Das neue Pitaval
Politisch relevante, merkwürdige und kuriose Kriminalfälle sind in diesem Pitaval vereinigt, Gerichtsverfahren, die in ihrer Zeit Aufsehen erregt haben und die auch für den Leser heute noch interessant sind. Sie werfen ein bezeichnendes Licht auf vergangene gesellschaftliche Zustände und fördern so manches, bisher Unbekanntes zu Tage.
(1.Seite mit 4 Fällen)
1. Ein Mord im Kriminalgefängnis von Nürnberg -1830
In der Nähe des Hallertürleins, wo das träge dahin schleichende Wasser des trüben Pegintzflusses die alte Stadt Nürnberg verlässt, erhebt sich kühn über dem Strome ein finster blickendes, im modernen Stil gehaltenes Gebäude. Auf beiden Seiten sieht man kleine, halbrunde, vergitterte Fenster, in der Mitte etliche ebenfalls mit Eisenstäben versehene Bogenfenster. Zieht man die schrilltönende Schelle am Eingang, so öffnet sich mittels eines verdeckten Drahtzuges das eiserne Tor; man steigt mehrere Stufen hinauf zu einer starken Eisengittertür, welche die Haustreppe von dem Vorplatze absperrt.
Auf diesem angelangt, erblickt man zur Rechten einen tiefen dunkeln Gang und in demselben wohl zwanzig mit starken Riegeln verschlossene Türen. Der Gang ist von dem Vorplatze durch ein Eisengitter getrennt. An den Vorplatz stoßen mehrere Räume: eine Stube, eine helle, geräumige Küche, eine Kammer, die zur Zeit unserer Geschichte als Schlafgemach und nebenbei als Werkstatt benutzt wurde. Abseits von diesen Räumlichkeiten liegt versteckt in einem Winkel noch eine Kammer, die Schreinerei genannt, sie diente zur Niederlage für Werkzeuge aller Art.
Das Gebäude, welches wir beschrieben haben, ist das Kriminalgefängnis des vormaligen Kreis- und Stadtgerichts Nürnberg, die Fronfeste genannt, sie enthält außer den Gefängniszellen die Wohnung für den Eisengerichtsdiener und seine Familie, und eine kleine Stube auf jenem Gange, in welcher der Eisenknecht haust, umgeben von Schließzeug, als: Schellen, Springer, Kreuzketten und andere für besonders gefährliche oder widerspenstige Gefangene notwendige Geräte.
Im Jahre 1830 war Karl Vogelsang Eisengerichtsdiener. Außer ihm, seiner Frau und seinen drei Kindern wohnte noch eine alte Base mit im Gefängnis, die Magddienste bei ihm verrichtete, und drei Eisenknechte, die abwechselnd Tag und Nacht wachten. Vogelsang hatte sich zwar in den neun Jahren seiner Dienstzeit nichts Erhebliches zu Schulden kommen lassen, aber er galt für einen lebenslustigen, vergnügungssüchtigen Mann, und es war bekannt, dass er oft bis in die späte Nacht mit seiner Familie an öffentlichen Orten verweilte und die Sorge für die Gefangenen und das Gefängnis den Eisenknechten überließ.
Am 19. Febr. 1830 ging Vogelsang abends um 7 Uhr mit Weib und Kind in das Gasthaus zur Stadt Würzburg, um einer musikalischen Abendunterhaltung beizuwohnen. Der Eisenknecht Kämmerer hielt Wache, er hatte sich in seinem Stübchen ein behagliches Feuer angebrannt und schrieb für einen Gefangenen einen Brief. Die Base Neubauer war damit beschäftigt, die Wohnstube und die Küche zu reinigen.
Um 9 Uhr abends hörten die Gefangenen in der Gefängniszelle Nr. 17 klopfen, dann vernahmen sie die Stimmen mehrerer Personen, bald darauf entstand ein Gepolter, wie wenn ein paar Stühle umfielen, und es erklangen die Schritte von zwei Männern, welche den Gang vorkamen und auf die Vogelsang'sche Wohnstube zueilten.
Von nun an trat tiefe, ununterbrochene Stille ein, die unfreiwilligen Bewohner des Gefängnisses überließen sich dem Schlafe.
Gegen 12 Uhr kehrte Vogelsang mit den Seinigen heim. Wohlgemuth stieg der Eisengerichtsdiener, der sich sehr gut amüsiert hatte, die Treppe hinauf zu seiner Stube. Plötzlich bemerkte er, dass das Eisengitter vor dem Vorplatze offen stand. Erschrocken eilte er in die Wohnstube, hier sah er bei dem Scheine eines tief abgebrannten Lichtes die wildeste Unordnung: die Schränke und Kommoden waren erbrochen, auf den Dielen lagen Kleider und Geräte herum, in einer Ecke lag ein eiserner Hammer, an welchem frisches Blut und Menschenhaare klebten, und ein blutiges Rasiermesser.
Vogelsang rief den Eisenknecht und seine Base Neubauer, aber niemand antwortete und bald zeigte es sich, dass beide das Opfer eines schweren Verbrechens geworden waren. In der Wachtstube lag Kämmerer mit eingeschlagenem Schädel und durchgeschnittener Kehle vor seinem Bett in einer Blutlache, in der Küche fand man die Leiche der Neubauer. Der Kopf war zerschmettert, am Halse klaffte eine breite, tiefe Wunde.
Vogelsang erstattete sofort Anzeige, es ward unter Beihilfe von zwei Polizei- und zwei Liniensoldaten augenblicklich eine Visitation sämtlicher Gefängniszellen vorgenommen und es ergab sich, dass alle bis auf eine fest verschlossen, dass alle Gefangenen bis auf zwei anwesend waren. Die Zelle Nr. 17 stand offen und zwei ihrer Bewohner, der Flaschnergeselle Körper und der Buchhändlerlehrling Lober, fehlten. Der dritte Insasse, ein Buchhändlerlehrling Meier, gab auf Befragen an: er wisse nicht, wo Körper und Lober wären, sie hätten geklopft und Wasser gefordert, Kämmerer habe aufgeschlossen, sie hinausgelassen und keiner sei wiedergekommen, er wisse nicht, was aus ihnen geworden.
Es war klar, dass Körper und Lober den schrecklichen Mord verübt, dass sie sich auf diese Weise die Thür des Gefängnisses geöffnet und zuvor Kisten und Kasten erbrochen und was von dem Eigentum Vogelsang's ihnen brauchbar schien, mitgenommen hatten.
Schon am 20. Febr. wurden beide in einem Wirtshaus in der Nähe von Heilsbronn ergriffen, in Fesseln gelegt und zu Wagen, unter dem Geleit einer 60 Mann starken Kavallerie- und Infanterieabteilung, welche sie vor der Wut der aufgeregten Volksmenge schützte, in das landgerichtliche Gefängnis von Nürnberg, den sogenannten Wasserturm, eingeliefert.
Friedrich Körper, 31 Jahre alt, ledigen Standes, wurde im Jahre 1799 in Nürnberg geboren, wo sein Vater Dachdecker war. Er erhielt eine gute Erziehung und den gewöhnlichen Schulunterricht. Nach der Konfirmation kam er in die Lehre zu einem Flaschnermeister seiner Vaterstadt, dann ging er auf die Wanderschaft, wurde Soldat, führte sich aber nirgends zur Zufriedenheit seiner Meister und Vorgesetzten. Eine ihm zufallende Erbschaft von 1500 Fl. verschwendete er in kurzer Zeit, zur Arbeit hatte er wenig Lust und vor fremdem Eigentum zeigte er geringen Respekt.
Schon als junger Mensch wurde er wegen Betrugs mit drei Monaten Gefängnis, im Jahre 1824 wegen Diebstahls mit drei Jahren Arbeitshaus bestraft. Nach verbüßter Strafe arbeitete er in Mühlhausen in Preußen, hier stahl er ein Pferd samt dem Reitzeuge und ergriff dann die Flucht; auf dem Wege nach Nürnberg entwendete er wieder ein mit Kleidern gefülltes Felleisen und wurde bald nach seiner Ankunft in Nürnberg auf Requisition des preußischen Gerichts verhaftet und in das Kriminalgefängnis gebracht. Anfänglich erhielt er die Erlaubnis, für seine Rechnung seine Profession zu betreiben; er fertigte Kessel, Leuchter, Laternen und andere nützliche Gegenstände, welche die Frau des Eisengerichtsdieners Vogelsang verkaufte. Dafür bekam er und sein Kamerad Lober, der ihm bei der Arbeit half, Braten und Bier, und beide durften so manchen Abend statt im Kerker in der Wohnstube Vogelsangs zubringen und sich hier gütlich tun.
Im Dezember wurde jene Erlaubnis, wir wissen nicht aus welchen Gründen, vom Direktor zurückgenommen. Das war ein Donnerschlag für Frau Vogelsang, die das schöne Geld nicht missen, für Körper und Lober, die den Braten und das bairische Bier nicht entbehren wollten. Man kam überein, die Arbeit solle im geheimen fortgesetzt werden. Die abseits gelegene Kammer ward zur Werkstatt hergerichtet, Körper und Lober hantierten darin mit Lötkolben, Amboss und Polierhammer, Frau Vogelsang verwertete eine Laterne nach der andern und die Gefangenen verzehrten einen Schweinebraten nach dem andern.
Johann Georg Paul Lober, dessen wir schon öfter gedacht, ist 1809 in Nürnberg geboren. Er ging daselbst in die Schule, wurde confirmiert und kam dann zu dem Buchhändler und Antiquar Lechner in die Lehre. Hier veruntreute er beträchtliche Summen, wurde deshalb eingezogen und bewohnte vom August 1829 an eine Zelle mit Cörper. Beide wurden Freunde, Lober zeigte sich als Cörper's gelehriger Schüler und lebte mit ihm zusammen im Gefängnis ein recht vergnügtes Leben.
Zu Anfang des Jahres 1830 traf die Schreckenskunde ein: Lober's Urteil sei angekommen, und es laute auf zwei Jahre Arbeitshaus. Fast gleichzeitig wurde dem Körper eröffnet, seine Untersuchung sei spruchreif, er werde wohl vier Jahre Arbeitshaus erhalten. Nun waren die schönen Tage vorüber, nun sollten sie sich von den Fleischtöpfen trennen, sich beugen unter die harte Zucht der Strafanstalt, und sich begnügen mit magerer Kost. Dieser Gedanke war unerträglich, für Körper die Aussicht umso schrecklicher, als er den Aufenthalt im Arbeitshaufe bereits kannte. Er beschloss zu fliehen und teilte Lober seine Pläne mit; dieser war einverstanden und beide warteten nur auf eine Gelegenheit, ihr Vorhaben auszuführen. Am 19. Febr. abends, wo Vogelsang und die Seinigen weggegangen, waren, schien ihnen der rechte Augenblick gekommen zu sein. Körper bahnte sich den Weg zur Freiheit über zwei Leichen, und Lober leistete ihm Beistand.
Hören wir zunächst sein, dann Lober's Bekenntnis; Körper sagt: »Vogelsang und seine Familie waren ins Concert gegangen, ersterer hatte uns vorher eingeschlossen, mir aber ein Rasiermesser, mit welchem ich mir den Bart abnehmen wollte, gelassen. Lober flüsterte mir zu: »Heute ist niemand zu Hause, da wollen wir sehen, dass wir hinauskommen. « Ich war es zufrieden. Wir klopften so lange, bis der Eisenknecht Kämmerer aufschloss. Wir verlangten Wasser und baten ihn, er möchte uns den Abend in der Wachtstube verbringen lassen. Kämmerer gewährte mir die Bitte, gab uns Licht und sagte, wir sollten einstweilen hineingehen, er wollte erst noch einen Brief schreiben, dann käme er nach. Ich holte mir aus der Werkstatt den Polierhammer, und wir beide warteten nun auf Kämmerer.
Nach einer kleinen Weile kam er und erzählte uns von einem österreichischen Soldaten, der eingeliefert worden sei, er saß auf einem Stuhle an seinem Bette und stützte den Kopf in die Hand. Da nahm ich auf einmal, wie es gekommen ist, kann ich selbst nicht sagen, den Hammer und schlug den Kämmerer auf den Kopf, dass er zu Boden fiel; dann ergriff ich das Messer und schnitt ihm den Hals durch. Wir gingen nun vor in die Küche, wo die Magd auf dem Boden kniete und fegte; wir haben es ihr beide ebenso gemacht, nämlich ich habe sie mit dem Hammer auf den Kopf geschlagen und sie auch mit dem Messer in den Hals geschnitten. Lober hat dabei das Licht gehalten. Hierauf haben wir die Schränke aufgemacht, Kleider von Vogelsang und seinem Sohne herausgenommen, uns angekleidet und sind zur Fronfeste hinaus. Die Kleider haben wir entwendet, weil wir auf diese Weise leichter zu entkommen dachten. Wir wollten über die Grenze nach Württemberg und von da nach Baden fliehen. «
Etwas abweichend hiervon erzählt Lober den Vorgang so:
»Wir wussten, dass Vogelsang ausgegangen und dass nur der Eisenknecht Kämmerer und die Magd zu Hause waren. Körper klopfte an und sagte zu Kämmerer, der uns aufschloss: «Wir wollen noch ein wenig zu Ihnen in die Wachtstube. « Kämmerer gab seine Zustimmung und befahl mir, einstweilen einzuheizen, er wolle noch eine Adresse schreiben. Während ich einheizte, ging Körper in die Werkstatt, was er dort gemacht hat, weiß ich nicht. Er kehrte schnell zurück, Kämmerer kam auch und nun waren wir alle drei in der Wachtstube. Kämmerer setzte sich an den Ofen, ich stand am Ofen, Körper stand am Fenster und hatte die Hände auf dem Rücken.
Kämmerer teilte uns mit, dass ein Soldat in das Gefängnis gebracht worden, und dann, dass früher einmal ein Gefangener, Namens Schmidt, echappirt sei. Als er noch im Erzählen war, sprang Körper auf ihn zu, schmetterte ihn durch einen furchtbaren Schlag mit dem Polierhammer zu Boden und versetzte ihm dann noch einige Schläge. Ich erschrak heftig und wollte mit dem Lichte hinaus. Körper packte mich aber am Arme, holte ein Rasiermesser aus der Tasche und schnitt dem Eisenknecht die Kehle ab. Ich lief fort, Körper holte mich jedoch ein und stürmte an mir vorüber in die Küche; hier erhielt die Magd zwei Hammerschläge von ihm, dass sie niederstürzte.
Ich konnte es nicht mit ansehen und begab mich in das Wohnzimmer. Körper kam mir nach und sagte mit dem Hammer drohend: »Wenn du jetzt nicht mitgehst, so ist dir ebenfalls der Hammer gewiss, denn ich spaße nicht gern. « Ich musste natürlich Ja sagen, er erwiderte: »Dann ist's gut. « Körper erbrach mit einem Stemmeisen zwei Schränke, ein Pult und eine Kommode und nahm Geld, Kleider und was ihm sonst gefiel an sich, ich habe ihm das Licht gehalten und dann mit ihm die Flucht ergriffen. «
Die Widersprüche in den Aussagen der beiden Verbrecher sind nicht gelöst worden; eine Lösung ist aber auch kaum nötig, denn es erhellt so viel, dass Körper der Rädelsführer gewesen ist und den Mord verübt hat. Lober war nichts weiter als sein Gehilfe. Ohne Zweifel ist es eine Lüge, dass Lober nur aus Furcht vor den Todesdrohungen Cörper's das Licht gehalten haben und völlig passiv gewesen sein will. Ungewiss ist es nur, ob er sich vorher mit Körper zu dem Morde verabredet hat, ob der letztere nicht bloß aus dem Entschlusse Cörper's hervorgegangen ist.
Am 5. Juni 1830 verurteilte das bayrische Appellationsgericht des Rezatkreises den Flaschnergesellen Friedrich Körper wegen des von ihm begangenen Doppelmordes zum Tode, den Buchhändlerlehrling Lober aber wegen seiner Hülfeleistung beim Morde zu Zuchthausstrafe auf unbestimmte Zeit. Das Oberappellationsgericht in München bestätigte das Erkenntnis gegen Körper, sprach aber Lober von der Teilnahme am Morde wegen mangelnden Beweises frei und erklärte ihn nur für schuldig der Unterschlagung von Geldern seines Lehrherrn und des ausgezeichneten Diebstahls bei Vogelsang. Er wurde deshalb mit achtjähriger Arbeitshausstrafe belegt und am 10. Okt. 1830 in das Arbeitshaus zu Schwabach abgeführt.
Am 18. Okt. 1830 eröffnete das Gericht dem Friedrich Körper, dass ihm das Leben abgesprochen worden sei und dass der König sich nicht bewogen gefunden habe, in den Lauf des Rechts einzugreifen. Der Delinquent hörte das Todesurteil mit großer Fassung an, unterschrieb das Protokoll mit sicherer Hand und erbat sich, was ihm nach bairischer Gesetzgebung freistand, noch eine Frist von drei Tagen. Am 21. Okt. bestieg er das Schaffot und nach wenigen Minuten stand seine Seele vor Gott.
Quellen - Willibald Alexis - Geschichten aus dem Neuen Pitaval
2. Jakob Friedrich Hadopp - (Raubmord – Philadelphia) 1865-1867
Am 22. Sept. 1865 kam in Philadelphia ein zwanzigjähriger junger Mann aus Deutschland an, der in Amerika sein Glück versuchen wollte. Er hieß Julius Wochele und stammte aus dem Königreich Württemberg. In Philadelphia angelangt, wandte er sich an die dort wohnende Schwester seiner Stiefmutter und erhielt durch ihre Vermittelung bei dem Buchbinder Rauh, der weitläufig mit ihm verwandt war, Arbeit. Es fiel seinem Meister und seinen Nebengesellen auf, dass Wochele in der Werkstatt keine Schürze vorhat und infolge dessen seine Kleider mit Kleister und Leim beschmutzte. Ferner bemerkten seine Kameraden, dass er Stiefeln trug, wie sie dort nicht üblich waren. Sie liefen nach vorn in eine Spitze aus, waren an den Absätzen mit Eisen beschlagen und unter den Fußbällen voller Stiche. Auch die eigentümlichen Knöpfe seiner Weste und die breiten Falten am Hemd erregten ihre Aufmerksamkeit,
Wochele blieb nur 14 Tage bei Meister Rauh, dann trat er in ein Farbengeschäft. Er bediente sich daselbst wieder keiner Schürze und befleckte sich deshalb mit Farbe. Mehrere seiner Mitarbeiter versicherten, dass nicht bloß Hose, Weste und Hemd, sondern auch seine Hände und sein Körper Farbeflecken gezeigt hätten, Wochele logierte bei einem gewissen Best und wohnte daselbst anfänglich allein. Seine Wirtin, von Geburt eine Deutsche, revidierte seine Kleider und seine Wäsche, sie fand in den ersteren zahlreiche Schmutzflecken, die letztere nicht in Ordnung. Die Hemden waren I.W. gezeichnet, die Buchstaben gestickt.
Im November bekam Wochele in der Person des Jakob Friedlich Hadopp einen Stubengenossen. Hadopp war aus dem Großherzogtum Baden nach Amerika ausgewandert. Sein Vater, ein wohlhabender Kaufmann, hatte ihm eine gute Erziehung zuteil werden lassen und den Knaben zum Studium der Medizin bestimmt. Im Jahre 1848 schloss Hadopp sich den Aufständischen an und focht mit ihnen in der vom Hauptmann Sigel geführten Compagnie. Einige Jahre später schiffte er sich nach Neuyork ein und wurde nach manchen Wechselfällen nach Philadelphia verschlagen, wo er endlich in demselben Geschäft wie Wochele ein Unterkommen fand.
Er war bedeutend älter als dieser, beide schlossen aber bald Freundschaft und waren fast den ganzen Tag über beisammen. Sie machten nach getaner Arbeit gemeinschaftliche Spaziergänge, besuchten zusammen die Wirtshäuser und aßen miteinander in ihrem Kosthause. Hadopp erzählte seinem Freunde Wochele, was er alles erlebt, und beschrieb ihm die verschiedenen Farmen, auf denen er gearbeitet hatte; unter andern nannte er dabei auch eine dem Dr. Tiedemann gehörige, mehrere Meilen von Philadelphia entfernte, an der Straße nach Bethlehem gelegene Farm in der Nähe von Montgomery Square. Er erzählte, dass diese Farm jetzt verlassen sei und von neuem verpachtet werden solle. Am 25. Nov. ließen sich beide von ihrem Brotherrn den Wochenlohn auszahlen, dann aßen sie bei ihrem Hauswirt zu Mittag, gingen weg und – kamen niemals wieder.
Am 27. Jan. 1866 wurde auf jener einsamen, unbewohnten Farm unter einem Haufen Stroh versteckt der Leichnam eines jungen Menschen entdeckt. Der Schädel war eingeschlagen, das Gesicht zerfleischt, die Leiche schon zum Teil in Verwesung übergegangen. Dass hier ein Mord vorlag, ließ sich nicht bezweifeln, allein niemand kannte den Ermordeten. Aus mehreren Papieren, die man in seinen Taschen fand, ergab sich zwar, dass er ein Deutscher und erst kürzlich eingewandert war, aber über seinen Namen und seinen Geburtsort enthielten sie keinen Nachweis.
Der Tote ward ausgezogen und auf dem Kirchhofe von Montgomery Square bestattet. Der die Totenschau leitende Beamte bewahrte die Kleider auf und erließ öffentliche Bekanntmachungen, in denen er zur Auskunft über den ermordeten Unbekannten aufforderte.
Eine dieser Bekanntmachungen fiel zufällig dem Herrn Best in Philadelphia in die Hände. Die Beschreibung der Kleider und der Person passte auf den jungen Wochele, der bei ihm logiert hatte, er reiste deshalb hin nach Montgomery Square, erhielt daselbst die fraglichen Kleidungsstücke und erkannte dieselben sofort als diejenigen seines Mieters. Eine Menge anderer Personen, insbesondere die Kameraden des Julius Wochele und seine Wirtin, denen man die Kleider zeigte, erklärten ebenfalls, dass niemand anders als Wochele diese mit Kleister, Leim und Farbe befleckten Kleidungsstücke getragen habe, auch die seltsame Form der Westenknöpfe, die mit Eisen beschlagenen Stiefeln, die breiten Falten des Hemdes und die gestickten Buchstaben I.W. fanden sich vor, und die Totenbeschauer erinnerten sich, dass der Erschlagene an den Händen und am übrigen Körper Flecken wie von Farbe gehabt habe.
Hiernach konnte man mit fast völliger Gewissheit annehmen, dass Julius Wochele derjenige war, der unter den Streichen eines Mörders sein Leben verloren hatte; der Tote selbst freilich konnte nicht identifiziert werden, denn er lag längst im Grabe, als sein ehemaliger Wirth nach Montgomery Square kam.
Gleichzeitig mit Wochele war auch Hadopp verschwunden, kein Mensch wusste, wohin er gekommen, und lange Zeit waren alle Nachforschungen vergeblich.
Die amerikanischen Behörden setzten den württembergischen Konsul, Herrn Kiderlen in Philadelphia, in Kenntnis von den Ergebnissen der Untersuchung, dieser berichtete dem Ministerium in Württemberg, dass Julius Wochele ermordet sei, und von dem Ministerium wurde die Trauerbotschaft an die Stiefmutter, den Vormund und die andern Verwandten des Verstorbenen weiter befördert.
Im März 1866 traf plötzlich bei den nicht wenig erstaunten Verwandten ein Brief vom 6. Febr. 1866 aus Reading in Pennsylvanien ein, welcher so lautete:
»Treuerer Vormund und Stiefmutter!
Ich benachrichtige Euch hiermit, dass ich gesund und Wohl in Amerika angekommen bin. Ich habe mich auch sogleich zum Vetter Rauh begeben und von ihm Arbeit bekommen, aber ich konnte sie kaum tun. Ich habe den ganzen Tag Bücher auf einem Karren schieben müssen, so dass ich krank wurde und sechs Wochen in meinem Kosthause lag. Indes bin ich Gott sei Dank wieder besser, aber sehr schwach und habe noch meine Doktor- und Apothekerrechnung zu bezahlen. Ich arbeite jedoch in Reading, 20 Meilen von Philadelphia, aber die Zeiten sind durch den Krieg so schlecht geworden, dass man kaum sein Brot verdienen kann, und außerdem haben wir einen sehr harten Winter.
In Missouri, ungefähr 1000 Meilen weiter, soll es besser sein. Nun, treuerer Vormund und Stiefmutter, ersuche ich Euch, mir in einem Wechsel 100 Fl. von meinem Vermögen zu schicken, so dass ich mir selbst helfen und weiter in dieses Land hineinreisen kann. Ich will Euch ewig dankbar sein, wenn Ihr mir aus der Not helft, deshalb bitte ich Euch nochmals, mir sogleich zurückzuschreiben und mir um Gottes willen einen Wechsel zu schicken. Ich werde noch in diesem Leben Euch dafür belohnen. Nun, treuere Pflegeeltern, will ich meinen Brief schließen und bitte zu Gott und zum ganzen Waisengericht, meinen Wunsch zu erfüllen u.s.w.
Euer dankbarer Sohn
Julius Wochele.
