an Kaltofen ver­kauft zu haben, und fügte hinzu: »Ich werde nun nichts mehr sagen. Mein Verstand steht mir still.« Offenbar hatte er eine solche Schurkerei, wie sie Kaltofen an ihm beging, nicht für möglich gehalten.
Fischer blieb auch bei der am 24. April 1820 abgegebenen Erklärung seiner Unschuld, »indem er bei jeder späteren Vorhaltung, namentlich in dem Verhör am 2. Mai, aufs Bestimmteste sein früheres, wie sich aus den Umständen ergab, aus Furcht vor schwerem Arrest abgelegtes Geständnis des an Winter und an Kügelgen verübten Raubmordes noch­mals widerrief und jede Art der Teilnahme ableugnete«.
Bei einer zweiten Haussuchung »fand man in Kaltofens Kammer auf dem Boden den größten Teil der Winter und dem Herrn von Kügelgen geraubten Gegenstände«. Nun ge­stand Kaltofen ein, Winter und von Kügelgen ermordet und beraubt zu haben, und »sprach Fischer von aller und jeder Teilnahme an beiden Mordtaten gänzlich frei«.
Am 26. April fanden sich bei einer dritten Haussuchung in Kalto­fens Quartier »in einem verschlagenen und mit Schutt gefüll­ten Winkel unter dem Dachstuhl noch die den beiden Ermor­deten geraubten Halstücher nebst einigen anderen Gegenstän­den. Endlich räumte Kaltofen auch den Verkauf der Uhr des Herrn von Kügelgen an die Händler ein, welche ihn als den Verkäu­fer derselben anerkannten und es eidlich bekräftigten.«
Nun wurde auch bekannt, welch Geistes Kind Kaltofen war. Es wurde ermittelt, »daß er oft gespielt und daß es ihm, ungeachtet seines Kalfaktor-Geschäfts (als Offiziersbursche) immer an Geld gefehlt habe. Jene Spielsucht war die nächste Ursache seines Verderbens.« Kaltofen sagte in der Verneh­mung, über die Motive seiner Verbrechen befragt, aus:, »Ich habe zwar böse Beispiele vor mir gesehen, dennoch aber an­ders denken sollen.« Böse Beispiele? Wo? Bei wem? Die Ant­wort ist nicht schwer zu finden, obwohl sie nirgends in den Untersuchungsakten ausgesprochen wird: Das stumpfsinnige, nur durch Spiel und Ausschweifungen unterbrochene Kom­missleben des königlich-sächsischen Offizierskorps war das böse Beispiel, das der auf seine paar Groschen Löhnung und gelegentliche Trinkgelder angewiesene Offiziersbursche Kaltofen um den Preis von Mord und Raub nachzuahmen ver­sucht hatte.
Es schien, als könne Fischer nach dem Geständnis Kalto­fens aufatmen. Dr. Eisenstuck sorgte zunächst einmal dafür, daß Fischer aus der Amts-Fronfeste in das Rats-Stockhaus verlegt wurde, weil, wie Eisenstuck feststellte, Fischers »Ge­ständnisse aus der Behandlung erklärt werden müssen, die er im Gefängnisse erfahren habe«. Kaltofen blieb im Gewahrsam des Amtsfrons zurück. Die Sache schien zum Urteil reif zu sein. Am 12. September 1820 gingen die Akten an den Königlich Sächsischen Schöppenstuhl in Leipzig »zur Abfassung eines Endurteils«.
Da mel­dete sich am 5. Oktober 1820 noch einmal der bereits unrühm­lich bekannte Amtsfron. Er zeigte an, »Kaltofen habe ihm er­öffnet, daß Fischer an beiden Mordtaten teilgenommen, was hierauf Kaltofen, der darüber am 6. Oktober vernommen wurde, bestätigte, und zugleich vorgab, er habe dieses bisher nur deswegen verschwiegen, weil er und Fischer sich gegensei­tig verschworen hätten, einander nicht zu verraten«.
Fischer bestritt diese neue Beschuldigung, die dem Kaltofen vom Amtsfron eingegeben worden war, ganz entschieden. Aber die Akten wurden aus Leipzig nach Dresden zurückge­fordert. Die Untersuchung begann aufs neue. Sie ergab nichts, was Fischer hätte belasten können. Alle von Kaltofen ge­machten Angaben, mit denen er Fischer zu belasten suchte, »wurden als unwahr befunden«.
Dr. Eisenstuck durchschaute das erbärmliche Spiel, das einen Unschuldigen ums Leben bringen sollte. In einem Nach­trag zu den früher eingereichten Verteidigungsschriften »ging er auch jetzt von der Behauptung aus, daß der Amtsfron, wel­cher früher in der Überzeugung, den Täter vor sich zu haben, dem ängstlichen und einfältigen Fischer das furchtbare Ge­ständnis des doppelten Raubmordes entlockt habe, auch jetzt nach einer ähnlichen Voraussetzung, durch die Äußerung sei­ner Privatmeinung, daß beide Mitschuldige sich verschworen haben müßten, einander nicht zu verraten, den Inquisiten Kaltofen auf die Zurücknahme seiner wiederholten, selbst im Gefängnisse noch gegebenen Versicherung von Fischers Un­schuld, hingeleitet haben möchte«. Offenbar konnte der Amtsfron nicht verwinden, daß sich das dem Fischer abgepreßte Geständnis der Alleintäterschaft als falsch erwiesen hatte. Das Prestige des Amtsfrons verlangte danach, Fischer wenigstens zum Mittäter zu stempeln. Die ganze Haltung dieses Justizbeamten deutet darauf hin, daß er dem Kaltofen einen königlichen Gnadenerweis versprach, etwa dahin, daß der Mörder mit der Begnadigung zu lebenslangem Kerker rechnen könne, wenn er dabei bleibe, daß Fischer bei dem Doppelmord mitgemacht habe.
Diese Illusion - wenig­stens sein Leben zu retten - hatte Kaltofen noch, als ihm das Urteil vom 4. Januar 1821 eröffnet wurde. Danach war gegen ihn »wegen des von ihm begangenen und eingestandenen Raub­mords an G. L. Winter und an Gerhard von Kügelgen auf die Strafe des Rades erkannt worden, wonach sein Körper auf ein besonderes Rad zu legen und zu flechten sei«.

Kaltofen rich­tete ein Gnadengesuch an den König. Er bat um Milderung des Urteils, worunter er insgeheim Begnadigung zu lebenslan­gem Zuchthaus verstand. Als Grund für die königliche Milde, die er erwartete, gab er ausdrücklich und vor allem - wer denkt hier nicht an den Amtsfron! - »hauptsächlich den Um­stand an, daß er zugegeben habe, nicht der alleinige Täter ge­wesen zu sein«.
Der König wandelte das Urteil auf dem Gnadenwege um, jedoch nur vom Tod durch das Rad zum Tod durch das Schwert des Henkers. Fischer wurde freigesprochen und erhielt am 26. August 1822 seinen Abschied aus der Armee, ein Kanonier, dem be­stätigt wurde, »daß er sich während seiner 16jährigen Dienst­zeit .. . sowohl im Lande, als im Felde (den Feldzügen 1813, 1814 und 1815) jederzeit gut und zur Zufriedenheit betragen hat«.
Der andere Kanonier stieg am 11. Juli 1821 auf dem Alt­markt zu Dresden auf das Blutgerüst. Immer noch erwartete er - eingedenk dessen, was ihm der Amtsfron in Aussicht ge­stellt hatte - jeden Augenblick einen königlichen Boten, der die Gnadenorder des Landesherrn bringen würde.
Schon nah­ten die letzten Minuten seines Lebens. Eben hatte er gebeich­tet, stotternd und, wie die ihm am nächsten Stehenden glaub­ten, voller Todesangst.
Viel wahrscheinlicher jedoch aufge­regt, weil der inbrünstig erhoffte Gnadenerweis ausblieb. Nach der Beichte stand er auf und sprach mühsam noch ein­mal die Lüge, mit der er noch immer glaubte, sein Leben retten zu können: »Meine Herrschaften, Fischer hat dieselbe Strafe verdient, die ich jetzt erleide.« Er sah sich noch einmal um. Su­chend. Aber der Bote, den er erwartete, kam nicht.
Da setzte er sich nieder, »strich die Haare aus dem Nacken und empfing den Schwertstreich«, der sein Leben auslöschte.

Quellen: - Dresdner Pitaval (Willi Forner) 2. Auflage 1979 – S. 36


11. Der Fall - Joseph Vacher

Joseph Vacher (* 16. November 1869 in Beaufort bei Beaurepaire; † 31. Dezember 1898 in Bourg-en-Bresse), alias der französische Ripper war ein französischer Psychopath und Serienmörder, der mindestens elf, möglicherweise auch fünfzehn Personen ermordete. Ohne Beweisführung wurde er fünf weiterer Morde bezichtigt.
Vacher wurde am 16. November 1869 als jüngstes von fünfzehn Geschwistern und Stiefgeschwistern in einer ehrbaren, aber armen Bauernfamilie in der Region Isère geboren. Sein Zwillingsbruder erstickte im Alter von einem Monat in seiner Wiege.

