32. Fall – Rosa Hasel und Karl Dudek (1937)
- Der Prozeß des Grauens.
Wien, Freitag, den 12. März 1937
Wien, Donnerstag, den 11. März 1937
Am Abend des 11. März 1937 erscheint der Tischler Leopold Hasel völlig erregt im Wachzimmer Arsenal, um den Beamten mitzuteilen, dass in seiner Werkstatt, im Hause Landstraßer Gürtel 252, eine entsetzliche Bluttat geschehen sein müsse, da in der Küche alles voller Blut sei. Zu diesem Zeitpunkt konnte der Wachkommandant allerdings noch nicht ahnen, dass er in einigen Minuten den schrecklichsten Mord der Zwischenkriegszeit entdecken würde.
Der Polizeibezirksinspektor eilte sofort mit Leopold Hasel und mehreren Leuten seiner Wache in das kleine Haus an der Grenze der Bezirke Landstraße und Favoriten am Gürtel. Dort fand man tatsächlich in der Küche eine große Blutlache und in der Werkstatt einen Mann, dem der Kopf grausam vom Rumpf getrennt worden war. Der Tote wurde als der polizeibekannte Kokainhändler und Einbrecher, sowie mehrfach gerichtlich abgestrafte Chauffeur Leopold Kaufer identifiziert.
Die Tat hatten augenscheinlich die Wohnungsinhaberin, die Private Rosa Hasel gemeinsam mit ihrem Geliebten, dem am 22. April 1889 in Karwin in der Tschechoslowakei geborenen, staatenlosen Einbrecher Karl Dudek, aus der Leimrutengasse 14, begangen.Da die Beiden in der Wohnung angetroffen worden sind, brachte man sie sofort auf das Kommissariat. In der Zwischenzeit eilte eine Kommission unter Führung des Stadthauptmannes Hofrat Dr. Tornay mit dem Journalbeamten Polizeikommissar Dr. Eyner und dem Amtsarzt Sanitätsoberkommissar Dr. Remecek an den Tatort.
Auf dem Kommissariat Favoriten vernahm der Bezirksinspektor zunächst erst einmal die Frau. Diese gestand in kurzen, knappen Worten, die Tat gemeinsam mit Karl Dudek begangen zu haben. Sie hätte, so ihre Aussage, mit Leopold Kaufer bis zum Abend mehrere Lokale besucht, und dort Wein, Wermut und andere alkoholische Getränke in größeren Mengen genossen. Danach sei sie mit ihm in ihre Wohnung zurückgekehrt, wo sich alsbald auch Dudek einfand. In der Wohnung wäre Leopold Kaufer plötzlich zudringlich geworden. Dagegen habe sie sich gewehrt. Kaufer, der daraufhin in Wut geriet, hätte einen Sessel genommen und auf sie losgeschlagen. Nun habe sie Dudek zu Hilfe gerufen und dieser sei mit einem Lavoir (einer Waschschüssel) auf Kaufer losgegangen, bis dieser nach mehreren Schlägen auf den Kopf besinnungslos zu Boden sank. Dann hätten sie und Karl Dudek noch eine Weile auf dem Bewusstlosen mit den Füßen herumgetreten, ihn anschließend in die Werkstatt geschleppt, sich aber vorher noch mit je einem Küchenmesser bewaffnet, um dann in der Werkstatt an die Ausführung des Mordes zu schreiten. Zunächst, so gestand Rosa Hasel, hätte sie dem Bewusstlosen mit dem Messer einen Halsschnitt beigebracht. Anschließend trennte sie gemeinsam mit Dudek den Kopf vom Rumpf ab.
Als ihr Gatte, der Tischler Leopold Hasel abends nach Hause gekommen sei, hätte er das viele Blut entdeckt, wäre zur Polizei gegangen, um dort Lärm zu schlagen.
Das kleine Haus, indem diese Bluttat verübt wurde, liegt in dem unverbauten Viertel zwischen dem Arsenalweg und dem Landstraßer Gürtel, direkt an der Linie „118“ der Straßenbahn. Im Bericht der Polizei wird die Adresse als „Landstraßer Hauptstraße Nr. 252“ vermerkt. Das Häuschen des Ehepaars Hasels sowie die nebenan befindlichen Wohnbaracken führten aber keine Straßenbezeichnung. Der Eingang zur Mordstelle befindet sich direkt an der Linie der Straßenbahn „118“. In einer der Baracken gegenüber hat sich die „Gastwirtschaft“ mit dem wohlklingenden Namen „Zur Technischen Hochschule“ einquartiert. Planungen zufolge sollte auf diesem Gelände einstmals das neue Gebäude der Technischen Hochschule errichtet werden. Da das Objekt allerdings jenseits der Gürtellinie liegt, gehört es noch zum 10. Bezirk.
Das Haus, eine eher etwas größer geratene vermörtelte „Hütte“ mit Schieferdach, besteht aus mehreren Räumen. Sie gehört den Brüdern Joseph und Leopold Hasel, wurde jedoch ausschließlich von Leopold Hasel und seiner Gattin bewohnt, da Joseph Hasel in Utzgersdorf wohnte, wo er seine Tabakfabrik besitzt.
Leopold Hasel, der seine Gattin und Karl Dudek dabei ertappt hatte, wie sie gerade den Rumpf des ermordeten Kaufer zerstückelten, war bis zum April 1936 bei der Baugesellschaft „Grundstein“ als Tischlergehilfe beschäftigt, arbeitete dann eine Zeit lang in den Gaswerken, wurde schließlich arbeitslos und geriet dadurch in arge Not.
Mit seiner Gattin Rosa war Leopold Hasel schon seit einigen Jahren verheiratet. Diese Ehe konnte jedoch nicht als glücklich bezeichnet werden, obwohl seine Gattin, wie es im Polizeibericht vermerkt wurde: „… keineswegs das Muster einer Hausfrau“ war. Von den vielen Männerbekanntschaften seiner Ehefrau hatte Hasel, wie er bei der Polizei aussagt, nicht die geringste Ahnung.
Die am 20. Dezember 1900 in Wien geborene Rosa Hasel und später nach Utzgersdorf gezogen ist, war bereits einmal verheiratet. Bereits kurze Zeit nach der Scheidung heiratete sie dann Leopold Hasel.
Früher war sie einmal als Prostituierte polizeilich gemeldet. Aber auch in den Ehen wurden die Männerbekanntschaften kontinuierlich fortgesetzt, jedoch immer so geschickt, daß ihre Ehegatten stets unwissend blieben. Außereheliche Bekanntschaften zu Männern boten sich ihr ja bei jeder Gelegenheit, ob auf der Straße, oder in Gasthäusern. Trotz dieser vielfältigen „gelegentlichen“ Verhältnisse hatte Rosa Hasel auch noch ständige Verehrer.
Zu diesen Männerbekanntschaften gehörte auch der ehemalige Chauffeur Leopold Kaufer. Sie lernte ihn im Jahr 1936 als Reisenden kennen. Kaufer war zwar verheiratet, lebte aber bei seiner Mutter, einer Friseurs Witwe, in der Humboldtgasse 12. All seine Geschwister, die ebenfalls in Wien lebten, wurden als nette und brave Leute geschildert. Nur Leopold Kaufer ist aus der Art geschlagen und auf Abwege geraten. Früher war er einmal als Chauffeur tätig, aber in der letzten Zeit brachte er sich, wie seine Angehörigen erzählten, als „Zuckerhausierer“ durch. In Wirklichkeit lebte er vom Schleichhandel mit Kokain. Deshalb befand er sich auch im ständigen Konflikt mit den Behörden. Das Bild von Leopold Kaufer befindet sich auch im Verbrecheralbum der Wiener Polizei.
Es ist ohne Zweifel erwiesen, daß Kaufer, genauso wie Karl Dudek, der neue Verehrer der Rosa Hasel, einer der berüchtigtsten Einbrecher und Kokainschleichhändler, zur Unterwelt engste Beziehungen unterhalten hatten. Äußerlich machte Rosa Hasel den Eindruck eines kaltblütigen Weibes. Sie war überaus herrisch und brutal. Alle an sie gestellten Fragen beantwortete sie gefühllos und zeigt nicht die geringste Regung.
Als man sie aufgeforderte, alle Einzelheiten des Mordes und der nachfolgenden Zerstückelung zu schildern, beschrieb sie den Tathergang so, als hätte es sich um eine Tierschlachtung gehandelt. In Bezug auf die Hintergründe dieser unheimlichen Bluttat war sie, ebenso wie ihr Mordgehilfe Dudek, unzugänglich und verschlossen. Auch auf die Fragen bei der Polizeivernehmung über das Zusammentreffen mit Karl Dudek und Leopold Kaufer am Nachmittag des Donnerstags gab sie nur ausweichende Antworten.
Aus den Angaben des Gatten Leopold, der inzwischen völlig gebrochen war, ging hervor, daß er seiner Frau bereits am Vormittag gegenüber geäußert hatte, daß er am Nachmittag nicht zu Hause sein werde und erst am späten Abend wieder zurückkomme. Unmittelbar nach dem Mittagessen machte er sich auf den Weg und fuhr nach Utzgersdorf, um seinen Bruder aufzusuchen.
Die lange Abwesenheit ihres Gatten nutzte Rosa Hasel sofort aus, um mit Leopold Kaufer, von dem sie angeblich nichts mehr wissen wollte und mit Karl Dudek der nun wahrscheinlich die Rolle des neuen Zuhälters einnehmen sollte, zusammenzutreffen. Sie wollte mit den beiden, so ihre Aussage, nach längerer Zeit wieder einmal einen richtigen „Umtrunk“ veranstalten, dessen Kosten sie übernehmen wollte. Deshalb hatte sie vorher schnell zwei Ringe versetzt. Wo sich alle drei, Rosa Hasel, Karl Dudek und Leopold Kaufer zuerst getroffen hatten, konnte zunächst nicht geklärt werden. Jedenfalls besuchten sie wenig später gemeinsam ein Gasthaus, daß sie aber bald wieder verließen, um ein zweites Gasthaus aufzusuchen. Die drei saßen dort gemeinsam an einem Tisch allein. Zwischen Dudek und Kaufer hatte sich Rosa Hasel platziert. Inzwischen hatte sie beim Wirt den zweiten Liter Wein bestellt, als Kaufer „plötzlich begann, zudringlich zu werden“. So jedenfalls behauptete es Rosa Hasel bei der Polizeivernehmung. Dudek bekräftigte zwar diese Angabe, jedoch war zu vermuten, daß beide ihre Verantwortlichkeiten vorher genau abgesprochen hatten. Eher als missglückt erschien der Versuch der beiden, die Frau, die früher als Prostituierte tätig gewesen war und auch sonst während ihrer Ehen ständig Männerbekanntschaften gesucht hatte, urplötzlich über die Aufdringlichkeit eines Mannes, der lange Zeit ihr ständiger Geliebter war, als sehr ungehalten darzustellen. “Der Poldl hat mir recht schön getan …“ so beschrieb Rosa Hasel diese Situation weiter, „… er hat auf mich hineingeredet und immer gesagt, daß er ohne mich nicht leben könne. Er wollte mich auch umarmen, doch hat mir das nicht gepasst. Ich wollte von ihm nichts mehr wissen!“ Diese Behauptung steht aber im krassen Widerspruch zu der Tatsache, daß Rosa Hasel zum Umtrunk mit Karl Dudek den Leopold Kaufer, von dem sie angeblich ja nichts mehr wissen wollte, mit eingeladen hatte. Als Dudek sah, daß der Kaufer sich leidenschaftlich um die Gunst der Hasel bemühte, wollte er, so seine Aussage, angeblich das Feld räumen und die beiden allein lassen. Rosa Hasel aber befahl Dudek: „Du, Karl, verlass mich nicht, geh, bleib da!“ Und Karl Dudek gehorchte.
Über den weiteren Ablauf berichtete Rosa Hasel folgendes: „Als wir den Erlös der beiden versetzten Ringen vertrunken hatten, gingen wir zu mir nach Hause. Auch Kaufer ging mit. Daheim hatte der Kaufer wieder den Versuch unternommen, den Dudek wegzuschicken. Er wollte unbedingt mit mir allein sein. Er hat einige Male gesagt: ‚Schau, Roserl, du weißt ja, was ich von dir jetzt will!’ Ich habe auch gewußt, was er wollte. Ich habe ihn aber wieder abgewiesen und den Dudek gebeten, daß er unbedingt dableiben soll. Aber Kaufer hatte trotzdem noch versucht, sich mir zu nähern. Als dann der Dudek auf einen Sprung hinausgegangen ist, hat der Kaufer nun das erreichen wollen, was ich ihm bisher verwehrt hatte. Ich rief nun den Dudek zu Hilfe. Der Dudek kam gleich herein, und in diesem Augenblick ergriff Kaufer einen Sessel, um gegen Dudek loszugehen.“
Diese Szene hatte sich im „Vorraum“ der Hütte abgespielt, der auch als Küche benutzt wurde. Neben dieser Küche befand sich das Wohnzimmer, welches, nach Auskunft der Beamten, übrigens sehr nett eingerichtet war. An den Wohnraum schloss sich ein, nur vom Hof aus erreichbarer Schuppen an, in den die Leiche dann auch verbracht und zerstückelt worden ist.
Laut Angaben von Karl Dudek und Rosa Hasel kam es in dem kleinen Vorraum nun zu einer Prügelei mit Leopold Kaufer. Die endete zunächst damit, daß Dudek den Kaufer zu Boden warf. Als dieser wieder aufstehen wollte, begannen Dudek und die Hasel auf ihm herumzutrampeln. Um diesen Tritten zu entgehen, unternahm Kaufer den Versuch, sich zu erheben und auf die Hasel loszugehen. Die ergriff aber eine im Vorraum liegende Hacke und schlug damit auf Kaufer ein. Kaufer stürzte, als ihn die Hacke empfindlich am Kopf traf, wieder zu Boden, konnte sich aber noch einmal halb erheben. Mittlerweile hatte Dudek ebenfalls nach einer herumstehenden Hacke gegriffen und drosch nun seinerseits so lange auf Kaufer ein, bis der wieder auf den Fußboden zurückfiel, dort in seinem Blut liegenblieb und sich nicht mehr rührte. Als sich beide davon überzeugt hatten, daß Kaufer tot war, schleppten sie den Leichnam aus dem Vorraum, über den Hof in den angrenzenden Schuppen, um ihn dort zu beseitigen.
Sowohl Dudek als auch die Hasel wurden jeweils einzeln vernommen. Aus den Protokollen der Verhöre geht hervor, daß Dudek und Hasel gemeinsam an der Zerstückelung der Leiche gearbeitet hatten. Im Schuppen befand sich zufällig ein kleiner, offener Kanalabfluß. Dort hinein wollten sie die Leichenteile werfen. Neben diesem Kanalabfluß habe man die Leiche dann ja auch zerstückelt, damit, wie Rosa Hasel schilderte, „…das Blut gleich abrinnt.“
Zuerst trennten beide mit einem Messer den Kopf vom Rumpf. Diesen „ersten Schnitt“ soll angeblich Rosa Hasel vollbracht haben. Anschließend wurden dem Opfer die Augen ausgestochen! Rosa wollte es so, weil der Tote sie immerzu schier angeschaut hat. Nun zog man die Leiche splitternackt aus und begann mit der Zerstückelung. Das vollzog man im matten Schein der Straßenbeleuchtung des Arsenalweges. Nach der Enthauptung begannen beide, dem Mordopfer die Arme und die Füße aus den Gelenken zu lösen. Im amtlichen Bericht kann man lesen, daß: “… die Zerstückelung mit einer Geschicklichkeit vorgenommen wurde, wie sie sonst nur gelernten Fleischhauern eigen ist.“
Beide hatten in unmittelbarer Nähe einen Waschtrog aufgestellt. Dort hinein warfen sie die beiden Füße, die Arme und den Kopf des Opfers. Dann begannen sie, den Rumpf aufzuschneiden.
Gegen 20:30 Uhr kam der Gatte der Hasel von seinem Besuch beim Bruder wieder nach Hause. Dudek war immer noch mit der Ausschlachterei beschäftigt und kniete im Schuppen gerade vor dem Leichnam. Er war soeben dabei, das Herz und die Lunge aus dem Leib zu schneiden …
Rosa Hasel hatte ihren Gatten kommen gehört und trat ihm mit den Worten entgegen: „Du geh ins Wirtshaus hinüber!“ Doch der misstrauisch gewordene Mann ging an ihr vorbei bis in den Vorraum. Dort entdeckte er eine große Blutlache. Als er daraufhin aufgebracht seine Frau anbrüllte, was denn hier während seiner Abwesenheit eigentlich geschehen sei, erwiderte diese völlig kaltblütig: „Es ist was geschehen! Du wirst alles erfahren, geh nur ins Wirtshaus. Wir sind gleich fertig!“ Schließlich begann sie doch ihr Gewissen zu erleichtern und gestand ihm: „Du Poldl, i hab den Kaufer umbracht!“
Daraufhin ist Leopold Hasel ins nächste Wachzimmer geeilt. Als die Wachleute ins Haus kamen, fanden sie Rosa Hasel im Schlafzimmer, währenddessen Dudek immer noch bei den Leichenteilen kniete, um sie eifrig ganz zu zerstückeln.
Obwohl Rosa Hasel bei den ersten Verhören noch sehr selbstsicher wirkte und alle Fragen mit einer unglaublichen Kaltblütigkeit beantwortete, brach sie am darauffolgenden Abend vollkommen zusammen. Sie weinte sehr oft und gab letztendlich eine ausführliche Schilderung ihres Vorlebens.
Sie erzählte der Polizei unter anderem, daß sie als Mädchen Zimmermann hieß, daß sie die Volksschule in der Quellenstraße besuchte, daß sie früher einmal als Bürokraft beschäftigt war und daß sie in Budapest im Jahre 1919 „die erste entgeltliche Bekanntschaft mit Männern“ gemacht hatte.
1920 heiratete sie zum ersten Mal. Diese Ehe ist allerdings 1925 schon wieder geschieden worden. Am 17. Februar 1929 heiratete sie erneut. Den Leopold Kaufer hätte sie, wie sie bereits bei ihrer letzten Aussage angegeben hätte, erst im April 1936 in einer Weinhalle kennengelernt. Dort sei sie als „leidenschaftliche Trinkerin“ Stammgast gewesen. Dudek kenne sie allerdings bereits seit dem Jahre 1932.
„Mit ihm habe ich aber wirklich nichts gehabt“, beteuerte Rosa Hasel. „Wir sind bloß befreundet gewesen, weil wir beide gern getrunken haben. Wir haben uns oft in Gasthäusern getroffen, haben 'Geschnapst' (Geschnapst ist ein weit verbreitetes Kartenspiel in Österreich, ähnlich 66er) und den Gewinn gemeinsam vertrunken.“
Glaubt man dem letzten Geständnis der Rosa Hasel, stellt dieser grauenhafte Mord ein Liebesdrama der Unterwelt dar. Angeblich wollte Leopold Kaufer die Hasel heiraten. Oft habe er damit geprahlt, dass er ein Berufsverbrechers sei, aber durch seine Einbrüche so viel verdiene, daß er die Hasel „ohne weiteres erhalten“ könne. Nur ihr Gatte sei das Hindernis gewesen, denn der wollte von einer Scheidung nichts wissen. Der Gatte der Hasel erhielt deshalb wiederholt Morddrohungen von Kaufer, der immer wieder erklärte, daß es ihm auch auf einen Mord nicht ankommt. Wiederholt habe er auch sie bedroht, sie umzubringen. Daß Leopold Kaufers Mordabsichten ernst gemeint waren, konnte man schon daran erkennen, daß er stets mit einem Revolver und einem Messer bewaffnet herumlief.
Bei ihrer Aussage äußerte Rosa Hasel außerdem, daß sie vor dem Mord in keinem Gasthaus gewesen sei, sondern daß sie mit Dudek und Kaufer ein Trinkgelage in ihrer Wohnung veranstaltet habe. Mit über 1 ½ Liter Wermut trank sich Rosa Hasel zunächst erst einmal Mut an. Sie bestätigte in einer neuerlichen Aussage, daß sie die eigentliche Mörderin des Leopold Kaufers sei, denn sie habe mit einer der beiden Beilpicken so lange auf ihn eingeschlagen, bis er sich nicht mehr rührte. „Das Blut ist gerade so herumgespritzt, das die ganzen Wände und alle Möbel und Kleider voll waren.“ Dudek gab bei einer erneuten Vernehmung an, daß er und die Hasel „paritätisch“ vorgegangen seien.
Im Zuge der Erhebungen aufgrund des entsetzlichen Mordes an dem Chauffeur Leopold Kaufer hatte man auch die Kanalbrigade aufgeboten. Sie sollte die Kanalgänge unterhalb der Hütte auf dem Landstraßengürtel durchsuchen. Das wirkliche Motiv, warum dieser bestialische Mord verübt wurde, blieb nach wie vor ungeklärt.
In weiteren Verhören hatten sich Rosa Hasel als auch ihr Mordgehilfe Karl Dudek dahingehend geäußert, daß es sich um eine Eifersuchtstat gehandelt haben soll. Allerdings konnte die Polizei für diese neue Variante nicht die geringsten Anhaltspunkte finden. Im Polizeibericht des vorhergehenden Tages konnte man deshalb auch lesen: „… daß man sich des Eindrucks nicht erwehren könne, daß eher räuberische Absicht der treibende Faktor gewesen sei.“
Am späten Abend veröffentlichte man noch eine Nachricht mit folgendem Inhalt, daß „… bei der Mittellosigkeit des Opfers nach dem derzeitigen Stand der Untersuchung ein Raubmord nicht in Erwägung gezogen werden kann.“
Nach Einschätzung der Polizei hatten beide Täter massive Gründe sich hinsichtlich des Motivs, in eisiges Schweigen zu hüllen. Die gesamten Ermittlungen der Polizei richteten sich nun hauptsächlich auf die Erforschung des Motivs dieses grauenhaften Mordes. Daß man es mit einem planmäßig vorbereiteten Mord zu tun hatte, darüber bestand nach Überzeugung der Kriminalpolizei nicht der geringste Zweifel. Täglich holte man Rosa Hasel und Karl Dudek aus ihren Zellen, um sie stundenlangen Verhören zu unterziehen. Inzwischen hatten beide ihre Aussagen vom Vortage (12. März 1937) am 13. März 1937 bereits größtenteils widerrufen. Nachdem Rosa Hasel noch am Freitag ohne Umschweife zugegeben hatte, sie allein wäre es gewesen, die dem Kaufer die tödlichen Hiebe versetzt und anschließend mit der Zerstückelung der Leiche begonnen hätte, schiebt sie nun Dudek die gesamte Schuld zu. Sie besteht jetzt sogar darauf, daß Dudek der Mörder gewesen sei und daß sie aus dem Schuppen geflüchtet wäre, weil ihr so gegraust habe, als Dudek mit dem Zerstückeln der Leiche begonnen hat.