Betet für mich, ich werde auch für Euch beten.«
Die Empfänger des Briefes glaubten, die frühere Todesnachricht beruhe auf einem Irrtum, die Vormundschaftsbehörde genehmigte, dass dem Julius Wochele 100 Fl. von seinem Vermögen geschickt würden, der Konsul Kiderlen erhielt das Geld und die Weisung, es dem Bittsteller zuzusenden. Herr Kiderlen war fest davon überzeugt, dass Julius Wochele sich nicht mehr am Leben befände, er vermutete daher, dass irgendeine Betrügerei im Spiele sei, und beschloss, der Sache auf den Grund zu kommen und den Pseudo-Wochele womöglich zu entlarven. Er schrieb einen Brief an Julius Wochele in Reading, in welchem er ihn aufforderte, eine beigeschlossene Quittung über 100 Fl. vor einem öffentlichen Notar zu unterzeichnen, die Unterschrift beglaubigen zu lassen und das Papier einzuschicken, dann werde er ihm das Geld auszahlen.
Kurze Zeit darauf ging wirklich die verlangte Quittung bei dem Konsul in der vorgeschriebenen Form unterzeichnet ein, es wurde indes sehr bald ermittelt, dass Jakob Friedrich Hadopp sich für Wochele ausgegeben und die Quittung ausgestellt hatte.
Jetzt schritt man dazu, Hadopp als des Mordes dringend verdächtig zu verhaften. Er hatte sich inzwischen verheiratet und befahl seiner Frau, als er arretiert werden sollte, seine Papiere zu verbrennen. Es gelang ihr indes nicht und man fand bei Hadopp den Taufschein von J. Wochele, die Adresse seines Pflegevaters und einen zweiten unter dem Namen Wochele's von Hadopp geschriebenen Brief des Inhalts:
»Allentown, 28. Mai 1866.
Liebe gute Mutter und Schwester!
Da ich Euch schon diesen verflossenen Winter geschrieben habe, aber keine Nachricht erhalten, muss ich Euch nochmals berichten, dass ich wirklich in Allentown arbeite, früher in Philadelphia und Reading, aber liebe Mutter! Amerika ist kein Deutschland, man hat hier zu große Ausgaben, und bis man seine Kost bezahlt, bleibt nicht viel übrig, und schlechte Betten, man hat bloß einen Strohsack und einen Teppich, von Federbetten ist keine Rede, liebe gute Mutter, wenn Ihr mir mein Bett schicken könntet, ich würde Euch soviel als das Bett kostet gerne bezahlen, wenn ich minrent bin und mein Vermögen erhalte, auch habe ich schon an meinen Pfleger Weider nach Rosenfeld geschrieben und ihn ersucht, mir doch 100 Fl. zu schicken, aber leider keine Nachricht erhalten, dann hätte ich mir ein Bett gekauft, liebe Mutter, schreibet mir also gleich wieder, und bemerket mir auch, ob Kaufmann Weider Euch geschrieben hat von mir und seid so gut und bemerket mir, ob ich den Zins von meinem Vermögen nicht alle Jahre ziehen könnte bis ich minrent bin oder wenn ich den Zins nicht bekomme, wie hoch mein Vermögen dann kommt, bis ich 21 Jahr alt bin! also gute Mutter! seid so gut und schreibt mir gleich wieder, und wenn es Euch möglich ist, so nähet mein Bett in einen alten Sack und schicket es mir, ich würde Euch tausend Dank dafür abstatten, und wenn Sie an Weider schreiben, lasse ich ihn auch grüßen. Meine Adresse lautet:
Mr. Julius Wochele, Poftoffice in Allentown, Staat Pennsylvanien in Nord-Amerika.
In dieser baldigen Erwartung einer Nachricht entgegensehend grüßt Euch wie meine Schwester, und Eure Freunde
Euer dankbarer Sohn
Julius Wochele«.
Der Brief war fertig zum Absenden, offenbar hatte Hadopp, weil ihm der erste Versuch, mit Hülfe eines von ihm geschriebenen und unterschriebenen Briefes sich 100 Fl. zu verschaffen, so gut gelungen war, das Geschäft fortsetzen und durch einen zweiten Brief unter dem Namen Wochele's sich ein Bett erschwindeln wollen.
Hadopp wurde wegen des Mordes an seinem Freunde in Untersuchung genommen. Er musste einräumen, dass er mit ihm zusammen Philadelphia verlassen, dass er die beiden mit Wochele unterzeichneten Briefe geschrieben und dass er dem Notar auf Grund des von ihm um 10 Jahre zurückdatierten, dem Ermordeten zugehörigen Taufscheins vorgespiegelt habe, er sei Julius Wochele. Er entschuldigte sich damit, er habe seinem Freunde Wochele 60 Dollars geliehen und sei von ihm ermächtigt worden, unter seinem Namen nach Württemberg zu schreiben und das Geld für ihn zu erheben. Nach seiner Angabe hatte er sich in der Nähe von Philadelphia von seinem Gefährten getrennt. Wohin der letztere gekommen, wollte er nicht wissen, er behauptete indes, dass Wochele noch am Leben sei und sich schon wieder einstellen werde.
Hadopp hatte, wie wir schon erwähnten, auf der Farm, wo man nachmals die Leiche fand, früher gearbeitet und wusste, dass sie unbewohnt war. Sein Vorgeben, dass er dem Wochele eine verhältnismäßig so beträchtliche Summe vorgestreckt habe, erschien höchst unwahrscheinlich, denn er hatte sich selbst stets in ärmlichen Verhältnissen befunden und mit Nahrungssorgen zu kämpfen gehabt. Endlich wurde ihm nachgewiesen, dass er in Allentown verschiedene Kleidungsstücke verkauft hatte, die an vielen sehr genauen Kennzeichen als das Eigentum des ermordeten Wochele erkannt wurden.
Hadopp sah wohl ein, dass die Verdachtsgründe gegen ihn sehr schwere waren, er griff daher zu einem letzten Mittel, sich zu retten, und brachte Zeugen vor, die ihn am 26. Nov. 1865 in Bethlehem gesehen hatten. Daraus sollte folgen, dass er nicht am 25. auf jener Farm den Mord begangen haben könnte. Allein auch der Alibibeweis misslang, denn es stellte sich heraus, dass man sehr wohl am 25. abends, ja sogar am 26. morgens von der fraglichen Farm mit der Eisenbahn Bethlehem erreichen konnte.
Im Februar 1867 versammelte sich die Jury, die über Hadopp richten sollte, in Harristown. Drei Anwälte vertraten den Staat, drei den Angeklagten, nach dreitägiger Verhandlung sprachen die Geschworenen das Schuldig aus und der Vorsitzende Richter verkündigte das Todesurteil.
Die zahlreich anwesenden Zuhörer waren von der Gerechtigkeit des Spruches fast alle überzeugt, und in der That war die Kette der Indizien eine so eng aneinander schließende, dass man kaum glauben konnte, es sei ein Unschuldiger verurteilt worden.
Hadopp selbst war während der Verhandlung ruhig, fast teilnahmlos. Ohne ein Zeichen der Aufregung hörte er das Urteil an, aber als er wieder in seine Zelle kam, brach er in Tränen aus und beteuerte seine Unschuld. Bis zu seinem letzten Atemzuge blieb er dabei, dass die Zeugen gegen ihn falsch geschworen hätten.
Er empfing im Gefängnis mehrere Besuche, zunächst seine Ehefrau. Das Wiedersehen war ein ziemlich kühles, beide Gatten standen offenbar in keinem sehr innigen Verhältnis, und die Frau schien den Schwüren des Mannes, dass seine Hand rein sei vom Blute des Freundes, nicht vollkommen zu trauen. Dem Zuspruch der Geistlichen war Hadopp zugänglich, er las viel in der Bibel und in Gebetbüchern. Den Anwälten sprach er seinen Dank aus und überreichte jedem ein kleines Andenken.
Der Gedanke, dass sein Leichnam nicht begraben, sondern von den Ärzten zerstückelt werden würde, war ihm entsetzlich. Er schrieb deshalb den folgenden Brief:
»Meine Herren Doktoren! Ich ersuche Sie, meinen Leichnam nicht zu sezieren, sondern mich begraben zu lassen, wie es einem unschuldigen Manne zukommt u.s.w. Es ist auch die heilige Pflicht der Geschworenen, welche mich dem Tode überlieferten, dass sie mich unschuldig begraben sehen. Alle die, welche meiner Hinrichtung beiwohnen, bitte ich, an mich zu denken, dann will ich an Sie alle mit dankbarer Achtung denken. Brüder, ich wünsche Ihnen für ewig ein Lebewohl.
Jakob Hadopp.«
Die Hinrichtung war auf den 6. Febr. 1867 anberaumt. In der Nacht zuvor las der Delinquent bis um 12 Uhr in der Heiligen Schrift, dann schlief er bis um 4 Uhr morgens. Bis um 7 Uhr unterhielt er sich mit seinen Seelsorgern. Während er in den ersten Morgenstunden aufgeräumt und heiter war, bemächtigte sich seiner eine heftige Aufregung, als die Todesstunde näher kam. Er zitterte, seine Hand versagte ihm beim Schreiben den Dienst, die Augen irrten unstet umher, er war furchtbar bleich.
Um ½12 Uhr trat der Gefangene den schweren Gang an. Ein Priester sprach ihm ein Gebet in deutscher Sprache vor, dann bestieg er die Plattform des im Gefängnishofe errichteten Galgens. Hier wurde nochmals ein Gebet gesprochen, Hadopp küsste das Crucifix und empfing die Absolution. Nachdem sich der Beichtvater entfernt hatte, legte ihm der Sheriff die tödliche Schlinge um den Hals. Hadopp wandte sich mit etlichen Worten an die versammelte Menge, rief laut, dass er unschuldig sterbe, aber allen, die seinen Tod verschuldet hätten, vergebe; dann zog ihm der Sheriff die weiße Kappe über das Gesicht, die letzte Stütze ward weggenommen und nach wenig Minuten schwebte der Körper leblos in der Luft.
Quellen - Willibald Alexis - Geschichten aus dem Neuen Pitaval
3. Ein Mörder seiner Mutter (1849)
Am 28. September 1849 abends zwischen halb und drei Viertel nach zehn Uhr wurden die Bewohner der kleinen Stadt J... im sächsischen Erzgebirge durch den in verzweifeltem Tone mehrmals wiederholten Jammerruf: »Ach Gott, meine Frau! Ach Gott, meine Frau!« erschreckt. Bald erkannte man deutlich die Stimme des unweit des Marktes wohnenden Barbiers und Chirurgen St... Die Rufe wurden immer grässlicher und wollten nicht aufhören, und als auch der königliche Gerichtsverwalter, der in der Nähe wohnte, erschrocken ans Fenster geeilt war, kam schon der Gerichtswachtmeister zu ihm und meldete ihm, dass ein Mord geschehen sei. Der Gerichtsverwalter ging sofort in das Haus des Barbiers, und in der im Oberstocke gelegenen Wohnstube bekam er ein Bild zu Augen, wie er es schrecklicher noch nie gesehen hatte.
In der Mitte stand eine Wiege mit einem Kinde, dessen Kopf gänzlich zerschmettert und mit herausgequollenem Gehirn aus den Betten hervorsah. An der hinteren Wand der Stube aber lag eine weibliche Person, in der man bald die Frau des Barbiers St... erkannte, in Betten, die auf ein Sofa gebreitet und über und über mit Blut bedeckt waren.
An dem Kind, dem jüngsten, erst ein Vierteljahr alten Söhnchen der St..., war kein Lebenszeichen mehr wahrzunehmen; die Frau aber röchelte tief gleich einer Sterbenden. Der Bergphysikus Dr. G... und der Oberwundarzt S..., nach denen sofort geschickt worden war, während mehrere Hausgenossen in der entsetzlichsten Aufregung mit dem Barbier St... in der Stube herumstanden, erklärten beim ersten Anblick des Kindes, dass hier nichts mehr zu retten sei; es wäre durch die Kopfverletzungen auf der Stelle getötet worden. Die Ärzte richteten also alle ihre Bemühungen auf die in den Betten an der Hinterwand liegende St..., die durch fortwährendes Röcheln noch Leben verriet. Sie ruhte wie eine Schlafende auf der linken Seite des Körpers, das Gesicht dem Innern der Stube zugewendet, und wurde in dieser Lage zunächst auch noch liegengelassen, während das Blut von den Wunden an ihrem Kopfe weggewaschen und teilweise auch das ziemlich starke Haupthaar weggeschnitten wurde, damit die Verletzungen untersucht werden könnten. Die Ärzte gaben übereinstimmend ihr Gutachten dahin ab, dass auch hier an die Möglichkeit, der Verletzten das Leben zu retten, gar nicht zu denken sei, denn jede einzelne der verschiedenen schweren Wunden, bei denen meist auch die Schädeldecke durchschlagen war, sei tödlich und der Tod binnen wenigen Stunden mit Bestimmtheit zu erwarten. Außer dem Röcheln war an der Frau sonst keine Lebensregung wahrzunehmen, und von Bewusstsein gar war nicht das leiseste Anzeichen zu bemerken.
Die Augen der beiden Verletzten waren fest geschlossen, und an keinem von beiden, namentlich nicht an der St..., ließen sich irgendwelche Spuren von Widerstand oder von Körperbewegungen, die auf die Schläge hin erfolgt waren, erkennen.
Auf der Diele mitten in der Stube fand man eine mit Blut befleckte Holzaxt, mit der die Verletzungen jedenfalls ausgeführt worden waren. Nach Angabe der beiden Ärzte waren indes von den Verletzungen der Frau einige derart, dass sie mit einem mehr spitzigen Werkzeuge, etwa mit einem Hammer, zugefügt zu sein schienen. Ein solches Instrument wurde aber weder in der Stube noch in den unmittelbar anstoßenden Räumen aufgefunden, auch nicht auf der Straße, wo man ebenfalls nachsuchte, weil eine Fensterscheibe am oberen Teile des Sofas in der Nähe des Kopfes der St... zerbrochen war. Erst später fand man in der Kammer, die der Wohnstube gegenüberlag, unter einem der dort befindlichen drei Betten einen mit Blut befleckten Hammer und das Bett selbst durch Blut verunreinigt.
Über die Täterschaft gab sogleich die mündliche Anzeige des Gerichtswachtmeisters Aufschluss. Nach seiner Aussage war gegen halb elf Uhr der im sechzehnten Lebensjahre stehende Sohn des Barbiers St... Karl Friedrich Wilhelm bloß mit Hemd und Hosen bekleidet in die Fronfeste gekommen und hatte den Wachtmeister aus dem Schlafe geweckt und veranlasst, ihn in der Fronfeste zu behalten, da er seine Mutter geschlagen habe. Er hatte dabei die Worte ausgestoßen, »er habe einen grässlichen Traum gehabt, als ob ihn die Mutter und er sie geschlagen und die Mutter dabei sehr geblutet habe«. Der Gerichtswachtmeister war sofort nach der Wohnung des Barbiers geeilt. Hier hatte er diesen und einige andere Bewohner des Hauses schon in voller Aufregung über die Entdeckung gefunden und war dann gleich wieder weggeeilt, um dem Gerichtsverweser Meldung zu erstatten und den jüngeren St..., der sich noch ohne gerichtliche Vorsichtsmaßregeln in der Fronfeste aufhielt, in sicheren Gewahrsam zu bringen.
Der Barbier St... und seine Hausgenossen sagten zunächst folgendes aus: Zwischen ein Viertel und halb elf Uhr abends war der Barbier aus einer Schenke nach Hause gekommen, hatte die Tür, die vom Vorboden aus in seine Wohnstube führte, in die sich seine Frau wegen Unwohlseins infolge einer kranken Brust gelegt hatte, verschlossen gefunden und mehrmals vergebens daran gepocht. Da war ihm aus der der Wohnstube gegenüberliegenden Kammer sein Sohn Friedrich Wilhelm mit dem älteren Kinde St...s, einem Mädchen von drei Jahren, auf dem Arm entgegengekommen, hatte seinem Vater das Kind schweigend übergeben und war schnell die Treppe hinab gegangen. St... hatte nicht gewusst, was er von diesem Benehmen seines Sohnes halten solle, er hatte wiederholt an der Türe der Wohnstube geklopft und seine Frau beim Namen gerufen.
Da ihm auch jetzt nicht geöffnet worden war und er in der Stube ein leises Röcheln zu hören geglaubt hatte, hatte ihn die Angst gepackt. Er hatte gedacht, seine Frau könnte beim Heizen des Stubenofens die Klappe nicht aufgemacht und das Zimmer sich während ihres Schlafes mit Kohlengas gefüllt haben, und sie sei nun dem Ersticken nahe. Er hatte deshalb mit dem Schneider St..., der in demselben Stockwerk unmittelbar neben den St...s wohnte und inzwischen von dem Lärm erwacht war, die Türe nach der Küche aufgestoßen, die an die Wohnstube anstieß und mit ihr durch eine Glastür verbunden war. So war er in die Wohnstube gelangt. Er hatte alles so gefunden, wie noch die später Herbeigerufenen es sahen: seine Frau in ihren Betten auf dem Sofa und sein jüngstes Kind in der Wiege daneben, beide in ihrem Blute, mit gänzlich zerschmetterten Köpfen. Das Kind war wahrscheinlich auch da schon tot gewesen, während die Mutter noch tief geröchelt hatte. Im Kopfe der Mutter hatte noch die Axt gesteckt. St... hatte sie herausgezogen und mitten in die Stube auf die Diele geschleudert. Wenige Minuten nach ihrem Eintritt in die Stube war auch schon der Gerichtswachtmeister E... angelangt und hatte ihnen erzählt, dass der Sohn des Barbiers sich eben in der Fronfeste gestellt habe.
Der Gerichtsverweser verfügte, dass keine Veränderungen an dem Tatort vorgenommen würden. Die Ärzte verließen die St...sche Ehefrau nicht, konnten sich aber nur darauf beschränken, der Sterbenden durch Umschläge einige Linderung zu verschaffen. Sie verschied in der vierten Morgenstunde.
Der Gerichtsverwalter begab sich inzwischen zu dem jungen Sohne in die Fronfeste, eröffnete ihm den Grund, weswegen man ihn in Gewahrsam halte, und setzte ihn davon in Kenntnis, dass Mutter und Bruder tot seien.
Bei dieser Nachricht wendete sich St... auf seinem Strohsack um, verbarg eine Weile das Gesicht und begann zu schluchzen. Jedoch auf die ihm vorgelegten Fragen, warum und womit er Mutter und Bruder erschlagen habe, konnte er sofort wieder deutlich Antwort geben und sagte, dass er von seiner Mutter immer sehr streng behandelt und namentlich am Abend zuvor hart angefahren worden sei; deshalb sei er mit ihr in der Küche in Streit geraten, und als sie sich von da aus in ihr Bett begeben habe, sei er ihr mit einem Stück Holz gefolgt und habe sie geschlagen.
Am nächsten Tage wurde der jugendliche Mörder vor die beiden Leichen geführt. Als er die seiner Mutter erblickte, brach er mit den Worten: »Ach, du lieber Gott!« in ein kurz anhaltendes Jammern aus. Sämtliche Anwesenden hielten indessen sein Gebaren mehr für Verstellung. Denn St... vermochte auf die ihm vorgelegten Fragen mit einer Stimme zu antworten, die zwar zitterte, aber dennoch keine innere Bewegung verriet, und zeigte im Übrigen eine ziemlich ruhige Haltung. Als er von der Leichenschau in die Fronfeste zurückkam, äußerte er ohne jede Spur von Reue: »Die sind aber recht zugerichtet. «
Als am Begräbnistage der Erschlagenen in der zwölften Mittagsstunde ein Sterbelied vom Turm geblasen wurde und nachher die Glocken zu läuten anfingen, zeigte St... wieder ein wenig Erschütterung. Als man ihn in den Sitzungssaal des Rathauses führte, dessen Fenster nach dem Marktplatz zu gingen und von denen aus man also auch den Trauerzug sehen konnte, der sich vor dem elterlichen Hause bildete, fing er an zu schluchzen und sank auf einen hinter ihm stehenden Stuhl, jedoch wahrscheinlich nur, um nichts mehr zu sehen, und wohl auch, um sich den Blicken der nach den Fenstern hinaufschauenden Neugierigen zu entziehen. Als man ihn jetzt aber fragte, ob er keine Reue fühle, brach er in ein lautes Schluchzen aus und beteuerte: »Ach Gott, wenn ich jetzt mein Leben für sie lassen könnte, ich wollte gern für sie sterben, wenn sie leben könnten«; und als der Sarg heraus getragen wurde, ließ er unter lautem Schluchzen die Worte hören: »Ich will ja alles gestehen, lassen Sie mich nur«, und folgte von nun an, sich an den Fensterstock lehnend, unter fortwährendem Weinen mit den Blicken dem Trauerzuge, solange er ihn sehen konnte.
Dafür, dass aber auch dieser Schmerz nicht tief und nachhaltig und die Reue nicht aufrichtig und ehrlich war, sprach der Umstand, dass St... gleich nachher in der Fronfeste sein Mittagessen mit anscheinendem Appetit verzehrte und später auf die Frage, wie er geschlafen habe, mit wahrer Zufriedenheit erwiderte, so gut habe er lange nicht geschlafen; jetzt sei ihm erst wieder so wohl und leicht zumute wie lange nicht.
Auch im übrigen zeigte er nicht die geringste Erschütterung, sondern war immer sehr gleichgültig und ruhig und äußerte sogar der Ehefrau des Wachtmeisters gegenüber einmal, dass es ihm lieb sei, dass er seine Mutter erschlagen habe; sie habe ihm auch nach dem Leben getrachtet und habe ihn vergiften wollen, außerdem habe sie sich ja selbst schon öfters den Tod gewünscht.
Bei einem solchen Verhalten des St... taucht von selber die Frage auf, ob es seinen Grund in jugendlicher Oberflächlichkeit oder in frühzeitiger Verderbtheit hatte. Der Lebenslauf des jugendlichen Mörders soll darauf Antwort geben. St... wurde am 19. Juni 1834 in Dresden geboren, wo sich damals sein Vater vorübergehend aufhielt. Seine Eltern waren zur Zeit der Geburt dieses Kindes noch nicht miteinander verheiratet, ließen sich vielmehr erst anderthalb Jahr später trauen und zogen dann in das Gebirgsstädtchen J... Der erstgeborene Knabe blieb unter Pflege und Aufsicht seiner in zweiter Ehe mit einem Fleischermeister verheirateten Großmutter in Dresden zurück. Beide Großeltern sollen der Eigenwilligkeit des Enkels allen Vorschub geleistet und ihn gänzlich verzogen haben.
Als er fünf Jahre alt geworden war, wurde der Knabe gegen seinen Wunsch, ja sogar unter heftigem Widerwillen in die Hände seiner Eltern zurückgegeben und namentlich von der Mutter, die einen zweitgeborenen Knaben inzwischen verloren und den älteren bisher schmerzlich entbehrt hatte, mit einer übergroßen Liebe empfangen, die dem Ernst und der Strenge des Erziehungszweckes nicht immer förderlich war. Von seinem sechsten Jahre an wurde er in die Stadtschule geschickt. Im Anfange des Schulunterrichts zeigte er sich langsam und schwerfällig und machte nur geringe Fortschritte. Vom neunten oder zehnten Jahre an aber entwickelte er sich rasch, zeigte sich als sehr gut befähigt und benutzte sogar die Gelegenheit zur Ausbildung in griechischer und lateinischer Sprache, die ihm von den Eltern mit großer Aufopferung gegeben wurde.
In sittlicher Beziehung dagegen schritt er nicht in gleichem Maße vorwärts, sondern verübte schon jetzt zur Bekümmernis seiner Eltern und Lehrer eine ganze Reihe von leichtsinnigen und zum Teil auch boshaften Streichen.
Dahin gehören namentlich zwei Handlungen: eine Flucht aus dem väterlichen Hause, die den Flüchtling freilich nicht bis zu dem beabsichtigten Ziele seiner Reise, nach Dresden, sondern nur bis zu dem nahen Städtchen S... und von da wieder zurückführte, und ein unter Anstiftung St...s gestiftetes Komplott mehrerer Schulknaben, eine Anzahl auf einer besonderen Liste verzeichneter angesehener Personen der Stadt durch Fenstereinwerfen zu ärgern und zu schädigen.
Nachdem er aus der Schule entlassen war, konnte sich St... nicht gleich für einen bestimmten Lebensberuf entscheiden, und auch seine Eltern wussten anscheinend nicht, was sie aus dem Jungen machen sollten. Bald war die Rede davon, ihn auf die chirurgisch-medizinische Akademie zu bringen, bald wollte er Maschinenbauer oder Lithograph oder Soldat werden. St...s Eltern brachten den Knaben endlich, um ihn nicht ganz untätig zu lassen, in einer Leistenfabrik unter. Nur kurze Zeit fügte sich der widerspenstige junge Mann unter die wohlgemeinte, aber strenge Aufsicht des dortigen Werkführers. Es gelang dann, ihn als Arbeiter in der Maschinenfabrik zu K...dorf unter ziemlich günstigen Bedingungen unterzubringen, die seine Existenz sichern konnten. Namentlich war ihm Gelegenheit geboten, sich durch Benutzung von Unterricht weiter auszubilden. Eine Zeitlang ging es in diesem neuen Arbeitsverhältnis ganz gut, aber bald war es auch hier aus.
Noch nicht fünfzehn Jahre alt, kam St... in den Bannkreis der unter seinen Mitarbeitern eingewurzelten republikanischen Ideen, und im Mai 1849 schloss er sich einem von Z... nach der Residenz abgehenden Freischarenzuge an, mit dem er aber nur bis zur Stadt A... kam, wo ihn besorgte Verwandte in Beschlag nahmen und zur Rückkehr zwangen. Mit welchem Eifer er die Sache erfasst hatte, zeigte eine Äußerung bei seiner Vernehmung vor Gericht: die Stunde seines Anschlusses an die Freischärler sei die einzige schöne seines ganzen Lebens gewesen. Bald bereitete er seinen Eltern weitere Unannehmlichkeiten. St... wurde im Besitz einer Pistole angetroffen, die seinem Hauswirt gehörte. Er kam dadurch in den Verdacht eines Diebstahls, der durch die üble Lage seiner Geldmittel noch verstärkt wurde, und dieser Zwischenfall bewog ihn, K...dorf heimlich zu verlassen.