Der französische Serienmörder Joseph Vacher trägt seine charakteristische weiße Pelzmütze.

Über sein frühes Leben ist wenig bekannt. Was bekannt ist, ist schwer von Geschichten zu trennen, die später erzählt wurden, als seine wahre Monstrosität der Welt offenbart wurde, und die Berichte variieren oft stark über die Details seines Lebens, bevor er Schande erlangte. Er wurde an einer katholischen Schule erzogen und hatte ein notorisch schlechtes Temperament, verbunden mit einer hohen Meinung von sich selbst.
1888 bezichtigte ein junger Knecht den 19-Jährigen einer versuchten Vergewaltigung. 1890 wurde Vacher zur Armee eingezogen, wegen Verhaltensstörungen und eines ersten Selbstmordversuchs aber 1893 entlassen. Seine ständige schlechte Laune schadete seiner militärischen Disziplin und die Beförderung ließ zunächst auf sich warten. Deprimiert von der fehlenden Anerkennung unternahm Vacher dann diesen Selbstmordversuch – er schnitt sich mit einem Rasiermesser die Kehle durch, allerdings nicht tief genug, um sich umzubringen. Einige Berichte besagen, dass dies zu seiner Entlassung aus dem Militär führte, aber die meisten sagen, dass es seine Vorgesetzten tatsächlich genug beeindruckt habe, um ihm die angestrebte Beförderung zu verschaffen und ihn zum Corporal Vacher zu machen. Während seines Urlaubs traf er ein Mädchen namens Louise Barant und verliebte sich in sie.

Louise Barant, die erste Person, die Vacher zu töten versuchte.

Das Gefühl beruhte nicht auf Gegenseitigkeit. 1893, nach Beendigung seines Militärdienstes, spürte er sie auf und machte ihr einen Heiratsantrag. Als sie sich weigerte und sich darüber lustig machte, dass sie ja gesagt haben könnte, zog er eine Pistole und schoss viermal auf sie, bevor er die Waffe auf sich selbst richtete. Zum Glück überlebte Louise – unglücklicherweise auch Vacher. Eine Kugel bohrte sich in seinen Schädel, wo sie nicht entfernt werden konnte, und verletzte ihn so, dass seine rechte Gesichtshälfte teilweise gelähmt und sein rechtes Auge ständig infiziert war. Welche Auswirkungen der Schaden auf sein Gehirn hatte, ist schwer abzuschätzen und hatte möglicherweise eine gewisse geistige Instabilität zur Folge. Er wurde hiernach in eine Irrenanstalt eingewiesen. Nach seiner Entlassung im April 1894 durchstreifte er als Landstreicher den Süden Frankreichs und lebte von Diebstählen und Bettelei. Während dieser etwa dreieinhalbjährigen Zeit beging er seine Morde.

Illustration aus der zeitgenössischen Boulevardzeitung Le Petit Parisien von Vacher als Landstreicher.

Vachers Handlungen führten dazu, dass er ins Krankenhaus eingeliefert und dann in eine psychiatrische Anstalt in der Stadt Dole verlegt wurde. Hier wurde er ein Jahr festgehalten, bevor er als „geheilt“ entlassen wurde. Er wurde ein Tagelöhner mit Migrationshintergrund – einer der 400.000 obdachlosen Armen, die durch das Land wanderten und von der Hand in den Mund lebten, von jeder Arbeit, die sie finden konnten, oder von Nahrung, die sie erbetteln konnten. Verloren in dieser Masse, trotz seines einzigartigen Aussehens (mit der Narbe an seinem Hals und der Lähmung seines Gesichts), würde es sich als unmöglich erweisen, Vacher aufzuspüren, sobald er anfing zu töten.
Sein erstes Opfer war Eugénie Delhomme, ein 21-jähriger Mühlenarbeiter, dessen Leiche von einer vorbeigehenden Hirtin verstümmelt in einer Hecke gefunden wurde. Sie war erdrosselt und in den Hals gestochen worden, wobei der rasende Angriff auch nach ihrem Tod fortgesetzt wurde. Dieser erste Mord scheint impulsiv gewesen zu sein, vielleicht gefördert durch eine Ablehnung seiner Annäherungsversuche, aber nachdem Vacher getötet hatte, entwickelte er sofort eine Vorliebe dafür. Seine späteren Angriffe waren bewusster geplant. Anstelle von Stadtbewohnern begann er, die Jugendlichen zu jagen, die als Hirten in die Wildnis ziehen würden. Er verfolgte und tötete mindestens zehn dieser Teenager, sowohl Männer als auch Frauen, und setzte sie sexuellen Übergriffen und postmortaler Verstümmelung aus. Die wahre Zahl seiner Opfer könnte höher sein, und die Polizei begann bald, Verbindungen zwischen den Geschichten über den vernarbten Landstreicher herzustellen, der in der Nähe dieser Morde gesehen wurde.

Zeichnung aus La Petit Parisien über die Folgen eines Mordes an Vacher.

Vacher wurde schließlich gefangen genommen, aber es war eher seine eigene Nachlässigkeit als der Scharfsinn der Polizei, die zu seiner Verhaftung führte. 1897 griff er eine Frau auf einem Feld in der südfranzösischen Ardèche an, aber die ältere Frau war fähiger als seine übliche Beute und konnte ihn abwehren, während sie um Hilfe rief. Ihre Familie (entweder ihr Bruder und Vater oder Ehemann und Sohn, je nach Bericht) kam ihr zu Hilfe gerannt und überwältigte und unterwarf Vacher bald. Er wurde in einer örtlichen Taverne festgehalten, während die Polizei gerufen wurde, und Berichten zufolge unterhielt er die Einheimischen, indem er Akkordeon spielte, während sie warteten. Die Polizei nahm ihn wegen Körperverletzung fest. Auch wenn sie erkannten, dass er der Beschreibung des „Mörders der kleinen Hirten“ entsprach, hatten sie keine Beweise, die ihn damit in Verbindung bringen könnten – bis Vacher plötzlich begann, seine Verbrechen zu gestehen.

Zeichnungen aus La Petit Parisien über Vachers Mordtaten.

Vacher wurde zu einer Mediensensation, was sein Ego dramatisch aufblähte. Sein vernarbtes Gesicht, das einen markanten weißen Kaninchenfellhut trug, wurde zu einer Hauptstütze in den Zeitungen. Seine ursprüngliche Verteidigung war, dass sein Blut „verseucht“ worden sei, entweder durch den Biss eines tollwütigen Hundes, als er ein Kind war, oder durch die Quacksalberkur, die ihm gegen den Biss verabreicht wurde, aber Vacher entschied bald, dass seine ursprüngliche Erklärung für seinen Wahnsinn so war zu prosaisch und fing an, sich wie Jeanne d'Arc von Gott gesandt zu erklären. Trotz seines selbsternannten göttlichen Mandats war er immer noch ein tödlich gefährlicher Mann. Als der Direktor seines Gefängnisses dumm genug war, allein mit ihm in einem Raum zu sein, schlug Vacher ihn fast mit einem Stuhl zu Tode. Nur die Wachen, die von den Schreien des Wärters angezogen wurden, retteten sein Leben.
Foto des französischen Kriminologen Alexandre Lacassagne aus dem 19. Jahrhundert.

Die Schlüsselfrage, die sich stellte, war einfach: War Vacher verrückt? Könnte er im rechtlichen Sinne für seine Handlungen verantwortlich gemacht werden? Der führende medizinisch-forensische Experte in Frankreich, Alexandre Lacassagne, wurde damit beauftragt, die Antwort auf diese Tatsache zu finden. Lacassagne war einer der Gründerväter der modernen Kriminologie, und seine französische Schule der Kriminalpsychologie stand als Rivale der italienischen Schule von Cesare Lombroso. In vielerlei Hinsicht war Lacassagne der fortschrittlichere von beiden – Lombroso bestand darauf, dass kriminelles Verhalten ausschließlich eine Funktion der Biologie sei, während Lacassagne darauf bestand, dass Umwelt und Neigung Hand in Hand gingen. Mit dieser Haltung machte er sich daran, Vacher zu untersuchen. (Unglücklicherweise glaubte Lacassagne auch fest an die Quacksalberwissenschaft der Phrenologie, den Glauben, dass die Form des eigenen Schädels die eigene Persönlichkeit formt. Dies schadete seinem Ansehen in der wissenschaftlichen Gemeinschaft erheblich).
Im Laufe von fünf Monaten untersuchten Lacassagne und seine Mitarbeiter Vacher. Das Prinzip des „rechtlichen Wahnsinns“ war zu dieser Zeit im französischen Recht nicht gut etabliert, obwohl die breite Definition, die sie verwendeten, analog zu den M'Naghten-Regeln war, die fünfzig Jahre zuvor in Großbritannien festgelegt wurden. Erstens stellten sie fest, dass er sich seiner Verbrechen zu dem Zeitpunkt bewusst war, als er sie begangen hatte, was aus seinem Verhalten beim Angriff auf die Frau in Ardèche und den Gefängniswärter hervorging. Als nächstes stellten sie fest, dass er sich bewusst war, dass die Verbrechen falsch waren, durch seine Versuche zu verbergen, was er getan hatte. In einem Fall war er, nachdem er den Ort eines seiner Morde verlassen hatte, von einem Gendarm auf einem Fahrrad angehalten worden. Als der Gendarm seinen Papieren entnehmen konnte, dass die beiden im selben Regiment gedient hatten, erzählte er ihm von seiner Jagd nach einem Mörder, und Vacher hat ihn angelogen, weil er einen Mann gesehen hat, der über die Felder gerannt ist. Am Ende, während das Gremium feststellte, dass Vacher gelegentlich wahnhaft war und unter einem Verfolgungswahn litt, entschieden sie, dass dies nicht die Hauptursache seiner Handlungen war. Als solcher wurde er für prozessfähig erklärt.
Vacher vor Gericht, der den weißen Hut trug, von dem er behauptete, er symbolisiere seine Reinheit.
Im Oktober 1898 betrat Vacher den Gerichtssaal in Bourg-en-Bresse. Obwohl er für elf Morde verantwortlich gemacht wurde, wurde er nur wegen eines angeklagt, da dies ausreichen würde, um ihn hinrichten zu lassen. Als er eintrat, rief er: „Ehre sei Jesus! Lang lebe Jeanne d’Arc! Ehre sei dem großen Märtyrer unserer Zeit! Ehre sei dem großen Retter!“ Einige spekulieren  , dass Vachers Theaterstück für den Wahnsinn auf dem Glauben beruhte, dass er aus jedem Asyl entkommen könnte. Er versuchte definitiv, den Prozess in eine Farce zu verwandeln, trug seinen weißen Hasenhut als „Symbol der Reinheit“ und kreischte und heulte während der Beweisverlesung. Aber Lacassagnes gründlicher Fall, um zu beweisen, dass Vacher gesund ist, war mehr als genug, um die Jury zu überzeugen. Vacher wurde für schuldig befunden und zum Tode verurteilt.