Dudek verfolgte dieselbe Strategie und war sichtlich bemüht, sich weitestgehend zu entlasten. Er unternahm alle Anstrengungen, um glaubhaft zu machen, daß er Rosa Hasel „nur zu Hilfe gekommen“ sei, als diese angeblich von Kaufer bedroht wurde. Weiterhin behauptete Dudek in der Vernehmung vom 13. März 1937, die Hasel sei es gewesen, die begonnen habe die Leiche zu entkleiden. Diese Tatsache bestätigt Rosa Hasel einvernehmlich. Als man sie fragt, warum sie anfing die Leiche auszuziehen, da sie von der Zerstückelung ja nichts wisse wollte, gab sie zur Antwort: „Darüber kann ich nicht reden!“
Bei der Sonnabendlichen (13.3.1937) Vernehmung zeigte sich Rosa Hasel wieder vollkommen gefasst. Lediglich bei der Behandlung bestimmter Einzelheiten der bestialischen Tat verfällt sie in einen hochgradig nervösen Zustand. Im Laufe des Sonnabend wurden außerdem noch zahlreiche Personen verhört, wo denen man sicher war, daß sie Angaben über das Vorleben der Rosa Hasel treffen konnten. Hauptsächlich handelte es sich um Bekannte aus Wirtshäusern, größtenteils Männer, die mit der Frau gelegentlich sexuelle Beziehungen gepflegt hatten. Alle äußerten fast gleichlautend, daß Rosa Hasel eine „sehr geldgierige“ Frau gewesen sei und nicht nur den Verdienst ihres Gatten, sondern auch sämtliche anderen Einkünfte rigoros in Alkohol umgesetzt hat. Nicht nur Wein und Bier trank sie in Unmengen, sondern auch Rum und ganz gewöhnlichen Spiritus. Mit einem Quantum von 5-6 l Alkohol am Tag war für sie nur „eine Kleinigkeit“ erreicht.
Da man davon ausging, daß einzelne kleinere Leichenteile oder sonstige Gegenstände, die unmittelbar mit dem Mord im Zusammenhang standen, durch den Kanalabfluß im Schuppen beseitigt wurden, hatte man die Kanalbrigade zur Mitarbeit herangezogen. Trotz der stundenlangen Suche konnte nichts entdeckt werden.
Die Vernehmungen von Rosa Hasel und Karl Dudek wurden auch am Sonntag und Montag fortgeführt. Das Ziel der Ermittler war, die Untersuchungen bis zum Montagnachmittag so weit abzuschließen, daß noch am Abend des gleichen Tages die Anzeige an das Stadtgericht erstattet werden konnte. Auch den Obduktionsbefund erwartete man bis zum Montag, dem 15. März 1937. Von ihm erhofften sich die Ermittler weitere nähere Angaben über die Tötung.
Schon vorab wurde über die Verletzung des Opfers bekannt, daß der tödliche Schlag, der mit der Hacke gegen den Kopf von Leopold Kaufer ausgeführt wurde, eine solche Intensität hatte, daß dem Opfer beiden Augen buchstäblich in den Kopf geschlagen wurden. Später wurden sie dem Toten ausgestochen. Die Tatsache allein, daß die tödlichen Schläge mit einer außergewöhnlichen Brutalität und Erbarmungslosigkeit geführt wurden, lässt, laut polizeilicher Meldung, keine Unklarheit darüber aufkommen, daß bei der Beseitigung Leopold Kaufers „ein besonderer Grund mitgespielt“ hatte.
Das sonntägliche Verhör mit den beiden Mördern aus Favoriten förderte ein weiteres Detail zutage. Das Motiv der Tat blieb zwar weiterhin unklar, aber durch die neuerlichen Erkenntnisse über das Vorleben von Frau Hasel und Karl Dudek konnte wenigstens die Tatsache geklärt werden, woher beide die Fachkenntnisse hatten, mit der sie ihr Opfer, den ermordeten Chauffeur Leopold Kaufer, zerstückelten. Die Fertigkeiten eines Fleischers erklärten sich daraus, daß beide, wie nun bekannt wurde gewerbsmäßig Hunde einfingen und abschlachteten. Seit vielen Monaten war das Mörderpaar schon als „Hundeschreck von Favoriten“ bekannt. Karl Dudek hatte die Hunde eingefangen um sie anschließend im gleichen Schuppen, dort wo auch die Leiche Kaufers zerstückelt wurde, gemeinsam mit der Hasel „aufzuarbeiten.“ Aus dem Fleisch wurden Speisen zubereitet. Das Fett ließ sich bestens als Heilmittel für Tuberkulose im Straßenhandel verkaufen. Die Knochen und die Reste des Kopfes entsorgten sie im gleichen Kanalabfluß im Schuppen, den beide auch für die Beseitigung der Leichenteile Kaufers benutzen wollten. Natürlich setzte das Mörderpaar den Erlös der Hundeschlächterei ausnahmslos bis zum letzten Groschen in Alkohol um.
Die Vernehmungen durch das Sicherheitsbüros in der Favoritner Mordaffäre konnten jedoch am Montag noch nicht abgeschlossen werden, da immer wieder neue Einzelheiten zur Tat bekannt wurden. Deshalb musste auch die Anzeige an das Standgericht vorläufig noch unterbleiben. Obwohl es zweifelsfrei feststand, daß es sich um eine geplanten und von langer Hand vorbereiteten Mord handelte, beharrten Hasel und Dudek nach wie vor darauf, die Tat im Affekt ausgeführt zu haben.
Bekanntermaßen hatte Rosa Hasel bei einer ihrer ersten Vernehmungen noch erklärt, daß Leopold Kaufer das Opfer seiner Aufdringlichkeit geworden sei, da sie angeblich nichts mehr von ihm habe wissen wollen. Trotzdem hätte er, da er scharf auf sie gewesen sei, sie ständig verfolgt. Das wäre auch der Auslöser für diese Tat gewesen. Die Ermittler konnten allerdings Zeugen ausfindig machen, die glaubhaft versichern konnten, dass die Hasel am neunten und 10. des Monats, also wenige Tagen vor dem Mord, mit Leopold Kaufer zusammen gewesen war und sie ihn sogar am 11. März 1937 in ihre Wohnung bestellt (!) hatte. Weil Kaufer aber nicht pünktlich zur vereinbarten Stunde erschien, sei die Hasel in völlige Unruhe verfallen. Ungeduldig habe sie auch auf Dudek gewartet, der wesentlich später als erwartet die Wohnung betrat.
Die Ermittler werden den Verdacht nicht los, dass Leopold Kaufer geradezu beseitigt werden musste, weil er der Hasel und Dudek aus einem noch unbekannten Grunde in irgendeiner Sache ein Hindernis gewesen ist.
Am späten Montagabend legte Rosa Hasel wiederum ein Geständnis ab. Mittlerweile das Dritte. Bei diesem Geständnis wurden teilweise die Angaben des ersten Geständnisses „wiederhergestellt“. Sie bekannte sich dazu, daß sie allein die ersten Hiebe gegen den Kopf Kaufers ausgeführt hatte. Erst danach sei ihr Karl Dudek mit einer zweiten Hacke „zu Hilfe“ gekommen. Als dann Leopold Kaufer tot auf dem Boden lag, soll Dudek gesagt haben: „So, jetzt bin ich auch ein Mörder geworden!“
Nun habe Dudek von der Hasel verlangt, die „...ganze Sache auf sich zu nehmen“, denn „...du bist eine Frau, dir kann nicht so viel geschehen wie mir!“ Das erschien der Hasel logisch und sie sagte zu. Allerdings (Erklärung - Hasel) müsse nun „... unter allen Umständen die Leiche fortgeschafft“ werden. Die Zerstückelung der Leiche im Schuppen habe Dudek ganz allein vorgenommen. Allerdings stand dies im grassen Widerspruch zu der Tatsache, daß auch die Kleider der Hasel vom Blut nur so trieften.
Bei dieser Aussage am Montagabend bei der es vor allem wieder um den Hergang der Bluttat ging, ergänzte Rosa Hasel ihre bisherigen Angaben noch durch ein Detail, welches ihre erbarmungslose Mordlust, zum Erschrecken aller im Verhörzimmer anwesenden Ermittler, beleuchtet. Kaufer, so erzählt sie, habe, nachdem ihn Dudek zu Boden geworfen hätte und sie gemeinsam mit Dudek auf ihm „herumtrampelt sei“, mit leiser, aber kaum hörbarer Stimme ausgerufen: „Habt Erbarmen!“ Aber diese flehenden Worte brachten sie nicht zur Besinnung. Statt dessen wurde sie dadurch nur noch zu fürchterlicheren Grausamkeiten aufgestachelt. Sie hätte, wie sie sagt, nun erst recht zur Hacke gegriffen und dem auf dem auf dem Boden Liegenden diese mit voller Wucht auf den Kopf geschlagen. Auch das Gesicht wäre, so erzählte die Frau, schon ganz rot von den Schlägen gewesen.
„Auch diese Erbarmungslosigkeit“, so kann man im Polizeibericht lesen, „lässt nur den einen Schluss zu, daß Kaufer ausgetilgt werden sollte, daß die Mordabsicht bestanden haben muss.“ Dass die Mörderin ein bisher ungebundenes Lotterleben geführt hatte, war der Polizei bereits aus früheren Vernehmungen bekannt. Auch daß sie ihren Gatten vor 12 Jahren kennen lernte und als Bedienerin (Kellnerin) keine Arbeitsstelle mit ihrer Anwesenheit lange beglückte, statt dessen ihren Lebensunterhalt lieber aus der erträglicheren geheimen Prostitution bezog, konnten die Ermittler ihrer bis dahin freiwilligen Aussage entnehmen. Wegen geheimer Prostitution war sie ja auch wiederholt bestraft worden.
Rosa Hasel machte, was sie wollte. Als Ehefrau führte sie ein ungezügeltes Leben. In ihrer Triebhaftigkeit suchte sie ständig Männerbekanntschaften und ließ sich für diese „Aufopferung“ ordentlich bezahlen. Sie vertrank sämtliche Einkünfte aus diesen „Liebesdiensten“ und außerdem den Verdienst sowie die Ersparnisse ihres Mannes. Als sie vor sechs Jahren Karl Dudek kennen lernte, führte die Veranlagung der beiden zur Alkoholsucht, zur gegenseitigen Hörigkeit und Unterwürfigkeit. Wie die Hasel bereits in einer ihrer ersten Vernehmungen erwähnte war sie erst im April 1936 dem Händler Kaufer begegnet. Der hatte es verstanden sie seelisch und körperlich an sich zu fesseln und bereits nach kurzer Zeit Einfluss über sie zu gewinnen.
Kurz bevor die Vernehmung an diesem Montagabend beendet werden sollte, begann Rosa Hasel völlig entnervt mit einer Aussage, die selbst die abgehärteten Ermittlungsbeamten erst einmal zum Hinsetzen zwang. In der Zeit vor der Tat geschahen Dinge, die für normal denkende Menschen einfach unbegreiflich sind. Rosa Hasel hatte sich von ihrem Gatten zwei Verzichtserklärungen ausschreiben lassen.
- In der Ersten - sollte er auf seine Frau und
- in der Zweiten - auf die gesamte Wohnungseinrichtung verzichten.
Somit entstand eine absonderliche Zusammensetzung. Auf der einen Seite der rechtmäßige Gatte Leopold Hasel, auf der anderen Seite die beiden Liebhaber von Rosa Hasel, Karl Dudek und Leopold Kaufer, die sich aber partout nicht leiden konnten. Leopold Hasel aber sah den Verkehr seiner Frau mit den beiden Männern im Laufe der Zeit nur noch sehr ungern, währenddessen sich der Liebhaber Dudek wiederum über die Zurücksetzung durch seinen Nebenbuhler Kaufer aufregte. Dudeks Abneigung gegen Kaufer steigerte sich schließlich bis zur erbitterten Feindschaft, als Rosa Hasel wegen Leopold Kaufer die Verzichtserklärung von ihrem Gatten erhielt.
Nach polizeilicher Darstellung war diese Verzichtserklärung der Anfang vom Ende Leopold Kaufers. Die Rolle als Ehefrau und Geliebte empfand die Hasel mit immer mehr Missbehagen. Sie verspürte das Unhaltbare dieser Lage und suchte nach einer endgültigen alles entscheidenden Lösung. Zunächst wollte sie jedoch die schriftliche Verzichtserklärung, die sie Kaufer gegeben hatte, wieder zurück haben. Immer und immer wieder forderte sie den Geliebten auf, ihr dieses Schriftstück zurückzugeben. Aber alle Drohungen und Lockmittel blieben erfolglos. Nun blieb ihr nur noch ein einziges Mittel, sich wieder in den Besitz dieses Schreibens zu bringen - die Anwendung von Gewalt.
Das Wiener Sicherheitsbüro erstattete gegen das Mörderpaar aus Favoriten am Dienstag, dem 16. März 1937 die Anzeige an das Standgericht. In der sehr umfangreichen Anzeige, welche das Wiener Sicherheitsbüro dem Standgericht übergab, wurden sowohl die Hasel als auch Dudek der direkten Täterschaft auf das Verbrechen des Mordes beschuldigt .
Die Entscheidung über die Standgerichtsanzeige sollte noch im Laufe des Dienstag fallen. Schon vorab war aber zweifelhaft, ob sich Hasel und Dudek überhaupt vor einem Standgericht verantworten müssen, da die Ermittlungen bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen werden konnten.
Bereits am Dienstagvormittag war die Polizei auf dem Gelände Landstraßer Gürtel 252 zahlreich erschienen und begann das Gelände rings um das Häuschen, in dem Kaufer ermordet und zerstückelt worden war, umzugraben zu lassen. Gemäß Polizeibericht rechnete man gemeinhin mit der Möglichkeit, daß die Haselsche Wohnung auch als Tatort anderer Verbrechen gedient haben könnte. Als Ergebnis der Grabungen wurde folgendes veröffentlicht:
- Es wurden sowohl kleine Knochen gefunden, die aber, wie festgestellt ist, von Kleintieren herrühren.
- Es sind insgesamt 15 Knochenteile gefunden worden, deren größter so groß ist wie ein Knochen von einer Kinderhand.
- Das gestern verbreitete Gerücht, daß es sich um menschliche Knochen handelt, ist unrichtig.
Interessant ist auch die Tatsache, daß Kaufer, so die Angaben seiner Angehörigen, in der letzten Zeit eine goldene Brücke getragen haben soll, diese sogar noch am Mordtag. Sie wurde, trotz intensiver Suche, jedoch nicht mehr gefunden.
Rosa Hasel blieb auch noch am Dienstag bei ihrer Behauptung, den Mord an Leopold Kaufer nur im Zorn begangen zu haben.
Am Mittwoch, dem 17. März 1937 traf im Sicherheitsbüro endlich der Obduktionsbericht ein. Das Ergebnis dieses Berichts war ein neuerlicher Beweis mit welcher unglaublichen Bestialität, die beiden Mörder ihr Opfer abgeschlachtet hatten. Sowohl der Kopf als auch das gesamte Gesicht des ermordeten Leopold Kaufer waren durch eine große Anzahl von Schlägen, die mit der stumpfen Seite der Hacke ausgeführt worden waren und durch Fußtritte bis zur Unkenntlichkeit zertrümmert worden. Die Schädelknochen und die Gesichtsknochen waren, wie auch die beiden Kiefer, ganz zersplittert.
Inzwischen hatte der mit der Überprüfung der Favoritner Mordaffäre beauftragte Staatsanwalt Dr. Bulla am Donnerstag die Entscheidung getroffen, daß das Mörderpaar Rosa Hasel und Karl Dudek nicht vor dem Standgericht abgeurteilt werden können. Ausschlaggebend für diese Entscheidung, die, wie bereits erwähnt, nicht überraschend kam, war, daß das Motiv dieses grauenhaften Mordes noch immer nicht aufgeklärt wurde. Karl Dudek hatte bisher überhaupt noch keine Angaben gemacht, die mit einem ausführlichen Geständnis vergleichbar wären. Rosa Hasel hingegen änderte ihre Angaben bei der Polizei immer wieder. Nach Auffassung des Staatsanwaltes ist die Klärung des eigentlichen Sachverhaltes nur durch ein ordentliches Gerichtsverfahren zu erreichen.
Am Donnerstag, dem 18. März 1937 überstellte man Rosa Hasel und Karl Dudek dem Straflandesgericht I. Dort leitete man gegen beide die ordentliche gerichtliche Untersuchung ein. Die Polizei führte währenddessen ihre Ermittlungen fort. Ihr Interesse galt hauptsächlich der Feststellung, ob Hasel und Dudek nicht auch noch andere, bisher unentdeckte Verbrechen verübt hatten.
Der Prozess des Grauens
Im großen Schwurgerichtssaal des Grauen Hauses des Landgerichts 1 begann am Montag dem 22. November 1937 der für vier Tage anberaumte Sensationsprozess gegen die 37 jährige Tischlersgattin Rosa Hasel und ihrem Freund, den 48 jährigen Händler Karl Dudek, die beide beschuldigt werden, den Geliebten der Hasel, den Chauffeur Leopold Kaufer in der Wohnküche der Hasel , Landstraße Hauptstraße 252, in Favoriten auf grauenhafte Weise ermordet zu haben.
Das furchtbare Verbrechen der beiden Angeklagten vom 11. März 1937 war allgemein noch in Erinnerung.
An diesem ersten Verhandlungstag wurde ausschließlich Rosa Hase verhört. Sie bekannte sich schuldig, behauptete aber, daß die tödlichen Schläge nicht von ihr, sondern von Karl Dudek ausgeführt worden sind. In diesem Prozess, und vor allem beim Verhör mit der Angeklagten, kamen furchtbare Dinge aus dem Sumpf der Wiener Unterwelt zum Vorschein. Auffallend wurde schon in der ersten Verhandlung welch zynisches Benehmen Rosa Hasel an den Tag legte, als sie von den Einzelheiten der Bluttat berichtete. Diesen schaurigen Bericht schilderte sie so gleichgültig, als handelte es sich um eine ganz alltägliche Sache.
Am ersten Verhandlungstag trat die Angeklagte sehr selbstbewusst, sicher und trotzig mit der Aussage auf, daß sie an dem Verbrechen wohl mitgewirkt, daß aber die tödlichen Hiebe Karl Dudek geführt habe.
Das Verhör mit der Angeklagten, das den ganzen gestrigen Verhandlungstag in Anspruch nahm, gestaltete sich sehr dramatisch.
Bereits in den frühen Morgenstunden herrschte vor dem Eingang in den großen Schwurgerichtssaal in der Alserstraße aktives Treiben. Neugierige waren in großen Scharen gekommen und bereits eine halbe Stunde vor Eröffnung der Verhandlung platzte der große Saal fast aus allen Nähten. Weder im Saal noch auf der Galerie blieb ein Platz unbesetzt.
Kurz nach ½ 10 Uhr betraten die beiden Angeklagten, begleitet von Justizwachbeamten, den Saal.
Augenblicklich breitete sich im Gerichtssaal ein fast unheimliche Ruhe aus.
Alle Blicke der Zuhörer richteten sich in erster Linie auf die Angeklagte Hasel, die sich ohne jedwedes Zeichen der Erregung gleichgültig auf die Anklagebank setzte.
Rosa Hasel war eine mittelgroße stabil gebaute Frau mit wuschelartigem mittelblondem Haar und einer etwas leicht aufgebogenen Nase. Aus dem Augenwinkel heraus betrachtete sie zunächst erst einmal die Zuhörer. Gleichzeitig umspielten die schmalen Lippen ein stolzes, trotziges Lächeln.
Obwohl die Angeklagte seit Jahren ein äußerst liederliches Leben geführt und sich dem übermäßigen Alkoholgenuss fast täglich hingegeben hatte, schien ihr das, wenn man ihr gesundes Aussehen und ihr ruhiges Wesen betrachtete, nicht geschadet zu haben. Die Hände fest ineinander geschlungen, saß Rosa Hasel auf der Bank neben einem der Justizbeamten und schaute in aller Ruhe, man hätte fast sagen können, stolz, zu den Fotoreportern hin, die ihre Apparate auf sie gerichtet hatten.
Rosa Hasel war einfach, aber mit Geschmack gekleidet. Sie trug ein dunkelblaues verhältnismäßig kurzes Stoffkleid, das am Halse durch einen dunklen Schal abgeschlossen war. Kleine schwarze Sämischhalbschuhe brachten ihre gut geformten Beine voll zur Geltung.
Im Gegensatz zu Rosa Hasel wirkte der Angeklagte Karl Dudek regelrecht kläglich. Dudek war ein mittelgroßer, schmächtiger Mensch mit auffallend schmalem Gesicht und einem martialisch aufgezwirbeltem schwarzen Schnurrbart. Der Angeklagte trug einen schwarzen Anzug, dazu einen steifen Kragen und eine schwarze Krawatte. Er blickte scheu in die Runde und traute sich kaum, den Kopf zu heben.
Gegen ¾ 10 betritt der Gerichtshof den Saal. Den Vorsitz der Verhandlung führt Vizepräsident Edmund Helmer und die Anklage wird durch Staatsanwalt Dr. Hausner vertreten
Die Angeklagte wird zunächst zu ihrer Person befragt und gibt zunächst an, daß sie am 20. Dezember 1900 in Wien geboren wurde. Sie war früher in Utzgersdorf wohnhaft, römisch katholisch, verheiratet, hatte Volks- und Bürgerschule besucht und ist vorbestraft.
Auch den Angeklagten Dudek befragt man zu seiner Person, worauf dieser angibt, er stamme aus Karwin in der Tschechoslowakei, ist 48 Jahre alt, staatenlos, römisch-katholisch und von Beruf Kaufmann.
Danach teilte der Vorsitzende das Programm der Verhandlung mit. Zunächst rief er alle 36 geladenen Zeugen auf und bestimmte die Zeiten ihrer Bekundung. Nur der greisen Mutter des Mordopfers, Frau Rosa Kaufer, welche ebenfalls als Zeugin geladen worden und auch erschienen war, erlaubte man, daß sie wieder nach Hause gehen durfte. Sie war sehr krank und litt immens unter dem Verlust ihres Sohnes, so daß mit Rücksicht auf ihren Zustand auf ihre Aussage verzichtet wurde.
Nun richtete sich der Vorsitzende an beide Angeklagten mit der eindringlichen Mahnung: „Achten Sie auf die Anklage und den Gang der Verhandlung. Und wenn Sie einem Rat folgen wollen, der gut gemeint ist, so erzählen Sie das so, wie es gewesen ist, wie es dazu gekommen ist und wie es sich abgespielt hat. Ein aufrichtiges Geständnis ist das Einzige, was den Eindruck dieser grauenhaften Geschehnisse einigermaßen in ein günstiges Licht rücken könnte.“
Nach diesen mahnenden Worten wurde die Anklage, über die schon ausführlich berichtet wurde, verlesen. Sie dauerte fast eine Stunde. Während der Angeklagte Dudek aus dem Gerichtssaal hinaus abgeführt wurde, musste die Angeklagte Hasel vor die Barre treten. –
Vorsitzender: „Sie haben gehört und verstanden, was man ihnen zur Last legt. Erstens die Ermordung des Leopold Kaufer und dann die Teilnahme an verschiedenen Diebstählen, bekennen Sie sich schuldig?“
Angeklagte: „Ja, aber nicht im Sinne der Anklage.“
Vorsitzender: „Bezieht sich diese Einschränkung auf den Mord?“
Angeklagte: „Auf den Mord und wegen des gestohlenen Hundes, von dem weiß ich überhaupt nichts.“
In reinstem Deutsch und mit wohlüberlegten Worten berichtete nun Rosa Hasel über ihre Jugend, daß ihr Vater Maschinenschlosser und ihre Mutter Hausgehilfin waren. Beide galten als fleißige Leute, ohne jeden Tadel. Sie sei die Älteste von vier Geschwistern gewesen und hätte nach dem Abschluss der Schule ein Jahr Schneiderei gelernt und anschließend einen Maschinenschreibkurs besucht. In einem Büro im Arsenal bekam sie später eine gut bezahlte Arbeitsstelle. Aber schon in dieser Zeit, so gibt Rosa Hasel freimütig zu, sei sie mehrere Male wegen geheimer Prostitution verhaftet und bestraft worden.