Von der Stadt S... aus gab er seinen Eltern hiervon Nachricht und bat sie zugleich, an einem bestimmten Art im Freien unweit der böhmischen Grenze Geld und Lebensmittel niederzulegen, damit er nach Österreich gehen und sich bei dem dortigen Militär anwerben lassen könne. Obschon die zärtliche Mutter Schlimmes befürchtete, entsprach der Vater dem Wunsche seines Sohnes nicht, und er unternahm auch nichts, um die Ausführung des Entschlusses zu hindern. Die Voraussicht des Vaters bestätigte sich noch an demselben Tage. St... stellte sich im elterlichen Hause ein, freilich unter nicht gerade Freudeerregenden Umständen – ohne seine Uhr, die er verkauft, und ohne die sonstigen Wertsachen, die er zur Deckung von Schulden zurückgelassen hatte. Von dieser Zeit an lag er ohne Beschäftigung und selbst ohne bestimmte Aussicht dazu bei seinen Eltern. Auch der Plan des freiwilligen Eintritts in die sächsische Armee zerschlug sich.
Dass dieser Aufenthalt im väterlichen Hause, der bis Ende September 1849 dauerte, weder für Eltern noch Sohn angenehm sein konnte, liegt auf der Hand. Letzterer fand höchstens seine Lage deswegen einigermaßen erträglich, weil er seinen Hang zur Trägheit befriedigen konnte, aber die Vorhaltungen, die ihm seine Eltern immer und immer wieder machten, und die, weil er noch dazu den Eltern meist widerspenstig und auffahrend entgegenzutreten pflegte, mit der Zeit immer heftiger wurden, störten ihn in seiner Beschaulichkeit doch zu sehr, als dass er sich in diesem Zustande hätte wohlfühlen können.
In dieser Zeit nun verübte St... aus Mutwillen und Bosheit eine Brandstiftung, die gewissermaßen als Vorbereitung und Übergang zu dem bald darauf folgenden allerschwersten Verbrechen angesehen werden kann. Er selbst gestand darüber, dass er kurz nach dem 2. September 1849 Streit mit der Mutter gehabt habe; er sei daraufhin in den Wald gegangen, um Beeren zu suchen, und auf dem Rückwege sei er in eine Feldhütte gekrochen. Weil ihn gefroren habe, habe er sich Feuer angemacht, das zufällig die Hütte ergriffen habe und von ihm dann, als er eingesehen hätte, dass er es nicht mehr habe tilgen können, absichtlich genährt worden sei.
Die Angaben St...s, dass er nur Feuer angemacht habe, um sich bei dem nasskalten Wetter zu trocknen und zu wärmen, wird – ganz abgesehen von der Unwahrscheinlichkeit, dass die zum größten Teile aus Rasenstücken errichtete Hütte so schnell in Brand geraten sein sollte – auch direkt widerlegt. Nicht weniger als drei Zeugen bezeugten einmütig, dass an jenem Tage keineswegs kaltes und regnerisches, sondern schönes Wetter gewesen sei, und einer der Zeugen hatte überdies mit eigenen Augen gesehen, wie St... Feuer auf dem Felde angemacht, dann brennenden Stoff auf zwei Stäben in die Hütte getragen und an deren vier Ecken gleichzeitig Feuer angelegt hatte.
Die Verhältnisse in der St...schen Familie waren durch die Rückkehr des Sohnes und dessen unbeschäftigtes Herumlungern wieder wesentlich getrübt worden. Namentlich klagte der junge St... darüber, dass ihn seine Mutter, die früher sehr liebevoll und freundlich zu ihm gewesen wäre, jetzt oft hart gescholten und dabei manchmal sogar gesagt habe, es wäre nicht schade um ihn, wenn er tot wäre, und der Vater habe ihn oft außerordentlich derb gezüchtigt.
Noch mehr, St... bemühte sich auch, das eheliche Leben seiner Eltern als unglücklich darzustellen und die Schuld davon der Mutter zuzuschieben; er behauptete, die Mutter sei dem Vater gegenüber unredlich gewesen und habe sogar einen Versuch, ihren Sohn zu vergiften, unternommen – Vorwürfe, die jeder Begründung ermangelten und bei der Untersuchung einwandfrei widerlegt wurden.
Der Vater stellte zwar nicht in Abrede, dass er manchmal die Geduld verloren und den faulen und liederlichen Sohn, der sich zum Übermaße auch noch der Mutter gegenüber auffahrend und widerspenstig benommen habe, hart gezüchtigt habe; er fügte aber ausdrücklich hinzu, dass die Mutter immer und bis zum Übermaß gütig und nachsichtig gegen den Sohn gewesen sei – eine Versicherung, welche von nicht weniger als fünf Personen, die mit den Verhältnissen der St...schen Familie bekannt waren, bestätigt wurde.
Ebenso widersprach der Vater der Behauptung seines Sohnes, als sei die Ehe mit seiner Gattin unglücklich und die Frau daran schuld gewesen. Ebenso bezeichnete er den angeblichen Vergiftungsversuch als eine lächerliche und widersinnige Erfindung. Und als solche erscheint in der Tat die Erzählung des jungen Verbrechers, seine Mutter habe ihm eines Tages zum Kaffeetrinken eine Tasse hingesetzt, in der man seit längerer Zeit blaue Farbe zum Stärken aufbewahrt habe. Erst nach ernstlichen Vorstellungen des Untersuchungsrichters erklärte St..., ohne jedoch die Unwahrheit aller dieser Anschuldigungen zuzugestehen, dass er nun wohl einsehe, wie er seine Mutter verkannt habe.
Zur ferneren Charakterisierung des St... dient, dass er nach wiederholter Versicherung seines Vaters sich auch den jüngeren Geschwistern gegenüber oft roh betrug: die kleine dreijährige Schwester verfolgte er mit allerlei boshaften Neckereien – so spritzte er ihr einmal einen Tintenfleck an das neu gewaschene Kleidchen, über das sie sich eben so sehr gefreut hatte – und wenn ihm der erst vierteljährige Säugling zur Wartung anvertraut wurde, behandelte er ihn entweder mit stürmischer Hast oder mit geflissentlicher Fahrlässigkeit.
Am 2. September 1849 hatte St... in Abwesenheit des Vaters Zank mit der Mutter über einen geringfügigen Gegenstand. Als sie nämlich früh Kaffee tranken, war keine Butter da, und St... fragte, was sie zu dem Brote essen sollten. Die Mutter entgegnete: »Brot«. St... entgegnete, das man doch zum Brote nicht Brot essen könne, und die Mutter meinte darauf, er solle doch nicht so dumm fragen. St... entgegnete, ihre Antwort sei noch viel verrückter; B... – ein Bewohner der Stadt – sei wegen seines Ausspuckens vor den Leuten auf die Irrenanstalt Sonnenstein gekommen, aber solche verrückte Antworten habe er nicht gegeben. Die Mutter wollte ihn darauf ins Gesicht schlagen, der Sohn hielt ihr aber die Hand. Der bei seiner Rückkehr davon unterrichtete Vater züchtigte den Sohn ungewöhnlich hart.
Das geschah am Vormittage. Unmittelbar nach dieser Züchtigung stieg in St... der Entschluss empor, sich an den beiden Eltern zu rächen. Am Nachmittag ging St... aus, um – was er am liebsten tat – zu fischen. Als er dazu keine Lust mehr hatte, lagerte er sich mit einem anderen Knaben auf dem Felde, und hier überließ er sich ganz der Erinnerung an die erlittene harte Strafe, deren schmerzhafte Nachwirkungen er noch an seinem Körper fühlte, vergegenwärtigte sich alles, was er, nach seiner Meinung unschuldig, durch die Mutter gelitten hatte, und fasste den Entschluss, beide Eltern zu ermorden. Sehr bezeichnend und dem durchaus unwahren und unredlichen Verhalten des Verbrechers entsprechend erscheint es, dass er die Entstehung dieses fürchterlichen Entschlusses einem früheren Arbeitsgenossen in die Schuhe schieben wollte, der eine Weile vorher geäußert habe, solche Eltern würde er sich vom Halse schaffen. Ganz abgesehen davon, dass dieser Arbeitsgenosse die Äußerung überhaupt abstritt, gestand St... später selbst zu, dass er sie damals nur so aufgefasst habe, als sollte er so schnell als möglich das elterliche Haus verlassen und sich anderswo um Arbeit bemühen.
An den ersten Entschluss reihten sich innerhalb der vier Wochen bis zu der Tat selbst die mannigfaltigsten Schwankungen in der Ernstlichkeit des verbrecherischen Vorsatzes und mehrfach wechselnde Pläne über die Art seiner Ausführung. Schon am 2. September nahm sich St... vor, die Mutter während der Abwesenheit des Vaters, der sich abends regelmäßig außer dem Hause befand, in ihrem Bette zu töten, dann dem Vater bei der Rückkehr aufzulauern, ihn mit einem Schlage zu betäuben, in die Stube zu schleppen und dort ebenfalls totzuschlagen. Um den Anschein zu erwecken, dass diese Mordtaten durch fremde Personen begangen worden seien, sollte der Sekretär in der Stube erbrochen, ein Fensterflügel ausgehangen und andere ähnliche irreführende Anstalten getroffen werden.
Ein andermal will er sich zur Vergiftung der beiden Eltern durch Beimischung von Arsenik in den Kaffee entschlossen, ein drittes Mal endlich seinen Plan dahin geändert haben, die Mutter zunächst durch einen Schlag zu betäuben und dann durch den Stich mit einer Nadel in den Augenwinkel und durch Einbohren in das Gehirn zu töten, so wie sich in einer Geschichte, die er einmal gelesen habe, einige Negersklaven ihrer Herren entledigt hätten. St... behauptet, er sei, seit er den entsetzlichen Plan gefasst und mit sich herumgetragen habe, wie von einer dunklen Gewalt zu dem Verbrechen getrieben worden; ein- oder zweimal sei er schon nahe daran gewesen, die Mutter im Bette zu erschlagen, und er habe sich vor sich selbst nicht anders retten können als dadurch, dass er die Schlafende aufweckte, und dieser Zustand habe sich namentlich während der letzten drei Tage vor dem 28. September ins Unerträgliche gesteigert.
Am Sonntage vor dem 28. September hat St... nach seiner Angabe beim Durchlesen einer Volksschrift Gelegenheit gefunden, einen Bibelspruch nachzuschlagen, der sagte, dass Gott den Gedanken wie die Tat ansehe. Von diesem Augenblicke war er nach seiner Aussage davon überzeugt, dass er schon seiner Gedanken wegen vor Gott, wenn auch nicht vor der Obrigkeit, aufs höchste strafbar sei, er habe sich nunmehr die Ausführung des beabsichtigten Mordes geschworen: und er sei davon überzeugt gewesen, dass er einen Meineid begehen würde, wenn er die eidlich beschlossene Tat nicht ausführte.
So nahte der 28. September. Am Abend dieses Tages war der Vater St... wie gewöhnlich ausgegangen, während seine Frau krank zu Hause lag und nach acht Uhr von einer Freundin, einer Auguste G..., besucht wurde. Während die beiden Frauen sich unterhielten, saß der älteste Sohn mit tief in das Gesicht hineingezogener Mütze am Tisch und schrieb aus einem Theaterstück Rollen aus. Um neun Uhr hörte St... auf zu schreiben und legte sich zu den Füßen des Sofas auf die Diele nieder. Das Gespräch zwischen den beiden Frauen ging weiter, man kam auf Kindererziehung zu sprechen, und die Mutter äußerte in bitterem Tone, es sei schlimm, wenn man alles an die Kinder gewendet habe und die Kinder dann wieder nach Hause kämen und dort herumlungerten. Bald darauf mischte sich der Sohn ins Gespräch: als die Mutter sagte, sie könne niemandem sagen, was für Schmerzen sie ausstehen müsse, äußerte er, es heiße ihr auch niemand, davon zu sprechen.
Gegen zehn Uhr entfernte sich die G..., und nun war St... allein mit seiner Mutter und seinen Geschwistern. Darüber, wie die Tat vor sich ging, wollen wir indessen den jugendlichen Mörder selbst berichten lassen.
»Die Rede meiner Mutter, in der sie mich der G... gegenüber schlecht machte, erbitterte mich so sehr gegen sie, dass ich mir vornahm, noch an diesem Abend meine Absicht auszuführen, um von ihr loszukommen. Ich hörte alles mit an, während ich auf der Diele lag und einschlafen wollte.
Ich sann es mir so aus: ich wollte meine Mutter erschlagen, ein Fenster zerbrechen, Sekretär und Brotschrank aufmachen und auch sonst Unordnung anrichten, dann aber die Stube zuschließen und mich mit meiner Luise zu Bett legen, als wenn nichts geschehen wäre.
Meinen Vater zu ermorden, daran dachte ich nicht. Ich glaubte, er würde, wenn er nach Hause käme, sich sogleich zu Bett legen und nicht erst in die Stube gehen, und wenn er mich ruhig im Bette fände, so könnte er, wenn er früh entdecken würde, was geschehen war, nicht auf den Gedanken kommen, dass ich der Täter gewesen sei. Auf diese Weise glaubte ich meine Absicht ausführen zu können, ohne entdeckt zu werden. Mit welchen Werkzeugen ich meine Mutter erschlagen sollte, wusste ich noch nicht, sondern vorläufig nur, dass ich es bestimmt an diesem Abend ausführen wollte.
Als die G... fort war, stand meine Mutter auf und löschte das Licht aus. Als sie wieder an ihr Bett ging, trat sie mich auf den Fuß, denn ich lag unterhalb des Kanapees. Ich erschrak darüber, denn ich lag halb und halb im Dusel, und fragte sie nach einer Weile, warum sie mich getreten habe, worauf sie erwiderte, es sei aus Versehen geschehen. Ich glaubte jedoch, es sei absichtlich geschehen, denn der Mond schien hell in die Stube, und sie konnte meine Füße sehen, und außerdem war ich nun einmal zum Argwohn gegen sie gereizt; deshalb sagte ich zu ihr: ›Ich weiß schon!‹ Meine Mutter sagte darauf: ›Nun, es wäre auch nicht schade, wenn ich dich totgetreten hätte.‹ Durch diese Worte wurde meine Wut immer mehr gesteigert. Jetzt fing Rudolf an, sich zu regen, ohne dass meine Mutter darauf hörte. Das erbitterte mich immer mehr, denn ich glaubte, sie wollte es nicht hören, dass ich ihn wiegen sollte. Das tat ich auch, aber die Wut in mir wurde immer heftiger; meine Angst war furchtbar, mein Zustand immer aufregender, und es drängte mich immer mehr zur Tat hin.
Je unruhiger mein kleiner Bruder wurde, desto wütender war ich auf meine Mutter, weil sie nicht munter werden wollte; ich machte den Zulp für den Rudolf in meinem Munde feucht, damit er ruhig werden sollte, allein er wurde nicht ruhig; ich wiegte ihn, aber auch das half nichts; ich ging zum Ofentopf hin und machte den Zulp im Wasser nass, allein der Rudolf wollte nicht ruhig werden. Als ich den Zulp nass machte, sah ich, dass die Tür zur Küche offen stand; ich wollte sie zumachen, da fiel mein Blick auf die Axt, die in der Küche am Brotschranke lehnte, und ich nahm sie mit herein, weil ich ja doch an jenem Abende meinen Plan vollbringen wollte.
Ich legte die Axt unter die Wiege des Kindes, da ich plötzlich die Absicht, meinen Plan auszuführen, wieder aufgegeben hatte; aber bald darauf zog ich sie wieder hervor, um die Tat doch noch zu vollbringen. Ich legte sie dann noch einmal unter die Kommode, nahm sie aber gleich wieder hervor, um sie fort zu tragen, denn ich wollte nun doch die Tat nicht ausführen. Nun musste ich aber meinen Rudolf wieder wiegen: ich legte die Axt auf die Wiege. Ich war in einem angstvollen Zustande; bald trieb mich die Wut gegen meine Mutter, die zudem nicht aufwachen und das Kind nehmen wollte, sie zu erschlagen, bald dachte ich wieder daran, was für ein großes Verbrechen das wäre, welches ich begehen wollte. Die Gedanken jagten nur so durch meinen Kopf, und ich wusste mich kaum mehr zu fassen. Jetzt bewegte sich meine Mutter, sie lag erst mit dem Kopfe nach der Wand zu und hatte meine Luise umschlungen, nun legte sie sich auf die linke Seite, mit dem Kopfe nach der Stube gewendet; da glaubte ich, sie könne erwachen und die Axt in meinen Händen sehen, die ich eben forttragen wollte, weil meine Wut wieder nachgelassen hatte, da Rudolf ruhig geworden war. Ich fürchtete mich aber vor der Strafe und schlug zu; ich schlug auf die Stirn in die Gegend über dem rechten Auge, und zwar schlug ich mit Fleiß auf den Kopf, um sie zu töten; die Axt hatte ich unter dem Griffe angefasst.
Wie ich diesen Schlag getan hatte, war alles ruhig, es schlug gerade drei Viertel zehn Uhr – ich besann mich, was ich getan hatte, es überlief mich eiskalt, die Beine zitterten mir, es wurde mir ganz drehend im Kopfe, ich sagte vor mich hin: Du bist ein Mörder! und taumelte rücklings hin; es war mir, als wenn mir jemand einen Schlag gegeben hätte, dass ich hinstürzen müsste. Als die Tat geschehen war, da war alles wie umgewandelt in mir, da wollte ich, ich hätte das nicht getan, was ich getan hatte. Jetzt fing auch noch mein Rudolf an zu schreien; ich glaubte, er könnte mich entdecken durch sein Schreien, auch dauerte er mich, denn ich dachte, er müsse so sterben, weil er meist nur Muttermilch zu sich nahm, und die Mutter hielt ich für tot, und deshalb gab ich auch ihm ein paar Schläge mit der Axt. Meine Mutter hatte bis jetzt keinen Laut von sich gegeben, sondern ganz still gelegen; auf einmal aber atmete sie wieder. Ich erschrak, dass sie noch lebte, denn ich hatte sie wohl töten wollen, doch dass sie so lange leiden sollte, das wollte ich nicht; deshalb schlug ich sie noch einmal mit der Axt auf den Kopf. Nun riss ich meine Luise von ihr weg und trug sie in die Kammer hinüber; ich wollte mich mit ihr schlafen legen, allein ich hatte keine Ruhe in der Kammer; ich rannte wieder hinüber in die Stube, meine Mutter atmete, und mein Rudolf lebte auch noch, und so schlug ich nochmals mit der Axt auf den Kopf meiner Mutter und meines Bruders los.
Dann nahm ich auch den Hammer her, der unter der Ofenbank lag. Luise hatte Kerne aufgeschlagen und ihn hier liegen lassen; ich bemerkte ihn nicht zufällig, denn ich wusste, wo er lag, und nahm ihn mit an das Bett hin, als ich die Axt holte. Ich dachte mit beiden Werkzeugen zu schlagen, damit es zweierlei Wunden gäbe und man desto weniger erraten könne, womit die Tat geschehen sei. Ob ich mit der Schärfe der Axt oder mit ihrem Rücken, mit der spitzen oder der breiten Seite des Hammers zuerst geschlagen habe, das weiß ich nicht mehr; ich habe wohl so hingehauen, wie ich sie in die Hände bekam. Ich weiß auch nicht, wie viele Male ich mit der Axt oder mit dem Hammer zugeschlagen habe, nur das weiß ich noch, dass ich erst mit der Axt und dann mit dem Hammer zugeschlagen habe, weil ich dachte, die Axt sei nunmehr nicht mehr notwendig.
Jetzt fing meine Schwester wieder an zu schreien; meine Angst wurde immer grässlicher, während ich doch gedacht hatte, sie würde nach der Tat verschwinden: und meine Mutter und mein Bruder atmeten immer noch. Ich hieb deswegen immer wieder hin; dann lief ich in die Kammer, warf die Axt auf den Kopf meiner Mutter, nahm den Hammer mit mir, um ihn wieder in den Kasten, in den er gehörte, zu legen und eilte in die Kammer. Als ich dorthin kam, fühlte ich, dass meine Hände klebrig waren. Ich ging ans Fenster und sah, dass Blut daran war. Darauf warf ich den Hammer unter die Bettstelle, damit er mich nicht verraten sollte; ich dachte nämlich, dort findet ihn niemand. Das Blut mochte von meiner Mutter sein, denn nach dem dritten Schlage hatte der Kopf zu bluten angefangen. Nun legte ich mich zu meiner Luise ins Bett, weil sie so schrie; aber ich hatte keine Ruhe und wusste nicht, was ich machen sollte. Bald lief ich in die Stube hinüber, denn ich dachte, es sei ein Traum, und es könne gar nicht möglich sein, dass ich die Tat vollbracht hätte, wenn ich aber meine Mutter beim Mondenschein in ihrem Blute liegen sah und sie und den Rudolf röcheln hörte, dann sah ich wohl ein, was ich getan hatte, und dass es kein Traum war.
Dann legte ich den Stubenschlüssel und auch den Kammerschlüssel in die Stube, schmiss die Stubentür zu und ging bald in der Kammer, bald auf dem Boden auf und nieder: ich wusste nicht, was ich machen sollte. Gleich nachdem ich die Tat vollbracht hatte, wollte ich mich in der Fronfeste stellen; als aber meine Luise schrie, dachte ich, dass mir das doch nichts nützen könnte, denn dann könnte ich nicht mit meiner Luise zusammenleben und hätte das Verbrechen umsonst begangen. Meine Absicht war vor der Tat, mich mit meiner Luise irgendwo einzumieten und ein ruhiges und glückliches Leben mit ihr zu führen, da ich hoffte, mir durch Abschreiben das Nötigste zu meinem und ihrem Lebensunterhalte verdienen zu können. Deshalb zog ich es wieder vor, mich zu meiner Luise zu legen und der Sache den Anschein zu geben, als habe es eine fremde Person getan. Ich schloss deshalb die Stube ab und ging in die Kammer, um dort die Heimkunft des Vaters abzuwarten. Ich fand aber auch jetzt noch keine Ruhe, ich kann den Zustand, in dem ich war, nicht beschreiben; Angst, Reue, Furcht, alles bemächtigte sich meiner.
Endlich kam mein Vater nach Hause, das war vielleicht halb elf Uhr. Die Tat werde ich halb zehn Uhr oder drei Viertel zehn Uhr vollbracht und ungefähr fünf Minuten lang auf meine Mutter und meinen Bruder eingeschlagen haben. Als mein Vater kam, hatte ich mich in die Kammer eingeschlossen, aber ich war munter, ich konnte nicht schlafen, sondern hatte meine Luise auf dem Arm, weil sie ihre Notdurft verrichten wollte. Mein Vater klopfte und rief; nun machte ich auf – aufgestanden war ich schon – und als mein Vater fragte, was es heißen solle, dass ich die Türen zugemacht habe, sagte ich ihm, die Mutter habe mir gesagt, ich solle zu Bett gehen, und die Schlüssel seien in der Stube.
Mein Vater zankte und schimpfte, dass wir schon zu Bett gegangen seien und er nicht in die Stube könne, denn die Mutter stöhne drinnen und sei wahrscheinlich krank; man hörte meine Mutter wirklich durch das Schlüsselloch röcheln. Allerdings wurde in der Regel die Stube abgeschlossen und der Schlüssel hineingelegt, aber der Kammerschlüssel blieb stets stecken an der Kammertür, damit mein Vater hineinkonnte; ich hatte ihn aber auch abgezogen und in die Stube hineingelegt, ich weiß eigentlich gar nicht recht warum. Ich sagte nun meinem Vater, er solle die Luise nehmen, weil sie schrie, und ich wollte zum Schlosser gehen; das wollte er jedoch nicht. Ich aber hatte mir inzwischen wieder vorgenommen, mich zur Strafe zu stellen, um vielleicht dadurch Ruhe zu finden und von meiner Angst befreit zu werden, und stellte daher meine Luise neben ihn hin und lief fort in die Fronfeste. Ich fürchtete mich auch vor meinem Vater, aber ich hatte es mir schon, ehe er kam, vorgenommen, in die Fronfeste zu gehen; ich konnte nur meine Luise nicht allein lassen und musste deshalb den Vater erwarten.«
Als man ihn wegen des zerbrochenen Fensters befragte, wollte St... anfangs nicht zugeben, dass er es absichtlich zerschlagen habe, gestand es aber dann ein, indem er hinzufügte: »Erst versuchte ich es hinauszuschlagen, aber nachher machte ich das Fenster auf und schlug es einwärts nach der Stube entzwei, so dass es aussah, als sei die Scheibe von außen eingedrückt worden. Ich ließ das Fenster offen stehen, damit es auch den Anschein gewinnen sollte, als sei jemand eingestiegen gewesen. Das tat ich alles, als ich noch die Absicht und den Wunsch hatte, unentdeckt zu bleiben. Aber als ich mir später vorgenommen hatte, mich auf der Feste zu stellen, machte ich das Fenster wieder zu.«
Als man ihm sagte, durch das Zerbrechen des Fensters fiele aber doch der Verdacht auf ihn, dass er den Plan vom 2. September habe ausführen und also auch seinen Vater habe ermorden wollen, entgegnete er: »Nein, das wollte ich nicht; ich hätte es doch tun können, ich hatte nicht bloß an jenem Abend, sondern auch andere Male die Gelegenheit dazu, wenn ich mit ihm allein auf dem Boden war; gegen meinen Vater hatte ich nichts mehr vor.« Auf den Einwurf, dass dieser Verdacht sowie der, dass er auch die Schwester Luise noch habe ermorden wollen, auch noch dadurch unterstützt werde, dass er den Hammer mit in die Kammer genommen habe, sagte er: »Das tat ich bloß, um ihn zu verstecken und mich nicht zu verraten; ich wollte ihn in den Handwerkszeugkasten legen, aber weil er blutig war, warf ich ihn unter die Bettstelle. Meine Luise hatte ich doch im Bett der Mutter erschlagen können, wenn ich es hätte tun wollen, da hätte ich sie nicht in die Kammer zu tragen brauchen,«
Es wurde weiter die Frage an ihn gerichtet, warum er denn die Axt nicht beiseite geschafft habe. Seine Antwort war: »Ich mochte sie nicht angreifen, weil ich bei dem hellen Mondscheine gewahrte, dass sie voll Blut war; sonst hätte ich sie auch fort getragen.«
Auf die Frage: »Erschütterte dich der Anblick des Blutes deiner Mutter an deinen Händen nicht?« erwiderte er: »Ich habe bei meinem Vater viel Blut gesehen, beim Aderlässen, Schröpfen, Zahnausziehen und dergleichen; das hat mich nicht gerührt, ich habe Blut stets ganz gleichgültig fließen sehen – aber dass das Blut meiner Mutter durch mich geflossen war, das erschütterte mich.«
Man wollte auch von ihm wissen, ob er den Wunsch habe, hingerichtet zu werden; darauf bekannte er, auf dem Schafott hingerichtet werden möchte er nicht, aber wenn er erschossen würde, machte er sich weiter nichts daraus. Wünschen tue er sich den Tod nicht, aber wenn er käme, wäre es ihm auch gleich.