Zeichnung: Joseph Vacher wird geweckt und zu seiner Hinrichtung abgeholt. (Titelseite Le Petit Journal, 15. Januar 1899)

Am 31. Dezember 1898 wurde Vacher zur Guillotine geführt. Er hatte sich noch lange nicht mit seinem Schicksal abgefunden und kämpfte gegen seine Gefängniswärter, als er zum Schafott geschleppt wurde. Dies war die letzte Hinrichtung, die von Louis Deibler durchgeführt wurde, einem 75-jährigen Mann, der neun Jahre zuvor der oberste Henker Frankreichs geworden war. Die Enthauptungen hatten ihren Tribut gefordert, und er war im Begriff, sich zurückzuziehen, weil er eine Phobie vor dem Anblick von Blut entwickelt hatte. Trotzdem hielt er lange genug an seinem Posten fest, um Vacher ein Ende zu bereiten. Als er auf die Klinge vorbereitet war, erklärte Vacher: „Du denkst, die Fehler Frankreichs zu sühnen, indem du mich sterben lässt? Das wird nicht reichen. Sie begehen ein weiteres Verbrechen. Ich bin das große Opfer, fin de siecle.“ Dies waren seine letzten Worte, und wenige Augenblicke später gab es den „Killer of Little Shepherds“ nicht mehr.


Vacher wurde für schuldfähig befunden und daraufhin zum Tode verurteilt. Am 31. Dezember 1898 wurde er im Alter von 29 Jahren in Bourg-en-Bresse durch die Guillotine hingerichtet. Dabei handelte es sich um die letzte von Scharfrichter Louis Deibler durchgeführte Hinrichtung.


Joseph Vachers Tod.


Vachers letzte Habseligkeiten.

Quellen: - Der Fall Joseph Vacher auf Crimelibrary.com (Englisch) und - Der Fall Joseph Vacher auf Geocities.com (Englisch)
Bild- und Texteinfügungen - erichs-kriminalarchiv.com


12. Der Fall - Andreas Bichel (Der Mädchenschlächter)

Ermordete zwei Mädchen, Barbara Reisinger und Katharina Seidel, auf bestialische Weise.(...)
Andreas Bichel, katholischer Religion, war 48 Jahre alt und zu Wetterfeld gebürtig, wo sein Vater Tagelöhner war, der aber, genau wie seine Mutter, zum Zeitpunkt der Morde nicht mehr am Leben war. Er heiratete zu Regendorf, wo er als Häusler wohnhaft war und ein Wohnhaus von 200 Talern besaß. Mit seiner Frau hatte er keine Kinder gezeugt.(...)
Er fröhnte weder der Völlerei noch dem Spiel. Dagegen besuchte er regelmäßig den Gottesdienst.
Andreas Bichel beging kleine Diebereien, stahl seinen Nachbarn die Feldfrüchte, Erdäpfel, Rüben usw. Man sah ihm dies jedoch nach, bis er so dreist wurde, seinem Brotgeber das Heu vom Boden zu stehlen und dieser genötigt war, ihn aus seinem Haus zu jagen. Der erste Mord wurde Ende September 1806 an Barbara Reisinger von Loisenrieth begangen. (...)
Mit Barbara Reisinger allein, kam ihm der Gedanke (oder war er ihm nicht vielleicht schon früher gekommen?) sich ihre Kleider anzueignen und sie zu ermorden. Zwar hatte sie nichts bei sich, als was sie am Leibe trug, aber ihre übrigen guten Kleider hatte ihr Vater in Verwahrung und, da dieser von der Bekanntschaft seiner Kinder mit Bichel wußte, da er auch wußte, daß seine Tochter zu Bichel gegangen war, um sich durch ihn einen Dienst zu verschaffen, so war nichts leichter, als sich nach ihrem Tod dieser Kleider unter einem Vorwand zu bemächtigen.
Bichel lenkte daher das Gespräch mit Barbara Reisinger auf die Wahrsagerei und besonders auf einen Erdspiegel, den er zu besitzen vorgab, worin jedes Mädchen seine Zukunft sehen könne, den Geliebten, den künftigen Mann, die Treue oder Untreue des Geliebten usw. Die Neugier des Mädchens kam seinem Plan entgegen. Es wollte zu gern in den wahrsagenden Spiegel sehen. Bichel ging vor ihr hinaus, wickelte ein Brett in ein weißes Tuch und kam mit diesem angeblich verdeckten Erdspiegel und einem kleinen schlechten Krämerperspektiv in die Stube zurück.
Er legte beides auf den Tisch mit der Bemerkung, sie dürfe ja nichts von diesen Heiligtümern berühren. Sie müsse sich die Augen verbinden und die Hände auf den Rücken schnüren lassen, um außer aller Versuchung zu sein, danach zu greifen. Die Betörte war zu allem bereit. Bichel band ihr ein Tuch um die Augen, schnürte ihre Hände zusammen, und kaum war so das Schlachtopfer bereitet, so stach er ihr mit einem starken Messer in den Hals, worauf sie, wie er sagt, nur noch einen Seufzer von sich gab und niedersank. Sogleich öffnete er ihr den Leib, zerhackte ihn, um ihn leichter verbergen zu können, und vergrub ihn dann in den Gruben um und neben seinem Schuppen, wo man die Leichname fand. Die mit Blut überschwemmte Stube reinigte er mit Wasser und streute Sand und Staub darauf, um die Flecken zu verbergen. Seiner Frau, die abends nach ihrer Rückkehr die große Nässe wahrnahm, sagte er, daß er Wasser verschüttet habe.
Weder seine innere Ruhe noch sein äußeres Betragen wurde durch diese Tat im Mindesten gestört oder verändert. Er verrichtete seine Geschäfte wie gehabt. In den Weihnachtsfeiertagen machte er sich nach Loisenrieth auf, um die Kleider der Ermordeten abzuholen. Auf dem Weg dorthin begegnete ihm ihr Vater, der nach Regendorf gehen wollte, sich wegen seiner Tochter zu erkundigen." Nun, wie ists? Auch wieder keine Kleider?" rief Bichel dem Vater der Ermordeten zu.
"Ich habe dir schon so viele Boten gesandt, mir die Kleider deiner Tochter zu schicken. Sie ist mit einem Gesandten fort, ist verheiratet und hat mit ihrem Manne etwas zu verwalten. Sie gab mir den Auftrag, ihre Kleider in Empfang zu nehmen und ihr nachzuschicken.
Vater Reisinger behauptete, keine Botschaft erhalten zu haben.
"Nun, denn! Da ich einmal auf dem Wege bin, so gehe ich gleich selbst mit dir und hole sie ab. Dies geschah.
Die Mutter packte alle zurückgelassenen Kleider ihrer Tochter sorgfältig zusammen und übergab sie Bichel. Der Vater selbst begleitete noch den Mörder seines Kindes eine lange Strecke bis zu einem Wirtshaus und trug ihm bis dort gutmütig und arglos die Beute nach. Später erfuhr der Vater, daß Bichel Kleidungsstücke seiner Tochter verkaufte. Er ging dreimal nach Regensburg, um sich nach seiner Tochter zu erkundigen, ohne jedoch etwas über sie zu erfahren. Endlich ging er selbst zu Bichel nach Regendorf, stellte ihn zur Rede und schalt ihn einen schlechten Mann. Aber dieser wies ihn unter Drohungen von sich.
Nur aus der Unwissenheit und der grenzenlosen Einfalt der Eltern und der übrigen Personen läßt sich erklären, daß von dem ganzen Vorfall so lange nichts bei Gericht verlauten konnte. (...)
An wievielen er seine List versuchte, wurde nicht vollständig ermittelt, von mehreren ist es aktenkundig. (...) "Am Tage der Ermordung habe ich Katharina zu mir rufen lassen, und ihr, als sie zu mir gekommen, gesagt: weil ich allein bin, so will ich dich in den Erdspiegel sehen lassen. Gehe also nach Haus, und bringe deine Kleider mit, die besten und schönsten, damit du dich mehrmals anziehen kannst. Und wie sie späterhin zu mir kam in ihren Alltagsfetzen und in dem Fürtuch (Vortuch oder Schürze) ihre Kleider brachte, so habe ich ein Stückchen Brett in ein weißes Tüchelchen gethan, und ein Guckerl (Perspektiv) auf den Tisch hingelegt, und ihr verboten, den Spiegel anzurühren. Ich habe ihr nachher mit einem Bindfaden, womit man das Papier zusammen zu binden pflegt, (es war derselbe, den ich früher bei der Reisinger gebraucht) die Hände zusammengeschnürt, ihr auch die Augen mit einem Tuch verbunden. Dann habe ich ihr mit dem Messer, das ich schon in Bereitschaft hatte, in den Hals gestochen, daß das Blut herausgeflossen.
Da habe ich nun auch sehen wollen, wie sie inwendig aussieht, und habe daher einen Spahnschnitzer genommen, ihn auf das Brustblatt gesetzt, und mit einem Schuhflickerhammer darauf geklopft. Und so habe ich ihr die Brust geöffnet, und mit einem Messer die fleischigten Theile des Leibes durchschnitten. Gleich nach dem Stich in den Hals schritt ich zu der Öffnung, und wenn gleich einer noch so geschwind beten kann, so kann er doch nicht in so kurzer Zeit ein Rosenkranz-Besetzel oder zehn Ave Maria beten, als ich die Brust und den übrigen Körper geöffnet habe. Dann habe ich mir diese Person, wie der Mezger das Vieh zugerichtet, und habe den ganzen Körper mit einem Beil von einandergehackt, so wie ich ihn für das Loch brauchen konnte, das ich auf dem Berge gemacht.
Ich kann sagen, daß ich während des Öffnens so begierig war, daß ich zitterte, und mir wollte ein Stück herausgeschnitten und gegessen haben. Nachdem die Seidel den ersten Stich empfangen, hat sie noch einen Schrei und sechs bis sieben Seufzer gethan und wollte sich wehren und schlug mit den Händen. Und da ich gleich nach dem Stich sie so schnell geöffnet habe, so wäre es möglich, daß sie noch gelebt, als ich sie aufschnitt. Den zerhackten Leib räumte ich bei gut versperrten Thüren auf die Seite und vergrub ihn. Die Gedärme that ich in einen großen Topf, worin man den Schweinen das Futter einsiedet, und verdeckte sie in der Dünggrube. Das blutige Hemd und Gewand der Seidel habe ich zweimal ausgewaschen und vor meiner Frau zu verbergen gesucht und diese Sachen, wie eine Katze ihre Jungen, von einem Platz auf den andern versteckt. Die übrigen, blutigen Sachen habe ich in einen Ofen gethan und verbrannt.
Die einzige Ursache der Ermordung der Reisinger und der Seidel waren ihre Kleider. Ich muß selbst sagen, daß ich es nicht nothwendig gehabt. Es war aber gerade, als wenn Jemand neben mir stünde, und mir sagte: thue es und kaufe dafür Getraide! und mir den Gedanken eingäbe: du kriegst was, kannst dir was machen lassen, und kommt auch nicht auf (wird auch nicht entdeckt ). (...)
Andreas Bichel, dessen Mordserie gestoppt werden konnte, wurde am 9. Juni 1809 enthauptet.