Vorsitzender: „Wann haben Sie zum ersten Mal geheiratet?“
Angeklagte: „1921, den Wachold. Er war bei der Wehr.“
Vorsitzender: „Wo haben Sie ihn kennen gelernt?“
Angeklagte: „In der Stadt. Ich war bei der Kontrolle.“
Vorsitzender: „Ja, wir wissen schon, was Sie meinen.“
Angeklagte: „Mein Mann ist dann abgebaut worden und ist zuhause herumgesessen. Er hat von dem Geld gelebt, was ich verdient habe.“
Vorsitzender: „Ist er denn deshalb nicht zur Verantwortung gezogen worden?“
Angeklagte: „Ja, er ist auch bestraft worden deswegen. Ich hab mich dann von ihm scheiden lassen, das war 1925. Ich habe seither nie mehr etwas von ihm gehört.“
Nun sollte die Angeklagte erzählen, wie sie ihren zweiten Gatten, den Tischler Leopold Hasel, kennen gelernt hatte. In Ihrer Schilderung führte sie aus, daß sie zuerst Josef Hasel, den Bruder ihres Gatten, kennen gelernt habe. Der sei einer ihrer „Herren“ gewesen.
Vorsitzender: „Hat denn Josef Hasel seinen Bruder nicht aufgeklärt, wer und was sie sind? Hat der ihm nicht von ihrer geheimen Betätigung erzählt?“
Angeklagte: „Im Gegenteil, ich hätte den Josef Hasel heiraten sollen, hab´aber nicht wollen, und da hat er gesagt, ich soll wenigstens den Bruder heiraten.“
Vorsitzender (ironisch): „Damit es in der Familie bleibt?“
Angeklagte: „Mein Mann hat von meinem Vorleben gewußt und er hat sich nicht daran gestoßen.“
Vorsitzender: „Wann haben Sie also den Hasel geheiratet?“
Angeklagte: „Im Februar 1929.“
Vorsitzender: „Haben Sie weiterhin geheime Prostitution betrieben?“
Angeklagte: „Ja.“
Vorsitzender: „Hat Leopold Hasel das gewußt?“
Angeklagte: „Er hat gewußt, daß ich einige Herren hab.“
Vorsitzender: „Hat Ihr Mann von Ihren Beziehungen zu Leopold Kaufer gewußt?“
Angeklagte: „Ja.“
Vorsitzender: „Hat Ihr Mann gewußt, daß der Kaufer, der einmal bessere Tage gesehen hat, mit Ihnen in Ihrer Wohnung oder in seiner Wohnung intimen Verkehr pflegt?“
Angeklagte: „Ja.“
Vorsitzender: „Hat Ihr Mann von Ihren Beziehungen zum Dudek gewußt?“
Angeklagte: „Er hat gewußt, daß er mein Freund ist, sonst aber nichts.“
Vorsitzender (lächelnd): „Es fragt sich nur, was man bei Ihnen unter Freund versteht.“
Vorsitzender: „Bitte, sagen Sie mir jetzt, aber sagen Sie die Wahrheit, ist Ihnen das Verhältnis zu Kaufer schließlich zuwider gewesen? Sind Sie seiner überdrüssig geworden?“
Angeklagte: „Kaufer war sehr eifersüchtig. Er hat mir öfters gedroht. Ich habe mich dann wieder mit meinem Mann ausgesöhnt, denn ich hab mir gedacht, es ist besser, ich bleib bei ihm.
Vorsitzender: „Wie war denn das mit den Zettel?“
Angeklagte: „Am 26. Dezember hat mein Mann auf einen Zettel aufgeschrieben, daß er auf mich verzichtet.“
Vorsitzender: „Und hat Ihr Mann vom Kaufer für diesen Zettel etwas bekommen?“
Angeklagte: „Aber wo.... Erst wollte ich mit dem Kaufer leben, aber dann hat er Szenen gemacht.“
Vorsitzender: „Und warum wollen Sie dann die Verzichtserklärung zurückhaben?“
Angeklagte: „Kaufer hat gesagt, daß er meinen Mann unmöglich machen wird.“
Vorsitzender (lachend): „Gesellschaftlich?“ - (Heiterkeit) - „Also Sie haben sich verkauft gesehen. Aber deswegen, weil Sie den Zettel wollten, hätte der Arme doch nicht sein Leben lassen müssen.“
Die Angeklagte verriet nun dem Vorsitzenden, daß sie auch mit Dudek, den sie gern hatte, ein Verhältnis gehabt habe.
Vorsitzender: „Trotzdem er doch kein richtiger Mann war?“
Angeklagte: „Ja.“
Vorsitzender: „Und er hatte Sie auch gern?“
Angeklagte: „Ich glaube schon. Er hat für mich Wäsche gewaschen und aufgeräumt.“
Vorsitzender: „Das hängt vielleicht mit seiner Veranlagung zusammen. Hat er Ihnen pariert?“
Angeklagte: „Er hat alles gemacht, was ich ihm gesagt habe.“
Das Verhör befand sich nun an einem Wendepunkt. Die Frage an die Angeklagte bezogen sich nun fast ausschließlich auf den Tag der Tat.
Vorsitzender: „Was war am 11. März, was hat sich da ereignet?“
Angeklagte: „Am 11. März bin ich um circa 9 Uhr zu Wanis gegangen.“
Vorsitzender: „Wer sind diese Leute?“
Angeklagte: „Das sind Nachbarn, ein Neffe und ein Onkel wohnen zusammen. Ich bin deshalb dorthin gegangen, weil ich erfahren wollte, was der Kaufer über mich gesagt hat.“
Vorsitzender: „Wer hat Ihnen das mitgeteilt?“
Angeklagte: „Der junge Wanis selber hat eine Andeutung gemacht. Ich hab aber nichts erfahren. Ich hab dem Wanis Geld für Rum gegeben und bin in meine Wohnung zurück, um Tee zu kochen. Wanis ist gekommen und wir haben zusammen Tee getrunken. Dann habe ich dem Wanis Geld für 1 l Bier gegeben. Inzwischen ist der Kaufer gekommen. Der Wanis hat dann noch 1 l Wein geholt und der Kaufer hat gesagt, er braucht fünf Schilling von mir.
Vorsitzender: „Ich habe geglaubt, das war einer, von dem Sie Geld bezogen haben und nicht einer, dem Sie Geld gegeben haben?“
Angeklagte: „Nein, er hat Geld von mir bekommen.“
Vorsitzender: „Warum haben Sie sich ihn dann gehalten?“
Angeklagte: „Weil ich eine dumme Person bin.“
Vorsitzender: „Ich frage noch einmal, warum haben Sie sich dann, wenn wir schon so despektierlich reden wollen, den „Tagedieb“, wie sie immer gesagt haben, gehalten?“
Angeklagte: „Er war gut zu mir und nicht grob.“
Vorsitzender: „Also, was war dann weiter?“
Angeklagte: „Nachdem wir noch zwei oder 3 l Wein getrunken haben, ist der Dudek dahergekommen. Ich hab mit ihm vereinbart gehabt, daß er kommt.“
Vorsitzender: „Haben Sie von dem Dudek etwas gehabt?“
Angeklagte: „Nein.“
Vorsitzender: „Habt ihr etwas gegessen oder nur getrunken?“
Angeklagte: „Nur getrunken.“
Das Verhör entwickelte sich kontinuierlich weiter. Rosa Hasel schilderte angespannt, dass sie nach diesem Zechgelage alle zusammen in ein Gasthaus gegangen und dort weiter getrunken hätten. Zuerst Wein, dann Wermut.
Vors.: „Ja vertragen Sie denn so viel Alkohol?“
Ang.: „Ja, ich vertrag sehr viel. Durch meinen zweiten Mann habe ich mich daran gewöhnt... Wir sind dann nach Hause gegangen. Dudek hatte sein Rad bei mir eingestellt. Warum Kaufer mitgekommen ist, weiß ich eigentlich nicht. Plötzlich ist zwischen den beiden Männern ein Streit entstanden. Kaufer hat einen Sessel genommen und gegen Dudek aufgerieben. Später ist dann Kaufer bei der Zimmertür gestanden. Ich hab ihm gesagt: ‚Geh, gib mir den Zettel‘.“
Vors.: „Sie haben ja auch schon vorher versucht, dem Kaufer den Zettel zu stehlen. Sie haben aber gesehen, daß Sie den Zettel weder durch ‚Abstieren‘ noch durch ‚Abschmeicheln‘ wieder von ihm bekommen können?“
Ang.: „Ja. Und der Kaufer hat mir dann gesagt: ‘Ich möchte mit dir allein sein‘. Er hat mich bei der Hand gefasst und hat mich ins Zimmer ziehen wollen. Ich hab mich losgerissen, und da hat der Kaufer plötzlich in die Hosentasche gegriffen, und ich hab´ dem Dudek zugerufen: ‚Du, Karl, er hat ein Messer‘.“
Vors.: „Ich will Ihre Verantwortung nicht beeinflussen, aber die Geschichte mit dem Griff in die Hosentasche und mit der Furcht vor dem Messer ist ein uralter Trick, den Ihnen kaum jemand glauben wird. Ich würde Ihnen diese Art der Verantwortung nicht empfehlen…Warum haben Sie also den Dudek gerufen?“
Ang.: „Ich hab Angst gehabt vor ihm, weil er mich schon vorher bedroht hat.“
Vors.: „Haben Sie denn noch niemals Drohung mit dem Messer zu hören bekommen?“
Ang.: „Aber ja, bei uns draußen in Favoriten hört man solche Drohungen alle Tage zwanzigmal.“
Vors.: „Umso merkwürdiger ist es, daß Sie gerade vor Kaufer Angst gehabt haben.“
Die Angeklagte schweigt.
Der Vorsitzende Richter leitete nun die Ouvertüre ein und die unglaubwürdige Mordschilderung begann.
Vors.: „Was war weiter?“
Ang. (nach einer längeren Pause): „Dudek hat dem Kaufer zugerufen: ‚Du Hund! ‘ und hat sich auf ihn gestürzt. Kaufer hat zurückgeschlagen. Die zwei Männer haben gerauft. Ich hab mich dazwischengeworfen. Ich hab den Dudek zum Kasten und den Kaufer zur Kredenz gedrängt. Da hat mir der Kaufer aufs rechte Auge geschlagen…da bin ich in Wut geraten…und hab hin´ghaut. (Bewegung). Kaufer ist durch meinen Stoß an die Kredenz geflogen und ist dort liegengeblieben. Nun hab
ich ihn an der Brust gepackt und hab wieder hinhauen wollen. Ich hab noch immer einen furchtbaren Zorn gehabt.“
Vors.: „Diese Darstellung wird Ihnen wahrscheinlich niemand glauben.“
Ang. (trotzig): „Ich hab ihn halt gepackt und habe ihn schlagen wollen.“ (Krampft die Hände ineinander.) Das ist alles so schnell gegangen, daß ich nicht weiß, wie es geschehen ist.“
Vors.: „Nein, es ist durchaus nicht so schnell gegangen.“
Ang.: „Ich hab gesehen, daß Blut spritzt. Der Dudek hat im gleichen Augenblick, als ich auch hinhauen wollte, dem Kaufer einen Schlag gegeben.“
Vors.: „Womit hat er denn hin gehaut?“
Ang.: „Das weiß ich nicht.“
Vors.: „Des Menschen Wille ist sein Himmelreich. Aber das werden Sie niemand einreden können, Angeklagte, daß Sie, wie Sie den Kaufer an der Brust gepackt haben und wie Sie gesehen haben, wie der Dudek ihn niederschlägt und wie das Blut spritzt, daß sie nicht gesehen haben, womit der Dudek den Kaufer niederschlägt?“
Ang. (trotzig und frech): „Mehr kann ich nicht sagen.“
Vors.: „Bitte, wie Sie wollen.“
Vors.: „Sagen Sie, wo hat er also die blutende Wunde gehabt?“
Ang.: „Herr Präsident, das kann ich nicht sagen.“
Vors.: „Sie müssen doch wissen, ob der Schädel eingeschlagen war, so etwas sieht man doch!“
Ang.: „Ich hab einen so fürchterlichen Zorn gehabt, das kann sich ein Mensch gar nicht vorstellen.“
Vors.: „Wie groß Ihr Zorn war, das kann man sich schon vorstellen, wenn man bedenkt, was dann geschehen ist. Das aber jemand vor Zorn nichts mehr sieht, das wird man Ihnen kaum glauben. Und sagen Sie jetzt: Hat der Dudek den Kaufer wirklich niedergeschlagen?“
Ang.: „Es war ja sonst niemand da.“
Vors.: „Na ja, und Sie.“
Ang. (schreiend): „Ich weiß es ja nicht, bitte, Herr Präsident, ich habe es ja nicht gesehen. Ich will den Dudek nicht beschuldigen…“
Vors.: „Aber Sie tun es… Sagen Sie noch einmal, ist es wahr, daß der Dudek den Kaufer zuerst zu Fall gebracht hat?“
Ang.: „Ja.“
Der Vorsitzende steuerte nun in seiner Prozessführung direkt auf den Totschlag mit der Hacke zu.
Vors.: „Hat sich der Kaufer noch gerührt?“
Ang.: „Ja, er hat herumgeschlagen.“
Vors.: „Was war weiter?“
Ang.: „Der Dudek ist auf den Kaufer hinaufgetreten und hat auf ihm herumgetrampelt. Dann hat er mir zugerufen: ‚Nimm's Hackl und hau ihm eine auf die Goschen!´ Ich hab die Hacke vom Fußboden aufgeklaubt und hab auf den Kaufer hin gehaut.“
Vors.: „Wo war die Hacke sonst?“
Ang.: „In der Kohlenkiste.“
Vors.: „Warum haben Sie hin gehaut?“
Ang. (laut): „Zorn…Er hat auf mich gehaut…Und wenn jemand auf mich haut, dann bin ich tobsüchtig.“
Vors.: „Ich möchte gewiss nicht spotten, aber Sie führen doch eigentlich ein Leben, bei dem es Ihnen sicherlich schon passiert sein wird, daß Sie das eine oder das andere Mal sehr unsanft angerührt worden sind. Sind Sie denn gar so empfindlich gegen solche Sachen? Man sollte doch meinen, daß Sie mit Rücksicht auf Ihr Leben abgestumpft sind.“
Die Angeklagte schweigt.
Vors.: „Also gut, Sie haben das im Zorn getan. Aber das ist nicht besonders glaubhaft.“
Ang. (laut): „Ich war ja betrunken. Ich weiß es ja nicht.“
Vors.: „Betrunken sein und zornig sein ist nicht ganz dasselbe. Sie werden sich bei Ihrer Verantwortung schon für das eine oder das andere entschließen müssen. Und nun sagen Sie, was war das für eine Hacke?“
Ang.: „Eine Beilpicke. Sie war auf der einen Seite spitz und auf der anderen hatte sie eine Schneide.“
Vors.: „Was hat der Dudek einstweilen gemacht, wie Sie hin gehaut haben?“
Ang.: „Das weiß ich nicht.“
Vors.: „Dudek hat angegeben, er hat den Kopf gehalten dabei.“ (Bewegung.)
Ang. (laut): „Ich weiß es nicht.“
Vors.: „Also, was ist weiter geschehen?“
Ang. (gleichgültig): „Ich habe gesehen, daß der Kaufer sich noch bewegt hat und Dudek hat dann mit der Hacke noch ein paarmal hingehaut.“
Vors.: „Der Arme muss doch schon längst tot gewesen sein… Jedenfalls ist er gründlich erledigt worden. Der arme Kerl hat ihnen auch noch zugerufen: ‚Habt Erbarmen mit mir‘!“
Ang.: „Das habe ich aber nur auf der Polizei so angegeben. Die haben von mir allerhand wissen wollen und da hab ich das halt erfunden.“
Vors.: „Das ist also eine Erfindung von Ihnen? Ich muss Ihnen schon sagen, daß gerade diese Erfindung außerordentlich glaubhaft klingt. Ich kann es mir ohne weiteres vorstellen, daß der Unglückliche gerufen hat: ‚Habt doch Erbarmen mit mir! ‘ Das könnte wirklich so gewesen sein. Gerade diese Angabe ist sehr glaubhaft, während andere Sachen, die Sie erzählt haben, es weniger sind. Zum Beispiel, um darauf zurückzukommen, daß Sie nicht gesehen haben, wieso der Kaufer niedergefallen ist.“
Ang. (laut): „Wenn ich es wissen würde, würde ich es sagen.“
Unter allgemeiner Gespanntheit schilderte nun die Angeklagte wie sich die Gräueltat weiter zutrug. Ihre Sprache wurde immer hastiger. Dann redete sie nur noch in abgerissenen Sätzen, bis sie schließlich die grausige Zerstückelung der Leiche beschreibt. Von da ab stotterte sie förmlich.
Ang.: „Ich bin dann dagesessen…furchtbar aufgeregt und hab gezittert… Ich war ganz weg und habe den Dudek gefragt: ‚Was machen wir jetzt? ‘ Da hat er gesagt, wir müssen ihn wegräumen. Dann hat der Dudek die Taschen des Kaufer durchsucht und ausgeräumt. Die Sachen hat er auf das Stockerl geworfen… Da hab ich gesehen, daß der gewisse Zettel darunter war… Ich hab ihn an mich genommen. Dudek hat dem Kaufer dann noch etwas aus den Rocktaschen herausgenommen, was, weiß ich nicht… Dann haben wir ihn gemeinsam über den Hof in den Schuppen getragen...Dort haben wir ihn ausgezogen…Ich hab ihm die Hose herunter gezogen…Das Hemd haben wir ihm heruntergerissen…Der Dudek hat den Körper dann zum Kanal hingeschleppt. Ich bin in die Küche gegangen habe zwei Messer geholt. Dudek hat dem Kaufer dann den rechten Unterarm eingeschnitten. Ich bin dabei gestanden und hab zugeschaut. Dann hat der Dudek gesagt: ‚Fang an! ‘ Da hab ich dann einen kleinen Schnitt in den Hals des Kaufer gemacht… Aber ich hab das Messer gleich wieder weggelegt und hab gesagt: ‚Karl, das kann ich nicht...‘
Dann bin ich wieder in die Küche zurück. Mein Mann ist inzwischen nach Hause gekommen. Ich wollte ihn nicht in die Küche lassen, habe ihn aufgehalten und ihm gesagt: ‚Ich habe den Kaufer erschlagen! ‘ Dann hab ich meinem Mann zehn Schilling gegeben und hab ihm gesagt: ‚Du hast nichts gesehen, geh fort! ‘ Und er ist fortgegangen. Aber nach kurzer Zeit ist er wieder gekommen. ‚Rosa‘ hat er gesagt‚ ‚du bist betrunken, es wird besser sein, wenn du dich selber der Polizei stellst. ‘ Aber ich wollte nicht. ‚Geh du‘, hab ich ihm gesagt. Ich hab nicht gewußt, was ich jetzt anfangen soll. Ich hab dann meinen Mann gebeten, er soll mich nicht verraten.“
Trotzdem Rosa Hasel stark alkoholisiert war verfügte sie noch über ein sehr gutes Gedächtnis, was dem Vorsitzenden auch nicht verborgen blieb. Genau darauf zielten seine Fragen.
Vors.: „Und was hat der Dudek während dieser ganzen Zeit gemacht?“
Ang.: „Das weiß ich nicht. Ich habe erst dann gesehen, was vorgegangen ist, als schon die Polizei da war.“
Vors.: „Und wer hat denn den Waschtrog gebracht und mit Wasser gefüllt?“
Ang.: „Das Wasser war immer drinnen. Ich hab zwar auf der Polizei gesagt, daß ich den Trog in den Hof gestellt habe, aber ich kann mich nicht erinnern, daß ich es wirklich getan habe. Ich hab ja bei der Polizei allerhand gesagt, was unrichtig war. Man hat mir ja nichts geglaubt, auch nicht, daß ich betrunken war.“
Vors.: „Das glaube ich auch nicht. Wenn Sie alle Einzelheiten der Tat so genau wissen, können Sie doch nicht betrunken gewesen sein. Sie haben ja sogar angegeben, wieviel Geld der Dudek aus Kaufers Portemonnaie genommen hat. Zwei Schilling dreißig waren es, haben Sie gesagt. Wenn jemand von einem so furchtbaren Zorn gepackt wird, wie Sie ihn schildern, dann kann er nicht so kaltblütig und zielbewusst handeln. Und wenn Sie auch nichts anderes getan hätten, als daß Sie dem Dudek die Messer für sein grausiges Werk gebracht haben…“
Ang. (trotzig): „Ich kann nicht mehr sagen, als daß ich vorher reichlich getrunken habe und dann einen schrecklichen Zorn gehabt habe.“
Vors.: „Wissen Sie denn gar nichts darüber, was dann im Hof weiter mit dem Leichnam geschehen ist?“
Ang.: „Nein.“
Vors.: „Sie wissen also nicht, daß dem Leichnam der Kopf abgehakt wurde, daß er keine Unterarme, keine Füße aufwies, daß der Rumpf tiefe Einschnitte zeigte und förmlich in Würfel aufgeteilt war, daß alles so vorbereitet war, um den Körper dann in einer Anzahl von Paketen unauffällig fortschaffen zu können?“
Ang.: „Das alles weiß ich nicht.“
Vors.: „Wer hat das gemacht? Sie sagen, der Dudek, und er behauptet wieder, Sie hätten es getan?“
Ang. (zornig): „Er ist ein Schuft, wenn er das behauptet.“
Vors.: „Nun, ich werde Ihnen ja Gelegenheit geben, von ihm selber zu hören, was er dazu sagt.“
Trotzig warf die Angeklagte den Kopf zurück und entgegnete: „Es ist ja schließlich gleichgültig, ob ich ein bissel mehr oder weniger gemacht habe.“
Vors.: „O nein, das ist gar nicht gleichgültig. Gerade diese Schändung der Leiche schiebt jeder von euch auf den anderen. Und warum? Weil es etwas ist, was einen Angeklagten sehr interessieren muss. Es kann ihm nicht gleichgültig sein, wenn er auch noch in einem solchen fürchterlichen Licht dasteht.“
Ang. (entschieden): „Ich gebe zu, was ich getan habe, und schiebe nichts auf einen anderen.“
Vors.: „Sie brauchen dem Dudek nichts zu schenken, dürfen ihm aber auch nichts in die Schuhe schieben. Er hat behauptet, daß er an der Zerstückelung nicht weiterarbeiten konnte, weil ihm so schlecht wurde, daß er erbrechen musste.“
Ang.: „Ich habe nur diesen einen kleinen Schnitt in den Hals gemacht, nicht mehr.“
Vors.: „Bei der Polizei haben Sie aber auch zugegeben, daß Sie in der Küche mit den Füßen auf dem Körper des Kaufer herumgetrampelt sind?“
Ang.: „Gesagt habe ich es, aber gemacht habe ich es nicht.“
Vors.: „Ihre heutigen Angaben stimmen vielfach nicht mit Ihren früheren überein. Sie haben im Übrigen nicht weniger als sechzehn verschiedene Darstellung gegeben, die alle einander widersprechen.“
Ang.: „Das ist unmöglich.“
Der Vorsitzende verlas im Anschluss noch eine ganze Reihe von Protokollen, die mit der Angeklagten Rosa Hasel vor der Polizei und dem Untersuchungsrichter aufgezeichnet worden waren. Nun hielt er der Angeklagten die einzelnen Widersprüche aus den Niederschriften vor.