Dass die Tat des St... als Mord anzusprechen sei, darüber konnte nicht der mindeste Zweifel sein. Vier Wochen lang hatte der Verbrecher den gefassten Entschluss, sich der Mutter zu entledigen, genährt, war nach manchem Zögern und Schwanken immer wieder auf ihn zurückgekommen und hatte bei dem Angriffe selbst mit voller Überlegung gehandelt. Anders war es mit der Tötung des kleinen Bruders. St... leugnete in dieser Beziehung allen Vorbedacht ab und wurde dessen auch nicht überführt; denn wenn auch das eine der angegebenen Motive, Mitleiden mit dem mutterlos gewordenen Säugling, bei dem Charakter des jugendlichen Verbrechers wenig Glauben verdiente, so ließ sich doch annehmen, dass das andere Motiv, Furcht vor Entdeckung durch das Geschrei des wach gewordenen Kindes, stark genug gewesen ist, um einen Menschen dieser Art zu rascher Tötung zu treiben.
So beurteilte das betreffende Richterkollegium erster Instanz, dem die Sache nach Ende der Untersuchung übergeben worden war, St...s Verbrechen. Das Urteil lautete in Hinsicht auf die Tötung der Mutter auf Mord, in Hinsicht auf die des Bruders auf Totschlag und verdammte ihn zu einer fünfzehnjährigen Zuchthausstrafe zweiten Grades.
Dabei hielt man sich nicht für berechtigt, anzunehmen, dass der Verbrecher die Absicht gehabt habe, am Abend des 28. September auch noch die übrigen Glieder der Familie, Vater und Schwester, zu töten. Die anderen Verbrechen, die St... zur Last gelegt wurden, nämlich Brandstiftung und hochverräterische Bestrebungen, fielen neben dem Mord fast kaum ins Gewicht, der allein die Todesstrafe nach sich gezogen hätte, wenn der Verbrecher nicht im jugendlichen Alter gestanden hätte.
Die zweite Instanz bestätigte das Urteil der ersten, und im September 1850 wurde der junge Verbrecher nach dem Zuchthause abgeführt.
1834 geboren, 1850 ins Zuchthaus gebracht, 1865 entlassen, ein einunddreißigjähriger junger Mann – wir wissen nicht, was aus ihm geworden ist. Aber schon das, was wir bis hierhin kennen, lässt uns schaudern vor einem so verfehlten Leben. Wir können nicht klar scheiden: aus eigener Schuld oder aus Irrung der Natur; aber das prägt sich uns allen bis ins tiefste ein, dass hier ein Fall vorliegt, der nur darum nicht völlig an der göttlichen Bestimmung der Menschennatur irre machen kann, weil er sie uns in einer Entartung zeigt, die über alles Maß hinausgeht – also immer ein grausiger Einzelfall bleiben wird.
Quellen - Willibald Alexis - Geschichten aus dem Neuen Pitaval
4. Timm Thode, der Mörder seiner Familie - (Achtfacher Mord.) 1866 bis 1868
In der Nacht vom 7. zum 8. August des Jahres 1866 wurden die Gebäude eines zum adeligen Gute Groß-Kampen in Holstein gehörigen, nahe dem Ufer der Stör gelegenen Hofes ein Raub der Flammen. Herzugeeilte Nachbarn fanden die Scheune bereits in lichten Flammen stehend, sie drangen, da von den Bewohnern niemand zu sehen war, durch ein Fenster in das äußerlich von dem Feuer noch nicht ergriffene Wohnhaus und schleppten vier der Insassen, welche durch den dichten, das Schlafzimmer erfüllenden Rauch erstickt oder doch betäubt zu sein schienen, aus ihren teils stark glimmenden, teils bereits in lichten Flammen stehenden Betten in das Freie. Weitere Rettungsversuche wurden durch das rasche Umsichgreifen des durch den Luftzug angefachten Feuers vereitelt. Als man jene vier Personen näher besichtigte, machte man die Entdeckung, dass dieselben nicht allein bereits entseelt, sondern auch eines gewaltsamen Todes gestorben waren.
Der Hof, zu welchem die eingeäscherten Gebäude gehörten, hatte seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts im eigentümlichen Besitze einer Familie Thode gestanden und war zuletzt bereits seit mehr als 30 Jahren in den Händen eines gewissen Johann Thode gewesen. Dieser bewohnte und bewirtschaftete den Hof zur Zeit des fraglichen Ereignisses mit seiner Familie, bestehend aus seiner Ehefrau, fünf Söhnen im Alter von 14 bis 24 Jahren, und einer achtzehnjährigen Tochter. An Dienstleuten wurde nur eine Magd im Alter von 18 Jahren gehalten. Der Besitzer Johann Thode, ein mit außergewöhnlicher Körperkraft begabter Mann, stand um die fragliche Zeit im rüstigen Mannesalter von etwa 50 Jahren. Seine ebenfalls etwa 50 Jahre alte Ehefrau war von schwächlicher Konstitution.
Die Bewirtschaftung des Hofes konnte für gewöhnlich von den vier erwachsenen Söhnen mit Leichtigkeit ohne fremde Leute besorgt werden, während die Tochter mit Hülfe der Mutter und einer Dienstmagd das Hauswesen leitete. Der Umstand, dass man fremde Arbeitskraft selten bedurfte, trug wesentlich dazu bei, die Vermögenslage des alten Thode, welche schon von Haus aus gut war, in raschem Wachsen von Jahr zu Jahr günstiger zu gestalten. Sein Besitztum bestand zur Zeit des Brandes in einem schuldenfreien Hofe im Werte von etwa 60000 Thlrn. und Kapitalien im Betrage von mindestens 40000 Talern. Die Lebensweise der Familie war eine außerordentlich eingeschränkte und sparsame, der jährliche Aufwand für den Hausstand ein sehr geringer. Sämtliche Kinder waren mit Ausnahme des zweitältesten Sohnes, welcher wiederholt eine Zeit lang auswärts gedient hatte, stets im elterlichen Hause geblieben.
Das Verhältnis zwischen Vater und Söhnen und das der letztern untereinander trug zwar keinen herzlichen Charakter, doch war dasselbe, soweit man im Publikum davon Kenntnis hatte, im Vergleich zu dem in andern Bauerfamilien herrschenden Tone nicht gerade als auffallend schlecht zu bezeichnen. Mutter und Tochter bildeten dagegen das weichere Element im Hause, sie suchten, wenn auch oft ohne Erfolg, die zwischen den männlichen Familiengliedern vorkommenden Differenzen nach Kräften auszugleichen. Der Umgang der Familie Thode beschränkte sich auf gelegentliche Besuche bei den Nachbarn. Auch die Söhne verkehrten wenig mit ihresgleichen, indes pflegten sie die öffentlichen Lustbarkeiten in dem nahen Dorfe zu besuchen. Diese zurückgezogene Lebensweise hatte ihren Grund in der Sparsamkeit der Eltern sowohl als der Kinder.
So standen die Dinge auf dem Thode'schen Hofe bis zum 8. August des Jahres 1866. Die Nacht von diesem auf den nächstfolgenden Tag war eine außerordentlich stürmische. Eine Stunde nach Mitternacht wurde der Besitzer des dem Thode'schen zunächst benachbarten, etwa 3-400 Schritt entfernt gelegenen Hofes durch ein lautes Stöhnen geweckt, welches von einem neben dem Fenster seines Schlafzimmers liegenden Wesen herzurühren schien. Er stand auf und trat mit seiner Frau und seinem Sohne vor die Thür, hier erblickten sie einen Menschen, welcher mit dem Ausrufe: »Ach Gott, unser Haus brennt«, zusammensank. Es war der zweitälteste Sohn des Johann Thode mit Vornamen »Timm«; die Nachbarn trugen den anscheinend Leblosen in das Haus und setzten ihn vorläufig im Wohnzimmer auf einen Stuhl. Die Frau bemühte sich, den vermeintlich Bewusstlosen in das Leben zurückzurufen, Vater und Sohn aber eilten auf die Brandstätte.
Am nächsten Tage wurde der Vorfall dem kompetenten Gerichte angezeigt und es fand infolge dessen die Obduktion der vier dem Feuer entrissenen Leichen statt. Die Toten waren der alte Thode, seine Ehefrau, die Tochter und der jüngste Sohn; es fehlten mithin vorerst noch der älteste, der dritte und der vierte Sohn, sowie die Dienstmagd. Auch ihre Leichen wurden im Laufe des Tages unter den Trümmern vorgezogen. Die Obduktion ergab, dass sechs der umgekommenen Personen unzweifelhaft eines gewaltsamen Todes gestorben waren, an der Leiche des nächst jüngsten Sohnes dagegen sowie an der der Dienstmagd ließen sich durch Menschenhand zugefügte Verletzungen wegen der weit fortgeschrittenen Verbrennung mit Sicherheit nicht konstatieren.
Sämtliche Leichen waren teilweise bekleidet, die Leiche des alten Thode mit der seiner Ehefrau, die der Tochter mit der des jüngsten Sohnes zusammen in den beiden im Familienschlafzimmer befindlichen Betten gefunden worden; den Leichnam der Dienstmagd und den des nächst jüngsten Sohnes fand man innerhalb der Betträume, resp. in der Mägde- und Knechtekammer, während die Leichen des ältesten und des dritten Sohnes im Pferdestalle übereinander lagen.
Der Leichnam des alten Thode zeigte an der rechten Seite des Kopfes eine Hautwunde von reichlich 1½ Zoll Breite mit scharfgeschnittenen Rändern und unter derselben eine weitgehende Schädelfraktur, vermöge deren das rechte Schläfenbein, nach hinten zu bis in den Felsendteil desselben, sowie das Seitenwandbein mit einem Teile der obern Wand der Augenhöhle derart gespalten war, dass die gespaltenen Teile des Felsenbeins, des Schläfenbeins und des Augenhöhlendteils des rechten Stirnbeins drei leichtbewegliche Knochenfragmente bildeten. Weitere äußere Verletzungen fanden sich an der Leiche nicht. Das Gesicht und ein Oberschenkel waren teilweise verkohlt.
Am Körper der Ehefrau Thode bemerkte man außer einer großen Anzahl Hautwunden, namentlich am Ohr und an den Händen, ebenfalls mehrere Schädelbrüche und eine völlige Zertrümmerung der Gesichtsknochen, insbesondere des Nasenbeins. Auch diese Leiche war an der einen Seite, am Gesicht und Arme stark verkohlt; in der linken Hand fand man einige schwarze Röhrchen, welche man für Glasperlen hielt. Mit noch weit mehr Wunden war der Körper der Tochter bedeckt. Außer einer gewaltigen Fissur des Schädels ließen sich am Kopf, Hals, Armen, Schultern und Händen nahezu vierzig verschiedene Verletzungen nachweisen.
An der Leiche des jüngsten Sohnes fand sich an der rechten Seite des Kopfes ohne Verletzung der äußern Kopfhaut eine doppelte gewaltige Fraktur des Schädelknochens.
Der eine der beiden im Pferdestalle gefundenen Leichname, welchen man an den Resten eines Backenbartes als den des ältesten Sohnes erkennen wollte, war am Kopf, Hals und an den Extremitäten in hohem Grade verbrannt, an der linken Seite des Schädels nahm man eine ausgedehnte Zersprengung bis in die Grundfläche hinein und außerdem mehrere dreieckig gestaltete Defekte des Schädelknochens wahr.
An der zweiten innerhalb des Pferdestalles gefundenen Leiche, deren Gesicht und Extremitäten fast vollständig verkohlt waren, zeigten sich eine Zerschmetterung der vordern Schädelpartie und der Grundfläche des Schädels, sowie eine vollständige Zertrümmerung der obern Hälfte des Gesichts. Eine Recognition dieses Leichnams war unmöglich. Ebenso wenig konnten die beiden in der Mägde- und der Knechtekammer aufgefundenen Leichname recognoscirt werden, der Verbrennungsprozess war so weit fortgeschritten, dass von den Körpern nur noch Reste des Schädels sowie ein Teil des Rumpfes unversehrt geblieben waren. Übrigens ergab sich aus dem Knochenbau der in der Mägdekammer gefundenen Leiche, sowie aus einigen Kleidungsstücken, dass dieselbe eine weibliche, und aus dem Umstände, dass sie in der Mägdekammer gefunden wurde, dass sie die der Dienstmagd sein musste.
In Betreff des in der Knechtekammer gefundenen Leichnams ließ sich aus den Überbleibseln einer Samtweste und aus den Resten der Geschlechtsteile schließen, dass es ein männlicher Körper war.
Auf der Brandstätte wurde bei Wegräumung des Schuttes an Sachen, welche für die Entdeckung der Mörder wichtig werden konnten, aufgefunden: ein Beil, anscheinend alt, jedoch außerordentlich scharf, mit einer etwa sieben Zoll langen Schneide und 1½ Zoll breitem Rücken, an dessen Rückseite auffallender Weise ein Charnier angeschweißt war. Das Beil lag in der Knechtekammer, in welcher drei der Thode'schen Söhne geschlafen hatten. Außerdem fand man im Pferdestalle eine silberne Zylinderuhr, und neben derselben einen preußischen Taler, ferner in dem Zimmer, in welchem der überlebende Sohn geschlafen hatte, verschiedene Geldstücke.
Weiter wurde eine goldene Brosche und Kette, sonst jedoch von Geld oder Wertsachen auf der Brandstätte nichts gefunden. In dem Garten neben dem Hause lagen ein vollständiges Bett und eine Anzahl männlicher Kleidungsstücke, ohne dass man ermitteln konnte, von wem diese Sachen dorthin getragen sein möchten. Unter dem Schutte in der Nähe der Knechtekammer entdeckte man den Kadaver eines großen Hundes. Es waren jedoch notorisch zwei Hunde auf dem Hofe gewesen; der Leichnam des zweiten war verschwunden und der des ersten so stark verbrannt, dass sich Spuren von Gewalttätigkeit nicht nachweisen ließen.
Das Gutachten der Gerichtsärzte über die Todesart der acht Personen, deren Leichen sie obduziert hatten, ging dahin: Sechs dieser Personen seien unzweifelhaft eines gewaltsamen Todes durch Menschenhand gestorben, während sich diese Todesursache an der Leiche des einen der Thode'schen Söhne sowie an der der Dienstmagd infolge der starken Verkohlung nicht habe konstatieren lassen. Es sei mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass mindestens zwei Mordwerkzeuge gebraucht worden seien, ein stumpfes und ein schneidend und stechend wirkendes.
Jedoch sei nicht an jeder Leiche die Anwendung der beiden Instrumente nachzuweisen, vielmehr könne man nur so viel behaupten, dass an sämtlichen sechs Leichen sich sichere Spuren eines stumpfen und an den Körpern der Thode'schen Tochter und der Ehefrau Thode Spuren eines schneidenden und stechenden Werkzeuges fänden. Ob die an sämtlichen Leichen gleichmäßig wahrgenommenen, von der Einwirkung eines stumpfen Instruments herrührenden Schädelfrakturen durch ein und dasselbe stumpf wirkende Werkzeug hervorgebracht wären, sei ungewiss, es bliebe trotz der auffallenden Ähnlichkeit sämtlicher Schädelverletzungen die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass noch ein zweites stumpfes Instrument zur Anwendung gekommen sei.
Über die Beschaffenheit der Mordwerkzeuge sprachen sich die Gerichtsärzte dahin aus, dass der Mörder wahrscheinlich eine langgestielte schwere Axt mit scharfer, rechtwinkelig begrenzter Schneide von nicht viel über 3 Zoll Länge, und einer scharfkantigen Rückenfläche von etwa 1½ Zoll Breite benutzt und als Hilfswerkzeug zur Ermordung der Thode’schen Tochter und der Ehefrau Thode vermutlich ein scharfes, spitziges Messer verwendet habe.
In Betreff der Lage, in welcher sich die umgekommenen acht Personen zur Zeit ihres Todes möchten befunden haben, ging das gerichtsärztliche Gutachten dahin, dass dieselben sämtlich, mit Ausnahme der Dienstmagd, welche im Bette liegend ihren Tod gefunden zu haben scheine, wahrscheinlich außerhalb des Bettes um das Leben gekommen seien. Derjenige, von dem hauptsächlich Aufklärung über die grauenhafte, in Dunkel gehüllte That zu erwarten stand, lag auf dem Nachbarhofe nach Angabe des Arztes bewusstlos danieder, das Untersuchungsgericht that daher auf eigene Hand die nötigen Schritte, um den Mördern auf die Spur zu kommen.
Es hatte sich der Bewohner der umliegenden Marschen ein beispielloser Schrecken bemächtigt, welcher einen Ausdruck fand in der an das Oberkommando der in Holstein befindlichen Truppen gerichteten Bitte der Eingesessenen des dem Thode'schen Hofe zunächst gelegenen Dorfes Beidenfleth und Umgegend: zeitweilig eine Abteilung Militär dorthin zu kommandieren. In Gewährung dieser Bitte wurde zum Zweck tunlichster Beruhigung der Gemüter die achte Compagnie des dritten westfälischen Landwehrregiments Nr. 16 vorläufig nach Beidenfleth verlegt.
Überdies setzte das Oberpräsidium für Schleswig-Holstein eine Belohnung von 400 Talern. preuß. Courant auf die Entdeckung der Mörder der Familie Thode. Die Bauern selbst durchstreiften die Umgegend; der den Thode'schen Hof umgebende Graben wurde abgelassen, verdächtige Individuen wurden eingezogen, die Besitzer der Schiffe und Kähne, welche während der Mordnacht auf der Stör in der Nähe des Thode'schen Hofes gelegen hatten, sowie Nachbarn und Verwandte vernommen; indes alles ohne den geringsten Erfolg.
Das Publikum hatte sich, wie das bei schweren Verbrechen jederzeit zu geschehen pflegt, rasch und entschieden eine Meinung in Betreff der Täterschaft gebildet, jedoch wurden in diesem Falle gleich anfangs zwei verschiedene Ansichten laut und mit lebhaftem Interesse, ja mit Gereiztheit verfochten. Die Mehrzahl glaubte, dass eine Bande von Räubern den Wasserweg eingeschlagen und den Thode'schen Hof überfallen habe; der einsichtigere und mit den Thode'schen Verhältnissen näher vertraute Teil der Bevölkerung war dagegen geneigt, den überlebenden Timm Thode nicht für ganz unbeteiligt an der That zu halten. Die Anhänger der letzten Meinung waren indes darüber wiederum unter sich uneinig, ob Thode das Verbrechen allein, oder ob er es mit Hülfe anderer ausgeführt habe.
Timm Thode war in der Mordnacht, wie wir wissen, anscheinend bewusstlos am Hause seines Nachbars aufgehoben worden. Dicht bei ihm standen zwei Kästen und um ihn herum lag ein Haufen von bessern männlichen Kleidungsstücken. Der sofort vom nächstgelegenen Dorfe herbeigerufene Arzt fand den Timm Thode auf einem Stuhle sitzend, mit nach vorn geneigtem, stark gerötetem Gesichte, die Kiefer fest aufeinander geschlossen, anscheinend in tiefen Schlaf versunken, aus welchem er durch kein Rütteln und Stoßen zu erwecken war.
Der Puls zeigte eine Frequenz von 112–120 Schlägen in der Minute, die Augen waren geschlossen und beim Öffnen der Lider starr und ausdruckslos, jedoch reagierten die Pupillen, wenngleich schwächer als im Normalzustande. Dem Patienten gewaltsam eingeflösstes Wasser floss unverschluckt wieder heraus. Man zog dem Kranken die Oberkleider aus und brachte ihn ins Bett, dann wurden ihm auf Anordnung des Arztes in der Schläfengegend Blutegel gesetzt, indes ohne sichtliche Einwirkung auf seinen Zustand.
Der Arzt entfernte sich und ließ eine Wärterin zur Beobachtung des Patienten zurück. Inzwischen kamen mehrere Personen aus der Nachbarschaft, die neugierig waren, den Timm Thode zu sehen; sie besprachen, ohne Rücksicht auf ihn zu nehmen, die Vorgänge auf der Brandstätte. Als am folgenden Tage mittags der Arzt in Begleitung des Physikus seinen Besuch wiederholte, hatte sich im wesentlichen bei dem Patienten nichts geändert, nur beobachtete man, dass er sich wiederholt willkürlich bewegte, namentlich ohne Hülfe sich von der einen Seite auf die andere legte, Schlingbewegungen machte und mit den Mundwinkeln zuckte.
Übrigens aber war er durch keine Mittel aus seinem lethargischen Schlafe zu erwecken. Die Bekleidung des Thode bestand zu der Zeit, als man ihn in das Haus trug, in einem gestreiften baumwollenen Oberhemde, einem unter diesem befindlichen leinenen Hemde, einer auf bloßem Leibe getragenen wollenen Jacke, einem schmutzigen, geflickten Beinkleide von englischem Leder, aus Strümpfen und ledernen Pantoffeln. Außerdem trug er gehörig angeknöpfte lederne Tragbänder und eine mit einer Litze um den Hals geschlungene silberne Zylinderuhr.
In den Taschen der Beinkleider staken zwei Taschenmesser und ein ledernes, 12-13 Talern preuß. Courant enthaltendes Portemonnaie. Bei einer Untersuchung seines Körpers und seiner Kleider fanden sich an der Innenseite des auf bloßem Leibe getragenen Hemdes einige etwa Erbsen große Blutspuren, und an der linken Seite des Beinkleides ein größerer Fleck wie von abgewischtem Blute. Erstere erklärte Thode später von kleinen Geschwüren herstammend, an welchen er häufig leide. Letzterer sollte nach seiner Angabe daher rühren, dass er im Laufe des Sommers beim Mähen sich in den Finger geschnitten und das Blut an seinem Beinkleide abgewischt habe.
Am Hinterkopfe des Thode fanden die Ärzte eine etwas erhabene, kahle Stelle von geringem Umfange, jedoch ohne eine Spur von Sugillation, über deren vermutliche Entstehung sie sich dahin äußerten, dieselbe könne möglicherweise daher rühren, dass Thode vor dem Nachbarhause ohnmächtig niedergeschlagen sei. Während der Besichtigung seines Körpers, ja selbst während ihm das Haar an der gedachten Stelle des Hinterkopfes abgeschoren wurde, schien der Patient von allem, was mit ihm und um ihn vorging, durchaus nichts zu empfinden.
Dieser Zustand anscheinender vollständiger Bewusstlosigkeit dauerte ohne merkliche Veränderung bis zum Morgen des 9. August, also im Ganzen etwa 30 Stunden. Um diese Zeit schlug Timm die Augen auf und antwortete deutlich und klar, nur mit etwas schwerfälliger, tonloser Sprache, auf alle ihm von den Ärzten vorgelegten Fragen, indem er nur noch über Schwindel, Schwäche in den Beinen und heftige Schmerzen im Hinterkopfe, namentlich in der Gegend der von den Ärzten untersuchten Stelle klagte.
Nachdem er sodann eine für ihn bereitete Suppe gegessen und danach wieder bis zum Nachmittage etwa gegen 4 Uhr anscheinend geschlafen hatte, war in seinem Befinden eine augenscheinliche Besserung bemerkbar. Die Augen hatten den Ausdruck der Starrheit fast gänzlich verloren, er antwortete mit völliger Klarheit auf alle Fragen. Jetzt erst erkundigte sich Thode, woher es komme, dass seine Eltern und Geschwister ihn nicht besuchten, beruhigte sich aber sofort, als man ihm antwortete, dass er erst vollkommen genesen sein müsse, ehe er Besuche empfangen dürfe. Von da ab schritt die Genesung des Patienten rasch vorwärts.