Quellen: -Michael Kirchschlager auf www.verlag-kirchschlager.de


13. Der Fall – Gawenda

Die im Jahre 1865 geborene Katharina Sroka war die Tochter von Ignaz Sroka. Dieser heiratete in zweiter Ehe die Marie Gallus. Nach seinem Tode heiratete seine Witwe den Johann Gawenda. Dieser übernahm die Verwaltung des Vermögens der noch minderjährigen Katharina Sroka, der Stieftochter seiner Frau, und verpflichtete sich für ihren Unterhalt und ihre Erziehung zu sorgen. Er vernachlässigte indes diese Pflicht aufs gewissenloseste. Das Kind hatte es sehr schlecht bei ihm; er misshandelte es häufig und schien es darauf anzulegen, das Grundstück seines Pfleglings an sich zu reißen.
Im Jahre 1881 verschwand Katharina Sroka spurlos. Nach einiger Zeit verbreitete sich das Gerücht, sie sei von Johann Gawenda, der sich im Besitze ihres Grundstücks habe erhalten wollen, in Gemeinschaft mit dem Landmann Franz Gallus ermordet worden. Der Gendarm Prus hörte hiervon, nahm sich der Sache an und seinen energischen Bemühungen gelang es, folgendes zu ermitteln.
Die 15-jährige Baran hatte angegeben, sie habe im Jahre 1882 von Agnes Sroka, einer Halbschwester der verschwundenen Katharina, erfahren, dass diese nicht mehr zurückkehren werde; sie sei in einer Nacht von Gawenda und Gallus mit einer Hacke erschlagen worden. Die sieben Jahre alte Agnes Sroka selber erzählte dann dem Gendarmen folgenden, wie sie angab, von ihr selber wahrgenommenen Vorgang: Eines Abends, nachdem er seine Frau nach Schnaps in die Schenke geschickt, sei Gawenda mit Gallus, der eine Hacke getragen habe, an das Bett der Katharina getreten und habe ihr mit dem stupfen Ende der Hacke einen Hieb auf die Stirn versetzt. Er und Gallus hätten sie dann aus dem Bett auf die Erde gezogen, wo Gawenda dann weiter auf sie eingeschlagen habe bis sie tot gewesen sei; den Leichnam hätten sie der Kleider beraubt, mit einem Leinentuch zugedeckt und aus dem Zimmer hinausgetragen. Agnes Sroka hatte später vor Gericht ihr Zeugnis verweigert, nicht ohne dass die Staatsanwaltschaft auch dies gegen die Angeklagten verwertet hätte.
Franz Gallus leugnete.
Johann Gawenda aber gestand dem Gendarmen, und zwar, wie dieser angab, freiwillig, dass er die Katharina Sroka in der Tat in der von ihrer Schwester angegebenen Weise mit einer von Gallus mitgebrachten Hacke ermordet habe; er habe ihr mit der Hacke einen wuchtigen Hieb in die Brust versetzt, sodass sie nur schwach aufgeschrieen habe und die Leiche dann unter einem Weidenbaum vergraben habe.
Vor Gericht widerrief Gawenda das Geständnis, das ihm, wie er behauptete, von dem Gendarmen durch Misshandlungen abgepresst worden sei. Demgegenüber gab der Gerichtsdiener Buda an, Gawenda habe in seiner Gegenwart im Gefangenenhaus den Mord zugestanden und dem Franz Gallus, der ihn zum Widerruf zu bereden versucht habe, erwidert, dass er die Wahrheit eingestehen müsse, da er Gewissensbisse habe.
Der Gemeindebeamte Franz Facza freilich bekundete, dass der Gendarm den Gawenda zum Geständnis gedrängt habe, indem er ihm versicherte, es werde ihm nichts geschehen, ja er werde nicht einmal verhaftet, da seit Begebung der Tat schon drei Jahre verflossen seien.
Die Verhandlung gegen Gawenda und Gallus fand am 12. März 1884 statt. Weder Staatsanwalt noch Jury noch der Gerichtshof nahmen entscheidenden Anstoß, weder an der eigenartigen „Freiwilligkeit“ des widerrufenen Geständnisses noch an der Tatsache, dass der Leichnam trotz aller Nachforschungen weder an der von Gawenda bezeichneten Stelle noch anderswo aufzufinden gewesen war. Aufgrund des mit neun gegen drei Stimmen gefällten Wahrspruchs der Geschworenen wurde Gawenda wegen Mordes zum Tode, Gallus wegen Beihilfe zu 10 Jahren schweren Kerkers verurteilt.
Gawenda erklärte auf das Urteil: „Macht mit mir was ihr wollt.“
Er wurde zu 20-jähriger Kerkerstrafe begnadigt. –
Schon im Jahre darauf kam die Unschuld der Verurteilten in überraschendster Weise ans Licht.
Am 28. Mai 1885 erklärte der Bauer Franz Noga zu Protokoll des Bezirksgerichts Dabrowa:
„Da ich in der Gemeinde des Mordes an meiner von mir weggelaufenen Stieftochter Kathi Przesidowska verdächtigt wurde, suchte ich sie in verschiedenen Dörfern. Als ich nun in Erfahrung gebracht hatte, dass sich im Dorfe Szarwarek ein unbekanntes Mädchen aufhalten solle, begab ich mich dorthin und traf dortselbst Kathi Sroka an, die ich sehr gut kenne, da sie bei meiner Verwandten Katharina Setermus gedient hat.“
Am gleichen Tage stellte sich demselben Gericht ein fremdes Mädchen vor und gab an, dass sie die vermisste Kathie Sroka sei; sie sei damals von zuhause entlaufen, weil es ihr bei Gawenda schlecht ergangen sei und er sie wiederholt gemisshandelt habe. Sie habe sich inzwischen an verschiedenen Orten aufgehalten, gebettelt und als Magd gedient, bis sie von Noga entdeckt worden.
Die angestellten Ermittlungen ließen keine Zweifel über die Identität. Die vermeintlich Ermordete wandelte gesund und wohlbehalten unter den Lebenden.
Gawenda und Gallus wurden in einem Wiederaufnahmeverfahren freigesprochen.
Nachträglich wurde auch ein Umstand aufgeklärt, der in dem ersten Verfahren stark gegen die Angeklagten verwertet worden war. Kathis Stiefschwester Agnes war bald nach Kathis Verschwinden in demselben Kleid gesehen worden, das ihre Schwester kurz vorher getragen hatte. Auf die Frage, woher sie das Kleid habe, hatte sie zunächst erwidert, Johann Bogacz habe es ihr gekauft; das war eine Lüge; auf weiteren Vorhalt war das Kind verlegen geworden und ohne Antwort davon gelaufen.
Katharina Sroka gab jetzt an, dass sie bei ihrer Entweichung von Hause nichts als zwei Unterröcke, zwei Hemden und zwei Beintücher mitgenommen habe.
Agnes hatte eigenmächtig von dem Kleid der verschwundenen Schwester Besitz ergriffen und sich geschämt, dies zu gestehen.