Vors.: „Nach Ihrer Verhaftung haben Sie unumwunden eingestanden, gemeinsam mit Dudek den Kaufer getötet und dessen Leiche gemeinsam zerstückelt zu haben. Dann haben Sie ihre Angaben abgeschwächt. Einmal sagten Sie, Sie schonen Dudek. Dann haben Sie ihn wieder hineingelegt. Einmal haben Sie behauptet, Sie hätten mitgewirkt. Dann haben Sie wieder erklärt, der eifersüchtige Dudek habe gesagt: ‚Ich bring ihn um und räum ihn weg! ‘ Was soll man Ihnen nun heute glauben?“
Ang. (trotzig): „Auf der Polizei hab ich gesagt, was man von mir verlangt hat. Man hat mir ja dort ‚Fünfundzwanzig‘ angedroht. Mir war schon alles gleich.“
Vors.: „Und beim Untersuchungsrichter?“
Ang.: „Auch da war mir alles gleich.“
Vors.: „Es fehlt nur noch, daß Sie sagen, auch heute ist Ihnen alles gleich.“
Nun beschrieb die Angeklagte die Situation kurz nach der Ermordung, als Dudek sie auf das innigste bat, sie möge doch die Tat und die Leichenzerstückelung auf sich nehmen.
Ang.: „Aber ich wollte nicht, daß ich etwas auf mich nehme, was ich nicht getan habe, denn was ich getan habe, dafür stehe ich ein. Aber für fremde Schuld, das fällt mir nicht ein. So gut bin ich nicht…“ Dudek, so erzählte die Angeklagte weiter, wollte dem toten Kaufer auch noch den Anzug und die Wäsche wegnehmen mit der Bemerkung: „…daß man die noch gut verwenden könne.“
Vors.: „Das ist grässlich, das ist fürchterlich!“
Vors.: „Haben Sie übrigens am Tage der Tat nicht auch einen Herrenbesuch gehabt?“
Ang.: „Ja.“
Vors.: „Und nun frage ich Sie noch einmal. Hat der Kaufer um Erbarmen gefleht?“
Ang.: „Ich kann mich nicht erinnern.“
Vors.: „Aber ich hör ihn förmlich rufen. Ich hör ihn förmlich um Erbarmen flehen. Es wird schon so gewesen sein. Außerdem haben Sie ja ursprünglich erklärt: ‚Deswegen habe ich auch auf den Kaufer mit der Hacken losgeschlagen. ‘ Durch seine Bitte um Erbarmen sind Sie, wie Sie in der Voruntersuchung angegeben haben, erst recht in Wut geraten. Und nun sagen Sie mir auch, warum ist beim Zerstückeln der Leiche auch die Holzhacke gebraucht worden?“
Ang. (gleichgültig): „Weil es mit dem Messer nicht gegangen ist.“
Vors.: „Glauben Sie, hat der Dudek auf den Kaufer deshalb einen Zorn gehabt, weil er mit ihm sozusagen hat teilen müssen?“
Ang.: „Ich glaube schon. Sie waren auch aufeinander böse, sie haben sich nicht leiden können.“
Vors.: „Haben Sie eigentlich gegen den Kaufer etwas gehabt?“
Ang.: „Gar nichts.“
Vors.: „Dieses ‚Gar nichts‘ ist eben nicht recht glaubhaft. Haben Sie nicht auf den Kaufer aus irgendeinem anderen Grund einen Groll gehabt?“
Ang.: „Nein, ich wüsste nicht wegen was. Ich kann nur sagen, ich hab einen Zorn gehabt. Ich bin sonst gut und tue alles, aber wenn jemand auf mich haut, dann… Ich kann es nicht sagen, wie es dann ist.“
An dieser Stelle brach der Vorsitzende die Verhandlung für diesen Tag ab. Als der Justizwachbeamte die Angeklagte abführen wollte, wendete sich Rosa Hasel mit einem kurzen Kopfnicken noch einmal gegen den Gerichtshof, sagte mit lautstarker Stimme: „Guten Tag!“, warf ihren Kopf stolz und trotzig zurück und verließ selbstbewusst, mit energischen Schritten den Gerichtssaal.
Dienstag, der 23. November 1937
Am zweiten Verhandlungstag des Mordprozesses gegen Hasel und Dudek kam es zum, mit Spannung erwarteten Kreuzfeuer der Angeklagten durch den Staatsanwalt. Rosa Hasel blieb wie immer trotz der energischen Vorhalte im Großen und Ganzen bei ihrer Aussage, die sie bereits schon am ersten Verhandlungstag gemacht hatte. Aufsehenerregend dagegen war das Verhör mit Karl Dudek, der jegliche Schuld von sich wies und behauptete, daß er nur aus Angst vor Rosa Hasel half, die Spuren des Verbrechens zu beseitigen. Auch mit der Zerstückelung von Kaufers Leiche wollte Dudek nichts zu tun haben. Erst als die beiden Angeklagten einander gegenübergestellt wurden, kam es zu einem regelrechten Zusammenstoß.
Für die Nachmittagsverhandlung war dann die Zeugenvernehmung vorgesehen. Der Gatte der Angeklagten Leopold Hasel und dessen Bruder entschieden sich schon vorab, von ihrem Zeugenverweigerungsrecht Gebrauch zu machen. Sie zogen es vor, zu schweigen. Gleich zu Beginn der Verhandlung nimmt der Staatsanwalt Dr. Hausner die Angeklagte Rosa Hasel ins Kreuzfeuer.
St.-A.: “Wieso ist es zu dieser Verzichtserklärung gekommen? Von wem ist der Gedanke ausgegangen, daß der Mann schriftlich auf Sie und die Möbel verzichtet?“
Ang.: „Genau kann ich es nicht sagen. Ich habe meinem Mann gesagt, er soll es schreiben.“
St.-A.: „Warum aber zwei Zettel?“
Ang.: „Der Dudek wollte nämlich die Möbel haben, das heißt ein Bett.“
St.-A.: „Wenn Ihr Mann auf Sie verzichtet und auf die Möbel zu Gunsten des Dudek, warum bekommt der Dudek keinen Zettel?“
Ang.: „Ich wollte ihn nicht dem Dudek geben, sondern dem Kaufer.“
St.-A.: „Warum hat sich Ihr Mann nicht scheiden lassen?“
Ang.: „Wir haben es beim Bezirksgericht versucht, es ist aber nicht gegangen. Man hat uns gesagt, die Dispensehe kann nur ungültig erklärt werden. Das kostet aber 800 Schilling, und das Geld haben wir nicht gehabt.“
St.-A.: „Warum schreibt Ihr Mann die Verzichtserklärung und Sie bleiben dann weiter verheiratet?“
Ang.: „Das weiß ich nicht.“
St.-A.: „Was haben Sie mit den beiden Verzichtserklärung also gemacht?“
Ang.: „Eine hab ich dem Kaufer gegeben, die andere hab ich mir behalten.“
St.-A.: „Wieso geben sie dem Kaufer die Verzichtserklärung? Die sollte doch dem Dudek gegeben werden?“
Ang.: „Ich hab es halt so gemacht.“
St.-A.: „Warum haben Sie im März 1937 dann die Verzichtserklärung zurückhaben wollen?“
Ang.: “Er hat immer gedroht.“
St.-A.: „Was für Folgerungen haben Sie daraus gezogen? Sind Sie auf die Polizei gegangen? Haben Sie eine Anzeige erstattet.“
Ang.: „Nein.“
St.-A.: „Haben Sie Ihrem Mann gesagt, der Kaufer bedroht Sie?“
Ang.: „Ja.“
St.-A.: „Und haben Sie dem Kaufer das Haus verboten?“
Ang.: „Nein, ich hab ihm gesagt, er soll mich in Ruhe lassen.“
St.-A.: „Trotzdem sind Sie aber mit ihm ins Hotel gegangen und in seine Wohnung?“
Ang. (betreten): „Ja.“
St.-A.: „Wenn Sie Angst vor dem Menschen haben, unterhält man doch kein Verhältnis mit ihm, bleibt nicht nächtelang mit ihm aus?"
Die Angeklagte schweigt verlegen.
St.-A.: „Das können Sie nicht aufklären, darum glaube ich nicht, daß er Sie bedroht hat. Sie haben doch auch gesagt: ‚Er war gut zu mir und war gar nicht grob.“
Im weiteren Verhör äußerte sich Rosa Hasel, warum sie sich mit ihrem Gatten ausgesöhnt hatte. Ab sofort wollte sie eine grundsolide Frau werden. Mit dem Dudek hätte sie sofort Schluss machen können, zumal sie ja mit ihm kein eigentliches Verhältnis unterhielt.
Nach dieser Ausführung bedeckte Rosa Hasel plötzlich ihre Augen mit den Händen und weinte bitterlich. Doch dieser Zwischenfall ging schnell vorüber. Sie wischte sich mit dem Taschentuch rasch die Tränen ab und antwortete auf die weiteren Fragen des Staatsanwalts wieder vollkommen ruhig und mit kühler Überlegung.
St.-A.: „Und an dem Tag, an dem Sie sich mit ihrem Gatten angeblich versöhnen wollten, haben Sie in ihrer Wohnung Herrenbesuch empfangen. Wie reimt sich das damit, daß Sie eine solide Frau werden wollten?“
Diese Frage traf die Angeklagte bis ins Mark. Sie schwieg eine ganze Weile und rief, während sich ihr ganzer Körper schüttelte: „No ja, das war fürs Geld!“
Im weiteren Verhör wurden sämtliche Einzelheiten des Mordes noch einmal aufgerollt. Die Angeklagte erklärte wiederholt, sie habe den Kaufer zwar schreien gehört, aber daß er um Erbarmen gefleht habe, daran könne sie sich nicht erinnern. Sie wisse nur noch, daß Dudek auf dem Kopf von Kaufer voller Wut herum gesprungen sei.
St.-A.: „Warum haben Sie Ihren Mann, als er plötzlich unvermutet heimkehrte, mit einer Zehnschillingnote ins Wirtshaus geschickt? Damit er sich einen Rausch antrinkt?“
Die Angeklagte schwieg betreten.
St.-A.: „Ich werde Ihnen sagen, warum Sie ihn fortschickten: Damit Sie mit ihrem Komplizen ruhig die Leiche des Erschlagenen hätten fortschaffen können. (Bewegung.) Und hat Ihnen Dudek einmal beim Betrachten des Kanaldeckels in der Werkstätte nicht gesagt: „Da könnte man leicht einen verschwinden lassen!“
Ang.: „Das weiß ich nicht.“
St.-A.: „Sie haben doch schon früher durch dieses Loch Teile geschlachteter Tiere fortgeschwemmt.“
Ang.: „Das ist richtig.“
St.-A. (betont): „Sie haben mit der Hacke einige Male auf den Kaufer losgeschlagen. Geben Sie zu, daß Sie die Absicht hatten, ihn zu töten?“
Ang.: „Nein.“
St.-A.: „Warum schlugen Sie dann auf seinen Kopf ein?“
Ang. (achselzuckend): „Weil ich überhaupt zuschlagen wollte.“
Auf eine weitere Frage ihres Verteidigers Dr. Flandrak berichtete Rosa Hasel, daß Kaufer ihr einmal vorgeschwärmt habe, er habe bisher 19 Kerkerstrafen verbüßt und bereits 200 Polizeistrafen erhalten.
Vert.: „Haben Sie sich gefürchtet vor den Drohungen des Kaufer?“
Ang.: „Ja ich hab schon Angst gehabt.“
Vert.: „Warum haben Sie nicht energisch Schluß gemacht? Ist es überhaupt möglich bei Ihnen da draußen, daß man eine Abschiedsszene mit Austern und Champagner macht oder löst sich das ganz einfach?“
Ang.: „Bei uns ist das nicht so.“
Vert.: „Waren Sie auf Kaufer eifersüchtig?“
Ang.: „Nein, absolut nicht. Er war mir ganz gleichgültig.“
Vert.: „Haben Sie ein Interesse gehabt, daß er aus dieser Welt verschwindet?“
Ang.: „Nein.“
Vert.: „Oder war dieser Zettel der Grund, daß Sie an seinem Verschwinden ein Interesse hatten?“
Ang.: „Nein, absolut nicht. Wenn ich gewollt hätte, hätte ich ihn ohne weiteres bekommen.“
Vert.: „Der Staatsanwalt wollte von Ihnen wissen, welche Äußerungen der Dudek auf dem Heimweg gemacht hat. Er soll gesagt haben: Den werde ich erschlagen!“
Ang.: „Das hat ja auch mein Mann öfter gesagt. Das hört man bei uns öfter.“
Vert.: „Sie meinen, daß man das nicht so tragisch nimmt.“
Vors. (ironisch): „Es sei denn, daß es der Herr Kaufer sagt
Vert.: „Wie lange hat denn das Handgemenge damals gedauert?“
Ang.: „Einige Sekunden.“
Vert.: „Welche Absicht haben Sie gehabt mit den Hieben?“
Ang.: „Hinhauen wollt ich halt. Ich habe nur einen Zorn gehabt.“
St.-A. (unterbrechend): „Wir werden ja von den Sachverständigen hören, ob das Zerschlagen der Knochen nur einige Sekunden gedauert hat.“
Nun verlas der Vorsitzende einige Zuschriften des Strafregisteramtes aus welchen hervorging, daß vor zwei Jahren Rosa Hasel wegen Raufhandels zu 40 Schilling Geldstrafe oder 48 Stunden Arrest bedingt verurteilt worden war. Des Weiteren erhält man Kenntnis darüber, daß der Angeklagte Dudek bisher elfmal vorbestraft ist, und zwar wegen Diebstahls, Raufhandels und Veruntreuung.
Die Strafkartei des ermordeten Leopold Kaufer war, wie aus der gleichen Zuschrift des Strafregisteramtes hervorging… leer.
Vert. Dr. Jacobsen: „Frau Hasel, war Dudek Ihnen gegenüber sanft?“
Ang.: „Ja, er war sehr gut zu mir.“
Vert.: „Warum haben Sie ihn ins Gasthaus mitgenommen? Vielleicht als Saufkumpan?“
Ang.: „Ja, mein Mann hat immer gesagt, der Dudek ist mein Saufbruder.“
Vert.: „War Ihr Mann bös auf den Dudek?“
Ang.: „Ja, er war eifersüchtig.“
Vors.: „Darüber werden wir noch Gelegenheit haben, in der geheimen Verhandlung zu sprechen.“
Vert. (zur Angeklagten): „Haben Sie mit dem Dudek Verabredungen getroffen, daß man den Kaufer beseitigt?“
Ang.: „Niemals.“
Vert.: „Hat Ihnen der Dudek jemals einen Antrag auf erotische Beziehungen gestellt?“
Vors.: „Ich bitte, die Erotik gehört in die geheimen Verhandlung.“
Psychiater Regierungsrat Dr. Dimitz: „Woraus haben Sie geschlossen, daß der Kaufer tot ist?“
Ang. (mit weit aufgerissenen Augen): „Er hat sich nicht gerührt.“
Dr. Dimitz: „Wie ist es zu dem Entschluß gekommen, den Kaufer hinüberzutragen?“
Ang.: “Wir haben gesehen, daß er tot ist. Ich hab zum Dudek gesagt, was machen wir jetzt, und er hat geantwortet, wir müssen in wegräumen.“
Nun führte man den zweiten Angeklagten - Karl Dudek - in den Saal. Man bittet ihn dicht vor den Gerichtstisch zu treten, da er sehr undeutlich und äußerst rasch spricht.
Auf die Frage, ob er sich schuldig bekennen, antwortet Dudek: „Daß ich ihm eine Ohrfeige gegeben hab und ihm das Messer wegnehmen wollte, das gebe ich zu.“
Vors.: „Des Mordes bekennen Sie sich nicht schuldig?“
Ang.: „Nein.“
Vors.: „Und der Diebstahlsteilnehmung und das Sie Menageschalen, Geschirrtücher und Servietten gestohlen haben?“
Ang.: „Nein.“
Vors.: „Also auf der ganzen Linie unschuldig...“
Vors.: „Erzählen Sie uns nun etwas über Ihr Vorleben.“
Karl Dudek begann zunächst etwas verhalten und stockend über sein bisheriges wechselvolles Leben zu erzählen, daß er, wie er angab, nach dem Krieg in Wien Vertreter verschiedener Firmen war bis er „auf gute Geschäfte hoffend“, mit Gipsikonen hausieren ging, sich dann der Taubenzucht widmete, anschließend als Garagenmeister Beschäftigung fand und schließlich auf Inkassant umsattelte. Kurze Zeit später habe er noch eine Anstellung als 2. Geschäftsführer in einer kleinen Firma erhalten. Dort sei er aber nicht lange geblieben. Zuletzt habe er ein Geschäft für Grünwaren besessen.
Der Angeklagte beschrieb nun dem Gericht, wie er die Hasel kennen gelernt hatte: „Ich hab dem Leopold Hasel Tauben abgekauft und sie bei ihm gelassen, weil Hasel in seiner Wohnung mehr Platz hatte als ich. Durch Hasel habe ich seine Frau und später auch den Leopold Kaufer kennengelernt.“
Vors.: „Wie waren zu dieser Zeit Ihre Beziehungen zu Frau Hasel?“
Ang.: „Sie hat mir immer gesagt:‘… komm ins Wirtshaus, da gibt's eine Unterhaltung. ‘ Sie hat gern mit mir getanzt.“
Vors.: „Wer hat diese Unterhaltung bestritten?“
Ang.: „Einmal ich, einmal sie.“
Vors.: „Aber wenn man, wie sie, vom Sackelpicken und von Gelegenheitsarbeiten lebt, wieso kann man sich dann überhaupt einen kostspieligen Wirtshausbesuch angewöhnen? Warum haben Sie sich von der Frau Hasel freihalten lassen?“
Ang. (schreiend): „Ich hab mich nicht freihalten lassen von der Hasel.“
Vors.: „Ein Mann läßt sich nicht von einer Frau freihalten, noch dazu von einer solchen Frau, von der er weiß, auf welche Weise die ihr Geld verdient.“
Ang. (wütend): „Warum hätte ich die Hasel ausführen sollen? Ich hab doch nichts von ihr gehabt!“
Vors.: „Es hätte weder auf Ihre eigenen Kosten noch auf die Kosten der Hasel geschehen sollen, verstanden! Überhaupt haben Sie hier ruhig zu reden.“
Vors.: „Angeklagte Hasel, wer hat die Zechen bezahlt?“
Rosa Hasel: „Ich hab dem Dudek die Zechen bezahlt und hab ihm auch Geld gegeben.“
Dudek (schreiend): „Das ist nicht wahr, das laß ich mir nicht gefallen!“
Hasel (mit geballten Fäusten): „Es ist doch so.“
Vorsitzender (zu Dudek): „Haben Sie gewußt, auf welche Weise sich die Hasel ihr Geld verdient?“
Ang.: „Ich habe sie nicht gefragt, ob sie von Männern Geld bekommt.“
Vors.: „Aber gehen Sie, die Hasel ist doch früher mit dem Buch gegangen, und, ganz abgesehen davon, wenn Männer zu ihr kommen, so haben Sie doch wissen müssen, was das bedeutet.“
Ang.: „Ich hab‘ nicht gewußt, daß die Männer sie dafür bezahlen.“
Vors.: „So, das haben Sie nicht gewußt?“
Vors.: „Wir kommen nunmehr zum 11. März. Wer ist damals in der Frühe in der Küche gesessen?“
Ang.: „Die beiden Wanis, der Kaufer, die Hasel, ein paar Kinder und ich. Wir haben Wein getrunken. Ich bin dann hinausgegangen, denn es hat mir nicht gepaßt, weil die Hasel schon fast betrunken war.“
Vors.: „Sie haben einmal gesagt, daß Ihnen das Trinken schadet. Warum sind Sie dann ins Gasthaus mitgegangen?“
Karl Dudek schrie ein paar nicht verständliche Worte, worauf ihn der Vorsitzende streng rügte: „Streiten Sie nicht mit mir!“
Ang.: „Ich bin mitgegangen, weil die Hasel mich gebeten hat, ich soll ihr noch einen Weg erledigen. Sie hat mir zwei Ringe zum Versetzen gegeben. Ich hab‘ sie in der Favoritenstraße um 16 Schilling versetzt. Dann bin ich ins Gasthaus zurück und hab‘ ihr das Geld gegeben. Sie hat mir dort gesagt: ‚Wir müssen aber bald gehen, der Poldl (der Gatte der Angeklagten) wird nach Haus´ kommen. ‘ Sie hatte Wein bestellt und wir haben miteinander getanzt. Dann sind wir nach Hause gegangen. Die Hasel hat sich in den Kaufer eingehängt. Ich wollt´ mit dem Rad nach Haus‘ fahren.“
Vors.: „Haben Sie nicht einen Rausch gehabt?“
Ang. (zögernd): „Ja, deswegen bin ich auch nicht mit dem Rad gefahren.“
Dudek schilderte nun weiter, daß er sich, als sie in der Wohnung der Hasel angekommen waren, auf der Veranda mit seinem Rad befaßt habe. Plötzlich hätte er die Hasel schreien gehört: „Karl, komm herein, er hat ein Messer!“
Vors.: „Was haben Sie gesehen, wie Sie in hineinkamen?“
Ang.: „Ich kann mich nicht genau erinnern, ich weiß nur, daß wir alle drei dann in einem Knäuel beim Fenster auf der Erde gelegen sind.“
Die nächste Schilderung des Angeklagten Dudek war total verworren und völlig zusammenhanglos. Er sprach plötzlich so schnell, daß man mühsam nur jedes zehnte Wort verstehen konnte. Er hätte, so erzählte er, plötzlich ein Messer in der Hand des Kaufer gesehen, ihn daraufhin bei der Hand gepackt und versucht die Handknöchel zusammen zu pressen, damit der Kaufer das Messer fallen ließe. Da er damit aber erfolglos blieb, hätte er sich einen Fetzen, der zufällig auf der nahen Nähmaschine lag, gegriffen und mithilfe dieses Fetzens dem Kaufer das Messer entwunden. Dann will er noch die Hasel schreien gehört haben: „Und meine Dokumente hat er auch!“ Das wäre alles was er dazu sagen könne, mehr wisse er nicht, denn er sei schrecklich erregt gewesen. Er wisse nur noch das Eine, daß er dem Kaufer, obwohl der schon am Boden lag, eine anständige gescheuert habe.