Inzwischen waren die beiden Kästen, welche man in der Mordnacht mit Thode zugleich aufgehoben hatte, geöffnet und in dem einen derselben Werthpapiere im Belaufe von 16 – 17000 Thlrn. preuß. Courant, in dem andern eine beträchtliche Anzahl von Silbersachen gefunden worden. In dem ersten Kasten lagen außer den Wertpapieren noch ein Beutel, ungefähr 200 Thlr. preuß. Courant in Silber enthaltend, und mehrere Portemonnaies. Die ebenfalls in der Nähe von Thode gefundenen Kleider bestanden in Röcken, Beinkleidern und Westen, anscheinend seine und seiner Brüder Sonntagskleider.
Am 12. August erfolgte die erste gerichtliche Vernehmung des Thode. Sie war sehr kurz und man ging mit Rücksicht auf den noch immer etwas angegriffenen Gesundheitszustand des Komparenten äußerst schonend zu Werke. Thode gab an:
»Etwa um 1 Uhr in der Nacht gewahrte ich, plötzlich erwacht, auf dem zwischen Wohnhaus und Scheune befindlichen freien Platze einen hellen Feuerschein und vernahm zugleich einen geheulartigen Lärm wie von Menschen und Hunden untermischt mit starken Donnerschlägen. Erschreckt sprang ich auf, zog rasch meine Hosen an, knöpfte die Tragbänder an, fuhr in die vor dem Bette stehenden Pantoffeln, raffte zuerst mein Bett zusammen und legte dasselbe auf zwei in der Nähe des Fensters stehende Stühle. Dann trug ich eine Anzahl Kleidungsstücke, welche in meinem Schlafzimmer auf dem Tische lagen, ebenfalls an das Fenster, nahm aus einem neben meinem Bette befindlichen Wandschranke die beiden von mir mit hierher gebrachten Kästen und stellte sie auf die Fensterbank.
Darauf öffnete ich das Fenster und sprang hinaus. Hier sah ich sofort, dass die Scheune in hellen Flammen stand und dass bereits das Dach eingestürzt war; ich ergriff, von außen durch das Fenster hineinlangend, einen Teil der bereit gelegten Bett- und Kleidungsstücke und trug dieselben in den etwa 12 Schritt entfernten Obstgarten. Als ich damit fertig war, raffte ich die Kleider, welche in der Eile liegen geblieben waren, zusammen, nahm die beiden Kästen unter die Arme und schickte mich an, das Haus zu verlassen. Plötzlich sah ich neben der Scheune fünf bis sechs Männer hintereinander nach dem Damme zu gehen.
In der Meinung, dass jene Leute mein Vater und meine Brüder seien, rief ich sie an mit den Worten: »Jungens, seid ihr das?« statt der Antwort wandte sich einer der Männer um, und trat an das neben der Scheune befindliche Staket, streckte beide Hände vor und feuerte einen Schuss auf mich ab. Soviel ich in der Eile sah, war der Mann maskiert, auch die übrigen schienen mir verkleidet zu sein, wenigstens hatten alle ein auffallend dunkles Aussehen. Der auf mich abgefeuerte Schuss muss ein Schrotschuss gewesen sein, denn ich vernahm in den Kronen der in der Nähe stehenden Bäume ein Prasseln wie von Hagelkörnern.
Aufs höchste erschrocken ergriff ich die Flucht dem benachbarten Hofe zu, die Räuber schickten mir noch eine Kugel nach, welche ich dicht am Ohre vorüberpfeifen hörte. Außer Atem und einer Ohnmacht nahe, langte ich endlich auf dem Nachbarhofe an, ich hatte noch gerade so viel Kraft, um an die Küchentür zu klopfen und zu rufen: »Könnt ihr denn nicht hören, unser Haus brennt«, dann brach ich zusammen. Was von diesem Augenblicke bis zum Morgen des 9. August mit mir und um mich vorgegangen ist, weiß ich durchaus nicht.«
Als Thode am Schlüsse des Verhörs damit bekannt gemacht wurde, dass seine sämtlichen Angehörigen ums Leben gekommen seien, rief er in großer Aufregung aus: »Haben sie sie denn erschlagen?« Diese Aufregung, welche sich in heftigem Weinen und Schluchzen, begleitet von starker Röte des Gesichts und erheblich gesteigerter Frequenz des Pulses äußerte, legte sich indes schon nach Ablauf ungefähr einer halben Stunde.
In einem zweiten, zwei Tage später abgehaltenen Verhöre ergänzte Thode seine Angaben auf Befragen dahin:
»Als ich in der Nacht erwachte, war ich so erschrocken und verstört, dass ich nicht mit Bestimmtheit sagen kann, ob ich irgendetwas getan habe, um mich über das Schicksal meiner Angehörigen zu vergewissern, indes glaube ich aus der Thür meines Schlafzimmers gerufen zu haben, es sei Feuer im Hause. Nach der Begegnung mit den fremden Männern, welche ich anfangs für meine Brüder hielt, nahm ich an, dass meine Familie bereits in Sicherheit wäre.«
Den Umstand, dass er die beiden früher erwähnten Kästen mit ihrem wertvollen Inhalte sowie die mitgebrachten Kleidungsstücke habe retten können, erklärte Thode folgendermaßen: »Einige Zeit, etwa 14 Tage bis 3 Wochen vor der Nacht, in welcher das Verbrechen verübt worden, habe ein Blitzschlag sein väterliches Haus getroffen, jedoch ohne zu zünden. Infolge dieses Ereignisses habe sich ihrer aller eine große Angst vor Feuersgefahr bemächtigt.
Sein Vater habe einen Kasten zeitweilig in das neben dem Wohnhause befindliche Backhaus gebracht und angeordnet, dass niemand davon sprechen solle; ein anderer Kasten mit dem Silberzeuge sei auf 9-10 Tage einer benachbarten Familie zur Bewahrung übergeben worden. Überdies habe sein Vater befohlen, dass für die nächste Zeit allnächtlich einer der Söhne wachen und sämtliche Hausgenossen nachts nur die Oberkleider ablegen sollten. Diese letztere Vorsichtsmaßregel sei noch zur Zeit der Mordnacht beobachtet worden, und es erkläre sich daraus der Umstand, dass die Leichen teilweise bekleidet gefunden worden seien.
Am Sonntage den 5. August habe der Vater sich in seinem Schlafzimmer mit Umpacken von Papieren und Silbersachen aus drei verschiedenen Kästen beschäftigt, dann zwei dieser Kästen in einen Wandschrank gestellt und zu ihm gesagt: «Wenn etwas passieren sollte, so weißt du, wo die Kästen stehen.» An demselben Tage habe sein Vater im Wohnzimmer Geld gezählt und dann eine Summe von etwa 2000 Thlrn. in Silber, in zwei Beuteln in einen unter seinem Bette befindlichen Verschlag getan. Die von ihm teils in den Garten gebrachten, teils auf der Flucht mitgenommenen Kleidungsstücke seien seine und seiner Brüder Sonntagskleider, welche noch vom letzten Sonntage her wie gewöhnlich in seinem Schlafzimmer gelegen hätten.« Befragt, was er über die Motive und Ausführung des Verbrechens denke, erwiderte Thode: »Er könne sich die Sache nicht anders erklären, als dass eine größere Bande in der Absicht zu rauben den Hof überfallen, seine Angehörigen, mit Ausnahme der beiden ältern Brüder, welche ja wach geworden und aufgestanden sein müssten, in ihren Betten erschlagen und die Gebäude angezündet habe, um ihre Untat zu verbergen.
Dass seine Schwester mit so vielen Wunden bedeckt gefunden worden, möge daher kommen, dass man sie gepeinigt und mißhandelt habe, damit sie den Ort angebe, wo das Geld liege. Ihn selbst müssten die Räuber ganz und gar vergessen haben. Jedenfalls sei es auf einen Raub abgesehen gewesen und vermutlich sei auch wirklich das Geld geraubt worden, welches sein Vater in den Verschlag unter seinem Bette getan, denn von diesem Gelde habe man keine Spur entdeckt.«
In Betreff der auf der Brandstätte gefundenen Art äußerte Thode: Er glaube nicht, dass dieselbe eine von den auf dem Hofe gebrauchten Äxten sei. Darauf hingewiesen, wie es doch fast undenkbar sei, dass er von dem Lärm bei der Ermordung seiner Angehörigen nicht aufgewacht sein sollte, gab Thode an: er habe schon bevor er durch den Feuerschein gänzlich munter geworden, im halbwachen Zustande einen undeutlichen Lärm vernommen, jedoch vor Entsetzen keinen Laut hervorbringen können.
Die über das frühere Leben des Timm Thode angestellten Erhebungen ergaben Folgendes: Timm hatte sich nach Aussage seines Lehrers in der Schule als ein kaum mittelmäßig begabter, träger Knabe, von etwas rohem, störrischem Charakter gezeigt, und war häufig bestraft worden. Die Kenntnisse, welche er sich erworben, beschränkten sich auf Lesen, Schreiben und den Inhalt des Kleinen Luther'schen Katechismus. Ein rechtes Verständnis der Religionswahrheiten hatte er nach der Meinung seines Lehrers nicht gehabt. In seinen Knabenjahren schwindelte er auf dem Wege von der Schule nach dem elterlichen Hause einem Bäckerjungen einmal ein Brot ab, indem er vorgab, es kaufen zu wollen, das Brot an sich nahm und weglief.
Über Thode's Betragen in den Vorbereitungsstunden auf die Konfirmation sprach der betreffende Geistliche sich lobend aus. Nach der Konfirmation blieb Timm zunächst auf dem väterlichen Hofe und wurde gleich seinen Brüdern zu den landwirtschaftlichen Arbeiten herangezogen, er stellte sich jedoch so ungeschickt an und war so träge, dass er sowohl von seinem Vater als von dem ältesten Bruder häufig Vorwürfe hören musste und zu den ländlichen Arbeiten, welche mehr Umsicht erforderten, niemals zugelassen wurde. Diese Zurücksetzung und der Spott darüber, dass er von Kindheit an mit dem Leiden des nächtlichen Bettnässens behaftet war, veranlassten ihn, bei fremden Leuten als Knecht in Dienst zu treten. In den Jahren 1860–66 diente er an verschiedenen Orten, jedoch so, dass er nur auf einer einzigen Stelle ein halbes Jahr aushielt, während er im übrigen seinen Dienst gewöhnlich schon nach einigen Wochen wieder verließ und inzwischen in das elterliche Haus zurückkehrte. Im Jahre 1864 entschloss er sich, das Müllerhandwerk zu erlernen, er trat zu diesem Behufe auf einer nicht weit vom Hofe seines Vaters entfernt liegenden Mühle in Dienst, kam jedoch, da diese kurz darauf abbrannte, schon nach einigen Wochen wieder nach Hause.
Thode's Dienstherrschaften gaben ihm keine günstigen Zeugnisse. So wurde er namentlich von einer derselben, auf deren Zeugnis man vorzüglich Werth zu legen berechtigt war, als träge, roh, naschhaft und gefräßig bezeichnet; von anderer Seite ward indes sein Charakter harmlos und gutmütig genannt. So oft er sich in der Zwischenzeit zu Hause aufhielt, gab es in der Familie Zank und Streit. Über seine vermeintliche Zurücksetzung bei den Arbeiten erzürnt und durch Neckereien sowie dadurch, dass man ihn mehrerer Diebstähle, welche gegen seinen Vater und seine Brüder verübt wurden, bezichtigte, gereizt, geriet er häufig mit seinen Brüdern in Zwist, welcher nicht selten sogar in Tätlichkeiten ausartete. Sein Vater schalt ihn sehr oft heftig wegen seiner Trägheit. Übrigens prügelten sich nach Thode's Angabe die Brüder ebenso häufig untereinander als mit ihm, und auch sie lebten in Unfrieden mit dem strengen und wortkargen Vater. Die Angaben seiner Verwandten über Timm Thode fielen ebenso verschieden aus als die seiner Dienstherrschaften. S
o erklärte namentlich der Großvater mütterlicher Seite in Übereinstimmung mit seinen Söhnen, er glaube an die Erzählung des Timm Thode nicht, und könne ihn nicht für ganz unbeteiligt an dem Verbrechen halten. Das Verhältnis desselben zu seinen Angehörigen sei ein sehr schlechtes gewesen; namentlich habe Timms Mutter noch vor nicht langer Zeit ihrer Schwester geklagt: »es sei so schlimm mit Timm, dass sie es gar nicht sagen könne.« Sein Enkel sei heimtückischer und rachsüchtiger Natur; seine Erzählung sei unglaubhaft, weil es ganz undenkbar sei, dass sein Schwiegersohn, ein in Geldsachen sehr vorsichtiger und verschlossener Mann, die beiden wertvollen Kästen aus den Händen und dem Sohne in Verwahrung gegeben haben sollte, zu welchem er entschieden das geringste Vertrauen gehabt habe.
Im Gegensatze hierzu sprachen die Verwandten väterlicher Seite sowie die Nachbarn sich dahin aus, dass sie den Timm Thode eines solchen Mordes nicht für fähig, ihn vielmehr für einen gutmütigen und harmlosen Menschen hielten. Ein Bruder des alten Thode behauptete, dass vor etwa 30 Jahren ein Beil wie das auf der Brandstätte gefundene auf dem Hofe vorhanden gewesen sei. Eine Näherin, welche am 7. August bis zum Abend auf dem Thode'schen Hofe gearbeitet hatte, gab an, dass Timm Thode an diesem Tage dasselbe Oberhemde und Beinkleid getragen habe, mit welchem er nach dem Ereignisse bekleidet gewesen sei. Eine Versendung des Beils an die Schmiede verschiedener benachbarter Distrikte führte zu keinem Resultat. Von Schüssen hatte in der Nacht des Verbrechens niemand etwas gehört. Über den Zustand des Timm Thode während der nächsten 30 Stunden nach seiner Ankunft auf dem Nachbarhofe lautete das ärztliche Gutachten dahin: die Frage, ob der Zustand des Timm Thode auf eine wirkliche Bewusstlosigkeit, eine Folge des Schreckens, oder auf Simulation zurückzuführen sei, lasse sich mit völliger Sicherheit nicht entscheiden, doch sprächen für die Annahme, dass seine Bewusstlosigkeit eine wahre, natürliche gewesen sei, weit gewichtigere Momente als für die Simulation.
Am 18. August wurde Timm Thode zum letzten male von der Untersuchungskommission vernommen. Die Ergebnisse dieser Vernehmung haben wir bereits mitgeteilt. Die Commission war von vornherein von der Ansicht ausgegangen, dass das Verbrechen von Fremden verübt worden sei. Der größere Teil des Publikums teilte diese Meinung, denn man hielt es für unmöglich, dass ein Mensch, der keine verbrecherische Vergangenheit hinter sich habe, mit einem male zu einem solchen Grade sittlicher Verworfenheit herabsinken könne, wie sie eine solche That voraussetzte, und ferner glaubte man, die physische Kraft eines einzigen sei einer solchen Blutarbeit nicht gewachsen.
Daneben freilich fehlte es keineswegs an Stimmen, welche dabei stehen blieben, dass Timm der Mörder sei. Diese Stimmen fielen umso schwerer in die Wage, als sich unter ihnen sowohl die des Großvaters mütterlicher Seite als die des Müllers befanden, bei welchem Thode gedient hatte. Das stärkste Verdachtsmoment gegen Timm fand man allgemein in dem Umstande, dass er in den erwähnten beiden Kästen eigentlich das ganze Thode’schen Vermögen gerettet hatte, und außerdem trug seine Erzählung, von den Ereignissen der Mordnacht den Stempel der Unglaubwürdigkeit an der Stirn.
Allein die Commission sah sich nach den Ergebnissen der Untersuchung nicht bewogen, gegen Timm weiter vorzuschreiten. Da man es indes doch nicht für geraten hielt, ihn ganz aus den Augen zu lassen, so wurde er zunächst bei einem Polizeidiener in Itzehoe untergebracht. Hier lebte er unter steter Aufsicht, jedoch nicht als Gefangener. Nach einigen Monaten zog er zur Miete in ein nahe bei der Stadt gelegenes Dorf, und der Hausherr verpflichtete sich, sofort dem Gerichte Anzeige zu machen, wenn er irgendetwas Verdächtiges wahrnähme. Während seines Aufenthalts in Itzehoe gab Thode nicht allein keinerlei Veranlassung zum Mistrauen, sondern verhielt sich so still und ruhig, so den ganzen Umständen angemessen, dass die letzte Spur von Verdacht auf Seiten des Untersuchungsgerichts verschwand.
Auch im Publikum machte es einen vorteilhaften Eindruck, als Thode zu der von der Regierung ausgesetzten Belohnung noch eine Prämie von 1400 Thlr. für die Entdeckung der Mörder seiner Angehörigen aussetzte, und überdies einen mit Bibelsprüchen geschmückten Denkstein für die Gräber seiner »durch ruchlose Mörderhand gefallenen« Eltern und Geschwister anfertigen ließ.
Die Untersuchung, jedes sichern Anhalts beraubt, wurde nunmehr zu einer eigentlichen Vagabundenjagd. Hin und wieder tauchte wohl einmal ein hoffnungsreiches Licht auf, aber nur, um sich bei näherer Betrachtung als trügerisch zu erweisen, um das Dunkel, welches das grauenhafte Verbrechen umhüllte, noch zu erhöhen. So fand man in nicht allzu großer Entfernung von Groß-Kampen ein Bündel anscheinend blutiger Kleidungsstücke, allein im Besitze der Familie Thode waren nach Aussage der Zeugen solche Kleider nicht gewesen; die Uhr des alten Thode, welche auf der Brandstätte nicht zu finden gewesen war, meinte man entdeckt zu haben, indes man hatte sich getäuscht; ein Schmied glaubte das auf der Brandstätte gefundene Beil zu erkennen, die als derzeitige Eigentümer desselben bezeichneten Personen bewiesen jedoch ihr Alibi. Auf den untrüglichsten Vernunftschlüssen, ja selbst auf göttlicher Inspiration beruhende schriftliche Ausführungen gingen der Commission zu, durch welche zweifellos dargetan wurde, dass Timm Thode der Mörder sei und deshalb dem Autor des betreffenden Schriftstücks die ausgelobte Prämie gebühre, aber die Untersuchung kam damit keinen Schritt vorwärts.
So sah sich endlich im März des Jahres 1867 die Untersuchungskommission in der Lage, die Akten an das zuständige Oberkriminalgericht mit einem Berichte einzusenden, in welchem sie neben ihrem Bedauern, dass die Untersuchung zu keinem positiven Resultat gediehen sei, die Ansicht aussprach, dass ihres Erachtens zu weitern Vernehmungen des Timm Thode kein Anhaltepunkt vorliege. Die Akten wurden demnächst zwei Mitgliedern des Oberkriminalgerichts zur Relation, resp. Korrelation überwiesen. Diese waren mit der Untersuchungskommission darin einverstanden, dass die augenblickliche Lage der Untersuchung eine ziemlich trostlose sei; aber sie führten weiter aus, dass das Verfahren keineswegs als abgeschlossen betrachtet werden dürfe, vielmehr von einem neuen Gericht wieder aufzunehmen und gegen den überlebenden Thode'schen Sohn fortzusetzen sei.
Als gravierend für Timm Thode wurde hervorgehoben: Zwei Motive der That seien nur denkbar: Rachsucht und Habsucht. Erstere sei, wenn man von der Annahme ausgehe, dass Fremde die Urheber des Verbrechens seien, fast mit Gewissheit auszuschließen, da niemand von Feinden, welche die in äußerster Abgeschlossenheit lebende Familie sollte gehabt haben, zumal von so grausamen und unversöhnlichen Feinden, etwas gehört, und der überlebende Sohn selbst erklärt habe, dass ihm von etwaigen Feinden seines Hauses nichts bekannt sei. Übrigens aber sei es, selbst wenn ein Mitglied der ermordeten Familie einen unversöhnlichen Feind gehabt habe, kaum denkbar, dass der Hass eines solchen nur in der Vernichtung der ganzen Familie seine Befriedigung sollte gefunden haben.
Nehme man aber Habsucht als das Motiv des Verbrechens an, so sei, vorausgesetzt, dass Fremde die Urheber sein sollten, nicht minder unerfindlich, wie sie dazu gekommen sein sollten, gerade den Thode'schen Hof sich auszuersehen. Der alte Thode nämlich sei nach den übereinstimmenden Angaben aller, welche ihn gekannt, nicht allein in Geldsachen selbst seinen nächsten Angehörigen gegenüber sehr heimlich und wenig mitteilsam, sondern auch immer besorgt gewesen, niemals überflüssige Gelder im Hause zu haben. Wie hätten unter solchen Umständen Fremde auf dem Hofe eine der Grausamkeit der That entsprechende, für fünf bis sechs Teilnehmer lohnende Beute erwarten können? Von bedeutenden Summen, welche der alte Thode in der letzten Zeit vor dem Verbrechen vereinnahmt habe, sei nichts bekannt, sondern im Gegenteil konstatiert worden, dass er im Juli ein Kapital von 2000 Mark bei der Itzehoer Sparkasse angelegt habe.
Allerdings habe der überlebende Thode'sche Sohn behauptet, dass noch am Sonntage vor der That sein Vater etwa 2000 Mark in den unter seinem Bette befindlichen Verschlag getan habe und an der Ausführung seiner Absicht, diese Summe auf die Sparkasse zu tragen, nur durch schlechtes Wetter verhindert worden sei; allein nach den Aussagen anderer Zeugen schienen nur einige hundert Mark Bares im Hause gewesen zu sein und man müsse glauben, dass Timm Thode gelogen habe. Wenn er an dem Verbrechen beteiligt sei, so habe er auch ein wesentliches Interesse daran gehabt, die Existenz jener 2000 Mark und deren Raub vorzuspiegeln, zumal das ganze übrige Vermögen von ihm gerettet worden sei.
Ferner könne man kaum begreifen, dass Räuber gerade den durch fünf starke Männer und zwei wachsame Hunde beschützten Thode'schen Hof hätten überfallen sollen. Außerdem wurde hervorgehoben, Timm's Erzählung sei unwahrscheinlich und voll Widersprüche. Zunächst sei es unbegreiflich, dass derselbe durch den mit der Ermordung seiner Angehörigen verbundenen Lärm nicht aufgeweckt worden sein sollte, obgleich zwischen dem Zimmer, in welchem vier der ermordeten Personen und unter ihnen die Thode'sche Tochter schliefen, und seinem eigenen Schlafzimmer nur die Küche lag. Angenommen aber auch, Timm Thode sei wirklich nicht wach geworden, so müsste man fragen, wodurch er denn wach geworden sei.
Die in den Akten auf diese Frage enthaltene Antwort: der Feuerschein habe ihn geweckt, sei offenbar eine ungenügende. Thode's Unschuld vorausgesetzt, sei es unerklärlich, dass er, der robuste Mann, den Kopf vollständig verloren und seine Familie ganz vergessen haben sollte. Das Vorgeben Thode's, es sei ihm nicht erinnerlich, ob er gerufen, klinge unwahrscheinlich; die Behauptung, er habe geglaubt, dass seine Eltern und Geschwister sich bereits gerettet hätten, sei keine genügende Entschuldigung. Auffällig sei es, dass Thode Bett und Kleidungsstücke nach dem Garten geschleppt habe, obschon das Haus, als er es verlassen, noch gar nicht gebrannt, der Wind aber von demselben abwärts gestanden habe.
Es müsse befremden, dass Thode trotz seiner angeblichen sehr großen Bestürzung nicht allein seine Beinkleider angezogen, sondern auch die Tragbänder gehörig angeknöpft und sich mit Pantoffeln versehen habe. Rätselhaft bleibe, warum die angeblichen Mörder den Flüchtling, der doch schwer bepackt und leicht einzuholen gewesen sei, nicht verfolgt hätten? Ganz besonderes Gewicht aber legte die Relation auf die Versicherung der Verwandten mütterlicher Seite: es sei nicht denkbar, dass der alte Thode die beiden wertvollen Kästen seinem Sohne Timm anvertraut haben sollte.
Es wurde gesagt: wenn zu beweisen sei, dass jene beiden Kästen nicht in Timm Thode's Schlafzimmer gestanden hätten, so werde sich dessen Unschuld kaum noch verteidigen lassen. Als unverbesserliche Tatsache beklagte die Relation den Umstand, dass dem Thode, wenn seine Bewusstlosigkeit etwa doch eine simulierte gewesen sei, durch die Gespräche der während der Nacht des Verbrechens in seinem Zimmer aus- und eingehenden Personen der Befund auf der Brandstätte bekannt und damit seine spätere Aussage zurückgenommen worden sei.
Es wurde nun ein neues Untersuchungsgericht, bestehend aus den beiden Referenten und einem Protokollführer, zur Wiederaufnahme der Untersuchung committirt, welches sich im Mai des Jahres 186? nach Itzehoe begab.
Die Untersuchung richtete sich von jetzt an ausschließlich und mit ganzer Energie gegen den überlebenden Timm Thode, der bereits nach dem ersten Verhör verhaftet wurde. Der Angeschuldigte brachte genau dieselbe Erzählung vor wie früher, allein die neue Commission unterwarf, was er angab, einer scharfen Kritik. Es gelang, ihm in Betreff seiner Aussage über die Art und Weise, wie er Kleider und Betten aus dem Hause geschafft haben wollte, einen Widerspruch nachzuweisen. Er musste in einem Verhör vom 16. Mai einräumen, dass er gelogen habe. Er bat deshalb um Verzeihung und versicherte, in allen andern Punkten die Wahrheit gesagt zu haben. Thode klagte zwar über sein unverdientes herbes Geschick, gab aber sonst im Gefängnis keine Unruhe oder Besorgnis kund. Er erfreute sich des besten Appetits und des gesündesten Schlafes.