Quellen: Die Irrtümer der Strafjustiz unserer Zeit  - Geschichte der Justizmorde von 1797 – 1910  (von Erich Sello) Ausgabe 2001 – S. 215 – ISBN 3-929349-40-X


14. Der Fall - Joseph Steinig

"Hiermit übergebe ich Ihnen, Herr Scharfrichter Reindel, den Verbrecher Steinig zur Strafvollstreckung durch das Beil. Walten Sie Ihres Amtes!“
Mit diesen Worten setzte der Erste Staatsanwalt des Königlichen Landgerichts zu Halle, Justizrat von Moers, am 20. Juli 1889 den Schlusspunkt hinter einen Raubmord, den Steinig eineinhalb Jahre zuvor begangen hatte.
Der Verurteilte, der an diesem Tag um 7:00 Uhr im Hof des Gerichtsgefängnisses Halle von zwei Gehilfen des Scharfrichters vor dem Richtblock festgehalten wird, ist für die Justiz kein Unbekannter.
Joseph Steinig aus Molmeck bei Hettstedt ist wegen Misshandlung, Felddiebstahls sowie mehrerer einfacher und schwerer Diebstähle vorbestraft. Obwohl er unter der Berufsbezeichnung "Handarbeiter" geführt wird, ist Gelderwerb durch Arbeit nie sein Fall gewesen. Deshalb litt er an chronischem Geldmangel.
Als Steinig im Winter 1888 erneut mittellos dastand, wollte er sich wieder auf unehrliche Art und Weise Geld beschaffen. In der Nacht zum 24. Februar brach er deshalb beim Giebichensteiner Klempnermeister Karl Wernicke ein, um ihn zu bestehlen. Doch Steinig wurde von dem Handwerker überrascht. Es kommt zum Handgemenge. Der Räuber ermordete Wernicke.
Bereits wenige Wochen nach der Tat wurde Steinig verhaftet. Am 5. Juli 1888 verurteilte ihn das Schwurgericht Halle zum Tode.
Die Vollstreckung des Urteils erwartete der Todeskandidat in einer Zelle der Königlichen Strafanstalt - Am Kirchturm -  in Halle.
Doch im Frühjahr 1889 gelang dem Verurteilten gemeinsam mit einem anderen Häftling der Ausbruch aus dem Hallenser Gefängnis. Die Verbrecher schlugen einen Wärter mit einem Tischbein nieder. Sie nahmen dem Schwerverletzten das Schlüsselbund weg und fliehen.
Doch sie waren nur wenige Tage in Freiheit. Sie wurden festgenommen, und am 1.4.1889 wurde Steinig wegen schwerer Meuterei erneut verurteilt. Diesmal erkannte das Schwurgericht auf 10 Jahre Zuchthaus.
Mit seiner Flucht unterschrieb der Häftling wahrscheinlich endgültig sein eigenes Todesurteil. Denn der Kaiser hatte ein Gnadengesuch im Falle der ersten Verurteilung vorliegen. Nach der erneuten Straftat gibt er dem Gesuch nicht statt.
Am 18.7.1889 teilte der Erste Staatsanwalt beim Königlichen Landgericht, von Moers, dem katholischen Pfarrer, Dechant Woker, „ergebendst mit“, dass die Todesstrafe an Joseph Steinig zwei Tage später „am Vormittag 7 Uhr auf dem Hofe des hiesigen Gerichtsgefängnisses vollstreckt werden wird“. Moers bat den Pfarrer, als geistlichen Beistand zu fungieren.
Unter der Geschäftsnummer 22571 schrieb von Moers: „Die allerhöchsten Ordre, wonach Seine Majestät der König der Gerechtigkeit freien Lauf zu lassen allergnädigst beschlossen haben, wird dem Steinig am 19. des Monats eröffnet, und derselbe aus der Strafanstalt an diesem Tage nachmittags ½ 4 Uhr in das Gerichtsgebäude überführt“.
Steinigs Stunden vor Hinrichtung im Königlichen Gerichtsgefängnis in der Kleinen Steinstraße 7 sind genau festgehalten. Die Nacht vor der Vollstreckung habe der Mörder „ohne Schlummer verbracht“, berichtet die „Saale Zeitung - Der Bote für das Saalethal“ (Nr. 168 am 21.7.1889). Allerdings sei Steinig recht gefasst gewesen.
Auch seine Henkersmahlzeit wird detailliert aufgelistet:: „An Speisen hat er den ihm auf seinen Wunsch gebrachten  (Rinder-)Braten anscheinend mit Appetit verzehrt und einige Glas Bier dazu getrunken, auch von 10 ihm gebrachten Zigarren 7 Stück geraucht“.
Während der Nacht habe der Verurteilte mehrere Briefe geschrieben. „Gegen 4 Uhr früh hat sich eine Abspannung bei ihm bemerkbar gemacht und auch etwas Angst vor dem Ende.
Dechant Woker steht dem Mörder zu Seite.
Gegen 6 Uhr reicht er Joseph Steinig das heilige Abendmahl und begleitet ihn auch kurz darauf auf dem letzten Gang in den Hof der Hinrichtungsstätte.
Dort haben sich gegen 6.30 Uhr rund 100 Menschen eingefunden, um der Hinrichtung beizuwohnen. Neben den berufenen Vertretern der Bürgerschaft sind es Gerichtsbeamte, Ärzte, Polizisten und Vertreter der Presse.
Die Vollstreckung des Urteils leitet der Geheime Justizrat von Moers.
Die „Saale Zeitung“ beschreibt den Hinrichtungsort: „Der Richtblock war in seitlicher Entfernung von der Mauer errichtet und im Erdboden befestigt. Links davon stand ein Tisch, auf welchem das bis zum Beginn der Vollstreckung mit einem Tuche verhüllte Richtbeil lag“.
Das Stahlbeil, mit dem bis zu diesem Tag 69 Verurteilte geköpft wurden, wiegt  4,5 Kilogramm. Genau wie der Richtblock ist es das Eigentum des aus Magdeburg stammenden Scharfrichters Wilhelm Reindel, der zu einer Dynastie von Scharfrichtern gehört. Später übernimmt sein Sohn die Richtwerkzeuge. Doch dieser kündigt Mitte der 30er Jahre sein blutiges Handwerk.
Unweit des Richtblocks sitzen der Erste Staatsanwalt und der Gerichtsschreiber mit den Akten.
Pünktlich 7 Uhr betritt Steinig den Hof. Er wird von zwei Gefängnisbeamten vor den Gerichtstisch geführt. Moers überprüft die Personalien des Verurteilten. Steinig antwortet auf alle Fragen des Ersten Staatsanwalts „vernehmbar, wenn auch matt mit Ja“.
Der Chronist berichtet: „Sein Aussehen war gegen früher, wie er in den Verhandlungen vor Gericht erschien, wesentlich verändert. Der Ausdruck des Gesichts, dass eine fahle Blässe zeigte, erschien apathisch, die Haltung war schlaff und der Gang wenn auch sicher, doch matt.
Moers verliest das Urteil, danach den königlichen Kabinettsbeschluss, der das Urteil bestätigt. Dann übergibt er den Mörder dem Henker.
Reindel und seine fünf Gehilfen treten an den Verurteilten heran. Der Henker zieht  dem 27- jährigen das Hemd aus, wobei der Verurteilte „selbst behilflich war“, wie die „Saale- Zeitung“ schreibt.
Der Mörder wird am Richtblock befestigt. Mit einem Schlag trennt der Scharfrichter den Kopf vom Rumpf. „Dann wurde der entseelte Körper in einen roh gezimmerten schwarzen Sarg gelegt, die Spuren der Hinrichtung wurden beseitigt und der geschlossene Sarg in einen anderen Hof getragen, worauf die Zeugen des düsteren Aktes sich entfernten“. Ganze 3 Minuten dauerte es vom Erscheinen des Raubmörders bis zu seiner Enthauptung.
Sofort nach der Exekution wird in Halle die Bekanntmachung über die Vollstreckung des Todesurteils öffentlich angeschlagen.