Aus Dudek sprudelt es nur so hervor: „Ich bin dann in die Küche gegangen. Die Hasel mit mir. Auf einmal stand Kaufer in der Tür. Er hat mit einem Sessel aufgerieben und einem Lavoir…“
Vors.: „Warten S‘, Warten S‘ beides auf einmal geht nicht.“
Ang.: „Das Lavoir hat er mit dem Sessel vom Waschtisch gestreift. Es kann nicht anders gewesen sein. Ich weiß nicht, ob wir beide auf ihn hingestürzt sind und ihn niedergehaut haben…Hackl…Blut… Das war das Ganze. Dann hör ich sie schreien: ‚Wo sind meine Ohrgehänge? ‘ Sie greift sich an den Kopf, schreit mir zu: ‚Such S‘! ‘ Sie war ja wild...Schaum hat sie vor dem Mund gehabt. Sie war kein Mensch mehr, sie war nicht mehr normal…“
Dudek überging nun die ganzen weiteren Vorgänge und begann plötzlich, vom Aufwischen des Blutes weiter zu erzählen. Plötzlich sei dann Leopold Hasel nach Hause gekommen.
Der Vorsitzende erinnerte mit einem kurzen Einwurf den Angeklagten daran, daß er in seiner Erzählung die Hauptsache unterschlagen habe.
Sagt aber: „Na, erzählen Sie es halt einmal so zu Ende.“
Ang.: „Sie gibt ihm zehn Schilling, er soll ins Wirtshaus gehen. Was soll ich jetzt machen, hab ich mir gedacht, wenn es herauskommt. Sie redet erst nichts, dann sagt sie, sie geht ins Wasser. Und ich hab mir gedacht, mir ist schon alles eins, ich werde warten, was weiter geschieht. Ich bin dann so schwach geworden. Ich bin aufs Klosett gegangen, habe gebrochen… und nicht gewußt, was mit mir ist. Ich muß eingeschlafen sein… Dann bin ich ins Zimmer gekommen.“
Vors.: „Wieso denken Sie, daß Sie eingeschlafen waren?“
Ang.: „Wie ich wieder ins Zimmer gekommen bin, hat sie gesagt, daß ihr Mann wieder da war.“
Vors.: „Wir werden ja von Leuten hören, die so etwas verstehen, ob es glaubhaft ist, daß Sie auf dem Klosett eingeschlafen sind. Und nun sagen Sie mir, können Sie sich daran erinnern, daß die Hasel mit der Hacke auf den Kaufer hingehaut hat?“
Ang.: „Ich kann mir das nicht erklären. Es ist so blitzschnell gegangen.“
Vors.: „Und ich kann mir nicht vorstellen, daß ein Mensch, wie der Kaufer, so zugerichtet worden sein kann. Ich kann mir nicht vorstellen, daß das alles so blitzschnell gegangen ist.“
Ang.: „Er war ja betrunken, er ist ja hin und her getaumelt.“
Vors.: „Haben Sie es also gesehen, wie die Hasel öfters hin gehaut hat mit der Hacke? Sie müssen sich noch daran erinnern können?“
Ang.: „Ich habe es nicht bemerkt.“
Vors.: „Woher wissen Sie überhaupt, daß sie mit der Hacke hin gehaut hat?“
Ang.: „Weil sie geschrien hat: ‚Wo ist die Hacke...‘ Mehr kann ich nicht sagen.“
Vors: „Wie ist es mit der Zerstückelung? Mit der hatten Sie gar nichts zu tun?“
Ang.: „Nein.“
Vors.: „Wann soll denn die Hasel das gemacht haben?“
Ang.: „Na, während ich am Klosett war.“
Vors.: „Ist das auch war? Wie Sie heute sagen, hatten Sie mit der ganzen Sache gar nichts weiter zu tun, als daß Sie dem Kaufer eine geschmiert haben. Ich halte Ihnen aber Ihre Angaben bei der Polizei und vor dem Untersuchungsrichter vor. Ich halte Ihnen auch vor, was Frau Hasel sagt. Die Hasel ist ihrerseits vollkommen geständig, zumindest was die Hauptsache anlangt. Sie haben ihr geholfen, hat sie gesagt, sie läßt sogar durchblicken, daß Sie als erster mit der Hacke hin gehaut haben, daß Sie mit den Füßen auf dem Kaufer herumgetrampelt sind, auf der Brust und auf dem Gesicht, daß Sie ihr zugerufen haben: ‚Nimm die Hacken und hau ihm eine in die Goschen!‘ Und sie sagt, daß Sie ein zweites Mal nach der Hacke gegriffen haben und auch noch einmal hin gehaut haben, sie sagte weiter, daß Sie schon früher davon geredet haben, Sie würden den Kaufer umbringen; sie sagt aber auch, daß Sie nachher darauf bedacht waren, den Leichnam wegzuräumen, daß Sie derjenige waren, der die Leiche kunstgerecht tranchiert hat, daß Sie es waren, der der Leiche den Kopf abgehackt hat, daß Sie die Arme und die Beine abgetrennt und daß Sie schließlich alles sozusagen als ein gräuliches Paket zurechtgerichtet haben.“
Ang.: „Das ist alles nicht wahr.“
Der Vorsitzende rief nun die Angeklagte vor und stellte sie Karl Dudek gegenüber. Dabei kam es zur äußerst erregten und lauten Szenen.
Vors.: „Rosa Hasel, was sagen Sie dazu?“
Hasel (schreiend zu Dudek): „Du bist ein Schuft!“
Dudek: „Du bist ein Schuft, Du bist ein Luder!“
Hasel: „Du lügst... Du bist ein Schuft!“ (Immer lauter): „Gell, bei der Tat, da warst Du ein Held und jetzt bist Du ein Pantoffelheld…Ich sage Dir, ich habe Dich geschont, aber reize mich nicht, sonst erzähle ich allerhand.“
Der Vorsitzende mußte die beiden Angeklagten, die sich gegenseitig fast an den Kragen gingen und einander wütende Blicke zuwarfen, sich fortwährend beschimpften, erst einmal ernstlich ermahnen. Trotz alledem verstand man längere Zeit kein Wort. Nur hin und wieder hörte man zwischendurch die lauten Rufe „Schuft“ oder „Luder“. Endlich, nachdem sich beide Angeklagten wieder beruhigt hatten, konnte der Verteidiger Dr. Jakobson dem Angeklagten Karl Dudek ernstlich ins Gewissen reden und ihn bitten, er möge unbedingt bei der Wahrheit bleiben. Trotzdem behauptete Dudek weiterhin, das die Hasel lüge, er aber die Wahrheit sage. Nach dieser Auseinandersetzung hielt der Vorsitzender dem Angeklagten Dudek seine früheren Angaben vor mit den Worten: „Sie haben früher manches anders dargestellt als heute. Warum haben Sie sich dann, als sich der Kaufer nicht mehr regte und als die Polizei schon da war, selbst als Mörder bezeichnet?“
Ang.: „Ich habe damit nur gemeint, daß man mich als Mörder ansehen wird und daß man mir nicht glauben wird, daß ich am Mord unbeteiligt war.“
Vors.: „Bei der Polizei sagten sie: ‚Wir haben den Leichnam gemeinsam fortgeschleppt, und die Hasel hat dann den Kopf abzuschneiden versucht und ihn, als das nicht ging, mit einer Hacke abgetrennt. ‘ Heute haben Sie uns erzählt, daß Sie sich zur Zeit der Zerstückelung der Leiche im Klosett aufgehalten haben. Warum haben Sie das nicht früher erwähnt?“
Ang.: „Man hat mich bei der Polizei nicht reden lassen. Ich mußte das sagen, was man hören wollte. Ich habe mir damals gedacht, jetzt gebe ich vorläufig alles zu. Bei Gericht werde ich dann schon sagen, wie es in Wirklichkeit war.“
Vors.: „Es kommt aber noch viel dicker. Sie haben bei der Eskorte erklärt: ‚Jetzt bin ich auch ein Mörder‘.“
Ang.: „Ich wollte nur sagen, daß man mich jetzt auch für einen Mörder halten wird.“
Vors.: „Sie haben früher auch erklärt: ‚Während die Hasel den Leichnam zerschnitt, mußte ich den Kopf halten‘.“
Ang.: „Ich habe den Kaufer nicht gehalten. Das hab ich bei der Polizei nur so gesagt. Ich mußte ja bei der Polizei etwas sagen, man hat mich doch 32 Tage lang dort behalten.“
Vors.: „Und wenn mich einer 32 Jahre hält, dann sage ich nicht, daß ich so ein scheußliches Verbrechen begangen habe, wenn es nicht wahr ist.“
Ang.: „Es haben ja auch schon andere Leute falsche Geständnisse abgelegt. Da hab ich mir gedacht, ich mache es auch so, damit ich entlassen werde. Bei Gericht werde ich mich dann schon aussprechen können. Außerdem war ich ja damals furchtbar nervös. Der Kaufer hat mir riesig leidgetan. Ich bereue, daß es überhaupt geschehen ist.“ (Bei diesen Worten wischte sich der Angeklagte ein paar Tränen aus den Augen.)
Vors.: „Es kommt aber noch immer ärger. Bei einem Ihrer Verhöre haben sie gesagt: ‚Als die Hasel dem Leichnam mit dem Messer die Hand abtreten wollte, konnte ich nicht mehr
zuschauen und ging in die Küche‘. Da müssen Sie also bei der Zerstückelung dabei gewesen sein.“
Ang. (schreiend): „Nein, ich war nicht dabei. Ich habe nur beim Blut aufwaschen geholfen.“
Vors.: „Angeklagte Hasel, was sagen Sie dazu?“
Hasel (zornig und schreiend): „Das ist nicht wahr. Ich war nicht dabei.“
Vors.: „Wer soll es dann gemacht haben, da müßte der Körper ja von selber zerfallen sein.“
Vors. (zu Dudek): „Die Rosa Hasel soll gesagt haben: ‚Es ist nicht schade um den Juden, den Kaufer, um den kümmert sich sowieso niemand‘. Ist diese Darstellung richtig?“
Der Angeklagte nickt.
Vors.: „Und dann weiter. Sie haben angegeben: ‚Die Rosa Hasel hat gesagt, in zehn Minuten wird der jüdische Hund zerfleischt sein. Die Hasel gebärdete sich so wild, daß ich mich fürchtete‘. Sie rief dem Toten zu: ‚Geh her da! ‘ und schnitt ihm den Kopf vom Rumpf. Aber als ich die Hand des Toten dann ergriff, da packte mich ein Schauder.“
Vors.: „Jeder Mensch muß sich fragen: Was hätte ich in einer solchen Situation getan, wenn ich an einem Mord schuldlos wäre? Warum sind Sie nicht zur Polizei gegangen, wie es Leopold Hasel getan hat? Wozu haben Sie die Leiche in den Schuppen geschleift? Wozu haben Sie das Blut vom Fußboden weggeschwemmt? Warum sind Sie nicht einfach aus dem Haus gelaufen?“
Ang.: „Die Hasel wäre mir wahrscheinlich nachgelaufen und es hätte einen Skandal gegeben. Die Leute hätten mich für den Mörder gehalten. Und ich war auch nicht mehr ganz beieinander im Kopf. Auch im Rausch bin ich nicht ganz beieinander. Das können Zeugen bestätigen. Da kann man mir anschaffen, was man will.“
Vors.: „Am Ende haben sie dann auch bei der Ermordung des Kaufer und nicht bloß bei der Zerstückelung seiner Leiche mitgewirkt und wissen jetzt nichts mehr davon, weil Sie nicht ganz beieinander sind - wenn es Ihnen gerade paßt.“ (Bewegung.)
Der Staatsanwalt nahm den Angeklagten nun in ein scharfes Kreuzverhör. Er hielt ihm hauptsächlich sein Verhalten bei der Polizei vor, sowie seine widersprüchlichen Angaben, die er bei sämtlichen Behörden dort gemacht hatte. Dudek geriet nun völlig außer Kontrolle und schrie in großer Erregung: „Bei der Polizei haben sie mich geschlagen… bei der Polizei wird man ja erschlagen, wenn man nicht erzählt, was sie wollen.“
St.-A.: „Sie müssen vorsichtiger sein, sonst werde ich die Anklage noch ausdehnen gegen Sie.“
Vors.: „Es ist ja nicht ernst zu nehmen.“
Jetzt ergriff der Staatsanwalt wieder das Wort. Er wies den Angeklagten auf die Tatsache hin, daß man am Kopf des Toten die Spuren von Schuhnägeln entdeckt hatte und daß diese Spuren „…mit den Abdrücken der Schuhnägel an den Schuhen des Angeklagten Dudek“ - übereinstimmten. Dudek blieb plötzlich die Luft weg und er stotterte eine längere Zeit herum, in der Hoffnung zwischenzeitlich eine plausible Ausrede zu finden. Schließlich gab er doch nur ein: „Ich kann mir nicht vorstellen, woher diese Abdrücke stammen“ von sich.
Vert.: „Herr Dudek, hat Sie damals die Entrüstung gepackt, als Kaufer auf die Frau zum ersten Mal losgeschlagen hat?“
Vors. (lächelnd dazwischen rufend): „Jetzt sagen Sie aber gschwind ‚ ja‘.“ (Schallende Heiterkeit.)
Das Zeugenverhör begann. Den Anfang machte der Vorsitzende mit der Verlesung der Zeugenaussage der 75 jährigen Mutter des Ermordeten, Frau Rosa Kaufer. Die Frau schilderte, daß Rosa Hasel wiederholt ihren Sohn, der noch bei ihr wohnte, besucht hätte. Auch 14 Tage vor der schrecklichen Tat sei sie (Rosa Hasel) noch in der Nacht aufgetaucht. Rosa Hasel sei aber oft auch erst in der Frühe erschienen. „Ich hatte den Eindruck…“, so lautete es wörtlich, „…daß sie ihm nachgelaufen ist.“
Karl Muck, ein 22 jähriger Kellner, aus jenem Gasthaus, wo die Angeklagte Rosa Hasel mit drei Männern am 11. März ihr Trinkgelage abhielt, gab an, die Bezahlung der gesamten Zeche wäre durch die Hasel erfolgt. Die Gesellschaft sei sehr gut gelaunt gewesen und es wurde sogar zu Schallplattenmusik getanzt.
Die Private Mathilde Altenburger schilderte, sie sei am 11. März, dem Tag der Tat, gegen 18 Uhr am Mordhaus vorbeigegangen.
Zeugin: „Ich habe auf der Veranda des Hauses zwei Männer und eine Frau gesehen. Einer der Männer hat einen weißen Küchensessel emporgehoben und damit auf den anderen aufgerieben. Ich wurde auf der Polizei dem Dudek gegenübergestellt und ich kann mit Gewißheit sagen, daß es Dudek war, der den Sessel hochgehoben hatte. Ich sehe die Szene noch so wie heute. Eine Täuschung ist nicht möglich. Ich habe den Herrn sofort an dem aufgezwirbelten Schnurrbart erkannt."
Der Schwager der Mörderin, Josef Hasel, hatte seinerzeit mit der Angeklagten, aber noch vor ihrer zweiten Heirat, eine Beziehung unterhalten. Er entschlug sich der Aussage. Auch Leopold Hasel, der Gatte der Angeklagten, äußerte, er möchte gern von seinem Zeugenverweigerungsrecht Gebrauch machen und nicht aussagen wolle. In der kurzen Zeit, in der sich Leopold Hasel im Gerichtssaal aufhielt, schaute er nur geradeaus zum Vorsitzenden, während seine angeklagte Ehefrau hingegen ständig zu ihm hinüberblickte und ihn, aber ohne die geringste Erregung, musterte.
Anschließend begann der Polizeioberkommissär Dr. Karl Ebner den Verlauf der Verhöre mit den beiden Angeklagten zu schildern. Rosa Hasel, so erklärte der Zeuge, habe damals zugegeben, zusammen mit Dudek den Kaufer durch gewaltige Hiebe mit der Hacke erschlagen zu haben. Das Motiv sei gewesen, daß sie ihr Liebesverhältnis zu Kaufer beenden wollte. Der wäre aber damit ganz und gar nicht einverstanden gewesen.
Die drei nächsten Zeugen August Schratzer, der Kellner Franz Benesch, sowie der Bäckergehilfe Otto Proboscht wußten auch nichts Nennenswertes auszusagen.
Der Polizeirayonsinspektor i. P. Thomas Haidenreich, kannte den Angeklagten Karl Dudek von früher her. „Ich kann nur sagen, daß er ein guter Mensch war…“ war, so seine Aussage.
Die Rayonsinspektoren Franz Alram und Karl Walter waren die ersten beiden Beamten, die nach der Anzeige Leopold Hasels, am Tatort eintrafen. Nachdem die beiden schockierten Inspektoren sich ein Bild vom Ort des Geschehens gemacht hatten, nahmen sie Rosa Hasel und Karl Dudek kurzerhand fest. In diesem Moment gab Rosa Hasel dem Dudek ein Zeichen und sagte: „Ja, Herr Inspektor, ich hab einen umgebracht, einen Verbrecher.“ Auf dem Wege zum Kommissariat, stellte Dudek, inzwischen völlig niedergeschlagen, in seinen laut vorgetragenen Überlegungen fest: „Na also, jetzt bin ich auch ein Mörder.“
Ein Beisitzer: „Herr Dudek, warum haben Sie den beiden Inspektoren nicht gleich ihre Unschuld beteuert?“
Ang.: „Ich bin nicht weiter gefragt worden.“
Beisitzer: „So etwas sagt man doch sofort aus eigenem Interesse.“
St.-A. (zu Dudek): „Wenn Sie so unschuldig sind, warum haben Sie dann die Brieftasche des Ermordeten eingesteckt?“
Dudek stotterte einige unverständliche Worte und gab plötzlich von sich: „Sie hat gesagt: ‚Steck sie ein‘.“
Vors.: „Müssen Sie denn alles tun, was die sagt, sind Sie so einer...?“
Hier brach der Vorsitzende die Verhandlung ab.
Der Prozess wurde am nächsten Tag um 9 Uhr früh mit weiteren Zeugenverhören fortgesetzt.
Durch diese lang andauernden Zeugenvernehmungen war abzusehen, daß sich das Prozeßende wahrscheinlich auf den Freitag verschieben würde.
Die österreichische Presse zeigte sich an diesem außergewöhnlichen Mordprozeß sehr interessiert und rekapitulierte die vorangegangenen Verhandlungstage noch einmal. So schrieb unter anderem das Neuigkeits-Welt-Blatt am 25. November 1937 unter der Überschrift: „Das Zeugenverhör im Mordprozeß Hasel-Dudek“ folgendes:
„Der zweite Verhandlungstag im Mordprozeß gegen den Leichenzerstückler vom Landstraßer Gürtel war mit dem Verhör des Angeklagten Karl Dudek ausgefüllt. Hatte Rosa Hasel ihr Heil im Abschwächen der eigenen Schuld gesucht und in der Darstellung der Mordszene ihre Mitwirkung wenigstens teilweise zugestanden, so wählte der Komplice die Methode des verzweifelten Hasardeurs aus, der den letzten Einsatz wagt, auf ein Wunder hoffend, das ihm zu guter Letzt doch Glück bringt. Karl Dudek leugnete auf der ganzen Linie. Während der hastig in abgerissenen Sätzen vorgetragenen Verantwortung enthüllte sich auch immer mehr das gemeine, brutale Wesen dieses kaltherzigen Schurken, seine moralische Verworfenheit, die nicht davor zurückscheute, der Genossin seines scheußlichen Mordverbrechens die
ganze Schuld aufzulasten. Allerdings in der seinem Wesen entsprechenden Tücke. Dudek wollte den Anschein erwecken, die Richter überzeugen, daß er an dem Mord nicht den geringsten Anteil habe. Rosa Hasel rief ihn gegen Leopold Kaufer zu Hilfe - unversehens ist er in ein wildes Handgemenge verwickelt worden, lediglich bemüht, dem Angreifer Kaufer ein Messer zu entwinden. Rosa Hasel habe sich wie ein wildes Tier gebärdet! Wie grausig-anschaulich wußte Karl Dudek die Mordszene zu schildern, dabei immer den Eindruck vortäuschend, als ob er die Ereignisse wie durch einen Schleier wahrgenommen, gleichsam geblendet durch die Ungeheuerlichkeit des Geschehens, so daß seine Auffassungsfähigkeit getrübt war, die Erinnerung durch die Wucht der Eindrücke zum Teil ausgelöscht ist. Wie toll hat Rosa Hasel dem wehrlosen, stöhnenden Opfer Hackenhiebe versetzt, sagte Dudek, er selbst verhielt sich untätig! Dudek bestritt auch, an der Zerstückelung der Leiche irgendwie mitgewirkt zu haben, daß alles besorgt seine „Freundin“ während er auf abgeschiedenem Ort, überwältigt von den furchtbaren Eindrücken, schlief! Das behauptete der Elende allen Ernstes.
Kein Wunder, wenn auf dieser Verantwortung die Mordgenossin mit heftigen Schimpfworten antwortete und in treffender Weise den „Helden“ von damals als den „Pantoffelhelden“ von heute kennzeichnete. Der Vorsitzende hielt dem Dudek dann sein polizeiliches Schuldbekenntnis vor, und als der Angeklagte nachbewährtem Muster sich in die Behauptung flüchtete, dieses Geständnis sei ihm „erzwungen“ worden, bemerkte Vizepräsident Hellmer scharf: „Sehr unwahrscheinlich, daß ein Mensch Ihrer Gattung ein Geständnis abgelegt, wenn er nichts getan hat.“ Mit der Gegenüberstellung der beiden edlen Seelen, die einander wüst beschimpften, war der Höhepunkt des Prozesses erreicht. Heute wurde die Einvernahme der Zeugen fortgesetzt und beendet."
Mittwoch, der 24. November 1937
Wie an den vorangegangenen Verhandlungstagen, herrscht auch heute zu dem Prozess starker Andrang von Neugierigen. Schon um 4 Uhr morgens erschienen die ersten Besucher vor dem Tor des Schwurgerichtssaales in der Alsterstraße. Zu ihnen gesellten sich nach und nach hunderte Personen, die bis 9 Uhr geduldig ausharrten. In langen Reihen standen die Leute. Als der Einlass erfolgte, waren rund 500 Personen angesammelt, von denen mehr als die Hälfte aus Raummangel abgewiesen werden mussten. Saal und Galerie waren lange vor Beginn der Verhandlung, die erst um 3/4 10 Uhr wieder eröffnet wurde, dicht besetzt.
Beim Erscheinen der beiden Angeklagten im Saal wurden Unmutsausrufe laut.
Nachdem die Sitzung eröffnet wurde gab Verteidiger Dr. Jacobson dem Gericht bekannt, daß der Angeklagte Dudek ihn hat wissen lassen, er habe in den letzten Nächten nicht geschlafen und deshalb während seines Verhörs vollkommen verwirrt auf die Fragen des Gerichts geantwortet. Karl Dudek bittet deshalb, sich zu einigen Punkten noch einmal äußern zu dürfen - worauf der Vorsitzende zum Ausdruck brachte, daß er dem Angeklagten Dudek dazu später Gelegenheit geben werde.
Der Verteidiger Dr. Flandrak ließ anschließend wissen, daß es unbedingt notwendig sei, auch über die Persönlichkeit des ermordeten Leopold Kaufer Erkundigungen einzuholen, da ein Bericht der Polizei vorliege, der besage, daß Kaufer in den Jahren 1922-1936 fünfundzwanzigmal mal wegen verschiedener Straftaten in Evidenz gehalten worden sei. Der Verteidiger beantragte deshalb, die entsprechenden Schriftstücke einzuholen und zu verlesen.