Als ihn die Untersuchungskommission einige Stunden nach jenem Verhöre besuchte, hielt er sein Mittagschläfchen. Auf die ernste Ermahnung, in sich zu gehen und der Wahrheit die Ehre zu geben, entgegnete er: »Mein Gewissen ist rein, ich kann ruhig schlafen.« Zwei Tage später nach einem abermaligen Verhör fand der Gefangenwärter den Timm Thode in einem sonderbaren Zustande. Der Gefangene hatte sein Mittagbrot mit Lust verzehrt, sich dann wie gewöhnlich zum Schlafen niedergelegt und noch um 4 Uhr nachmittags der Frau des Gefangenwärters seine Schüssel gereicht.
Als der Kerkermeister ihm das Abendessen brachte, lag Thode stöhnend und schnarchend in seiner Zelle, er schwitzte stark und war weder durch Rufen noch durch Schütteln zu ermuntern. Der Arzt ward gerufen, aber auch seine Versuche, den Schläfer zu wecken, waren vergeblich. Der Arzt hob die Augenlider auf und bemerkte, dass sich die Augen vor den auf sie eindringenden Lichtstrahlen unruhig hin- und herbewegten. Er ließ Wasser und Siegellack bringen, spritzte von dem ersteren dem Schläfer etliche male in das Gesicht und siehe da, er schlug die Augen auf, griff mit beiden Händen nach dem Kopfe und rief jammernd: Mein Kopf, mein Kopf! Es wurde ihm Eis auf den Kopf gelegt und der Gefangenwärter angewiesen, bei ihm zu wachen. Die Nacht verging unruhig, der Patient schlief keinen Augenblick und fiel gegen Morgen aus seinem Bett auf die Erde. Er wurde wieder auf sein Lager gelegt, fiel aber bis früh 11 Uhr noch vier- bis fünfmal heraus.
Der Rest des Tages verlief leidlich, in der folgenden Nacht schlief Thode und die Krankheit schien gehoben zu sein. Am 21. Mai nachmittags 4 Uhr meldete der Gefangenwärter: Thode liege wieder neben seinem Bett auf der Erde und sei durchaus nicht zu bewegen, sich aufzurichten. Die Commission begab sich in das Gefängnis. Der Angeschuldigte war vollständig angekleidet, er lag längelang auf dem Boden, atmete schwer und rührte sich nicht. Gegen Rütteln und Schütteln zeigte er sich unempfindlich, als ihm aber die Lampe vor die Augen gehalten wurde, zuckte er mit den Augenlidern.
Zufolge eines gemeinsamen unwillkürlichen Impulses versetzte der eine Kommissar dem Gefangenen einen Fußtritt und der andere zog ihm mit dem Stocke einen Hieb über den Hintern. Diese ebenso drastischen als zweckmäßigen Mittel schlugen an, der angeblich Ohnmächtige erhob sich, schaute um sich, und erzählte, ohne dass man ihn gefragt hatte: er sei beim Anziehen seines Rockes bewusstlos niedergefallen. Die Kommissare befahlen ihm, sich gerade aufzurichten und nicht mit so weinerlicher Stimme zu reden. Er gehorchte sofort. Der Übergang von der tiefsten Ohnmacht zum klaren Bewusstsein hatte kaum mehr als eine Minute in Anspruch genommen.
Am nächsten Morgen rapportierte der Gefangenwärter: die Krankheit sei bis auf etwas Kopfschmerz verschwunden. Das ärztliche Gutachten ging dahin, dass Timm Thode Bewusstlosigkeit und Krankheitserscheinungen nur erheuchelt habe. Beim Hinausfallen aus dem Bette hatte Thode die Füße gegen die untere Bettwand stemmend und den einen unter den Körper geschobenen Arm gewissermaßen als Hebel gebrauchend, zunächst den Oberkörper der Bettkante nahe gebracht und, nachdem er sodann mittels eines Ruckes den Steiß ebenfalls über die Kante hinausgeschoben, sich fallen lassen.
Beim Hineinlegen hielt der anscheinend Ohnmächtige den Körper völlig steif, und erleichterte hierdurch das Aufheben. Im Bette ließen sich die Beine, welche anfangs über dasselbe hinausreichten, bequem unter die Decke krümmen. Hauptsächlich in diesen keineswegs automatischen, sondern auf einem geordneten zweckmäßigen Zusammenwirken der beteiligten Muskelgruppen beruhenden Bewegungen fanden die Sachverständigen den Beweis für die Simulation. Überdies entsprachen auch die verschiedenen an Thode beobachteten und von demselben angegebenen Symptome keineswegs einem einheitlichen, selbständigen Krankheitsbilde; sie waren von ganz verschiedenen Krankheitszuständen gleichsam zusammengeborgt. In der Aufeinanderfolge der Krankheitserscheinungen fanden sich nach dem Gutachten der Ärzte verbindungslose, den Naturgesetzen widersprechende Sprünge.
Man machte dem Inculpaten Vorhalt und wollte von ihm das Zugeständnis haben, dass er simuliert habe. Er räumte indes zuerst nur so viel ein, dass er die Herren Kommissare schon beim Kommen an ihren Stimmen erkannt habe und folglich damals nicht bewusstlos gewesen sei. Er beteuerte, dass es ihm nicht in den Sinn kommen könne, solche Ehrenmänner zu hintergehen, gestand aber am Tage darauf zu, er habe sich bereits nach dem Verhör vom 18. Mai entschlossen, sich ohnmächtig zu stellen, damit man ihn in eine bessere Zelle bringe. Er blieb dabei, dass er in der Nacht des Verbrechens wirklich bewusstlos gewesen und an dem Verbrechen unschuldig sei.
Am 24. Mai kam man wieder einen Schritt vorwärts: Thode gab zu, er habe sich in der Mordnacht absichtlich an dem Nachbarhause niedergeworfen – aber unmittelbar darauf das Bewusstsein verloren und nicht bemerkt, dass man ihn hereingetragen habe. Nach etlichen Vorhalten korrigierte er sich: Ja, er habe sich nur »schlaff« gestellt und sich vorgenommen, im Nachbarhause so lange zu schlafen, als es ihm möglich gewesen sei.
Er habe alles, was um ihn herum vorgegangen sei, vernommen. Der Trotz und die Verstocktheit des Gefangenen waren gebrochen, er hatte die Kraft nicht mehr, sein schreckliches Geheimnis festzuhalten. Auf die Frage: ob er das Verbrechen allein, oder mit Hülfe anderer verübt habe? antwortete er zwar noch: »Ich habe es nicht getan, ich bin unschuldig«, aber auf die weitere Frage, wer es denn getan habe? nannte er die Namen zweier Einwohner des seinem väterlichen Hofe zunächst benachbarten Dorfes, indem er folgende Erzählung daran knüpfte: Einige Zeit vor der That, an einem Sonntage, habe er auf der Kegelbahn mit den beiden Männern verabredet, dass die letztern gegen eine Belohnung von 10000 Thlrn. seine sämtlichen Angehörigen ermorden und zur Verdeckung der That die Gebäude anzünden sollten. S
ie seien übereingekommen, dass die That am Dienstag den 7. August abends vollbracht werden solle. Abends halb 11 Uhr hätten die beiden Mörder an das Fenster seines Schlafzimmers geklopft und wären von ihm durch den Pferdestall in das Haus gelassen worden. Im Stalle sei einer seiner Brüder, in der Knechtekammer seien die beiden andern im Schlafe mit starken Knitteln erschlagen worden. Dann seien die beiden Gesellen in das Schlafzimmer gegangen und hätten seine Eltern, seine Schwester und den jüngsten Bruder in ihren Betten ermordet. Die Schwester habe sich gewehrt, sei aber mit einem Beile und einem Messer endlich stillgemacht worden.
Zuletzt hätten sie die Dienstmagd mit dem Beil getötet, dann in der Scheune und im Wohnhause Feuer angelegt und sich nachher entfernt. Er habe seine Hände nicht in Blut getaucht, sei aber in der Nähe geblieben und darauf bedacht gewesen, die beiden Kästen mit ihrem wertvollen Inhalte, Kleider und Betten zu retten. Auf dem Wege nach dem Nachbarhofe habe er noch eine Zeit lang auf dem Deiche gesessen, um zu warten, bis die Gebäude in hellen Flammen ständen und um sich zu überlegen, was er tun und was er sagen wolle. Es habe ihm in der Einsamkeit gegraut, deshalb sei er, noch ehe das Wohnhaus von der Flamme ergriffen worden, zu dem Nachbarhofe geeilt und habe sich mit den Worten: »Könnt ihr denn nicht hören, unser Haus brennt!« zur Erde niedergeworfen.
Die Commission schenkte dieser Erzählung natürlich nicht den geringsten Glauben, sie ermahnte den Inquisiten, er solle nicht unschuldige Leute bezichtigen, und machte ihm bemerklich, es sei unmöglich, dass das Verbrechen auf die von ihm angegebene Weise verübt worden; er, und zwar er allein, habe es ausgeführt. Nach einem letzten schwachen Versuche, die Wahrheit seiner Geschichte aufrecht zu halten, ging Thode mit einem offenen Geständnis heraus.
Auf die Frage, ob er nicht seinen Bruder Johann zuerst erschlagen habe? erwiderte er: »Ja! Ich habe überhaupt alles allein getan!« Nachdem er den Hergang in unzähligen Variationen dargestellt und immer wieder selbst in den unwichtigsten Punkten gelogen hatte, blieb er endlich bei der folgenden Aussage stehen, die im wesentlichen auch mit den anderweitig ermittelten Tatsachen übereinstimmt:
»Seit der Zeit, dass von uns Brüdern mehrere erwachsen waren und an den auf dem Hofe vorkommenden Arbeiten teilnehmen mussten, hat in meinem elterlichen Hause ewiger Unfrieden und Streit geherrscht. Mein Vater, ein strenger, verschlossener und wortkarger Mann, kümmerte sich wenig um uns, solange wir unsere Arbeiten ordentlich besorgten; meine Mutter dagegen, welche immer gut gegen uns war, hatte wenig oder nichts im Hause zu sagen. Mein ältester Bruder nahm, eben weil er der älteste war, eine gewisse Autorität über uns jüngere in Anspruch, welche wir uns indes nicht gefallen lassen wollten. Von unserer Konfirmation an haben wir streng arbeiten müssen, wogegen es von unserm Vater sehr ungern gesehen wurde, wenn wir einmal an einer Lustbarkeit teilnahmen.
An eine gemütliche, freundliche Unterhaltung war, auch wenn wir nach Feierabend in der Stube beisammen saßen, nie zu denken. Die meisten Streitigkeiten zwischen uns Brüdern kamen über die Verteilung der Arbeiten her, bei welcher jeder den andern zu übervorteilen suchte. Ich war von jeher meinen Brüdern in der Arbeit nicht gewachsen, einmal weil ich nicht so stark war als jene und dann weil ich in ziemlich erheblichem Grade an Kurzsichtigkeit litt. Aus diesem Grunde wurde ich denn auch bei Verteilung der Arbeiten immer gegen die andern zurückgesetzt, indem man mir die Tagelöhnerarbeiten anwies und namentlich mich niemals mit Pferden umgehen ließ.
»Dieser Umstand war am häufigsten der Anlass zu Unzufriedenheit und Aufsässigkeit von meiner Seite und führte in der Folge fast täglich zu Streitigkeiten und oftmals auch zu Schlägereien. Dazu kam, dass ich von Jugend auf mit dem Leiden des nächtlichen Bettnässens behaftet war, was meinen Brüdern Anlass zu häufigen Neckereien und Spöttereien gab. Durch diese Missverhältnisse wurde ich zunächst bewogen, bei fremden Leuten in Dienste zu treten.
Wenn ich später von auswärts wieder nach Hause kam, ging es jedes Mal anfangs eine Zeit lang besser, weil ich mich zusammennahm, bald indes fingen die alten Geschichten von neuem an, so dass die Spaltung zwischen meinen Brüdern und mir immer ärger wurde. Ich fing au, meinen Vater sowohl als die Brüder zu hassen, weil ich mich unverdienterweise von ihnen zurückgesetzt glaubte.
Als sie mir überdies wiederholt Diebstähle, welche meinem Vater und meinen Brüdern zugefügt wurden, Schuld gaben und mich öfter «Spitzbube» nannten, erreichte diese Erbitterung den höchsten Grad. Im Sommer des Jahres 1866, nachdem ich im November 1865 von meinem letzten auswärtigen Dienste nach Hause zurückgekehrt war, kam mir, da alle bereits erwähnten Missverhältnisse wieder im höchsten Grade herrschten, zuerst der Gedanke: wie es sein würde, wenn ich meine sämtlichen Angehörigen umbrächte. Von da ab hat mich dieser Gedanke eigentlich unausgesetzt verfolgt.
Wohl trat derselbe einmal längere Zeit in den Hintergrund, jedoch nur, um bei jedem Anlasse mit neuer Kraft sich mir wieder aufzudrängen, bis er endlich eine solche Herrschaft über mich gewann, dass ich mich desselben gar nicht mehr erwehren konnte und er mich selbst in der Nacht nicht schlafen ließ. Im Juli, als wir alle im Zimmer beieinander saßen, traf ein Blitzschlag unser Haus. Dieses Ereignis machte auf mich einen so lebhaften Eindruck, dass ich den bösen Gedanken völlig zu verbannen beschloss; allein jener Eindruck wurde bald verlöscht und der Gedanke kehrte in ganzer Stärke wieder. Ich malte mir aus, wie schön es sein würde, wenn ich Herr über das ganze Vermögen wäre, wie ich dann tun und lassen könnte, was mir beliebte, und nicht gezwungen wäre, wie ein Sklave zu arbeiten.
Unter dem Eindrucke dieser verlockenden Bilder reifte der Gedanke zum Vorsatz. Am Sonntag vor der That auf dem Heimwege von einer Lustbarkeit entschloss ich mich, bei der nächsten günstigen Gelegenheit den Mord zu vollbringen. Diese Gelegenheit fand sich bald. Am Montag den 6. August nachmittags war mein Vater ausgefahren, ich und meine drei erwachsenen Brüder draschen auf der Hausdiele. Als wir damit fertig waren, stieg ich, mit einer schweren Handspake (ein keulenartiges hölzernes Instrument, welches man zum Heben und Stampfen benutzt) bewaffnet, in der Scheune auf den Hilgen (der über den Viehställen befindliche schmale Boden), lockte unsere beiden Hunde ebenfalls hinauf und forderte dann zunächst meinen ältesten Bruder auf, hinaufzusteigen, indem ich ihm vorspiegelte: die Hunde hätten da etwas. Wäre mein Bruder dieser Aufforderung gefolgt, so hätte ich zunächst ihn erschlagen und sodann der Reihe nach meine übrigen Brüder hinaufgelockt und sie getötet.
Mein ältester Bruder leistete indes meiner Aufforderung keine Folge und ich gab deshalb meinen Plan für diesen Tag auf, oder richtiger, ich verschob die Ausführung auf den folgenden Tag. Ich hatte erfahren, dass meine Eltern am Dienstag einen Besuch bei einem etwa eine Stunde von uns entfernt wohnenden Bekannten machen wollten und wusste, dass wir Brüder wieder dreschen sollten. Darauf baute ich meinen Plan.
»Als wir am Dienstag beim Mittagessen saßen, ordnete mein Vater an, dass mein nächst jüngster Bruder am Nachmittage für einen in dem nächsten Dorfe wohnenden Tierarzt Steine fahren, wir andern Brüder aber Roggen dreschen sollten. Etwa um 1 Uhr nachmittags, nachdem wir bereits unsern Mittagsschlaf gehalten hatten, fuhr der Wagen unsers Nachbars vor, um meine Eltern abzuholen. Übrigens habe ich den Wagen, weil ich mich auf der Dreschdiele befand, nicht selbst gesehen, sondern nur bemerkt, dass meine Eltern und meine Schwester aus der Stube kamen, über die Vordiele gingen, und dass nur die letztere nach Abfahrt des Wagens zurückkehrte. Nicht lange nach meinen Eltern verließ auch der Bruder, welcher Steine fahren sollte, den Hof. Ich wusste nicht, wann er zurückkehren würde, aber da der Vater zu ihm gesagt hatte, er sollte versuchen, ob er noch an demselben Tage fertig werden könnte, musste ich annehmen, dass er mindestens bis zum Feierabend wegbleiben würde.
Der jüngste Bruder war ein Stück mit den Eltern gefahren, wir drei Ältesten tranken gemeinschaftlich Kaffee und gingen dann an die Arbeit. Das Stroh von dem Roggen, welchen wir ausdroschen, sollte im nächsten Frühjahr zum Decken des Hauses verwendet werden und wurde daher erst rein gedroschen, dann zugestutzt abgeschnitten und in ziemlich große Bunde zusammengebunden in die Scheune getragen. Abends gegen sechs Uhr waren wir mit dem am Nachmittag gedroschenen Quantum so weit, dass es in die Scheune geschafft werden konnte. Nachdem jeder von uns vier Brüdern (mittlerweile war nämlich der jüngste Bruder, ein sehr kräftiger Junge von 14 Jahren zurückgekommen) eine starke Tracht auf den Nacken genommen hatte, gingen wir dem Alter nach, ich als der zweite, mit den Strohbunden in die Scheune.
Hier angekommen warf ich meine Ladung rasch ab und beeilte mich, an meinem ältern Bruder vorüber und vor den andern wieder ins Haus zu kommen. Ich sah, dass höchstens noch drei Trachten Stroh übrig waren, dass also nur noch zwei Brüder mir nachkommen würden; nahm darauf rasch eine Ladung auf den Nacken und sah im Abgehen, dass der ältere Bruder gerade beschäftigt war, seine Tracht auf den Nacken zu nehmen, während der mittlere vor der Thür der Dreschdiele wartete, um mich vorübergehen zu lassen, und der jüngste erst aus der Scheune kam. Mit meiner Tracht in der Scheune angelangt, warf ich das Stroh hin, ergriff die von mir bereit gestellte Handspake und trat hinter die Thür.
Mein ältester Bruder kam herein, ich ließ ihn an mir vorüber und versetzte ihm, als er im Begriff war, seine Last abzuwerfen, mit aller Kraft einen Hieb über den unbedeckten Kopf, infolge dessen er, nur noch mühsam die Worte ausstoßend: »Wat wullt du«, zusammenbrach. Ich gab ihm noch einige kräftige Schläge und bedeckte dann den leblosen Körper leicht mit Stroh. Kaum war ich damit fertig, als mein jüngster Bruder mit dem Reste des Strohs in die Scheune trat. Ich schmetterte die Handspake auf seinen Schädel nieder und er stürzte lautlos zu Boden. Ich deckte etwas Stroh über den Leichnam, begab mich in das Haus und forderte den dort anwesenden Bruder auf, mit in die Scheune zu kommen und uns das Stroh in den Hilgen schaffen zu helfen. Ich eilte voraus und stellte mich, die Waffe in der Hand, auf meinen frühern Posten. Mein Bruder ging an mir vorüber, ich holte zum Schlage aus, er bemerkte indes meine Bewegung und duckte sich mit den Worten: «Wat schall dat!» Infolge dessen traf ihn die Handspake nicht auf den Kopf, sondern in den Nacken, er fiel jedoch nieder und ich wiederholte die Schläge, bis er tot war.
Ich verbarg auch diesen Leichnam unter Stroh. Als mein Werk so weit gediehen war, ging ich ins Haus und zog alte Beinkleider an. Ich wollte meine Hosen bei der Arbeit, die ich vorhatte, nicht beschmutzen und sie später wieder anziehen, damit die an jenem Tage in unserm Hause arbeitende Näherin bezeugen könnte, dass ich meine Alltagsbeinkleider getragen hätte. Ich ging wieder in die Scheune zurück, verschloss sämtliche Türen und machte mich dann daran, die Leichen auf den Hilgen zu schaffen. Zunächst indes durchsuchte ich die Taschen meiner Brüder und nahm dem einen Schlüssel, Uhr und Messer, dem andern eine Geldtasche mit reichlich 12 Thlrn. ab. Um mir das Hinausschaffen der Leichen auf den Boden möglichst zu erleichtern, machte ich aus dem Stroh, welches neben dem Kuhstalle lag, eine schiefe bis an den Hilgen reichende Ebene und kenterte die Leichen eine nach der andern, indem ich sie bei den Beinen anfasste, so weit hinauf, dass die Füße die Höhe des Hilgens erreichten, dann stieg ich hinauf und zog die Körper auf den Hilgen. Dies war ein äußerst saures Stück Arbeit, bei welchem ich stark in Schweiß geriet.
Nachdem es vollbracht war, verschloss ich die sämtlichen Türen der Scheune und kehrte ins Haus zurück. Hier zog ich über meine namentlich an den Knien stark mit Blut beschmutzten Hosen eine meinem ältesten Bruder gehörige grauleinene Überziehhose, sogenannte Pumphose, legte Rock und Stiefeln an, setzte meine Mütze auf und begab mich hierauf mit einem Spaten versehen nach dem Außendeiche, als ob ich dort etwas zu tun hätte, in Wirklichkeit aber, um mich auf diesem Gange etwas zu erholen und darüber nachzudenken, was ich nun weiter beginnen sollte. Auf der Diele begegnete ich meiner Schwester, ich log ihr vor, dass die Brüder sich zu den Schafen begeben hätten. Am Außendeiche vergrub ich die Uhr meines ältesten Bruders und die Geldtasche, welche ich dem andern Bruder genommen hatte. Meine Absicht war, so lange fortzubleiben, bis die Näherin das Haus verlassen haben würde.
Als ich gegen 8 Uhr wieder hineinkam und durch das Fenster blickend die Näherin noch immer im Wohnzimmer sitzen sah, trat ich an die auf der andern Seite des Hauses befindlichen Stachelbeerbüsche. Das Nähmädchen sollte mich beim Herauskommen sehen und denken, dass ich Stachelbeeren pflückte. Sie kam auch bald darauf, ich wünschte ihr Gute Nacht, zog dann, wie ich dies immer zu tun pflegte, meinen Rock aus und aß mit meiner Schwester und dem Dienstmädchen Abendbrot. Ich aß wenig, weil es mir nicht danach zu Mute war. Während des Essens erzählte ich meiner Schwester nochmals, dass die Brüder zu den Schafen gegangen wären, sie erwiderte: «Der Vater wird böse sein, wenn er das erfährt.« Nach dem Abendbrot verließ ich das Zimmer, zog die Überziehhosen, welche das Blut verdeckten, aus und meinen Rock wieder an, nahm aus der in meinem Schlafzimmer stehenden Kommode ein reines weißes und ein flanellenes Hemd, welche ich in meinem Bette verbarg, setzte mir auf der Diele ein Paar reine, ganz neue Pantoffeln bereit und ging in das Wohnzimmer zurück. Hier saß ich mit meiner Schwester noch etwa eine halbe Stunde im Halbdunkel, über die weitere Ausführung der That nachsinnend, bis ich endlich einen Wagen kommen hörte. Ich begab mich darauf hinaus, um den in der Nähe unsers Hauses befindlichen Schlagbaum zu öffnen; mein Bruder, der vom Steine fahren zurückkehrte, war jedoch schon hindurch. Dicht hinter ihm her kam auch der Wagen unsers Nachbars, welcher meine Eltern bei unserm Hause absetzte und dann sogleich wieder fortfuhr. Auf das Geheiß meines Vaters schloss ich den Baum.
Während mein Bruder noch bei seinem Wagen beschäftigt war, gingen die Eltern in das Haus. Ich öffnete eine Seitentür der Scheune, hakte von innen die große Thür los und rief meinem Bruder zu, er möge mir helfen, den Wagen etwas weiter zurückschieben, weil ich sonst die Thür nicht zumachen könnte. Als er meiner Aufforderung entsprechend auf die Scheune zukam, stellte ich mich, mit der früher von mir gebrauchten Handspake bewaffnet, hinter die geschlossene Hälfte der Thür und gab ihm beim Eintreten einen Hieb über den Kopf, er stöhnte und pustete, deshalb schlug ich noch mehreremal auf ihn ein. Sodann fasste ich ihn an den Beinen und schleppte ihn bis an die Stelle, wo die übrigen auf dem Hilgen lagen, damit er nachher zur Hand wäre. Er atmete zwar noch, konnte aber nicht mehr schreien. Er hatte, als er in die Scheune kam, eben seine Pferde auf die Weide gebracht und hielt noch die beiden Halfter in der Hand. Ich nahm einen dieser Halfter und ging nach der hinter der Hofstelle gelegenen Weide. Hier fing ich mir eins der Pferde ein, band es an einem in der Wand des Hauses befindlichen Ringe fest und zog es in den Pferdestall. Darauf rief ich über die Diele meinem Vater, welcher sich in der Wohnstube entkleidete, zu, er möge doch einmal in den Stall kommen: der Hartwig (das war der Name des Pferdes) sei über den Graben gesprungen, habe sich mit dem Hengste geschlagen und zittere nun so stark, dass ich fürchtete, er habe Verletzungen davongetragen.
Meine Absicht war, den Vater mit der Handspake zu erschlagen, während er das Pferd untersuchte. Dieser Plan wurde indes vereitelt, denn der Vater kam nicht allein, sondern meine Schwester begleitete ihn mit einem Lichte in der Hand. Der Vater besichtigte das Pferd und befahl mir, da er natürlich nichts Verdächtiges fand, dasselbe wieder auf die Weide zu bringen. Offenbar hatte er jedoch meiner Geschichte vollen Glauben geschenkt. Bevor ich mit dem Pferde fortging, sagte ich zu meinem Vater, er möchte nur sämtliche Hintertüren zumachen, ich wollte noch nach den Ochsen sehen, welche in das Korn gegangen wären; die andern Jungen wären auch schon dort. Nachdem ich mein Pferd wieder auf die Weide gebracht hatte, trieb ich mich so lange auf der Hofstelle umher, als erforderlich gewesen wäre, um nach den Ochsen zu sehen. Dann trat ich an das Fenster des Zimmers, in welchem meine Eltern schliefen, und rief von außen meinem Vater zu: wir könnten die Ochsen nicht aus dem Korne kriegen, er sollte uns helfen und gleich ein Brett mitnehmen, um die Einfriedigung wieder auszubessern.