Quellen: Die Arsenhexe von Stendal (von Bernd Kaufholz) 1. Auflage 2003 - S. 35 - ISBN  3-89812-177-1


15. Der Fall - Gesche Margarethe Gottfried

Gesche Gottfried war die wohl bekannteste Giftmörderin ihrer Zeit. 15 Menschen wurden von ihr getötet, darunter ihre Eltern, ihre Kinder und ihre Ehemänner. Mindestens 19 weitere Bekannte haben ihre Attacken nur knapp überlebt. Ganz Deutschland und sogar Europa war geschockt über diese beispiellosen Taten.
Gesche Margarethe Timm wurde am 6. März 1785 in Bremen als Tochter des Schneidermeisters Johann Timm und der Wollnäherin Gesche Margarethe Timm, beide rechtschaffene und fromme Leute, geboren. Sie hatte noch einen Zwillingsbruder namens Johann. Gesche besuchte die Klippschule, danach die Ansgarii-Kirchspielschule und ging ab 1798 zum lutherischen Religionsunterricht am Dom. 
Sie war ordnungsliebend und fleißig, nahm Tanz- und Französischunterricht und galt als etwas eitel. Die Familie lebte in ärmlichen Verhältnissen.
Im Jahre 1806 heiratete Gottfried den wohlhabenden, aber leichtlebigen Sattlermeister Johann Miltenberg aus der vornehmen Pelzerstraße, dessen Frau gerade gestorben war. Durch diese Ehe stieg sie in gutbürgerliche Verhältnisse auf. Sie bekam fünf Kinder, von denen drei zunächst am Leben blieben: Adelheid (* 1809, † 1815), Heinrich (* 1810, † 1815) und Johanna (* 1812, † 1815). Die Ehe - nicht zuletzt auf Betreiben der Eltern Gesches arrangiert - war nicht glücklich: Der junge Miltenberg trank, führte ein äußerst "liederliches Leben in Kneipen und Bordellen" und brachte so das väterliche Vermögen durch. Durch ihn lernte Gesche ihren späteren Liebhaber, den Weinreisenden Michael Christoph Gottfried kennen, den sie nach dem Tode Miltenbergs 1813 (sozusagen die Premiere ihrer Mordserie) in zweiter Ehe heiratete und dessen Namen sie schließlich zu einiger Berühmtheit brachte.

Das Wohnhaus in der Pelzerstr. 37

Über die Ursachen, die die junge Frau zu ihren Morden veranlaßten, ist viel spekuliert und geschrieben worden, wirklich gelöst worden ist das Rätsel bis heute nicht. Am 1. Oktober 1813 vergiftete Gesche ihren Ehemann Miltenberg, wohl nicht zuletzt aus der Sorge heraus, von dem schwerkranken Mann mit dem unsoliden Lebenswandel irgendwann mittellos zurückgelassen zu werden.
1815, zwei Jahre später, fielen ihr gleich fünf Personen zum Opfer. Am 2. Mai die Mutter Gesche Margarethe Timm, am 10. Mai die dreijährige Tochter Johanna, am 18. Mai die sechsjährige Tochter Adelheid, am 28. Juni der Vater Johann Timm und schließlich am 22. September der fünfjährige Sohn Heinrich. Die Bremer zeigten viel Mitleid mit der vermeintlich so gramgebeugten Witwe, die innerhalb weniger Monate ihre sämtlichen nächsten Angehörigen verloren hatte. Im folgenden Jahr, 1816, tauchte unvermutet der längst verschollen geglaubte Zwillingsbruder, ein abgerissener und schwerkranker Soldat, wieder in Bremen auf. Er forderte - völlig zu Recht - seinen Anteil an den elterlichen Hinterlassenschaften. Gesche, die zwar nach außen hin stets solvent und wohl versorgt wirkte, aber verschwenderisch war und häufig unter drückenden Geldsorgen litt, tötete daher am 1. Juni auch ihn mit einer Portion gekochten Schellfischs, den sie zuvor großzügig mit Arsen vergiftet hatte.

Gesche Gottfried vergiftet ihren Vater ...

Inzwischen zeigte auch die schon lang andauernde Affäre mit dem Freund ihres Mannes, Michael Christoph Gottfried, Folgen: Gesche wurde schwanger. Der Weinhändler Gottfried zögerte jedoch, die ihm längst unheimlich gewordene, sonderbare Frau zu heiraten. So erhielt auch er mehrmals Gift, wurde von ihr liebevoll gepflegt, und ehelichte Gesche zum Dank auf dem Totenbett. Er starb am 5. Juli 1817, inzwischen das siebte Mordopfer. Das gemeinsame Kind kam wenige Wochen später tot zur Welt. Damit waren ihre Giftvorräte zunächst einmal erschöpft. Die kleine Kruke mit "Mäusebutter", ein Gemisch aus Arsen und Fett, die sie einst von ihrer Mutter zur Ungeziefervernichtung erhalten hatte, war leer.
Einige Jahre kehrte nun so etwas wie Ruhe im Leben dieser notorisch unruhigen Frau ein. Die reputierliche Witwe Gottfried vermietete 1821 ihr Haus an der Pelzerstraße 37 und mietete sich in einigen Zimmern an der benachbarten, ebenso feinen Obernstraße ein. Doch die Geldsorgen blieben. Auf einer Reise nach Stade gab sie derweil aus Geldnot vor, bestohlen worden zu sein. Sie schwor dort kaltblütig einen Meineid (der die später um ihr Seelenheil bangende Mörderin während der Haftzeit arg verfolgen sollte), um sich aus diesen Verstrickungen zu befreien. Nach Bremen zurückgekehrt, verhieß eine weitere Verlobung neues Lebensglück, diesmal mit dem Modewarenhändler Paul Thomas Zimmermann. 1823 willigte sie in sein Werben ein. Gleichzeitig stieß sie durch ein Zeitungsinserat erneut auf die damals verbreitete "Mäusebutter", die sie sich von ihrer Magd und Freundin Beta Schmidt aus der Apotheke am Markt besorgen ließ.
"Um die Wirkung der Mäusebutter einmal zu erproben" - so ihre eigene Darstellung, schmierte sie ihrem Verlobten mehrmals ein wenig von der Substanz auf Zwiebäcke. Zimmermann starb am 1. Juni 1823, nach qualvollen Leiden. Sie konnte danach immerhin eine kleine Erbschaft antreten, da Zimmermann sie in seinem Testament bedacht hatte. Nun ging Gesche Gottfried dazu über, nahezu wahllos in ihrer engsten Umgebung kleinere, nichttödliche Gabe des verheerenden Giftes zu verteilen. Erst nach zwei Jahren - aber nach etlichen weiteren Vergiftungen - fand sie ihr zehntes Opfer: Die Musiklehrerin Anna Lucia Meyerholz, eine langjährige Freundin, erhielt das berüchtigte Gift auf Zwieback und erlag am 21. März 1825 ihrem Leiden.
Besonders lange mußte sich das nächste Opfer quälen: Der Nachbar Johann Mosees, auch ein langjähriger Freund und Berater, siechte nahezu ein Jahr dahin, immer wieder aufs Neue von Gesche mit Arsen traktiert, bis er am 5. Dezember 1825 endlich von seinen Schmerzen erlöst wurde. Inzwischen hatte die längst unter prekärster Geldnot leidende Gottfried das Haus an der Pelzerstraße an das Rademachermeisterehepaar Wilhelmine und Johann Christoph Rumpff verkauft, sich aber ein Wohnrecht ausbedungen. Sie zog erneut - nun mit den Rumpffs und deren Angestellten - in die Pelzerstraße, ließ sich von der Familie freundschaftlich als "Tante" titulieren, besorgte den großen Haushalt. Die letzte Phase der Giftmordserie, Gesche Gottfrieds "Götterdämmerung", begann. Die Rumpffs lebten nur kurze Zeit zufrieden und unbehelligt in dem Haus: Schon nach wenigen Monaten, kurz nach einer Entbindung , starb Wilhelmine Rumpff nach zweimaliger Gabe von Mäusebutter am 22. Dezember 1826; sie war das zwölfte Mordopfer Gesches. Zahllose und wahllose nichttödliche Vergiftungen folgten. Die Gerüchte in der Stadt über die unheimlichen Todesfälle wurden immer lauter. Doch noch geschah nichts.
Ein halbes Jahr später wurden die langjährige Freundin Beta Schmidt und deren dreijährige Tochter Gesches nächste Opfer. Am 13. Mai 1827 starb das Kind, die Mutter folgte ihr, nach unsäglichem Leiden, zwei Tage später. Wenige Wochen nach diesem doppelten "Schicksalsschlag" trat Gesche Gottfried eine Reise nach Hannover an. Dort forderte der Beschlagmeister Friedrich Kleine, ein alter Geschäftsfreund, von Gesche entliehenes Geld zurück. Verschuldet wie sie war, schien ihr die Begleichung der Schuld völlig ausgeschlossen. Mit einer Kruke Mäusebutter im Gepäck machte sie sich auf den beschwerlichen Weg in die Welfenmetropole, wurde in der Residenzstadt von Kleines freundlich empfangen. Sie vergiftete nun den Beschlagmeister, der am 24. Juli 1827 starb (als 15. und letztes Todesopfer), und behauptete nach dessen Tod gegenüber seinen Kindern, daß sie das geforderte Geld zurückgezahlt habe. Auch in Hannover verteilte sie - wie ihr in Bremen längst zur Gewohnheit geworden war - im Kleineschen Haushalt etliche nicht tödliche Arsengaben an die Familie des wohlhabenden Handwerksmeisters und an seine Entourage.
An die Weser zurückgekehrt, gingen die unzähligen Anschläge weiter. Rumpff, der Käufer ihres Hauses, und mehrere Angestellte erhielten nun häufiger kleine Giftdosen. Rumpff wurde endlich mißtrauisch, unglaubliche Gerüchte über das unheilvolle Treiben Gesche Gottfrieds waren ihm schon zur Zeit des Hauskaufs zu Ohren gekommen. Doch er hatte zunächst einmal alle Warnungen ignoriert. Als er dann eines Tages eine "weißliche körnige Substanz" an einem Salat entdeckte, zeigte er dies verwundert erst der Gottfried, dann einem Nachbarn. Während Gesche die Sache herunterspielte, warnte der Nachbar Rumpff nachdrücklich, nichts "von der Gottfried Zubereitetes" zu essen. "Wie toll" verteilte Gesche nun die Giftgaben, vielleicht ein unbewußter Schrei nach Entdeckung. Die "seltsame Krankheit des Erbrechens" in Gesches Umgebung war nun endlich nicht mehr länger von den Nachbarn zu übersehen. Kurze Zeit später tauchte die weißliche Substanz auf einem Schinken auf. Rumpff gab nun seine zögerliche Haltung auf und ließ seinen Hausarzt, Dr. Luce, den weißen Stoff analysieren. Dr. Luce - der selbst etliche von Gesches Opfern behandelt hatte und niemals argwöhnisch geworden war - stellte entsetzt eine "erhebliche Menge Arsenic" fest.
Damit war die Giftmörderin Gesche Gottfried enttarnt. Am Abend des 6. März 1828 - ihres Geburtstages - wurde sie verhaftet.