Der gerichtsmedizinische Sachverständige Professor Dr. Werkgartner bat im Anschluß ums Wort und stellte Karl Dudek mehrere Fragen. Vor allem wollte der Sachverständige vom Angeklagten wissen, welche Kleidungsstücke er am Tage des Mordes angehabt habe. Der Professor nahm aus einem Paket die Schuhe, die Dudek bei der Tat getragen hatte. Bei einem Schuh fehlte der Gummiabsatz. Der Verteidiger Dr. Jacobson kam aber schnell einer Antwort des Dudek zuvor. Er verwies auf die zu Beginn gemachte Erklärung, daß Dudek mehrere schlaflose Nächte hinter sich hatte, dadurch in einen so schlechten psychischen und physischen Zustand geraten sei und deshalb zwangsläufig im Verhör des Vortages vollkommen verwirrt geantwortet habe.
Daraufhin wendete sich Professor Dr. Werkgartner der Angeklagten Rosa Hasel zu. Sie gab ohne Umschweife an, sie hätte am Tag des Mordes eine braune Schoß, eine braune Samtbluse, eine Schürze, lichte Strümpfe und Halbschuhe getragen.
Nun wurde der Nachbar des Ehepaares Hasel, Rudolf Wanis, als Zeuge vernommen.
Vors.: „Wie war das am 11. März? Da ist die Frau schon um halb neun Uhr früh zu ihnen gekommen. Was wollte sie?“
Zeuge: „Sie hat gesagt, der Dudek hat eine Verhandlung wegen einem Hund, und sie soll von Dudek dazu überredet worden sein, sie solle als Zeugin angeben, daß der Hund nicht gestohlen, sondern gekauft ist. Ich habe sie gewarnt, das zu tun. Dann hat sie gesagt, der Kaufer hat ihr zwanzig Schilling geschickt, und sie hat mir dann Geld für Rum gegeben. Ich habe den Rum geholt, bin zur Frau Hasel gegangen und hab dort zwei Schalen Tee, einen Liter Bier und zwei Liter Wein mit den andern getrunken. Mittlerweile ist der Kaufer gekommen. Später dann ist der Dudek gekommen. Ich bin nach Hause. Die anderen sind in ein Gasthaus gegangen. Um sechs Uhr abends sind sie nach Hause gekommen. Ich hab aber schon geschlafen.“
Vors.: „Wie der Dudek gekommen ist, da soll der Kaufer gesagt haben: ‚Da kommt einer, der mich abgstiert hat amol‘.“
Zeuge: „Ja, das ist richtig. Fast wäre ein Streit entstanden.“
Vors.: „Sie kennen ja den Dudek und den Kaufer von früher. Was sind das für Mannsbilder, ich meine, war der Kaufer so ein gewalttätiger Mensch, vor dem man sich hat förmlich fürchten müssen, weil er so dahergeredet hat vom Umbringen und Niederschießen?“
Zeuge: „Er hat sich geäußert zwei bis drei Tage vorher, er hat keine Angst. Wenn ihm jemand etwas tut, den erschießt er.“
Vors.: „Und hat er, wie er damals das gesagt hat, den Leopold Hasel im Auge gehabt?“
Zeuge: „Ja, er hat gesagt, wenn der Leopold Hasel ihm etwas tun will, schießt er ihn nieder, und ich hab das der Frau Hasel erzählt.“
Vors.: „Wenn einer so etwas sagt, haben Sie das ernst genommen?“
Zeuge: „Mir ist vorgekommen, als wenn das eine bloße Reederei wäre.“
Vors.: „Kaufer hat Ihnen auch einen Zettel gezeigt?“
Zeuge: „Ja, einen Zettel auf Kanzleipapier, darauf hat Leopold Hasel verzichtet auf seine Frau und auf die Möbel. Der Kaufer hat gesagt, der Leopold Hasel will nicht mehr das Verhältnis dulden und er hat mir doch einen Zettel gegeben, daß er auf seine Frau verzichtet.“
Vors.: „Sie haben dann der Frau Hasel erzählt, daß Kaufer Ihnen den Zettel gezeigt hat?“
Zeuge: „Ja.“
Vors.: „Was hat die Frau Hasel dazu gesagt?“
Zeuge: „Sie muß den Zettel haben.“
Vors.: „Und wie der Kaufer gekommen ist, ist auch von dem Zettel die Rede gewesen?“
Zeuge: „Frau Hasel hat den Zettel verlangt und er hat ihn verweigert.“
Vors.: „Wie hat sie sich ausgedrückt?“
Zeuge: „Gib den Zettel her, für dich hat er keinen Wert mehr!“
Vors.: „Was hat der Kaufer gesagt?“
Zeuge: „Er hat gesagt, er gibt ihn nicht her und die Frau Hasel hat geantwortet: ‚Den Zettel muß ich haben und wenn ich ihn stehlen müßte‘.“
Der Zeuge erzählte weiter. Während des sich über Stunden hinziehenden Trinkgelages sei weder gestritten noch gelärmt worden. In dieser feuchtfröhlichen Runde habe man nur gelacht und gescherzt. Er, so äußerte sich der Zeuge, hätte schließlich genug getrunken und sei deshalb vorzeitig nach Hause gegangen um seinen Rausch auszuschlafen.
Die Gattin des Zeugen, Frau Frieda Wanis, schilderte dem Gericht; Kaufer hätte ihr einmal gesagt: „Ich fürchte mich vor der Frau Hasel nicht, überhaupt vor niemanden, ich würde jeden Angriff mit Gewalt abwehren“. Bei dieser Bemerkung habe Kaufer ihr einen Trommelrevolver und ein als Messer zurechtgeschliffenes Bajonett gezeigt. Obwohl Kaufer zu diesem Zeitpunkt stark berauscht gewesen war, so habe sie, die Zeugin, Kaufers Reden doch als sehr ernste Drohung aufgefaßt.
Äußerst interessante Einzelheiten über das Treiben von Leopold Kaufer und den beiden Angeklagten förderten die nächsten drei Zeugenaussagen, die des Kellners Leopold Berthold, die des Altersrentners Josef Hösler und die des Gastwirtes Ludwig Naderer zu Tage. Bis zu seiner Verhaftung hatte Dudek bei Josef Hösler gewohnt. Ludwig Naderer war der Inhaber der Gastwirtschaft „Zur Laimgrube“. Laut Aussage der Zeugen besuchten Rosa Hasel, Karl Dudek und Leopold Kaufer sehr oft die Gasthäuser auf dem Gürtel und auf den Wieden. Bier und Wein tranken sie bei ihren Besuchen immer sehr reichlich und waren anschließend auch meistens stark berauscht. Die Zustände in diesem sonderbaren Dreieck beschreibt besonders der 70 jährige Josef Hösler sehr drastisch. Der jetzt Angeklagte Dudek hatte bei ihm für ein Kabinett 20 Schilling Miete im Monat gezahlt. In den letzten Monaten vor der Tat sei er meistenteils betrunken nachhause gekommen. Zweimal brachte er auch Rosa Hasel mit und stellte sie als seine Schwägerin vor. Einmal kam auch Leopold Kaufer mit. Alle drei waren sturzbetrunken.
Zeuge: „Mein Neffe, der bei mir wohnt, ist diskret weggegangen. In seinem Bett hat Dudek geschlafen und im Kabinett die beiden anderen.“
Als die Angeklagte Rosa Hasel daraufhin vom Vorsitzenden gefragt wurde ob sie diese Angaben des Zeugen bestätigten könne und ob sie auch zugibt, daß viel Bier und Wein getrunken worden sei, antwortete sie nickend: „Ja.“
Der Verteidiger Dr. Flandrak bemerkte lächelnd: „Da sieht man, wem es in Wien noch gut geht.“
Vors.: „Aber der Kaufer hat dabei draufgezahlt.“
Der Wirt Ludwig Naderer berichtete von der Zahlungsunfähigkeit des Dudek. Öfters hätte dieser die Zeche gar nicht zahlen können. Bis heute schulde ihm Dudek noch 13,95 Schilling. Zweimal sei er in Begleitung der Rosa Hasel und des Leopold Kaufer erschienen, allerdings habe in beiden Fällen die Frau die Rechnung bezahlt. Nur ein einziges Mal und zwar als Leopold Hasel dabei war, habe dieser die Bezahlung übernommen.
Vors.: „Man könnte sie, Herr Zeuge, als Sachverständigen fragen, ob das Mode ist, daß die Frau zahlt?“
Zeuge: „O nein, gewöhnlich zahlt doch der Herr.“
Zwei Kellner aus den Lokalen, in denen Hasel, Dudek und Kaufer des Öfteren gezecht hatten, wurden befragt, wußten aber nur anzugeben, daß die drei oft betrunken waren. Ein Portier schilderte schmunzelnd: „…auch Kaufer sei sehr oft knapp bei Kasse gewesen und habe manchmal mit Zuckerln bezahlt.“
Sehr aufschlußreich gestaltete sich die Aussage eines früheren Wohnungsgebers von Dudek. Dieser Zeuge schildert dem Gericht, daß Dudek jeden Tag betrunken nachhause gekommen sei. Einmal hätte er auch einen Mann, höchstwahrscheinlich sei das der Kaufer gewesen, mitgebracht. Er als Wohnungsgeber hätte sich das verbeten. Daraufhin sei es zu einem Streit zwischen ihm und Dudek gekommen, in dessen Verlauf Dudek mit Wut verzerrtem Gesicht zu ihm gesagt habe: „ Sö, mit mir spieln S´Ihna net, bei mir san S´ gleich a Leich!“ Der Zeuge berichtete weiter: “… mir ist damals unheimlich zu Mute gewesen. Jedes Mal wenn Dudek nachts nachhause kam, mußte er immer erst durch mein Zimmer gehen. Deshalb habe ich mir vorsichtshalber eine Hacke ans Bett gestellt. Kurze Zeit später habe ich dem Dudek gekündigt."
Ein Angestellter eines Wettbüros, der Rosa Hasel und Kaufer einmal belauscht hatte, als sie in einem versteckten Winkel beisammen saßen, berichtete, daß die Hasel damals dem Kaufer zu verstehen gab: „Du wirst es so machen, wie ich es will, sonst gibt es ein Unglück!“
Der Tischler Johann Janik kennt Rosa Hasel schon seit ihrer Kindheit. Damals wohnte sie bei ihrer Großmutter. Bereits die Großmutter hatte einen ordentlichen Zug am Leibe und vertrug auch eine ganze Menge. Dort dürfte sich Rosa Hasel, so die Meinung des Zeugen, auch das Trinken angewöhnt haben. Schon als achtjähriges Kind bekam sie oft Wutanfälle. Einmal sei sie, ihr war ein Kipferl verweigert worden, aus Zorn und Trotz nicht mehr in die Schule gegangen. Ein andermal sei sie im Gesicht total blutverschmiert gewesen. Sie hatte nach dem Großvater mit einem Stock geschlagen und ihm dabei eine rohe Leber, die er sich gerade braten wollte, weggenommen, und sie schnell aufgegessen.
Als er, so erzählte der Zeuge weiter, vom Militär auf Urlaub gekommen sei, habe er seinen Augen nicht getraut. Die damals erst 16 jährige Rosa Hasel trieb sich schon ungehemmt mit Männern herum. Weiter berichtete der Zeuge noch – aber das sei ihm nur zu Ohren gekommen - wäre bei einer Wirtshausschlägerei, die schon einige Jahre zurückliege, Rosa Hasel völlig außer Kontrolle geraten, hätte hemmungslos um sich geschlagen und wie eine Wilde getobt.
Der pensionierte Straßenbahner Emil Schuster bemühte sich redlich, in recht gewählten Worten, eine Charakterschilderung Kaufers zu geben. Kaufer habe sich gern und oft mit seiner Braut gebrüstet. Mit stolz geschwellter Brust vergaß er dabei nie, gleichzeitig seine 18 Kerkerstrafen mit zu erwähnen. Er bemerkte: „Ich muß ehrlich sagen, wenn ich mit ihm gut ausgekommen wollte, habe ich ihm immer Recht geben müssen. Er hat so etwas Erhabenes in seiner Person gehabt. Die Angeklagte kennt ihn vielleicht nur von der zärtlichen Seite, aber ich (der Zeuge schmunzelt), ich will dem Kaufer in seiner Ehre nicht nahe treten, aber ich kenne ihn von einer anderen Seite.“
Vors.: „Lassen Sie diese Schilderungen, wir wollen nur Tatsachen hören!“
Zeuge: „Gelegentlich hat er sich halt so aufgespielt, als ein Feschak, hat sich gebrüstet mit seinen 18 Kerkerstrafen, hat renommiert, daß er es mit nichts genau nimmt, und einmal, im Gasthaus „Zum Grenadier“, hat er mich gebeten, ihm von der Schank ein Achtel Wein zu holen, damit er nicht erkannt wird, weil er einmal einem Gast mit einem Bierkrügel eins auf dem Kopf gehaut hat.“
St.-A.: „Wenn er mutig war, wie Sie ihn schildern, warum hat er sich den damals gefürchtet, zur Schank zu gehen?“
Zeuge: „No ja, vor Schankburschen hat er sich halt g´fürcht. Ich sage Ihnen, der Mann hat einen durchdringenden Blick gehabt.“
St.-A.: „Und was hat er denn über die Rosa Hasel gesagt?“
Zeuge (eifrig): „Die Frau tut alles für mich, hat er gesagt. Sie geht für mich durchs Feuer. "
Als der Zeuge begann zu einer längeren Rede auszuholen, klopfte der Vorsitzende auf den Tisch und gebietet dem Einhalt: „Genug, aufhören zu reden sollen Sie!“ Der redselige Zeuge hielt daraufhin inne und verließ kopfschüttelnd den Saal.
Nun kam die Eisenhändlerin Polzer mit ihrer Zeugenaussage an die Reihe.
Sie berichtete: „Die Hasel hat mich einmal gefragt, ob ich alten Bodenkram kaufe. Sie hat mir auch erzählt, sie will sich von ihrem Mann scheiden lassen und einen reichen Juden heiraten.“
Die Zeugin Antonie Strandeller wiederum erzählte, sie kenne Rosa Hasel bereits seit der Zeit, als diese noch als Prostituierte tätig war.
St.-A. (zur Zeugin): „Ist es richtig, daß die Rosa Hasel gesagt hat: ‚Zwei Männer wissen etwas über sie? ‘ „
Zeugin: „Ja.“
Vert.: „Wer waren diese zwei Männer?“
Zeugin: „Das weiß ich nicht.“
Die nächste Zeugin Frau Schimetschek wußte zu berichten, daß Rosa Hasel ihr einmal erzählte hätte - der Karl Dudek sei homosexuell - und Leopold Kaufer des Öfteren davon sprach, er werde die Beziehung zu Rosa Hasel beenden, weil es sowieso aussichtslos sei. Rosa Hasel wolle sich gar nicht scheiden lassen.
Nun begann der Vorsitzende mit der Verlesung, aus der hervorging, daß im Wohnhaus der Hasel vielfach Männer gesehen wurden. Die Angeklagte verfüge über einen sehr schlechten Ruf. Getrunken habe sie sehr viel, was auch allgemein bekannt war. Eine besondere Vorliebe hatte sie für rohes Fleisch und Innereien.
Als er, so erzählte der Alteisenhändler Vinzenz Malota in seiner Zeugenaussage, am 11. März gegen 16 Uhr am Hause der Hasels vorbeigekommen sei und gefragt habe, ob nicht irgendwelche alte Gegenstände zum Verkauf da seien, die er bekommen könne, sei Dudek ordentlich wankend zur Tür gekommen, mit starrem Blick vor sich hin schauend und unfähig, überhaupt noch ein Wort zu sprechen. Einen Augenblick später sei auch Rosa Hasel aus dem Haus gekommen.
Zeuge: „Sie war ganz zerrauft und hat immer nur gelacht. Auch aus dem Haus heraus habe ich jemand lachen gehört. Auch sie habe den Eindruck gemacht, als hätte sie zu viel getrunken gehabt.“
Als nächster Zeuge kam Viktor Wanis, ein Nachbar der Angeklagten, zu Wort. Er war am Tage der Tat, dem 11. März, in der Haselschen Wohnung. Seine Erzählung: „Außer der Hasel, mir und meinem Neffen war auch Herr Kaufer anwesend. Frau Hasel hat von ihm immer wieder ein Schriftstück haben wollen. Sie hat sich auf seinen Schoß gesetzt und wollte es durch Schmeicheleien herauslocken. Kaufer aber hat erklärt: ‚Das bekommst du nicht, und wenn du über meine Leiche gehst. ‘ Es wurde Tee mit Rum getrunken, dann mußte ich noch Wein holen. Frau Hasel hat irgendjemand sehr ungeduldig erwartet und immer wieder gesagt: ‚Er kommt nicht, er kommt nicht! ‘ Schließlich habe ich dann jemanden draußen stehen gesehen. Es war der Dudek. ‚Endlich bist du da, ‘ hat die Hasel zu ihm gesagt und dann sind wir gemeinsam ins Gasthaus gegangen. Ich war nur kurze Zeit dort und weiß nur, daß die Hasel mit dem Kaufer ständig disputiert hat; was, habe ich nicht verstanden. Dann hat sie sich zum Dudek gewendet und hat gesagt: ‚Geh schon, Karl, es ist schon höchste Zeit! ‘ Daraufhin hat sich Dudek entfernt. Ich habe mich dann unauffällig aus dem Staub gemacht, weil mir die Gesellschaft nicht gepaßt hat. Sowohl die Frau Hasel als auch der Kaufer waren ziemlich stark alkoholisiert.“
Wenzel Fechtner war Polizeibezirksinspektor und der Polizeibeamte der die Hasel und den Dudek ins Wachzimmer brachte. Er berichtete über das Erscheinen des Leopold Hasel am Abend des Tattages im Wachzimmer Arsenal folgendes: „Der Hasel ist zu mir gekommen und hat mir erzählt, er sei eben nach Hause zurückgekehrt, da sei ihm etwas verdächtig vorgekommen, weil ihn seine Frau nicht ins Haus lassen wollte. Er fühlte, daß etwas vorgefallen sei. Daraufhin habe ich zwei Wachebeamte in das Haus geschickt, und als ich selbst nachkam, erfuhr ich, daß ein Mord geschehen war. Ich habe die Hasel und den Dudek auf das Wachzimmer geführt. Unterwegs habe ich die Angeklagte gefragt, warum sie das gemacht hat. Sie erklärte mir, daß Kaufer gedroht habe, ihren Mann zu erschießen. Da sei sie ihm zuvorgekommen. Dann hat die Hasel ihren Rock etwas gehoben und hat mir ihre Strümpfe gezeigt. Die waren bis hinauf voller Blut. Dudek hat dann gesagt: ‚Wahrscheinlich werden wir beide vors Standgericht kommen‘, worauf die Hasel antwortete: ‚ Hast du vielleicht Angst? ‘ "
Der Beisitzer Hofrat Grütz erhielt als Antwort auf seine Frage an den Zeugen; der Dudek habe damals in keinster Weise seine Unschuld beteuert.
Hofrat Grütz: „Warum haben Sie dem Wachbeamten nichts von ihrer Schuldlosigkeit gesagt, als vom Standgericht gesprochen wurde?“
Dudek: „Ich habe immer zur Hasel gesagt…‘warum hast du das gemacht? ‘ Ich habe mir gedacht, ich habe nichts gemacht, folglich hab ich auch nichts zu befürchten.“
St.-A.: „Das scheint nicht zu stimmen. Warum haben Sie denn dann Angst vor dem Standgericht gehabt?“
Beide Angeklagten wurden gleich nach ihrer Verhaftung untersucht. Der amtliche Wortlaut des Polizeiberichts über diese Untersuchungen lautete im Wesentlichen wie folgt: „Beide waren leicht alkoholisiert. Die Hasel wies eine Beule und eine Risswunde bei der rechten Augenbraue auf, ferner Hautabschürfungen am linken Arm. Die Strümpfe zeigten Blutspuren, ebenso die Bluse.“ In einem anderen Polizeibericht wird ergänzt: „… Rosa Hasel hat zugegeben, gemeinsam mit Dudek den Kaufer mit einer Hacke erschlagen zu haben. Dudek selbst konnte zu diesem Zeitpunkt nicht befragt werden, weil er sich sehr aufgeregt gebärdete.“ Weiter heißt es: “… Rosa Hasel aß mit besonderem Vergnügen gern rohes Fleisch, mit besondere Vorliebe rohe Leber und rohes Hirn. Bei einer Rauferei im Februar dieses Jahres habe sie sich charakteristisch exzessiv gezeigt.“
Aus den weiteren Vorlesungen wurde bekannt, daß man bei der Durchsuchung der Haselschen Wohnung Zeitungsausschnitte über den Mordprozess der Gattenmörderin Marie Belgo fand.
Vors.: „Es ist immerhin bezeichnend, daß sich eine Person, wie die Rosa Hasel, für den Prozeß der Gattenmörderin Belgo so sehr interessiert hat.“
Die Verhandlung wurde mit der Verlesung von Zeugenaussagen fortgeführt, aus welchen unter anderem hervorging - Rosa Hasel war in den Leopold Kaufer richtig verliebt. Obwohl er mit ihr Schluß machen wollte, sei sie ihm regelrecht nachgelaufen. In den Akten fand sich auch der Hinweise - Karl Dudek sei ein Brillenträger.
Vors. (zu Dudek): „Ist das richtig? Sind sie kurzsichtig?“
Dudek: „Nein, ich habe niemals eine Brille getragen.“
Vors.: „Nun, Sie müssen es ja wohl schließlich selbst am besten wissen.“
Frau Urbach, die Inhaberin einer Kochschule berichtete, daß Karl Dudek der bei ihr als Speisenträger beschäftigt war, ihr nebenbei noch Menage Schüsseln, Geschirrtücher und Servietten entwendet habe.
Der Vorsitzende vernahm im Anschluß noch weitere Zeugen, die Verteidiger Dr. Jacobsohn beantragte hatte. Sie alle hatten Dudek kennengelernt. Maria Buder, eine Bedienerin - sie kannte Dudek schon seit vielen Jahren, sagte aus, daß sie ihm nichts Schlechtes nachsagen könne. Er sei stets ein ruhiger Mensch gewesen und habe sich niemals zu Gewalttätigkeiten hinreißen lassen. Dudek habe, so erinnerte sie sich, früher auch nie getrunken.
Das Hausbesorgerehepaar Hautschmied - in diesem Haus wohnte Dudek - erzählten ebenfalls nur Gutes. Dudek war immer sehr anständig. Erst als er die Hasel kennengelernt habe, sei es mit dieser Sauferei losgegangen. Rosa Hasel kam entweder schon frühmorgens oder wäre häufig erst sehr spät in der Nacht bei Dudek aufgekreuzt.
Auch die Bedienerin Rosa Bechatscheck und gleichwohl der Hauseigentümer Georg Suritsch kannten Dudek nur als einen anständigen Menschen.
Auf Antrag des Staatsanwalts wurden nun die Polizeibeamten vernommen, die Dudek verhört hatten. Diese Zeugen sollen darüber Auskunft geben, ob Dudek bei der Polizei wirklich geschlagen und zur Aussage gezwungen worden sei.