Mutter und Schwester schienen schon zu Bette gegangen zu sein, denn ich sah nur meinen Vater im Zimmer. Er gab mir zur Antwort: «Ja, dann muss ich ja mit», kam durch die Küchentür heraus und nahm eins von den Brettern, welche auf der Hofstelle lagen, unter den Arm. Ich ließ ihn an mir vorübergehen und folgte ihm, die Handspake auf der Schulter. Wir gingen über die Hofstelle und den Düngerplatz, wo ich des schlüpfrigen Bodens wegen mein Vorhaben nicht auszuführen wagte, nach der Weide zu. Hier angekommen, warf ich das Brett, welches ich trug, zur Erde und versetzte meinem Vater, der sich durch das Fallen des Brettes erschreckt, umsah, einen Schlag auf die rechte Seite des Schädels. Er sank nieder, ohne einen Laut auszustoßen.
Ich gab ihm noch etliche Schläge, dann ging ich zurück und holte mir einen Spaten und einen Schubkarren. Ich lud den Leichnam auf den Karren, stach mit dem Spaten die Grasnarbe aus, soweit sie blutig geworden war, warf das ausgestochene Stück nebst dem Spaten und der Handspake ebenfalls in den Karren und schaffte meine Ladung in den Pferdestall. Nun beschloss ich, die beiden Hunde umzubringen. Sie waren mir sehr zugetan und kamen auf meinen Lockruf zu mir. Den einen hing ich an einem Stricke auf, dem andern brachte ich mit einem Messer einen Schnitt in die Kehle bei.
Er stieß ein entsetzliches Geheul aus, so dass ich ihn loslassen musste. Meine Mutter und meine Schwester eilten in die Hausflur und frugen mich, was denn vorginge? Ich antwortete: »Es ist nichts los.« Sie gingen wieder fort. Aus dem Eisenschranke auf der Diele nahm ich hierauf eine zum Zerlegen des Fleisches benutzte sehr scharfe Axt und begab mich in das Schlafzimmer, dessen Thür ich hinter mir zuschloss. Die Mutter stand neben dem Tische am Ofen und sah durch das Fenster hinaus. Sie drehte mir den Rücken zu, so dass ich mich unbemerkt nähern und sie von hinten mit der Axt über den Schädel hauen konnte. Schwer getroffen sah sie sich um und fiel mit den Worten: »Wat wullt du!» nieder.
Meine Schwester hatte den Vorgang bemerkt, wie der Blitz sprang sie aus dem Bett und fasste mich unterhalb der Arme um den Leib. Ich wandte mich nun zunächst gegen meine Schwester Anna, welche mir viel zu schaffen machte. Die Axt mit der linken Hand haltend, stieß ich sie zunächst mit dem Stiel von mir und hieb dann vielmal mit der Schneide auf sie ein. Sie hielt sich trotz aller Wunden auf den Beinen, packte mich wiederholt an dem Oberhemde und an den Armen. Ich nahm deshalb aus einem auf dem Tische stehenden Brotkorbe ein starkes, spitzes Messer und stach und schlug nun abwechselnd mit Axt und Messer auf sie ein. Nach verzweifelter Gegenwehr erlag sie endlich. Während des Kampfes rief sie fortwährend in den jammervollsten Tönen: «Ach laß mich doch leben; du machst mich ja tot, ich habe dir ja nichts getan; mein bester Timm. « Als ich mit der Schwester fertig war, bemerkte ich, dass meine Mutter noch lebte.
Sie lag röchelnd an der Erde und stieß die Worte heraus: «Ach Timm, laß mich doch, ich habe dir ja nichts getan, laß mich doch leben!» Ich machte sie durch einige Schläge mit der Axt stumm und verließ das Zimmer. Außer mir war nur noch eine einzige Person im Hause am Leben, die Dienstmagd. Sie lag in ihrer Kammer und schlief. Ich schlich mich leise an ihr Bett, fühlte mit der Hand, wo der Kopf lag und schlug dann mit der Axt zu. Das Mädchen wimmerte leise und verschied, ohne zum Bewusstsein zu kommen.
»Der Mord war vollbracht, es galt nunmehr der Entdeckung vorzubeugen.
»Ich beschloss, die Leichen meiner Brüder in das Wohnhaus zu schaffen, stieg zu diesem Zwecke auf den Hilgen und warf die dort oben liegenden toten Körper kopfüber hinunter auf das Stroh. Dann schleppte ich den einen nach dem andern in das Haus, indem ich sie um den Leib fasste und die Beine nachschleifte. Den jüngsten Bruder legte ich in das Bett im Wohnzimmer, den ältesten in die Knechtekammer, die beiden andern in den Pferdestall. Eigentlich wollte ich alle in ihre Betten schaffen, damit sie vollständig verbrennen sollten, aber es fehlte mir an Zeit und an Kraft. Beim Fortschaffen des zuletzt erschlagenen Bruders bemerkte ich noch schwache Regungen, ich ergriff deshalb einen vor dem Fenster liegenden Hammer und zertrümmerte ihm den Schädel. Ich nahm aus der Tasche seiner Kleider ein Messer und die Geldbörse und legte ihn dahin, wo das Stroh in bedeutender Menge aufgehäuft war. Die Leiche meines Vaters, die sich noch auf dem Schubkarren befand, schleppte ich in das Wohnzimmer und legte sie in das Bett. Vorher hatte ich aus den Hosentaschen den Geldbeutel und die Schlüssel genommen. Den Leichnam meiner Mutter warf ich über den meines Vaters und den der Schwester zu dem des jüngsten Bruders in das Bett. Nach dieser äußerst anstrengenden Arbeit ging ich daran, mich gründlich zu reinigen. Zu dem Ende begab ich mich in die Küche, wo 4–5 Eimer Wasser standen. Mit einer hölzernen Schale aus den Eimern schöpfend wusch ich mir zunächst den Oberkörper gründlich rein, zog dann in meinem Schlafzimmer das am Nachmittage bereit gelegte flanellene Hemde an und wusch mir die Beine, die Füße und die Hände. Zum Abtrocknen benutzte ich zwei in der Küche hängende Handtücher. Als ich fertig war, warf ich die blutigen Kleider auf einen Haufen und deckte Stroh darüber.
Ich zog die Hose an, welche ich am Nachmittage abgelegt hatte, warf das weiße Hemde über das flanellene, band ein reines Halstuch vor und überzeugte mich vor dem Spiegel, dass ich ganz rein war. Nun überlegte ich, was ich alles mitnehmen wollte. Ich öffnete den Schrank, in welchem mein ältester Bruder sein Geld aufzuheben pflegte, und nahm einen Beutel und eine Börse heraus, aus dem Kleiderschranke holte ich die beiden Blechkasten und eine Pappschachtel. Mit allen diesen Sachen begab ich mich, ein brennendes Licht in der Hand, in die Knechtekammer. Ich verschloss Fenster und Türen und packte in den Kasten, in welchem die Dokumente lagen, das bare Geld, in den andern das in der Pappschachtel befindliche Silber.
Die Geldtaschen meiner Brüder und die Messer warf ich weg, die Schachtel ließ ich liegen, die Kasten aber schloss ich fest zu. Während ich mit dieser Arbeit beschäftigt war, schien es mir, als ob jemand mit dem Finger an das Fenster pochte, ich erschrak und blies das Licht aus. Ich trug die beiden Kästen in mein Schlafzimmer und legte noch die Sparbüchsen meiner Schwester und meines jüngsten Bruders hinein, die in einem Sekretär standen. Da ich bemerkte, dass meine Uhrlitze entweder vom Wasser oder vom Blute nass geworden war, vertauschte ich sie mit einer andern und schickte mich nun an, die Kleider in Sicherheit zu bringen. Ich holte auf zweimal so viele aus den Schränken im Wohnzimmer, als ich tragen konnte, räumte auch den Schrank in meinem Schlafzimmer aus und legte die ganze Masse auf den Tisch.
»Im Wohnzimmer lag ein Bund Streichhölzer, ich nahm es an mich, ging in die Scheune, brannte mit einem Zündholz das Stroh an und verschloss die Scheune. Hierauf warf ich eine Tracht Stroh, welche auf der Diele lag, auf das Bett in der Knechtekammer und zündete es an.
»Im Wohnzimmer zog ich das Stroh unter den Betten vor, holte noch etliche Bunde von der Diele, warf sie neben die Betten und legte Feuer an. Die Türen verschloss ich, damit der Feuerschein nicht so schnell hervorbrechen sollte. Nun kehrte ich in mein Schlafzimmer zurück, vertauschte die alten blutigen Pantoffeln mit den neuen, die ich parat gesetzt hatte, und legte mich in mein Bett. Aber es graute mir vor mir selbst; als ich von der in Flammen stehenden Scheune den Hof erhellt sah, öffnete ich ein Fenster, warf Bett und Kleider hinaus, stellte die beiden Kästen auf die Fensterbank und sprang dann hinunter.
Einen Teil der Kleider sowie das Bett trug ich in den Obstgarten, die übrigen Kleider und die beiden Kästen nahm ich zu mir und verließ den Hof. Auf dem Wege nach dem Nachbarhofe saß ich eine Zeit lang auf dem Deiche, ich wollte warten, bis das Wohnhaus in Flammen stünde, hielt es aber doch nicht so lange aus, weil es mich unwiderstehlich trieb, zu Menschen zu kommen. Am Nachbarhause angelangt, klopfte ich zweimal an die Küchentür, rief: »Unser Haus brennt, könnt ihr denn nicht hören? « und warf mich dann zur Erde. Während ich anscheinend bewusstlos im Bette lag, habe ich aus den Gesprächen der Leute, welche aus- und eingingen, erfahren, was sich später auf der Brandstätte ereignet und was man auf derselben gefunden hatte. «
So lautete im Wesentlichen das Geständnis des Mörders. Es stimmte, wie wir schon sagten, mit den sonst bewiesenen Tatsachen überein, indes wurde es nicht in allen Punkten bestätigt, z.B. in Betreff seiner Angabe über das Vergraben einer Uhr nebst Geldtasche im Außendeiche. Anfänglich behauptete Thode, er könne die Stelle, wo er die Sachen vergraben, nicht mehr genau bezeichnen, weil er damals zu sehr von seinen Mordgedanken eingenommen gewesen sei und nicht darauf geachtet habe.
Endlich ließ er sich herbei, den Ort genau zu beschreiben. Es wurde nachgegraben, man fand jedoch nichts und der Angeschuldigte gestand, dass er gelogen habe, und gab eine andere Stelle als die richtige an. Er wurde selbst dahin geführt und man erkannte sofort, dass dort im letzten Sommer nicht gegraben sein konnte, denn das Gras war fest mit dem Boden verwachsen. Er blieb dabei, man solle nur suchen. Als eine Strecke von 1 ½ Ruthen Länge und 2 Fuß Breite aufgegraben war, erklärte er, er müsse sich doch geirrt haben, die Sachen müssten an dem und dem Orte liegen. Man grub von neuem, aber wieder umsonst, Thode sagte: man solle nur aufhören, er habe sich eben nochmals geirrt. Alle Versuche, ihn zur Angabe der Wahrheit zu vermögen, waren umsonst.
Thode wurde auf die väterliche Hofstätte geführt und bezeichnete daselbst mit vollkommener Ruhe die Stellen, an welchen er Vater und Brüder erschlagen. Es ergriff ihn nicht im mindesten, dass er den Schauplatz seiner schrecklichen Taten wieder sah, vielmehr benutzte er jeden unbewachten Augenblick, um nach den Arbeitern, welche beim Neubau des Wohnhauses beschäftigt waren, und nach den vorübergehenden Leuten zu schielen.
Noch an demselben Tage räumte Thode, nachdem er nach Itzehoe zurückgebracht worden war, ein: er habe die Commission nach dem Außendeiche genarrt und sehr wohl gewusst, dass die Uhr sich dort nicht befinde. Er nannte einen Ort im Obstgarten als denjenigen, wo er die Sachen verscharrt habe, unmittelbar darauf aber widerrief er auch diese Angabe und war zu keiner andern Aussage zu bewegen, als dass er nicht wisse, wo er mit der Uhr geblieben sei. Die Commission nahm an, der Inculpat habe mit der Uhr noch andere Gegenstände vergraben, an deren Nichtauffindung ihm gelegen sei, und überhaupt müsse er noch etwas zu verbergen haben, vor dessen Bekenntnis ihm selber graue.
Im Laufe der Untersuchung bekannte sich der Inculpat noch zu einer ganzen Reihe von Verbrechen. Das schwerste derselben war die Brandstiftung in der Mühle, auf welcher er im Jahre 1864 einige Wochen gearbeitet halte. Während sein Prinzipal einen Tag abwesend und nur das Dienstmädchen mit den Kindern zu Hause war, schlich er aus der Mühle, in welcher er mit einem Lehrling beim Behauen eines Mühlsteins beschäftigt war, unter dem Verwände, nach dem Mehlsack sehen zu wollen, in das Wohnhaus, setzte das auf dem Boden lagernde Stroh mittels eines Zündhölzchens in Brand und begab sich dann in die Mühle und an die Arbeit zurück. Als Motiv für diese That gab er an, dass er es auf der Stelle nicht habe aushalten können, weil der Mehlstaub seine Lungen belästigt habe. Ohne einen plausibeln Grund habe er seinen Dienst nicht verlassen wollen, einen solchen Grund nicht gehabt und deshalb Feuer angelegt. Bei der Richtung des Windes sei es notwendig gewesen, dass die Mühle zugleich mit dem Wohnhause habe abbrennen müssen. Timm Thode rettete die ihm gehörigen Sachen, sein Dienstherr dagegen, der nicht versichert war, verlor fast alles.
Weiter gestand der Angeschuldigte, im Jahre 1865, als er auswärts diente, einem Fleischergesellen eine Summe Geldes, circa 50-60 Mark, entwendet zu haben. Dies führte er so aus, dass er abends unbemerkt einen an der Hintertür des ihm wohlbekannten Nachbarhauses befindlichen Riegel zurückschob, dann kurz vor Mitternacht, nachdem er seine Schuhe mit einem alten Sacke umwunden hatte, vom Hause seines Dienstherrn aus durch die geöffnete Thür in die Kammer des daselbst schlafenden Gesellen schlich und hier mittels des Schlüssels, welchen er vorher aus dem vor dem Bette liegenden Beinkleide genommen hatte, aus einem auf dem Tische stehenden Kasten das Geld entwendete. Der Verdacht der Urheberschaft an diesem Diebstahle fiel auf einen Nebengesellen des Bestohlenen.
Außerdem räumte der Inculpat ein, dass er sowohl seinen Vater als seine Brüder wiederholt bestohlen habe. So bekannte er namentlich, um Weihnachten 1865 einem seiner Brüder eine Summe Geldes in folgender Weise entwendet zu haben: Er kehrte in der Nacht von einem Gelage heim, stieg durch das Fenster, und nahm aus der daselbst stehenden Lade seines Bruders die Summe von 40 Mark und erzählte, es sei ihm dicht vor dem Hause ein Mann begegnet, welcher in sein Schlafzimmer eingebrochen sein müsse, denn er habe daselbst die unzweideutigen Spuren eines Diebstahls entdeckt. Um sein Märchen glaubwürdiger zu machen, hatte er Kleider zusammengerafft, sie in Bündel gebunden und in das Zimmer geworfen, als ob jemand beim Stehlen überrascht worden wäre.
Nach dem Morde, in der Zeit vom August 1866 bis zum Mai 1867 lebte Thode, wie uns bekannt ist, teils in Itzehoe, teils in einem Dorfe nahe bei der Stadt. An den ländlichen Arbeiten seines Hauswirts nahm er teil, soviel er Lust hatte. Er besuchte die Märkte und die Lustbarkeiten in der Umgegend und schaffte sich an, was ihm gefiel. Das Vermögen wurde zwar administriert, aber Timm holte sich vom Administrator Geld, so oft er dessen bedurfte. Er lebte so still und so gleichmütig, dass alle, die mit ihm verkehrten, darin übereinstimmten: so benehme sich kein schuldbeladener Mensch.
In den ersten Tagen seiner Haft klagte er über sein herbes Geschick, indes er fand sich schnell in seine Lage. Bis an sein Ende erfreute er sich eines vortrefflichen Appetits und eines gesunden Schlafes, seinen Gleichmut verlor er nur auf Augenblicke. Nicht selten hörte der Gefangenwärter aus Thode's Zelle einen lustigen Gassenhauer herüberklingen und auf seine Vorstellungen, dass dergleichen Gesänge für ihn sehr unschicklich wären, erwiderte der Gefangene: »Freuet Euch des Lebens etc.« seien doch ganz hübsche, anständige Lieder. Von Niedergeschlagenheit oder gar von Zerknirschtsein nahm niemand etwas wahr.
Die Untersuchung wurde mit dem letzten Tage des Juni geschlossen, sie hatte nur acht Wochen gedauert. Am 1. September 1867 trat die Verordnung betreffend das Strafrecht und das Strafverfahren in den Neuerworbenen preußischen Provinzen in Kraft, und am 25. Januar 1868 wurde das erste Schwurgericht in Itzehoe gehalten. Nahm dieses neue Institut schon an sich das Interesse der Bevölkerung in hohem Grade in Anspruch, so wurde die Teilnahme noch beträchtlich dadurch gesteigert, dass zwei Mörder vor die Schranken gestellt wurden, namentlich zog der letzte Tag, wo der Prozess Thode verhandelt wurde, ganze Scharen von Neugierigen nach Itzehoe.
Der Andrang zum Schwurgerichtssaale war so stark, dass die Eintrittskarten, welche am Tage vorher im Büro der Staatsanwaltschaft ausgegeben werden sollten, aus dem Fenster auf die Straße hinabgeworfen werden mussten, weil zu befürchten stand, dass unter dem Anstürmen der Bewerber Türen und Treppen brechen würden. Am Tage der Sitzung selbst war früh morgens nicht bloß der Saal mit Menschen angefüllt, sondern auch der vor dem Hause befindliche freie Platz von einer zahllosen Menge besetzt, welche bis zum Schlusse der Verhandlung aushielt.
Der Angeklagte, ein starker, robuster Mann, mit plumpen Händen und Füßen, auffallend starken, wulstigen Lippen und kleinen Augen, in allen Bewegungen wie im Sprechen äußerst schwerfällig, hatte durchaus nichts von dem Helden einer Kriminalnovelle; jeder Unbefangene musste ihn für einen äußerst beschränkten, plumpen, übrigens aber harmlosen Bauerburschen ansehen. Er saß in schwarzes Tuch gekleidet, mit stark gerötetem Gesichte, augenscheinlich unbehaglich berührt von den vielen auf ihn gerichteten Blicken, auf der Anklagebank.
Beim Verlesen der Anklageschrift hörte er mit gespannter Aufmerksamkeit zu und erklärte auf die Frage, ob er sich dessen schuldig bekenne, was ihm in der Anklageschrift zur Last gelegt sei: Abgesehen von einigen unwesentlichen Unrichtigkeiten in Betreff der Ausführung der That, verhalte sich alles so, wie es in der Anklage angegeben sei. Die ihm weiter im speziellen vorgelegten Fragen beantwortete der Angeklagte bald in kürzern Antworten, bald auch in längerer Rede mit vollkommener Ruhe. Auf die Frage des Vorsitzenden, ob ihn nicht außer dem Hasse gegen Vater und Brüder auch der Wunsch, sein väterliches Vermögen und namentlich den Hof allein zu besitzen, mit zu dem Verbrechen getrieben habe, erwiderte er: »Ja, darum habe ich es ja gerade getan!« Am Schlusse seiner Vernehmung beantwortete Thode die Frage, ob er nun nichts mehr auf dem Herzen und dem Gerichte zu offenbaren habe, dahin: »In allen wichtigen Punkten habe ich die Wahrheit gesagt, wenn aber in Nebendingen sich nicht alles so verhält, wie ich angegeben, so ist dies Wider meinen Willen geschehen.«
Während des Verhörs zeigte sich in seinem Benehmen keine Spur, aus der man auf eine innere Unruhe oder gar Erschütterung hätte schließen können, nur schien er über die Schilderung des Kampfes mit Mutter und Schwester möglichst kurz hinwegkommen zu wollen. Er äußerte, es habe ihm wehe getan, auch diese beiden töten zu müssen, allein es sei ihm keine Wahl geblieben.
Der Verteidiger hatte nichts Erhebliches vorzubringen, das Verdikt der Geschworenen lautete auf » schuldig des achtfachen Mordes sowie der wiederholten Brandstiftung«, und das Erkenntnis; des Gerichtshofes auf » Todesstrafe durch das Beil«. Die Verkündigung des Urteils machte, wie es schien, keinen sonderlichen Eindruck auf den Angeklagten. Bei seiner Abführung aus der Sitzung in das Gefängnis sagte er zu dem Gefangenwärter: » Das war 'ne böse Tour.«
Die Stimme des Volkes forderte gebieterisch, dass die Todesstrafe nicht allein erkannt, sondern dass sie auch vollzogen würde. Schien es doch eine kaum genügende Sühne, wenn diesem Ungeheuer der Kopf vor die Füße gelegt würde. Der König bestätigte das Urteil und der Delinquent wurde nach Glückstadt transportiert, um dort im Gefängnishofe hingerichtet zu werden.
Bis zur Schwurgerichtssitzung hatte Timm Thode geistliche Zuspräche sich zwar gefallen lassen, aber was ihm gesagt wurde, ohne alles Verständnis mit angehört. Als er zum Tode verurteilt war, legte er ein lebendigeres Interesse für religiöse Dinge an den Tag und überraschte den Geistlichen oft durch seine Äußerungen und seine Fragen.
Er bewahrte bis zum letzten Moment seine merkwürdige Ruhe, genoss noch wenige Stunden vor der Exekution seinen Morgenkaffee nebst Brot mit Appetit und schlief auch in der letzten Nacht einige Stunden. Je näher sein Tod herbeikam, desto mehr beschäftigte er sich mit der Heiligen Schrift; die Tröstungen der Religion wurden sein liebstes, fast einziges Gespräch. Er versicherte dem Gefangenwärter zu wiederholten Mal: er wisse, dass er mit seinem Gotte ausgesöhnt sei und völlig ergeben der letzten Stunde entgegensehe. Die Hinrichtung war auf den 13. Mai 1868 angesetzt.
Timm Thode wusch sich früh morgens und sagte zum Gefangenwärter: er wolle sich nicht erst weiter anziehen (er war nur mit Hemde, Hosen und Pantoffeln bekleidet), das sei ja unnötig und er könne gleich so hinuntergehen. Auf Zureden zog er jedoch Strümpfe und Stiefeln an und betrat in Begleitung zweier Geistlichen und unter dem Geläute des Armensünderglöckchens den Richtplatz, wo das Gericht, der Staatsanwalt, die als Zeugen deputierten Bürger, der Scharfrichter und dessen Knechte seiner warteten. Der Delinquent sah rot aus, wie gewöhnlich, man spürte keine merkliche Erregung an ihm. Er war offenbar im vollen Besitze seiner Seelenkräfte. Von Gerichts wegen wurde ihm noch einmal das Erkenntnis vorgelesen. Auf die Frage, ob er noch etwas auf der Seele habe, was er mitteilen möchte, antwortete er: »In der Hauptsache habe ich die volle Wahrheit gesagt; sollte ich in Nebendingen nicht alles so angegeben haben, wie es geschehen ist, so ist das wider meinen Willen geschehen.
Ich weiß, dass mein Gott mir vergeben hat, und hoffe auf meinen Erlöser.« Hierauf kniete er zwischen den beiden Geistlichen nieder, es wurde ein lautes Gebet gesprochen und Timm Thode fing an stark zu zittern, wir wissen nicht, ob infolge der Stellung, ob vor Kälte oder vor innerer Aufregung. Der Staatsanwalt übergab den Missetäter unter Vorzeigung der königlichen Namensunterschrift dem Scharfrichter. Timm Thode warf die Oberkleider ab, war den Knechten behilflich, seinen Körper festzuschnallen, dann legte er ruhig den Kopf auf den Block, das Beil zischte durch die Luft und das Haupt war vom Rumpfe getrennt.
Wenn wir es zum Schlusse dieser Darstellung noch für unsere Aufgabe erachten, uns auf Grund der Akten und zuverlässiger mündlicher Mitteilungen tunlichst klar zu werden über die Persönlichkeit des Timm Thode, über die Motive seiner That und eine vor seinem Ende etwa eingetretene innere Umwandlung, so hoffen wir, dadurch den Wünschen unserer Leser zu entsprechen.