Nachfolgend eine Liste der Morde

  •  1. Oktober 1813: Johann Miltenberg (erster Ehemann)
  • 2. Mai 1815: Gesche Margarethe Timm (Mutter)
  • 10. Mai 1815: Johanna Gottfried (Tochter)
  • 18. Mai 1815: Adelheid Gottfried (Tochter)
  • 28. Juni 1815: Johann Timm (Vater)
  • 22. September 1815: Heinrich Gottfried (Sohn)
  • 1. Juni 1816: Johann Timm (Bruder)
  • 5. Juli 1817: Michael Christoph Gottfried (zweiter Ehemann)
  • 1. Juni 1823: Paul Thomas Zimmermann (Verlobter)
  • 21. März 1825: Anna Lucia Meyerholz (Musiklehrerin, Freundin)
  • 5. Dezember 1825: Johann Mosees (Nachbar, Freund, Berater)
  • 22. Dezember 1826: Wilhelmine Rumpff (Vermieterin)
  • 13. Mai 1827: … Schmidt (dreijährige Tochter von Beta Schmidt)
  • 15. Mai 1827: Beta Schmidt (Freundin, Magd)
  • 24. Juli 1827: Friedrich Kleine (Freund, Gläubiger; in Hannover ermordet)
Der "Engel von Bremen" wurde am 13. Mai 1828 in das neue Detentionshaus am Ostertor überführt. Von Augenzeugen wurde Gesche Gottfried zu jener Zeit als sehr verwirrt und verängstigt beschrieben.
Die Ostertorwache, das neue Detentionshaus am Ostertor.

In den annähernd drei Jahren, die sie im Detentionshaus verbrachte, wurde sie regelmäßig von den Senatoren Droste und Noltenius verhört. Sie berichtete von ihren Taten, aber auch von den Ängsten, die sie dabei plagten. Die Justizbeamten der Stadt, wie auch ihr Verteidiger Friedrich Leopold Voget, versuchten derweil ihre Handlungen zu verstehen. Während der Haft soll Gottfried mehrere Male erwogen haben, sich selbst mit Mäusebutter, die sie in das Gefängnis geschmuggelt hatte, umzubringen. Sie traute sich jedoch nicht, da sie sich vor den Schmerzen und den Leiden fürchtete, die sie ja bei ihren Opfern hatte miterleben können.
In diesen drei Jahren bildete sich zwischen Gottfried und dem Senator Droste eine fast freundschaftliche Beziehung. So sagte Droste ihr am Tag vor der Hinrichtung, dass er sie all die Monate lächelnd und glücklich angesehen habe, dass er aber nun auf dem Schafott ernst blicken müsse, wie es das Protokoll vorschreibe. Das sei aber nicht gegen sie gerichtet, sondern notwendig. Sie solle ihn freundlich in Erinnerung behalten. Sie würden sich im Himmel wiedersehen.

Es entwickelte sich im Laufe der Zeit eine fast freundschaftliche Beziehung zwischen Gesche Gottfried zu Senator Droste.

Über die Mordmotive der Gesche Gottfried wurde damals, wie heute, diskutiert. Man kam jedoch zu keinem abschließenden Ergebnis, weil die Angeklagte selber keine wirklichen Gründe angeben konnte, und der Antrag ihres Verteidigers auf ein psychiatrisches Gutachten von Bremer und Lübecker Richtern abgewiesen wurde. Wichtigste Quellen sind also die Verteidigungsschrift ihres Verteidigers Friedrich Leopold Voget und sein wenige Jahre später veröffentlichtes biografisches Buch über Gesche Gottfried. Beide Werke des selben Autors widersprechen sich allerdings gerade bezüglich der Motive.
Die Biografie legt dar, dass es sich um selbstsüchtige Motive Gesche Gottfrieds gehandelt habe, weil ihr Ehemann Johann Miltenberg einer Liebesbeziehung und einer Ehe mit Michael Christoph Gottfried im Wege stünde. Auch die Eltern seien umgebracht worden, weil sie der Beziehung und einer Ehe ablehnend gegenübergestanden hätten. Die Kinder mussten sterben, weil sie den Eindruck gehabt hätte, Gottfried wolle sie deretwegen nicht heiraten. Spätere Morde seien aus finanziellen Gründen erfolgt.
Dem steht die Darstellung Vogets als Verteidiger gegenüber, der gerade diese Motive negiert und darlegte, dass der erste Ehemann der Liebesbeziehung nicht ablehnend gegenübergestanden habe, diese vielmehr zuließ. Auch das Verhältnis der Eltern zu ihr sei zu liebevoll und eng gewesen, als dass diese im Weg gestanden hätten. Die finanziellen Vorteile der Taten seien eher geringfügig und zum Teil nicht vorhanden gewesen. Im Rahmen der Verteidigung wurde vielmehr betont, dass Gesche Gottfried vielmehr einen inneren Drang zu Giftmorden verspürt habe. Stützen konnte er sich hierbei auf Aussagen Gesche Gottfrieds während der Ermittlungen, nach denen sie vor allem bei den späteren Morden einen Drang zur Tötung verspürt habe. Die Anklage interpretierte dies seinerzeit als das Bedürfnis, die Kontrolle über das Leben ihrer Opfer zu haben.
Die nach dem Ende des Prozesses herausgegebene Biografie ist allerdings trotz eines entgegenstehenden Vorwort Vogets keine psychologische Darstellung, sondern als Moralschrift eines zu tiefen religiösen Vorstellungen neigenden Mannes zu verstehen und weist alle Merkmale einer solchen Schrift auf. In den Vordergrund werden Selbstsucht und Sündhaftigkeit von Gesche Gottfried gestellt. Leumundsaussagen, auf die sich Voget in seiner Verteidigung berufen hatte, wurden auf Heuchelei Margarete Gottfrieds zurückgeführt. Relativ kleine Ereignisse werden als Vorboten des Verbrechens interpretiert.
Heutzutage vermuten Geisteswissenschaftler und Polizeipsychologen, dass Johann Miltenberg, Gottfrieds erster Ehemann (und erstes Opfer), sterben musste, damit er der sich anbahnenden Affäre seiner Frau und Michael Christoph Gottfrieds nicht im Wege stand. Hierbei dürfte Gesche Gottfried allerdings ein gedanklicher Fehler unterlaufen sein. Vermutlich hatte sie nicht im Sinn, dass sie nach dem Tod ihres Mannes praktisch mittellos war. Zudem musste sie nun alleine, ohne Auskommen und mit nur einem kleinen Erbe, ihre Kinder und die schwachen Eltern ernähren. Diese Aufgabe dürfte ihr wohl über den Kopf gewachsen sein, sowohl finanziell als auch vom Aufwand her. Aus diesem Grunde tötete sie sie. Ihren zweiten Ehemann und ihren Verlobten brachte sie mit hoher Wahrscheinlichkeit aus Geldnot um, da sie mit der tödlichen Dosis Gift (nach vielen kleineren) so lange wartete, bis die Männer ihr versprachen, sie im Testament zu bedenken.
Warum Gottfried allerdings auch ihre Freunde und Vermieter tötete, gilt weiterhin als ungeklärt. Im 18. und 19. Jahrhundert ging die Kriminologie allgemein davon aus, Giftmord sei ein typisches Frauendelikt, weil Frauen wegen körperlicher Schwäche sonst keine Gewaltdelikte begehen könnten. Der große Jurist und einer der ersten Kriminalpsychologen, Paul Johann Anselm von Feuerbach (1775-1835), vertrat in seiner Biographie der nach der Gottfried berühmtesten deutschen mehrfachen Giftmörderin, Anna Margaretha Zwanziger, geb. Schönleben (1760-1811) aus Nürnberg, die Auffassung, es sei das Gefühl oder sogar die Sucht bzw. der Rausch der geheimen Macht über Menschen und über Leben und Tod, das zur Wiederholung eines erfolgreichen Giftmordes führe.
Die Prozessakten zum Fall Gesche Margarethe Gottfried.