Vorab stellte der Vorsitzende Karl Dudek aber noch einmal die Frage, ob er von den Polizeibeamten wirklich geschlagen worden sei, oder nicht. Dudek redete eine Weile um den heißen Brei herum um schließlich herumzustottern, „…daß er nur am ersten Tag seiner Überstellung ins Sicherheitsbüro ein einziges Mal von einem Kriminalbeamten geschlagen worden sei.“
Vors.: „Ich werde diese Angaben überprüfen lassen. Ich behalte mir die Beschlußfassung über diese Anträge vor.“
Der Verteidiger Dr. Jacobsohn sprach sich gegen diesen Antrag auf Vorladung der Polizeibeamten aus. Er interpretierte dies so: „ …es sei doch eine internationale Gepflogenheit der Polizei, die im Verhör Stehenden durch einigen Nachdruck zu veranlassen, etwas mehr zu sagen, als sie ursprünglich sagen wollten.“
Diese Äußerung stach dem Vorsitzenden aber arg in die Nase und er wendete sich scharf gegen diese Ausführungen des Verteidigers mit der Erklärung: „Es ist durchaus keine internationale Gepflogenheit der Polizei, die Beschuldigten durch solche Mittel zu Aussagen zu bewegen. Vor allem liegt in diesem Fall keine wie immer geartete Berechtigung zu einer solchen Annahme vor. Hingegen aber ist es eine internationale Gepflogenheit der Verbrecher, immer mit dem Hinweis darauf, geschlagen worden zu sein, eine Abänderung oder ein Zurückziehen ihrer Geständnisse zu begründen.“
Hofrat Grütz (zu Dudek): „Sie sind also, wie sie behaupten, am ersten Tag ein einziges Mal geschlagen worden und diese Schläge sollen so schmerzhaft und anhaltend gewesen sein, daß sie Wochen später vor ganz anderen Beamten noch immer ein falsches Geständnis vorbringen und sich selber so schwer belasten?“
Dudek: „Ich bin bei den Angaben geblieben, weil ich nicht noch einmal geschlagen werden wollte.
Der Vorsitzende presste die Lippen aufeinander, blickte genervt zur Decke des Saales und brach dann die Verhandlung ab. Die nächste Verhandlung hatte man für Donnerstag früh angesetzt. Zuerst werden dann die drei gerichtsmedizinischen Sachverständigen Professor Dr. Reuter, Professor Dr. Werkgartner und Dr. Breitenecker ihre Gutachten darlegen. Anschließend wird die Öffentlichkeit - bei der Erörterung der Beziehung von Rosa Hasel zu ihrem Mitangeklagten Karl Dudek und dem ermordeten Leopold Kaufer - von der Verhandlung ausgeschlossen werden. Für die Nachmittagsverhandlung werden die Gerichtspsychiater Regierungsrat Dr. Dimitz und Professor Dr. Bischoff gebeten, ihre Gutachten zu erstatten. Das Plädoyer des Staatsanwalts hatte man zwangsläufig erst für Freitag früh angesetzt. Nach den Schlußreden der Verteidiger wird das Urteil gefällt - höchstwahrscheinlich am Freitagnachmittag.
Donnerstag, der 25. November 1937
Am vierten Verhandlungstag im Mordprozeß gegen Rosa Hasel und Karl Dudek kam es zu einer kleinen Sensation, nämlich, als Dudek sein Geständnis um eine „Kleinigkeit“ erweiterte. Er meldete sich zu Wort und schilderte: „… daß er das Mordopfer nicht nur geschlagen, sondern er es auch auf dem Boden niedergehalten habe, wodurch Rosa Hasel die tödlichen Hiebe gegen den Kopf Leopold Kaufers ausführen konnte.“ Von außerordentlichem Interesse waren an diesem Verhandlungstag auch die Gutachten der Gerichtsmediziner und der Psychiater.
Der Andrang zu dieser Verhandlung war noch stärker als an den vorherigen Verhandlungstagen.
An diesem Tag erschienen die ersten Besucher nicht um vier Uhr in der Früh, wie am vorangegangenen Verhandlungstag, sondern diesmal bereits schon viertel nach drei Uhr, vor dem Eingang zum großen Schwurgerichtssaal. Als dann der Saal endlich um neun Uhr geöffnet wurde, waren der große Saal und die Galerie in ganz kurzer Zeit dicht besetzt. Zuschauer die keinen Einlaß mehr gefunden hatten und noch hoffend vor dem Haus standen, mußten letztendlich enttäuscht einsehen, daß sie umsonst stundenlang gewartet hatten. Das Interesse an diesem Prozess war einfach immens.
Als die zwei Angeklagten in den Saal geführt wurden, stand die gesamte Zuhörermenge wie auf ein Zeichen von ihren Sitzplätzen auf und betrachtete mit langgestreckten Hälsen die Angeklagten - hauptsächlich aber Rosa Hasel. Die jedoch blieb völlig ruhig und gelassen und nahm auf der Anklagebank Platz. Karl Dudek seinerseits riskierte diesmal einige verstohlene Blicke in den Zuhörerraum.
Gegen dreiviertel 10 Uhr wurde der gerichtsmedizinische Sachverständige Professor Dr. Werkgartner vom Vizepräsidenten Helmer gebeten, das Wort zu ergreifen und mit der Erstattung seines Obduktionsgutachtens zu beginnen. Zuvor hatte ein Gehilfe aus bereitliegenden Paketen die Kleider, welche beiden Angeklagten am Tattag getragen hatten hervorgeholt. Auch die Mordwaffen, zwei Hacken, zwei Messer sowie ein altes langes verrostetes Bajonett und Dudeks Schuhe wurden zurechtgestellt.
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Professor Dr. Werkgartner begann einleitend zunächst damit, daß er am Abend des 11. März an den Tatort gerufen worden sei. Dort habe er schon im vorderen Hausbereich eine große Blutspur festgestellt aus der man zweifelsfrei schließen konnte, daß hier etwas Blutiges über den Fußboden zum Ausgang geschleift worden war. Zahlreiche Blutspritzer konnten auch in der Küche festgestellt werden. Der blutverschmierte Fußboden wies eindeutige Zeichen auf. Kurz vorher war eifrig versucht worden, alle Blutspuren gründlich wegzuwischen und zu beseitigen. Sogar im Schlafzimmer zeigten sich einige Blutspuren. Allerdings verdünntes Blut. Offenbar hatte Frau Hasel hier ihre Bekleidung gewechselt, sich vorher noch in Eile die Hände gewaschen und hierbei das mit dem Wasser verdünnte Blut verschmiert.
Der Sachverständige Professor Dr. Werkgartner konnte dem Gerichtshof zur Veranschaulichung der Tatumstände mehrere Fotografien vorzeigen, die am Tatort aufgenommen worden waren. Dann fuhr er in seiner Schilderung fort: „Im Schuppen hat sich selbst uns, die wir an so manches gewöhnt sind, beim Eintritt ein ganz ungewöhnlich grausiger Anblick geboten.“ Dieses Bild (der Professor nahm eine der Fotografien zur Hand) zeigt ihnen diese Situation.
Professor Dr. Werkgartner schilderte nun, wie er Teile der zerstückelten Leiche in einem Waschtrog und gleich daneben den Rumpf aufgefunden hatte. Ein Stück vom Rumpf entfernt befand sich ein kreisrundes Loch im Fußboden. Eine Art Entsorgungsöffnung für den direkt darunter verlaufenden Kanal. Es war ohne Zweifel durch diesen „Gully“ schon etwas beseitigt worden, zumal der Rand außen und innen stark mit Blut beschmiert war. „Wir vermuteten…,“ so der Professor, „…daß das Oberarmstück hier bereits beseitigt worden war, da es nirgendwo mehr gefunden wurde.“
Weiter führte Prof. Dr. Werkgartner aus, womöglich sei Leopold Kaufer mit einem stumpfen Gegenstand getötet worden. Alle schweren Verletzungen, die den Tod des Opfers herbeigeführt hatten, lagen im Bereich des Kopfes. Mittig der Stirn befand sich eine große Wunde, die bis auf die Nasenwurzel reichte und im Stirnbein war eine Lücke, durch die man vier Finger einer Hand ohne Probleme in den Schädel hätte einführen können. Diese Wunde sei durch die Schneide der Hacke dem Kaufer zugefügt worden. Der Sachverständige nahm die Hacke und zeigte sie dem Gericht. „Dieses Werkzeug ist an der Mordstätte gefunden worden und offenkundig das Werkzeug, mit dem die furchtbare Verletzung dem Leopold Kaufer an der Stirn zugefügt worden war. Diese Hacke ist eine umgearbeitete militärische Beilpicke. Neben anderen Verletzungen, die mit dem stumpfen Teil der Hacke zugefügt worden sein müssen, seien an der Leiche auch Rißwunden festgestellt worden.“
Sachverständiger: „Man kann es sich sehr gut vorstellen, daß diese Rißwunden durch Fußtritte entstanden sind. Wir haben auch verschiedene Kratzer festgestellt, die an und für sich wohl nicht von größerer Bedeutung, aber dennoch außerordentlich interessant sind.“ (Professor Werkgartner entnahm aus einem der Pakete einen Schuh und zwar den, den der Angeklagte Dudek getragen hatte. Bei diesem Schuh fehlte der Gummiabsatz. Es waren nur noch die Nägel vorhanden, mit denen einst der Gummiabsatz befestigt war. Die Spitzen der Nägel standen noch teilweise heraus.
Es ist also ohne weiteres vorstellbar, daß viele der Kratzwunden zu dem Zeitpunkt durch diese Nagelspitzen entstanden sind, als Dudek auf dem Leichnam herumtrampelte. Allerdings, so führte der Professor aus: „… stimmen die Abstände der Nägel auf den Schuhen mit den Abständen der Kratzwunden nicht überein, aber man kann leicht annehmen, daß die Nägel an derselben Stelle mehrmals in die Haut eingedrückt wurden.“
Der Schädel der Leiche war vollkommen zertrümmert worden und auch in der Gegend der Nase und des Mundes konnte man starke Verletzungsspuren feststellen. All diese Verletzungen paßten genau zu der Aussage des Angeklagten Karl Dudek als er die Rosa Hasel aufforderte: „Nimm´s Hackl und hau ihm eine über die Goschn!“
Der Professor beschrieb nun in seinen Ausführungen, wie die Mörder die Leiche zerstückelt hatten. Die Zerstückelung, schilderte er: “ …ist mit einem schweren Küchenmesser und auch noch mit einer Hacke geschehen, die erst herbeigeholt worden war. Die einzelnen Schnitte waren außerordentlich regelmäßig angeordnet, also ist der Täter oder sind die Täter bei der Zerstückelung des Rumpfes sehr methodisch zu Werke gegangen. Ich möchte den Schluß ziehen, daß der, der das gemacht hat, gewohnt war in der Führung eines derartigen Werkzeuges.“
Dann stieg der zweite gerichtsmedizinische Sachverständige, Dr. Breitenecker, mit seinen Ausführungen in die Verhandlung ein. Er zeigte den Mitgliedern des Gerichtshofes zuerst jene Kleidungsstücke, die die beiden Angeklagten zur Zeit des Mordes getragen hatten. Alle Blutspritzer am Überrock des Karl Dudek hatte man mit bunten Nadeln gekennzeichnet. Am unteren Ende von Dudeks Hose wurden an der Innenseite ebenfalls zahlreiche Blutspuren nachgewiesen. Das war der eindeutige Beweis dafür, daß Dudek auf dem blutenden Leichnam herumgetrampelt war.
Auch Rosa Hasels braune Samtbluse sowie ihre blaue Schürze, zeigten ausgedehnte Blutflecken. Ihr Hemd, die Schoß, die Strümpfe; alles war mit Blut befleckt. Der Sachverständige stellte betonend fest: „… daß die Darstellung der Angeklagten Hasel über den Hergang des Mordes sich mit dem anatomischen Befund in Einklang bringen lasse. Welchen Anteil aber jeder der beiden Angeklagten an den Verletzungen hat, lasse sich nicht rekonstruieren.“
Professor Dr. Reuter, der dritte Sachverständige, ergänzte mit seinem Einwurf schließlich noch; diese Tat kann sich nie so blitzschnell abgespielt haben, wie es die Angeklagten immer zu behaupten versuchen. Er sei vielmehr sehr sicher und das entspräche auch eher der Realität, daß sich diese Tötung minutenlang hingezogen habe.
Vors.: „Also ein qualvoller Tod. Es ist also auch glaubhaft, daß, wie von der Hasel ursprünglich angegeben wurde, Kaufer währenddessen um Schonung gefleht hat.“
Auf die Frage des Verteidigers Dr. Jacobsohn antwortete Dr. Breitenecker: „… daß aus dem festgestellten Alkoholgehalt im Blut der beiden Angeklagten der Schluß zu ziehen ist, sie waren wohl alkoholisiert, aber keinesfalls schwer berauscht.“
Beisitzer Hofrat Dr. Grütz: „Frau Hasel, Sie haben gehört, was die Sachverständigen über die Art und die Zahl der Verletzungen angegeben haben. Wollen Sie uns vielleicht auch sagen, wo das fehlende Stück des Vorderarms der Leiche ist?“
Angeklagte: „Das muß Dudek gemacht haben.“
Beisitzer: „Ist es richtig, daß Dudek am Klosett war?“
Angeklagte: „Nein.“
Beisitzer: „Haben Sie auch dem Kaufer ins Gesicht getreten?“
Angeklagte: „Ich hab schon gesagt, ja.“
Vors.: „Frau Hasel, ich hoffe, daß auch bei Ihnen noch eine bessere Regung vorhanden ist. An die appelliere ich. Sie haben im Verlauf des Verhörs einmal zu Dudek gesagt: ‚Sektier mich nicht, sonst sag ich noch mehr! ‘ Ich will jetzt wissen, was dieses „mehr“ ist?“
Hasel: „Bitte, er hat angefangen zu streiten auf der Veranda. Er hat den Sessel aufgehoben, nicht der Kaufer. Er ist der schuldige Teil.“ (Die Angeklagte beginnt zu weinen.)
Vors.: „Sagen Sie, ist dieses „mehr“ wirklich nichts anderes?“
Angeklagte: „Nein.“
St.-A.: „Ist Ihre Angabe richtig, daß Dudek Sie noch vor dem Haus am Arm gezupft hat und dabei gesagt hat: ‚Den bringe ich um!‘ „
Daraufhin fing die Angeklagte an, sehr laut zu weinen und gebärdete sich so verzweifelt, daß sie auf kurze Zeit den Saal verlassen durfte. Doch als sie im Gerichtssaal wieder erschien, begann das Schluchzen erneut. Nach einer kurzen Pause nahm sie all ihre Kraft zusammen und äußerte plötzlich laut und deutlich: „Ja er hat gesagt: ‚Ich erschlag ihn! ‘ "
Nun folgte eine halbstündige Verhandlungspause. Die Weiterführung des Prozesses fand nun unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt, da das intime Verhältnis von Rosa Hasel zu Karl Dudek und Leopold Kaufer besprochen werden sollte. Diese geheime Verhandlung dauerte fast eine Stunde.
Das Gutachten des Gerichtspsychiaters Professor Dr. Bischoff war bereits unter allgemeiner Spannung erwartet worden. In seiner Tätigkeit als Sachverständiger erläuterte er zunächst, daß: „… er sich voll und ganz an sein schon schriftlich erstattetes Gutachten über den Geisteszustand der beiden Angeklagten halten könne. Das Beweisverfahren und die Verhandlung hätten nichts ergeben, was der Anlaß dafür wäre, daß schon erstattete Gutachten auch nur in einem einzigen Punkt abzuändern.“ Allerdings so meinte Professor Bischoff: „… sehen die beiden Angeklagten jetzt ganz anders aus. Dudek und Hasel haben eine achtmonatige Alkohol Entwöhnungskur hinter sich und sie haben sich in dieser Zeit wohl physisch als auch psychisch zu ihrem Vorteil geändert.“
Professor Dr. Bischoff widmete sich zunächst der Angeklagten Rosa Hasel und führte im Besonderen aus: „… sie hat anscheinend niemals eine Krankheit durchgemacht, die geeignet gewesen wäre, irgend eine Veränderung bei ihr herbeizuführen. Sie ist, wie sich bei der Untersuchung gezeigt hat, eine geistig recht gut entwickelnde Frau mit einer hohen Auffassungsfähigkeit und sie hat auch vielfach eine besondere Widerstandsfähigkeit bewiesen. Sie hat seit vielen Jahren ein sehr unregelmäßiges Leben geführt, viel getrunken und viele Nächte durchschwärmt. Man findet aber an ihr keine Spur einer schädlichen Wirkung dieser Lebensführung. Sie hat sich seinerzeit, wie dies ja bei Personen dieser Art die Regel ist, eine Infektion zugezogen. Sie wurde aber behandelt und endgültig ausgeheilt. Sie ist seit ihrer Kindheit in sittlicher Beziehung defekt gewesen. Sie hat sich schon mit 16 Jahren in öffentlichen Lokalen herumgetrieben und Männerbekanntschaften gemacht. Sie hat uns erzählt, daß sie sich schon als ganz kleines Mädchen in sexueller Beziehung betätigt hat.“
Rosa Hasel habe, so der Sachverständige weiter, eine degenerierte, minderwertige sittliche Veranlagung gezeigt.
Anschließend beschäftigte sich Professor Bischoff mit der Frage, ob Rosa Hasel eventuell sadistisch veranlagt sein könnte, da sie mit Vorliebe rohe Leber, rohes Fleisch und rohes Hirn verzehrte. Jedoch hätte sie, ihren eigenen Angaben zufolge, nie sadistische Gefühl empfunden. Allein die Feststellung, daß sie gern rohes Fleisch aß, genügte absolut nicht als Beweis, bei ihr eine sadistische Veranlagung zu vermuten. Wie oft käme es vor, daß Ärzte ihren Patienten verschrieben, viel rohes Fleisch zu essen. Aber auch ohne ärztliche Verschreibung verzehren viele Menschen derartige Gerichte.
Die Angeklagte hätte sich ihm gegenüber geäußert - so fuhr Professor Bischoff fort - sie sei niemals rauschgiftsüchtig gewesen. Es läge deshalb auch kein Anlaß vor, an dieser Aussage zu zweifeln. Wenn ich hier und jetzt sage, der Angeklagten Rosa Hasel habe der Alkohol nicht geschadet, will ich damit keineswegs sagen, daß er bei ihr keine Wirkung hinterlassen hat. Alkohol schadet immer, egal welche Richtung er auch einschlägt. Im Fall von Rosa Hasel kann man sagen - die sittliche Schwäche bei der Angeklagten ist durch diesen häufigen Alkoholgenuss extrem gesteigert worden.
Die Angeklagte, so wird von mehreren Seiten immer wieder betont, sei sehr jähzornig. Diese Jähzornigkeit sei in Verbindung mit ständigem Übergenuß von Alkohol eine häufige Erscheinung. Bei der degenerativen Veranlagung von Rosa Hasel wurden die Wutausbrüche und Jähzornigkeit besonders glaubhaft. Allerdings sei es aber nicht rechtens anzunehmen, daß die Jähzorns Anfälle krankhafte Formen angenommen hätten. Für diese Vermutung bestehe nicht der geringste Anlaß.
Am Tag der Tat hatte Rosa Hasel gemeinsam mit vier anderen Leuten, bereits vom Vormittag an, eine ziemlich große Menge an Alkohol zu sich genommen. Sobald man die einzelnen Vorgänge des Tages in einzelnen Schritten verfolgt und gleichzeitig das Benehmen von Rosa Hasel während dieser Zeit in Betracht zieht, kommt man automatisch zu dem Schluß, daß sie, trotz alledem, während des gesamten Tages doch noch ganz vernünftig gedacht und gehandelt hatte. Ihre Angaben waren auch ein klarer Beweis dafür. Sie besaß noch ein lückenloses Erinnerungsvermögen, befand sich also nicht in einem Rauschzustand, in welchem sie ihre Handlungen nicht mehr bewußt hätte steuern können. Sicherlich darf man die Wirkung des Alkohols nicht völlig vergessen und die Angeklagte hatte in diesem Zustand gegen Gewalttätigkeit sicher keine großen Bedenken. Auf jeden Fall weniger als im nüchternen Zustand. Es wurde auch erwähnt, daß Rosa Hasel sich während der Tat in eine Art Blutrausch hineingesteigert hätte. Verfolgt man die Annahme, sie wäre sadistisch veranlagt, dann könnte man einen Blutrausch durchaus verstehen. Aber, und das ist der springende Punkt, ist bei ihr Sadismus nicht nachweisbar. Der Verstand war bei ihr nicht ausgeschaltet sondern immer unter Kontrolle. Selbst von einer Sinnesverwirrung kann man nicht sprechen oder sie annehmen. Schon allein die Tatsache, daß sie unmittelbar nach der vollbrachten Tat sofort an die Beseitigung sämtlicher Beweise dachte, spricht dafür. In der Zusammenfassung muß deshalb, so führte der Sachverständige aus, gesagt werden: „Sie ist eine sittlich defekte Person, die zur Erregung neigt. Zurzeit der Tat war durch Alkoholgenuß ihre Fähigkeit, sich zu beherrschen, in gewissem Maße abgeschwächt.“
Das nächste Gutachten erstattete Regierungsrat Dr. Dimitz. Er befaßte sich in seiner Einschätzung mit dem Geisteszustand des Angeklagten Dudek. Dazu führte er aus: „Es wurde über eine angebliche Schädelverletzung gesprochen, die der Angeklagte erlitten habe und die seine geistige Entwicklung gehemmt haben soll. Für eine solche Verletzung findet man aber keine Anhaltspunkte. Schon als Knabe ist Dudek zum Alkoholgenuß übergegangen. Er zeigt aber keine Zeichen eines Schwachsinns. Was auffällt, ist allerdings eine gewisse Einfältigkeit und ein absonderliches Gebaren, durch das er komisch wirkt und das ihn als geistig nicht vollkommen erscheinen läßt. Intellektuell ist ihm Frau Hasel weit überlegen. Sie ist auch die Herrschernatur und sie war in dem Verhältnis der beiden der führende Teil. Sonst aber haben die beiden viele ähnliche Eigenschaften. Denn beide sind gefühllos, beide sind grausam, der brutalere aber ist Dudek. Dudek ist ein sittlich entarteter Mensch ohne jedes Schamgefühl. Er ist sittlich vollkommen abgestumpft. Auf homosexuelle Neigungen von Jugend auf deutet bei ihm nichts hin. Möglicherweise ist durch den Alkohol sein normales Empfinden abgestumpft worden, so daß er auf abwegige sexuelle Bahnen gedrängt wurde. Auch materielle Gründe waren für ihn maßgebend. Dudek hat genauso wie Rosa Hasel Prostitution getrieben. Er ist ein durch und durch verrohter Mensch. Zu abnormen Alkoholreaktionen, also Bewußtseinsstörungen, zeigt er keine Neigung. Die Rührseligkeit, die sich bei ihm nach dem Alkoholgenuß zeigte, ist für viele Trinker charakteristisch. Diese Rührseligkeit kann ganz plötzlich in Rohheit und Gewalttätigkeit umschlagen. Von einer Geistesstörung oder von Wahnvorstellungen unter dem Einfluß des Alkohols ist bei Karl Dudek keine Rede.“
Regierungsrat Doktor Dimitz fuhr in seinem Gutachten weiter fort und erklärte: „Ob bei Dudek wirklich Homosexualität oder Sadismus vorliegt, läßt sich nicht feststellen. Zusammenfassend ist zu sagen, daß bei ihm weder in der Gegenwart noch in der Vergangenheit, noch insbesondere im Zeitpunkt der Tat eine Geistesstörung vorliegt oder vorlag. Die Tat war durchaus nicht unbegründet, denn es bestand ein Konflikt zwischen dem Dreieck Leopold Kaufer, Rosa Hasel und Karl Dudek, wobei der wiederholt erwähnte Zettel eine Rolle spielte. Was die der Tat folgende Zerstückelung der Leiche betrifft, so könnte sie den Gedanken an eine sadistische Handlung nahelegen. Weder bei der Hasel noch bei Dudek konnte aber mit Sicherheit eine solche Veranlagung erkannt werden.“
Der Vorsitzende rief den Angeklagten Dudek nach vorn und gab ihm zu verstehen: „Sie haben den Gerichtshof durch ihren Verteidiger bitten lassen, Sie nochmals zu befragen, weil Sie bei der letzten Befragung im Kopf benommen gewesen seien wollen. Sie haben erklärt, daß Sie uns sowohl in öffentlicher als auch in geheimer Verhandlung noch Mitteilungen machen wollen. Unter Ausschluß der Öffentlichkeit haben Sie uns ja bereits etwas anvertraut. Was haben Sie nun mehr noch zu sagen?“
Karl Dudek begann nun in raschen Worten noch einmal die Raufszene in der Küche darzustellen. Nachdem er längere Zeit um den heißen Brei herumgeredet hatte äußerte er sich endlich: „Ich gebe zu, daß ich den Kaufer, als er auf dem Boden lag, gehalten habe, weil er sich so rabiat benommen hat. Mit der Hacke hingehaut habe ich aber nicht.“
Vors.: „Wie haben Sie den Kaufer gehalten?“
Angeklagter: „Ich habe mich über ihn geworfen und habe ihn mit den Händen niedergehalten, so daß er nicht auskommen konnte. Er hat sich wie ein Wilder gebärdet. Ich habe den Kaufer aber nicht gehalten, damit die Hasel ihn schlagen kann, sondern nur, damit er sich beruhigt.“
Vors.: „Mit dieser Aussage beweisen Sie, daß das Gutachten recht hat, wenn es sagt, daß Sie dumm sind.“
St.-A.: „Warum haben Sie aber bisher bestritten, daß sie den Kaufer überhaupt gehalten haben?“
Diese Frage war zu viel für den Angeklagten Dudek. Während er noch nach einer logischen Erklärung suchte, aber nur ein paar unverständliche Worte vor sich hin stotternd zustande brachte, erfolgte schon die nächste Frage. Die traf ihn wie ein Peitschenhieb.