Erfahrungsmäßig liegt für die menschliche Natur ein eigentümlicher Reiz darin, sich selbst in ihrer Entartung anzuschauen. Die gleiche Art bringt von selbst die Möglichkeit gleicher Entartung mit sich; das ist der Grund jenes geheimnisvollen Reizes: jeder fühlt, bewusst oder unbewusst, den Anreiz in sich, nach irgendeiner Richtung hin die dem Menschen durch das Gesetz, durch das Recht und die Sittlichkeit gezogenen Schranken zu überschreiten, und ist eben darum, wenn er alle eine verbrecherische Handlung begleitenden Umstände kennt, befähigt, den Vorgang in der Seele des Verbrechers von der ersten, kaum bewussten Regung bis zur Ausführung der That zu verfolgen, das Verbrechen in seiner Entstehung psychologisch zu begreifen. Dieses allgemein menschliche, nicht so sehr das juristische Interesse ist es auch gewesen, welches in so weiten Kreisen die Aufmerksamkeit auf den Prozess »Thode« gezogen hat. Um unsere Aufgabe lösen zu können, ist es unerlässlich, zunächst mit einigen Worten auf Lebensweise und Charakter unserer ländlichen Bevölkerung überhaupt und speziell der Klasse einzugehen, welcher Thode angehörte.
Das Leben unserer Bauern sieht in der Wirklichkeit ganz anders aus, als es sich in der Phantasie der Novellisten spiegelt, der Charakter unserer Landbevölkerung ist oft idealisiert worden. In der neuesten Zeit kann überhaupt von einem eigenartigen Charakter der Bauern im Allgemeinen kaum mehr die Rede sein. Vor dem nivellierenden Streben der Jetztzeit schwindet sowohl das Originale des Individuums wie das Charakteristische des Standes mehr und mehr. Wo alle Kräfte des einzelnen in Anspruch genommen werden, fehlt es dem Individuum an der Muße zur eigenartigen Entwickelung.
Jede Arbeit dient jetzt dem Weltverkehr, jeder Stand mit seinem Schaffen ist nur noch ein ununterschiedener Factor in der Gesamtkraft der Produktion. Wo aber die Arbeit nicht mehr eigenartig ist, da kann dieselbe auch in ihrer Rückwirkung auf den Arbeiter nicht mehr eigenartig bilden. Das zeigt sich ganz besonders bei dem Stande, welcher sich am längsten seine Eigentümlichkeiten bewahrt hat, bei dem Bauernstande. Auch dieser begnügt sich nicht mehr mit der bloßen Produktion, sondern tritt allmählich dem Handelsstande, dem eigentlichen Apostel des allgemeinen Menschentums, immer näher.
Allein es lebt doch immer noch ein ansehnlicher alter Stamm im Bauernstande, welcher sich mit ganzer Zähigkeit gegen alles Neue, in welcher Form es auch bei ihm einzudringen sucht, wehrt und seine Eigenart sich bewahrt hat. Im Bauernstande selbst heißen diese Vertreter der »guten alten Zeit« die »alten Bauern«, wobei indes das Wort »alt« sich nicht auf die Lebensjahre bezieht. Auch von einem jungen Manne heißt es nicht selten: »Der ist noch ein echter, alter Bauer.« Diese sogenannten »alten Bauern« haben sich ein gutes Maß von Eigenart erhalten, aber von ihnen gilt auch die oben aufgestellte Behauptung, dass ihr Charakter nur zu oft von Novellisten idealisiert worden ist.
Es ist wahr, der »alte Bauer« hat einen tiefen Respekt vor Religion und Recht, aber diese Scheu hat mehr ihren Grund in einer traditionellen Anschauungsweise als in einem lebendigen Verständnis;. Der »alte Bauer« scheut sich ängstlich, etwas zu tun, was offenbar und nach jedermanns Urteil den Vorschriften von Religion und Recht widerspricht, aber er ist durchaus nicht skrupulös darin, sich mittels einer sittlich nicht zu rechtfertigenden Handlung einen Vorteil zuzuwenden, wenn nur die Unsittlichkeit nicht in die Augen fällt. Das Gewissen des »alten Bauern« ist nicht minder hart und schwielig als seine Hände; es gehört bei beiden schon ein tüchtiger Stich dazu, um zu verwunden.
Der eigentlich charakteristische Zug, welcher den Bauer der alten Zeit vor dem Hofbesitzer, dem Ökonomen unserer Tage auszeichnet, ist der stark hervortretende Familiensinn, das Gentilbewußtsein, könnte man es nennen. Aus diesem stießen naturgemäß zwei Eigenschaften: eine oft zum Geiz ausartende Sparsamkeit und eine fast ängstliche Abgeschlossenheit gegen alles Fremde. Die Familie und das, worauf das Ansehen derselben beruht, der Familienbesitz, ist die Welt des Bauern der alten Zeit, die Erhaltung des Besitzes in der Familie seine Lebensaufgabe.
Man kann nicht mit Grund behaupten, dass der »alte Bauer« nichts von Liebe zu seinen Kindern wüsste, allein er liebt sie nicht sowohl, weil sie sein Fleisch und Blut sind, als weil er in ihnen diejenigen erblickt, welche die Familie in ihrem Besitz fortpflanzen und erhalten. Ein ähnliches Verhältnis ist das des Bauern der alten Zeit zu seiner Ehefrau. Er ist ihr treu und ehrlich zugetan, jedoch nicht als dem Weibe seines Herzens, sondern weil er in ihr die Hausfrau achtet und ehrt. Diese unsere Meinung wird bestätigt durch die Art und Weise, wie der »alte Bauer« seine Angehörigen dritten, namentlich den Dienstleuten gegenüber, zu bezeichnen pflegt. So nennt er seine Frau nicht »meine Frau«, sondern »die Frau«, den Sohn, welcher den Hof übernommen, nicht »meinen Sohn«, sondern »den Bauer«, die verheiratete Tochter nicht »meine Tochter«, fordern »die« mit dem Namen ihres Mannes.
Eine natürliche Folge dieser eigentümlichen Auffassung ist, dass die rein individuelle Liebe des Vaters zu dem Kinde in weit geringerem Grade entwickelt wird, als das in andern Ständen der Fall ist. Das Individuum tritt zurück gegenüber der Familie, das einzelne Glied gilt nur so viel, als es für die Erhaltung der Familie und ihres Ansehens bedeutet. Das Verhältnis der Kinder zu dem »alten Bauern« beruht nicht auf hingebender Kindesliebe, wohl aber auf dem Respekt und dem Gehorsam gegen den Hausherrn und das Familienhaupt. Diese Stellung von Eltern und Kindern wiederholt sich analog in den Beziehungen der jüngern Kinder zu dem ältesten Sohne. Die Erhaltung des Ansehens der Familie fordert die Übertragung des Besitzes auf einen Repräsentanten.
Die jüngern Kinder erkennen unbewusst diese Notwendigkeit an und übertragen einen Teil dieses Respekts von dem gegenwärtigen Familienhaupt auf das künftige. Dieses Verhältnis der Familienglieder zueinander ist, wo es in seiner Reinheit und Ungetrübtheit erscheint, ein ebenso schönes und gesundes, als es für das Allgemeine wichtig und bedeutungsvoll ist. Allein jede Ausartung desselben, jedes Eindringen einer andern, mehr dem Leben höher gebildeter Stände entlehnten Anschauung wird gefährlich, um so gefährlicher, wenn der Träger derselben nicht das Familienhaupt ist. Tritt einmal, was in neuerer Zeit immer häufiger zu geschehen pflegt, ein jüngerer Sohn, z. B. als Handwerker, aus der Sphäre seines bisherigen Lebens und damit auch aus dem Kreise des herkömmlichen Denkens und Empfindens hinaus, so fängt er an zu vergleichen, und was er bis dahin für recht und notwendig hielt, erscheint ihm nur zu leicht als unrecht und willkürlich.
Achtung und freiwilliger Gehorsam gegen das Familienhaupt wird zu widerwilliger Unterwerfung unter die Befehle des Herrn; stillschweigende Anerkennung des herkömmlichen Vorrechts der Eltern zu Neid und Missgunst. Dagegen, dass diese Empfindungen nicht ausarten, fehlt es an jedem Zügel, denn es fehlt die kindliche und die brüderliche Liebe, welche den Menschen opferfähig und opferfreudig macht.
Die Familie Thode bietet uns durchaus das Bild einer Bauernfamilie der alten Zeit dar, nur dass die Familienglieder nicht so zusammen lebten und verkehrten, wie es hätte sein sollen. Namentlich war der Vater, also derjenige, welcher das Leben der Familie nach seinem Willen gestaltete, durchaus ein Bauer der alten Zeit, und unterschied sich von seinen Gesinnungsgenossen nur dadurch, dass er sich um religiöse Dinge auch äußerlich wenig oder gar nicht kümmerte. Er selbst war nicht sehr für den Verkehr mit andern Familien und sah es ungern, wenn seine Kinder an öffentlichen Lustbarkeiten teilnahmen. Mit allen Kräften strebte er nach Erhaltung und Vermehrung des Familienbesitzes und verlangte von seinen Söhnen, dass sie ebenfalls in der Erreichung dieses Zwecks ihre ganze Lebensaufgabe finden sollten.
Im Hause war er der Herr, der, wortkarg und mürrisch, unbedingten Gehorsam verlangte, in anderer Beziehung aber niemals seinen Angehörigen zu nahe trat. Von einem Besprechen oder Beraten der Fragen, welche die Familie angingen, mit den Seinigen war nie die Rede und am wenigsten gestattete er ihnen einen Einblick in seine Vermögensverhältnisse. Was die Söhne an Taschengeld gebrauchten, mussten sie sich durch einen Handel mit Schafen verdienen; der Vater bewilligte ihnen nur freie Weide für die Tiere.
Sparen und Erwerben, das war der Lebenszweck des alten Thode, und zwar nicht etwa um seiner Kinder willen, sondern weil es so sein musste, weil er es nie anders gekannt hatte. Die Mutter war allerdings andern Sinnes, allein wie sie körperlich schwach war, so hatte sie auch nicht die Kraft, der Autorität ihres Mannes mit Erfolg entgegenzutreten. Von Liebe der Kinder zu ihrem Vater war nicht die Rede. Sie gehorchten, solange sie Kinder waren, unbedingt und arbeiteten auch als Erwachsene wie Knechte in seinem Dienste. Auch sie wollten vor allen Dingen erwerben. Allein die Söhne hatten sich doch bereits zum Teil von den Anschauungen des Vaters emanzipiert.
Sie gehorchten zwar insofern, als sie sich nicht weigerten, alle Arbeiten auf dem Hofe zu verrichten, allein in Betreff der Art und Weise der Bearbeitung und in Bezug auf die Teilnahme an öffentlichen Vergnügungen fügten sie sich den Anordnungen des Vaters entweder nicht ohne Widerspruch oder mitunter auch gar nicht. Timm Thode sagte: »Wenn Vater uns hätte zwingen wollen, so würden wir uns gewehrt haben. «
Es gab zwischen dem Vater und den Söhnen oft Zank und Streit, und das Verhältnis der Söhne war nicht besser. Wenn sie auch gegen den Vater zusammenhielten, so lagen sie sich doch untereinander fortwährend in den Haaren, und suchten sich das Leben gegenseitig zu verbittern. So ärgerten beim Düngerfahren diejenigen von den Brüdern, welche fuhren, die andern, welche aufluden, dadurch, dass sie möglichst rasch mit ihren Wagen zurückkehrten, und ebenso war es beim Abladen von Korn; die, welche die Garben von dem Wagen auf den Boden warfen, strengten sich möglichst an, damit der auf dem Boden Stehende mit ihnen nicht gleichen Schritt halten konnte.
Dergleichen boshafte Streiche verfeindeten die Gemüter und veranlassten nicht gerade selten Schlägereien. Die einzige Tochter, ein kräftiges, lebenslustiges Mädchen, schloss sich eng an die Mutter an und bemühte sich im Verein mit dieser, die unter den Männern obwaltenden Streitigkeiten zu schlichten. Dass in einer solchen Häuslichkeit von einem innigen, das Gemüt weckenden und befriedigenden Familienleben nicht die Rede sein konnte, leuchtet ein. Timm Thode äußerte treffend: »Vergnügt waren wir höchstens einmal im Hause, wenn eins unserer Tiere auf der Tierschau eine Prämie erhalten hatte.«
Dies also war der Boden, welcher den herzlosen und grausamen Mörder hervorbrachte. Wie im Hause der Eltern jede Wärme, jeder Strahl der Liebe fehlte, so mangelte auch dem Sohne jede Wärme des Gemüts, in seiner Brust war kein Funke von Liebe zu Vater und Mutter und Geschwistern. Sie standen ihm im Wege, sie waren seine Feinde. Von der Natur mit mittelmäßigen Geistesanlagen ausgestattet, an Körper kräftig und plump, wuchs Timm Thode zu einem rohen, störrischen Knaben heran, der indolent und träge war, aber wo es sich um die Befriedigung seiner sinnlichen Wünsche und Bedürfnisse handelte, kein Mittel scheute. Rohe Kraft dem Schwächern, feige List und Lüge dem Stärkern gegenüber, das waren seine Waffen. In der Schule verübte er heimlich schlechte Streiche, hatte aber vor dem Stocke des Lehrers gewaltigen Respekt.
Nach seiner Konfirmation sollte Timm Thode gemeinschaftlich mit dem ältern Bruder auf dem väterlichen Hofe die Arbeiten eines Knechts verrichten, allein das sagte ihm durchaus nicht zu, Faulheit brachte ihn auf den Gedanken, bei fremden Leuten in Dienst zu treten. Er sah jedoch bald genug ein, dass er sich in dem Glauben, anderswo sei weniger zu tun, getäuscht hatte, und kehrte wieder heim. Während der folgenden drei Jahre waren Timm's Faulheit, Störrigkeit und Lügenhaftigkeit eine fortwährende Quelle des Haders mit dem Vater und den Brüdern.
Je mehr Söhne heranwuchsen, desto größer wurde der Unfriede; jeder von den Brüdern wollte den andern bei der Arbeit sowohl als bei dem gemeinsamen Schafhandel übervorteilen, nur wo es galt, dem Vater zu opponieren, standen alle zusammen. Timm wurde von den übrigen verhöhnt, gescholten, geschlagen, er rächte sich durch kleine Diebereien und das Übel wurde immer schlimmer. Sein Herz verstockte sich mehr und mehr, er hasste seine Quälgeister ingrimmig, wiederum verließ er den väterlichen Hof, allein die Arbeit in der Fremde war auch diesmal nicht nach seinem Geschmack. Er kam zurück und es ward ärger denn zuvor. Der Wunsch, sein eigener Herr zu sein und ein bequemes Leben nach seiner Neigung zu führen, erzeugte den Gedanken des Mordes. Wie ein Blitz zuckte es durch seine Seele. Wie, wenn die Deinigen tot wären, wie, wenn du sie umbrächtest und der Hof dann dein Eigentum wäre!
Wir glauben ihm, dass er vor dem Gedanken zurückbebte. Seine Trägheit und noch mehr ein Rest von Gewissen schreckten ihn ab von der Ausführung der blutigen That. Aber er hatte die bösen Geister heraufbeschworen, sie ließen ihn nicht wieder los. Jeden Tag fühlte er den Druck der Arbeit und immer verführerischer malte er sich aus, wie köstlich es sein müsste, wenn er genießen könnte, ohne sich anzustrengen. Endlich war er entschlossen und mit schaudererregender Energie verübte er den Mord.
Timm Thode war ein völlig normal entwickelter Mensch trotz seiner entmenschten Verbrechen, aber freilich ein Mensch ohne Gottesfurcht, ohne Gemüt, ohne Herz. Er liebte niemand auf der Welt als sich selbst. Die entsetzlichste Selbstsucht gepaart mit grausamer Rohheit brachten ihn dahin, dass er mit einer gewissen Berechnung acht Menschenleben opferte und über die Leichen von Vettern und Geschwistern wegschritt, um in den Besitz eines großen Vermögens zu gelangen. Er that das Böse nicht um des Bösen willen, er hatte nicht seine Lust am Mord, sondern dieser war ihm nur Mittel zum Zweck. Schwerlich würde er noch andere Missetaten begangen haben, wenn er unentdeckt geblieben wäre und die Frucht des vergossenen Blutes in Ruhe hätte genießen können.
Timm Thode war aber nicht bloß ein kaltblütiger, gewalttätiger Bösewicht, er war auch ein Lügner ersten Ranges. Dies beweist die Verstellungskunst, mit welcher er den Ohnmächtigen und Kranken zu spielen und das Untersuchungsgericht zu täuschen verstand.
Der hervorstechendste Zug in dem furchtbaren Gemälde, welches wir aufgerollt haben, ist die völlige Gefühllosigkeit des Mörders, und es ist eine wirkliche Befriedigung, wenn man in einzelnen Äußerungen des Mörders den Menschen erkennt. Grauenhaft ist es, dass er einen nach dem andern umbringt, grauenhafter noch, dass er Mutter und Schwester niedermetzelt, am grauenhaftesten aber, dass er die Leichen kopfüber vom Boden hinunterwirft, in das Haus schleppt und in die Betten wirft. Man vermag es kaum zu begreifen, dass er sich, umgeben von Blut und Leichen, niederlegen und warten kann, bis der Hof in Flammen steht. Es ist gewiss wahr, wenn er sagt: »Mir graute vor mir selbst, ich musste zu Menschen.«
Wie es möglich war, dass ein Mann mit solcher Blutschuld auf dem Gewissen ruhig schlafen, mit Lust essen, singen und scherzen konnte, bleibt ein unlösbares Rätsel. Nicht minder rätselhaft ist es, dass er vom Oktober 1866 bis zum Mai 1867 ein so behagliches Leben zu führen im Stande war. Er stürzte sich nicht etwa in einen Strudel von Genüssen, um die innere Stimme zu übertäuben, nein er verbrachte einen Tag wie den andern im süßen Nichtstun, arbeitete nur so viel, als ihm bequem war, und aß und trank und schlief wie ein harmloser Bauerjunge. An öffentlichen Lustbarkeiten nahm er zwar einige Mal teil, aber nur, um sich vor dem Publikum zu zeigen und Verdacht von sich abzuwenden.
Den Schauplatz seiner Mordtaten betrat er mit vollkommener Ruhe; als er den Nachbarhof, wo er in jener Nacht Aufnahme gefunden hatte, zum ersten mal wieder besuchte, benutzte er einen Augenblick, wo er allein war, dazu, mit der Dienstmagd Unzucht zu treiben. Wie er in der frühern Zeit gefühllos die Mühle seines Dienstherrn angesteckt hatte, um aus dem ihm verhassten Dienste zu kommen, so mordete er später grausam und gefühllos alle die Seinigen, weil er unabhängig und wohlhabend werden wollte.
Ein weitaus charakteristisches Merkmal ist der unerhörte Leichtsinn, die Dummdreistigkeit, mit welcher das Verbrechen ausgeführt wurde. Timm Thode hatte zwar berechnet und gesonnen, aber doch nur, wie es ein höchst beschränkter Mensch tut. Wie wäre es geworden, wenn einer der Brüder ihm nicht in die Scheune oder wenn der erste Bruder dem zweiten auf dem Fuße gefolgt, wenn einer von ihnen nicht auf den ersten Schlag gestürzt, oder wenn der während des Nachmittags abwesende Bruder unerwartet früh nach Hause zurückgekehrt wäre! Wie leicht war es denkbar, dass der Vater der Aufforderung des Mörders, hinauszukommen, nicht Folge leistete, oder dass die Schwester während des Kampfes mit der Mutter die Flucht ergriff! Timm Thode scheint an alle diese Möglichkeiten nicht gedacht zu haben. Er äußerte in der Voruntersuchung und in der Hauptverhandlung: » Ich habe viel Glück dabei gehabt.«
Zur Ehre der menschlichen Natur wollen wir annehmen, dass der Entschluss dem Mörder Überwindung gekostet hat, dass es wahr ist, wenn er sagt: »Zuweilen wurde ich wieder Herr über meine Natur«, und wenn er namentlich von dem Blitzschlage, welcher nicht lange vor der That sein elterliches Haus traf, so sehr erschüttert worden sein will, dass er für einige Tage seinen Plan völlig aufgegeben habe.
Der Mörder hat als Motiv für die Ermordung seiner Angehörigen bald den Hass gegen Vater und Brüder, bald den Wunsch, das väterliche Vermögen allein zu besitzen, angegeben; offenbar war er darüber selbst nicht im Klaren. Und allerdings haben beide Motive eine Rolle bei der That gespielt. Wir möchten indes glauben, dass die Begierde, die Mittel zu gewinnen, um seiner Arbeitsscheu und seinem auf grobsinnliche Genüsse gerichteten Hange zu frönen, die Haupttriebfeder gewesen ist.
Es scheint zwar dieser Auffassung zu widersprechen, dass er auch die Leichen seiner Angehörigen plünderte und sein Bett und eine Masse von Kleidungsstücken zu retten bemüht war, allein, wie wir glauben, ist dieses Verfahren dadurch erklärlich, dass Timm von Jugend auf daran gewöhnt worden war, nichts umkommen zu lassen. Es ward ihm leid, dass die guten Sachen verbrennen sollten, nicht sowohl weil er sie dann verlieren, als weil das doch schade sein würde. Er selbst sagte darüber: »Ich wollte nicht, dass die Sachen verbrennen sollten.«
Thode hat später die geretteten Kleider zum größten Teile verschenkt und auch andere zum Teil kostbare Sachen, z. B. goldene Uhren, an Verwandte weggegeben. Wir erklären dies einfach so: er hatte so viel, als er brauchte, das Mehr achtete er nicht. Ein Vermögen, um ohne Arbeit seinen Wünschen gemäß zu leben und Ruhe vor den Quälereien im elterlichen Hause, das waren die Zwecke, welche durch das Verbrechen erreicht werden sollten, der Hass gegen Vater und Brüder erleichterte den Entschluss, die roheste Gefühllosigkeit und Muskeln und Nerven von Stahl machten es ihm möglich, das Unerhörte zu vollbringen. Mutter und Schwester, den jüngsten Bruder und die Dienstmagd hätte Thode gern geschont, aber dann wäre sein Unternehmen verfehlt gewesen und folglich wurden auch sie geopfert.
Wenn wir uns endlich zum Schlusse noch mit der Untersuchung beschäftigen, ob man annehmen darf, dass die Ruhe, welche der Delinquent im Angesichte des Todes gezeigt hat, auf eine wahrhafte innere Umwandlung, auf eine Erkenntnis seiner selbst, auf die Größe seiner Schuld und auf wahre, aus dieser Erkenntnis geborene Reue und Versöhnung zurückzuführen ist, so geschieht dies nur gegenüber einer aus ebenso tüchtiger als kompetenter Feder geflossenen Schrift, in welcher diese Frage zuversichtlich bejaht wird. Wir sind uns wohl bewusst, wie bedenklich es ist, eine solche Frage mit einiger Sicherheit zu entscheiden, und sind deshalb weit entfernt davon, unsere Ansicht als die richtige hinzustellen, allein wir halten es für geboten, auch in diesem Punkte unsere Überzeugung auszusprechen und zu begründen.
Ist unsere Auffassung, wie wir sie dargelegt haben, zutreffend, so war der Grundzug im Charakter Thode's eine maßlose Selbstsucht, d.h. eben das Gegenteil alles dessen, was wir gut und fromm nennen. Jene Selbstsucht war nicht entstanden aus Hass und Verbitterung gegen die Menschheit infolge eines wirklich oder vermeintlich unverdienten harten Schicksals, sie war eine ursprüngliche, auf natürlicher Anlage beruhende, durch seine Erziehung und seine Umgebung genährte und großgezogene. Die Umwandlung eines Menschen, der in einem solchen Grade selbstsüchtig und zugleich roh und gefühllos ist, erfordert eine unermüdliche Arbeit und viel Zeit. Ohne Zweifel haben sich diejenigen, welche dazu berufen waren, mit redlichem Eifer und warmer Teilnahme bemüht, in Thode das Gefühl der Schuld zu wecken, ihn zur Buße hinzuleiten; allein bis zur Sitzung des Schwurgerichts bemerkte man nicht, dass der gute Samen in den steinharten Boden eingedrungen war.
Thode hörte zwar die Ermahnungen und Belehrungen an, ohne zu widersprechen, allein Eindruck machten sie nicht. Erst mit seiner Verurteilung änderte sich sein Benehmen: er wandte sich von da an mit Fleiß und Aufmerksamkeit dem religiösen Troste zu und erklärte sich mit Gott versöhnt. Von einem eigentlichen Kampfe, von einem aus der lebendigen Erkenntnis seines Selbst entsprungenen Ringen, von einer vollständigen Zerknirschung und einem allmählichen Erfassen der Gnade Gottes hat niemand von denen, welche in jener Zeit mit Thode verkehrten, etwas wahrgenommen.
Wenn er, wie er sagt, wirklich mit seinem Gotte versöhnt gestorben ist, so hat er sich, wie wir fürchten, die grause Schuld spielend vom Gewissen gewälzt. Wir können uns eine solche Umwandlung nicht denken ohne gewaltige, auch äußerlich erkennbare innere Kämpfe und uns des Zweifels nicht erwehren, ob nicht die Ruhe im Angesicht des Todes doch aus derselben Quelle stammt wie diejenige, welche er nach vollbrachter That, nach Ablegung des ersten Geständnisses, bei Anhörung des Todesurteils an den Tag legte. Wir besorgen, Thode hat den Trost und die Verheißungen der Religion ohne wahre Buße, zu der es ihm an sittlicher Kraft gebrach, sich angeeignet, er hat diesen Stecken und Stab im Thale des Todes nur äußerlich als eine Stütze erfasst, aber nicht mit zerknirschtem Herzen im lebendigen Glauben ergriffen.
Jetzt steht er vor dem ewigen Richter, und es ist nicht an uns, zu entscheiden, ob er in furchtbarer Selbsttäuschung sich selbst für versöhnt erklärt hat, oder als ein bußfertiger Sünder zu Gnaden angenommen worden ist.
Quellen: - Willibald Alexis - Geschichten aus dem Neuen Pitaval