Rechtshistorisch interessant ist der Prozess gegen Gesche Gottfried, da er am Übergang zwischen dem spätmittelalterlichen, von der Carolina aus dem 16. Jahrhundert bestimmten Strafprozess zum modernen Strafprozess stattfand. So berief sich die Verteidigung auf die strengen Beweisregeln der Carolina, während die Anklage, unter Johann Carl Friedrich Gildemeister, sich auf den modernen Grundsatz der freien Beweiswürdigung berief. Auf der anderen Seite handelt es sich um einen der ersten Prozesse weltweit, in dem sich die Strafverteidigung auf die Schuldunfähigkeit der Angeklagten berief. Die Anklage und das Gericht verwarfen diesen Einwand mit der später von Gerichten des angelsächsischen Raumes entwickelten Formel, dass sie wusste, was sie tat und dass sie Unrecht beging.

Bei der Urteilsverkündung schließlich wurde so entschieden, wie allgemein angenommen: Tod durch das Schwert. Das Urteil wurde vom Oberappellationsgericht in Lübeck bestätigt.
Am 21. April 1831 gegen 8 Uhr morgens war es dann soweit.  Die abgemagerte und früh gealterte Gesche Gottfried wurde mit einem Pferdewagen vom Gefängnis abgeholt und zum Domshof, der Hinrichtungsstätte, gefahren, wo bereits etwa 45.000 Zuschauer rund um das Schafott warteten. Gottfried wurde auf das Holzgerüst geführt, wo ihr der vorsitzende Richter noch einmal das Urteil vorlas.
Dann zerbrach Senator Droste einen Holzstab als Symbol, dass das Urteil rechtskräftig sei. Anschließend wurde der Angeklagten noch ein Glas Rotwein gereicht, doch Gottfried nippte nur daran und reichte dann - ein eher ungewöhnlicher Vorgang -  jedem einzelnen Richter die Hand, um wenig später auf dem Stuhl festgeschnallt zu werden. Sie fing an zu beten. Ein Assistent fasste ihre Haare, um den Kopf in die Höhe zu ziehen. Wenige Augenblicke später führte Scharfrichter Dietz endlich den tödlichen Schlag mit dem Schwert aus und beendete das Leben der Gesche Margarethe Gottfried.
Gesche Gottfrieds Kopf wurde der vollkommen still verharrenden Menschenmenge nach allen Seiten gezeigt, der Stuhl mit dem Körper umgestoßen, der Leichnam dann in einen bereitgestellten Sarg gebettet und schließlich zum Gefangenenhaus zurückgebracht.

Bekanntmachung über die am Donnerstag, dem 21. April 1831 gegen 8 Uhr morgens stattfindende Hinrichtung auf dem Domhofe.

Es sollte die letzte öffentliche Hinrichtung in Bremen sein. Ein derartiges Spektakel entsprach wohl nicht mehr dem Zeitgeist. Ein zeitgenössischer Zeitungsbericht beschreibt die Stimmung der nach Zigtausenden zählenden Menschenmenge: "Auf das hiesige Publicum hatte die Enthauptung einen so unangenehmen Eindruck gemacht, daß die meisten Leute, wie man nachher allenthalben hörte, zu Mittag nichts hatten essen können. Wir selbst machten Nachmittags mit Bekannten eine Spazierfahrt in's Freie, um den üblen Eindruck zu vergessen."
Gesches abgeschlagener Kopf wurde in Spiritus eingelegt und im Museum am Domshof zugunsten eines Waisenhauses ausgestellt, ihr Skelett zunächst in einem Schrank aufbewahrt. 1912 befand sich das Knochengerüst im Pathologischen Institut der Städtischen Krankenanstalt, es verbrannte während des Zweiten Weltkrieges. Der Kopf der wohl berühmtesten Bremerin gilt seit 1913 als verschollen - vielleicht ist er vernichtet worden, vielleicht steht er aber auch noch heute auf dem Kaminsims irgend eines morbiden Bremers.
In einem Zeitungsartikel, der kurz nach der Hinrichtung erschien, findet sich eine höchst sprechende Beschreibung:

Die Totenmaske der Gesche Margarethe Gottfried.

"Sehr interessant ist der Anblick dieses Kopfes. Die Gutmüthigkeit schauet auch im Tode noch aus allen Zügen. Mit Mühe sucht jeder die Züge der Bosheit, der Arglist, der Mordsucht zu entdecken, weil jeder diese finden will. Aber jene Züge des Edlen stellen sich überall dar. [...] Dieser Ausdruck ihres Gesichts, der den Trieben ihrer schwarzen Seele so zuwider war, macht uns die Möglichkeit erklärbar, daß ihre bösen Handlungen so lange unentdeckt bleiben konnten. Vertrauen erweckte sie allgemein, und jedes Mißtrauen verschwand vor ihrer Freundlichkeit, ihrer Dienstfertigkeit und ihrer Aufmerksamkeit. So wußte sie alle guten Menschen für sich zu gewinnen."
Die Titelseite zu diesem Abschnitt - "Gesina die Teufelsbraut" - gibt ein zeitgenössisches Theaterstück über den Aufsehen erregenden Bremer Kriminalfall wieder. Er wird dem Phänomen Gesche Gottfried allerdings kaum gerecht. Noch heute scheiden sich an den Taten dieser Frau die Geister, erregen sie Kopfschütteln, Abscheu, aber auch Mitleid. Hannelore Cyrus, eine Bremer Historikerin, bewertet Gesches Taten, sichtlich um Differenzierung und um Verstehen bemüht, wie folgt: "Über ihre Motive ist viel gemutmaßt und spekuliert worden.
Bereits vier Monate nach ihrer Verhaftung schrieb der Untersuchungsrichter Senator Droste: 'Eine Charakteristik der Inculpatin zu geben, scheint mir bis jetzt eine Aufgabe, die ans Unmögliche gränzt!' Ihr Charakter, so schrieb der Senator weiter, erscheine überaus widersprüchlich und die Antriebe des Handelns seien dunkel.
Andere versuchten, Gründe für die Morde Gesche Gottfrieds in ständigen Geldschwierigkeiten oder in ihrer Wollust zu finden. So sah im Jahr 1913 ein Nervenarzt, der die Akten sorgfältig geprüft haben will, in sexueller Eitelkeit und in einem Hang zu egozentrischer Sentimentalität die wichtigsten Schlüssel zu den Verbrechen. Sie tötete, um ihre sexuellen Wünsche durchsetzen zu können, sie mordete aber auch, um sich selber bemitleiden zu können und zu lassen, ja, um ihren Opfern gegenüber die Wohltäterin spielen zu können. Sie selbst redete immer wieder von einem Drang, einem Trieb, den sie sich selbst nicht erklären könne. In dem Gerichtsverfahren wurde der Antrag ihres Verteidigers auf ein psychiatrisches Gutachten von Bremer und Lübecker Richtern rundweg abgewiesen."


Quellen: Herbert Schwarzwälder: Das Große Bremen-Lexikon.  2003,  ISBN 3-86108-693-X
Johannes Feest / Petra Seling-Biehusen: Gesche Gottfried und die bremische Strafjustiz – Aktenauszüge mit Anmerkungen von Petra Seling-Biehusen und Johannes Feest in: Criminalia – Bremer Strafjustiz 1810 – 1850; Beiträge zur Sozialgeschichte Bremens – Heft 11, 1988,  ISBN 3-887-22173-7, ISSN 0175-6303
Christian Marzahn: Scheußliche Selbstgefälligkeit oder giftmordsüchtige Monomanie? Die Gesche Gottfried im Streit der Professionen in: Criminalia – Bremer Strafjustiz 1810 – 1850; Beiträge zur Sozialgeschichte Bremens – Heft 11, 1988,  ISBN 3-887-22173-7, ISSN 0175-6303
Paul Johann Anselm von Feuerbach/Gerold Schmidt, Alltag im alten Bayern, Norderstedt 2006,  ISBN 978-3-8334-6060-9

 

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