Vors.: „Sie haben uns doch erklärt, daß Sie sich alles für das Gericht aufgehoben haben um hier die Wahrheit sagen zu können. Sie tun es aber doch nicht.“
Karl Dudek blickte zum Vorsitzenden und brachte mit einer Geste zum Ausdruck, er wolle noch etwas sagen: „Es ist möglich…, “ so erklärt er, „… daß ich in meiner Aufregung dem Kaufer auch einen Fußtritt versetzt habe. Es kann sein, daß ich ihn auch am Kopf getroffen habe, das weiß ich aber nicht bestimmt.“
Der Vorsitzende stellte im Folgenden, auf Antrag des Verteidigers Doktor Flandrak, aus mittlerweile herbeigeschafften Akten, die Vorstrafen des Leopold Kaufer fest. Im Gegensatz zu der Strafkarte Kaufers, die man dem Gericht am Vortage vorgelegt hatte und in der keine Straftaten vermerkt waren, also Kaufer bekanntlich als Unbescholtener erschien, stellt nunmehr der Vorsitzende aus diesen Akten des Straflandesgerichts I fest, daß: „… Leopold Kaufer in den letzten 15 Jahren wegen verschiedener Delikte, darunter auch wegen Gewalttätigkeit, im Ganzen 18-mal vorbestraft war und die höchste Strafe 18 Monate schweren Kerkers betrug."
Nachdem das Gericht an diesem Punkt angelangt war wurde die Verhandlung abgebrochen. Sollten die noch folgenden Schlußreden, so die Ankündigung, des Staatsanwalts und der Verteidiger längere Zeit in Anspruch nehmen, ist mit der Verkündung des Urteils möglicherweise erst am Samstagmittag zu rechnen.
Freitag, der 26. November 1937
Dieser Verhandlungstag im Mordprozeß gegen die Leichenzerstückler Rosa Hasel und Karl Dudel war zur Gänze den großen Schlußreden gewidmet. In einem langen, logisch gut aufgebauten und wirkungsvoll vorgetragenen Plädoyer forderte Staatsanwalt Dr. Hausner die Bestrafung beider Angeklagten wegen vorbedachten Mordes, wofür das Strafgesetz nur ein Todesurteil kennt. Auch die beiden Verteidiger gaben zu, daß Mord vorliegt, nicht Totschlag, aber nicht vorbedachter gemeiner Mord, sondern Mord in heftiger Gemütsbewegung, den das Gesetz nur mit Kerker ahndet, wenn auch mit lebenslangem Kerker.
Samstag, der 27. November 1937
Die Wiener Presse, die diesen außergewöhnlichen Fall ständig begleitete titelte dann am Samstag, dem 27. November 1937 in großen Lettern: Das Urteil im Mordprozess wird heute Mittag gefällt.
In dem Schwurgerichtsprozeß gegen Rosa Hasel und Karl Dudek wurde gestern das Beweisverfahren geschlossen. In seiner Rede forderte der Staatsanwalt gegen beide Angeklagte die Todesstrafe. Die Verteidiger versuchten in ihren Plädoyers das furchtbare Verbrechen als eine Affekthandlung darzustellen. Nach den Schlußreden teilte der Vorsitzende mit, daß das Urteil heute Samstag um 11.30 Uhr verkündet werden wird.
Weiter im Gerichtssaal -
Samstag, 27. November 1937.
An diesem Verhandlungstag herrschte geradezu ein beängstigender Andrang. Jeder Interessierte wollte die Urteilsverkündung miterleben.
Vor Beginn der Verhandlung hatten sich im Saal zahlreiche Richter und Staatsanwälte versammelt und der Vorsitzende Vizepräsident Helmer verkündete zunächst den Gerichtsbeschluß, daß: „… der vom Staatsanwalt Dr. Hausner gestellte Antrag auf Einvernahme von Polizeibeamten und des Untersuchungsrichters abgelehnt worden ist.“ Die Polizeibeamten hätten bei Zustimmung des Antrags aussagen sollen, ob Karl Dudek bei seinen Verhören geschlagen worden sei. Somit sei das Beweisverfahren abgeschlossen, erklärte der Vorsitzende.
Und weiter: „Ich erteile hiermit dem Staatsanwalt das Wort zu seinem Schlußvortrag.“
„Hohes Schwurgericht! Ein Prozeß geht zu Ende, der ein blutiges Bild einer Tat aufgerollt hat, von der es furchtbar ist, sagen zu müssen: sie ist das Werk von Menschenhand. Ja, Menschenhände waren es, die am Abend des 11. März 1937 einem von Trunkenheit hilflosen Mann in bestialischer Weise den Schädel zertrümmerten und dann das Haupt des Mannes zu einer unkenntlichen Masse zerstampften. Menschenhände waren es, die, an der Majestät des Todes frevelnd, den Kopf vom Leichnam schlugen und dann den Leichnam zerstückelten. Angesichts einer solchen Tat taucht vor uns die Frage auf: Wie ist es dazu gekommen? Wer sind die Akteure des düsteren Unterweltdramas, wer sind Rosa Hasel und Karl Dudek?“
Der Staatsanwalt charakterisierte kurz die beiden Angeklagten und führte weiter aus: „Es kann nicht Wunder nehmen, daß Rosa Hasel und Karl Dudek zueinander fanden und daß sie beide zueinander in ein Abhängigkeitsverhältnis kamen. Dieses Verhältnis fand aber auch eine Änderung, als im Mai 1936 Rosa Hasel den Leopold Kaufer kennenlernte. Rosa Hasel hat zu Kaufer zweifellos etwas gefaßt, was man Zuneigung nennen könnte. Es war von der Scheidung ihrer Ehe gesprochen worden. Es wurde zu Gericht gegangen und schließlich erhielt Rosa Hasel jene Verzichtserklärung, über die wiederholt gesprochen wurde.“
Bezeichnend war, wie Rosa Hasel sich dieser Konstellation - zwischen den zwei Männern- gewachsen zeigte. Einerseits stellte sie Kaufer als gut situierten Menschen hin. Dudek aber, der sich einen finanziellen Vorteil erhofft hatte, sieht zähneknirschend zu. Auf die Ewigkeit ließ sich dieses Doppelspiel jedoch nicht verwirklichen. Dudek erfaßte allmählich, daß von Kaufer nichts zu holen war. Er sah sich selbst um die vormalige Einnahmequelle, die er bei Rosa Hasel innehatte, bedroht. In Rosa Hasels Gesellschaft befand sich vorwiegend nur noch Kaufer. Und hier entstand nun der tiefe Haß von Karl Dudek gegen Leopold Kaufer, der zusätzlich noch dadurch angeheizt wurde, daß sämtliche Versuche des Dudek, die Beziehungen des Kaufer zur Hasel zu untergraben und zu zerrütten, fehlschlugen.
In diesem Gefühlszustand befand sich Dudek, als er Kaufer am 11. März in der Wohnung der Hasel antraf. Aber auch die Angeklagte Rosa Hasel stand dem Kaufer an diesem Tage mit durchaus anderen Empfindungen gegenüber als bislang. Der Grund lag nicht etwa in den Drohungen, die Kaufer vorab verkündet haben soll, sondern war damit zu erklären, daß die Hasel die Verzichtserklärung nicht zurückerlangt hatte. Um diese Verzichtserklärung ging es und dieses Schreiben wollte sie auf jeden Fall wieder in ihre Hände bekommen. Allein von diesem Gedanken wurde Rosa Hasel am Tag der Tat beherrscht.
Der Staatsanwalt beurteilt nun im weiteren Verlauf die Angaben der Angeklagten Rosa Hasel über die Ereignisse am Tattag und macht klar: “… daß ihr Geständnis im Wesentlichen der Wahrheit entspreche. Die Angeklagte, hat zugegeben, Kaufer umgebracht zu haben, und sie hat, was das Wesentliche anbelangt immer wieder die gleiche Darstellung gegeben. An der Richtigkeit ihrer Darstellung kann nicht gezweifelt werden, weil sie einerseits nicht nur logisch ist, sondern weil sie anderseits den objektiven Beweismitteln entspricht. Auf diese Weise sind auch die folgenden Ereignisse als erwiesen anzusehen. Rosa Hasel hat im Gasthaus versucht, von Kaufer die Verzichtserklärung durch List herauszubekommen. Auf dem Wege nach Hause fragte Dudek die Hasel, ob sie den Zettel erhalten habe, und als sie verneinte, erklärt Dudek, er werde Kaufer erschlagen und die Leiche wegräumen. Daß diese Äußerung ernst zunehmen war - dafür spricht die fürchterliche Verwirklichung des Vorhabens. Wenn Rosa Hasel anfangs angab, es sei zwischen ihr und Kaufer zu einem Streit gekommen und sie habe Dudek zu Hilfe gerufen, so hat sie, im Gegensatz dazu, gestern angegeben, daß Dudek sofort, schon auf der Veranda, mit einem Sessel auf Kaufer losgeschlagen hat.
Rosa Hasel steht noch immer in einem gewissen Abhängigkeitsverhältnis zu Dudek, das sich während der langen Haft allerdings abgeschwächt hat, aber neu zu Tage trat, als die beiden Angeklagten hier im Verhandlungssaal wieder zusammentrafen. Und ich verweise in diesem Zusammenhang darauf, daß Rosa Hasel wiederholt versucht hat, Dudek zu schützen. Es besteht auch kein Grund, an den Angaben der Angeklagten zu zweifeln, die sie vor dem Untersuchungsrichter gemacht hat, nämlich, daß Dudek vor dem Eintritt ins Haus erklärt hat: ‚Ich bring ihn um! ‘
Es ist durch das Beweisverfahren erwiesen, daß die Hasel zu diesem Zeitpunkt dem Vorhaben des Dudek innerlich beitrat, und als dann Dudek auf Kaufer losgeht, springt auch Rosa Hasel hinzu. Es kommt zu einem Handgemenge und Kaufer stürzt unter dem Hackenhieb des Dudek zu Boden. Die nächsten Momente sind an Gräßlichkeit, Brutalität und Erbarmungslosigkeit nicht mehr zu überbieten. Dudek trampelt auf dem Körper und im Gesicht des auf dem Boden Ausgestreckten herum. Die Schreie um Erbarmen, sie sind das Signal dafür, daß Rosa Hasel die Hacke ergreift, und neuerlich hinschlägt. Aber noch ist Kaufer nicht tot, wie eine Handbewegung verrät. Und da ergreift nochmals Dudek die Hacke und zertrümmert endgültig den Schädel des Unglücklichen, bis alles Leben aus dem Körper entwichen ist.Was sich nunmehr abspielt, ist nach dem Gesetz nichts Strafbares. Vor dem innerlichen menschlichen Gesetz aber, sind solche gräßlichen Handlungen wie es die Zerstückelung der Leiche war, unfaßbar.“
Mit bildhaften Worten schilderte anschließend der Staatsanwalt die grauenhaften Details dieses scheußlichen Schlußakkords des Mordes.
Dann wendet er sich Karl Dudek zu: „Karl Dudek, der alles in Abrede stellte, hätte nicht erst von den Psychiatern als sittlich entartet, stumpf und an Brutalität der Hasel überlegen bezeichnet werden müssen. Sein Verhalten in der Hauptverhandlung hat uns gezeigt, welch sittlicher Abgrund und welche Verdorbenheit in ihm wohnt. Er hat die vielfachen Ermahnungen verhallen lassen. Und wenn er gestern erklärt hat, etwas gestehen zu wollen, so haben uns seine Aussagen, die er dann abgelegt hat, seine Hinterhältigkeit bewiesen und seine Lügenhaftigkeit ist damit wieder offen zu Tage getreten.
Er will dem Kaufer nur eine Ohrfeige gegeben haben. Ihn klagt aber das Blut auf seinem Überrock, ihn klagen seine blutige Hose und seine blutige Wäsche an. Der zertrümmerte Kopf des Leopold Kaufer nennt, jeden Zweifel ausschließend, den Namen des einen der Mörder: Karl Dudek. Und ebenso zeigen die von geübten Händen ausgeführte Zerstückelung und Zerhackung der Leiche, daß es Karl Dudek war, der diese grauenvolle Arbeit verrichtet hat. Diese Tatsachen zerreißen das Lügengewebe dieses Verbrechers und sie sind unumstößlich der Beweis der Richtigkeit der Angaben Rosa Hasels. Karl Dudek hat nachher selbst gesagt: ‚Ja es ist schon geschehen, nun bin ich auch ein Mörder! ‘ Es gibt wohl keinen Menschen, der glauben würde, daß diese Worte, die unmittelbar unter dem Eindruck der Tat geboren wurden, der Wahrheit nicht entsprechen.
Und noch ein letztes Wort über die Glaubwürdigkeit Dudeks. Dieser ‚unschuldige Zeuge‘ eines Mordes, der nicht sofort auf die Polizei lief, sondern sich an der Beseitigung der Spuren des Verbrechens beteiligte und der bei dem schrecklichen Schauspiel der Leichenzerstückelung angeblich nicht zusehen konnte, der bringt es doch über sich, die Brieftasche und das Geld des Ermordeten an sich zu nehmen.“
Und nun noch einmal zurück zu Rosa Hasel: „Sie hat ihren Anteil an dem Mord stets zugestanden und die Tat immer in gleicher Weise dargestellt. Was abweichend war, war der Versuch, Karl Dudek zu helfen. Wenn nun die Gerichtsärzte erklären, daß die Angaben der Hasel mit den anatomischen Befunden und den gerichtsärztlichen Untersuchungen übereinstimmen, so ist das wieder ein Beweis dafür, daß die Schilderung der Hasel richtig ist.“
Laut dem Gutachten der Gerichtsmediziner wurden die schwersten Verletzungen hauptsächlich am Kopf festgestellt, woraus sich anschaulich ergibt, die Angeklagten hatten die Absicht zu töten.
Der Staatsanwalt führte fort: „Wer wollte noch an der Mordabsicht der beiden zweifeln, wenn die Hasel, als der auf dem Boden Liegende um Erbarmen schrie, die Hacke ergriff und sie auf dem Kopf des Unglücklichen niedersausen ließ! Als Kaufer nur noch eine schwache Handbewegung macht, da schlägt auch Dudek mehrmals mit der Hacke hin. Die Hiebe gegen den Kopf waren absolut tödlich und es steht fest, daß sowohl die Hiebe des Dudek und der Rosa Hasel für sich alleine den Tod herbeigeführt hätten. Die Angeklagten sind des Mordes schuldig, sie haben ihre Tat voll zu verantworten.“
Hier beendete der Staatsanwalt vorerst seinen Vortrag und beurteilte nun die übrigen Anklagepunkte, die einige kleinere Diebstähle betrafen. Schließlich kam er auf die Vorstrafen von Leopold Kaufer zu sprechen und verdeutlichte: “… daß Kaufer der Angeklagten Rosa Hasel gegenüber niemals handgreiflich, tätlich oder gewaltsam gewesen sei, denn sie habe selbst erklärt: ‚Er war gut zu mir! ‘
Meine Herren vom Hohen Gerichtshof! Sie werden die Angeklagten, wie ich sicher annehme, im Sinne der Anklage verurteilen. Sie werden sich bezüglich der Strafe auch die Frage vorzulegen haben, ob die Angeklagten in einer Gemütsbewegung gehandelt haben, die sowohl entschuldbar als auch heftig gewesen ist. In diesem Fall kann aber von einer entschuldbaren heftigen Gemütsbewegung der Angeklagten nicht gesprochen werden. Denn es handelt sich wohl nicht um einen von langer Hand vorbereiteten, aber spätestens auf dem Heimweg vom Gasthaus beschlossenen Mord. Wir haben hier einen der grauenvollsten Morde der ganzen letzten Jahre, der nun seine Sühne verlangt. Die Täter haben es verwirkt, weiter unter Menschen zu leben. Darum bitte ich Sie, meine Herren vom Hohen Gerichtshof, um den Schuldspruch und um die Verhängung jener Strafe, die das Gesetz für Mörder gebietet und die allein der Gerechtigkeit gerecht werden kann.“
Inmitten der letzten Ausführungen des Staatsanwaltes wurde die Angeklagte plötzlich leichenblaß im Gesicht und begann heftig zu weinen. Sie konnte in diesem Moment ihre Verzweiflung nicht mehr zurückhalten. Rosa Hasel zitterte und bebte am ganzen Körper.
Der Pflichtverteidiger Dr. Flandrak, der die Angeklagte Rosa Hasel zu vertreten hatte, erläuterte zunächst kurz die Vorgeschichte dieses Falles und führte dann aus: „Die Anklagebehörde kämpft um das Motiv. Schleierhaft sind die Beweggründe, die vom Staatsanwalt in der Anklage und in der Hauptverhandlung vorgetragen wurden. Für einen vorsätzlichen, wohl überlegten Mord fehlt jedes Motiv. Und da es fehlt, hatte es der Staatsanwalt gewissermaßen geschaffen. Dieses Motiv für die entsetzliche Tat soll nach seiner Auffassung die Verzichtserklärung des Leopold Hasel auf seine Gattin sein, die Rosa Hasel unbedingt wieder zurückhaben wollte. Der Staatsanwalt beruft sich auf das Geständnis der Rosa Hasel, aber er verwertet zur Stützung seiner Anklage nur die Beweisergebnisse, die die Angeklagte belasten. Was sie entlastet, wird mit einer Handbewegung beiseitegeschoben oder für unglaubwürdig erklärt. Sonst müßte der Staatsanwalt zugeben, daß Rosa Hasel sich diesen berühmten Zettel auch auf einfachere Weise hätte beschaffen können, nicht gerade durch einen Mord. Rosa Hasel ist nicht der Vamp, nicht der Dämon, auch nicht die Lulu von Favoriten, mit welchen schmeichelhaften Austritten sie in der Öffentlichkeit bezeichnet wird. Sie ist in ihrem Lasterleben moralisch gesunken, verkommen und in gewissem Grade, wie jede Frau ihrer Gattung, ein armer Teufel. Sie ist jähzornig, neigt zu Exzessen. Und aus dieser Wesensart heraus muß auch ihre Tat beurteilt werden. Gegen vorbedachten Mord sprechen alle Ereignisse, der ganze Hergang des entsetzlichen Geschehens. Wichtig ist vor allem die Tatsache, daß Rosa Hasel, Dudek und der dritte im Bunde, Leopold Kaufer, nach dem Gelage im Gasthaus eine vierte Person zur Fortsetzung der Sauferei in die Wohnung einluden, den Herrn Wanis, der aber bereits seinen Rausch ausschlief. Wenn die beiden Angeklagten damals auch nur im entferntesten an eine Ermordung Kaufers gedacht hätten, dann hätten sie sich doch nicht eine vierte Person eingeladen, um gleichsam einen Tatzeugen zu haben. Ein grausames, beinah sinnlos zu nennendes Spiel des Zufalls hat hier mitgewirkt. Hätte Wanis damals nicht seinen Rausch ausgeschlafen, wäre er der Einladung gefolgt - vielleicht würde heute das Ehepaar Hasel-Kaufer in einer für die üblichen Begriffe glücklichen und harmonischen Ehe leben. Leopold Kaufer wäre nicht tot und Rosa Hasel stünde nicht unter Mordanklage.
Ich bin davon überzeugt, daß es sich hier um keine vorgefaßte Mordabsicht, um keine überlegte Tat, sondern um ein Affektdelikt handelt. Daran ändert auch nichts der Umstand, daß Karl Dudek vor dem Betreten des Wohnhauses bemerkt haben soll, ‚…den bring ich heute um! ‘ Solcher Ausdrücke bediente sich auch Leopold Kaufer. Sie sind in den Kreisen der Unterwelt üblich und werden meist nicht ernst genommen. Es ist ein Trugschluß des öffentlichen Anklägers, wenn er die folgenden Ereignisse zum Beweis des Ernstes dieser Äußerung anführt. Die drei Personen hatten vor dem Betreten des Hauses keine Ahnung von dem schrecklichen Nachspiel.
Rosa Hasel hat ein Geständnis abgelegt. Man darf ihr glauben, daß sie damals in plötzlich aufflammender Wut über den Schlag ins Gesicht auf Kaufer losgestürzt ist und in sinnloser Raserei mit der Hacke zugeschlagen hat. In dieser sinnlosen Wut schlug dann auch weiter nicht mehr sie selbst, sondern gleichsam ihr Arm, bis er erlahmte. Es ist Rosa Hasel auch zu glauben, daß Dudek allein die Zerstückelung der Leiche vollbracht hat. Diese Behauptung wurde auch durch das Gutachten der Psychiater unterstützt. Zum Hinschlagen braucht man Temperament und Energie. Die besitzt Rosa Hasel, zum Zerstückeln braucht man nur Brutalität, die dem Karl Dudek in hohem Maße eigen ist.“
Weiter führte der Verteidiger aus, daß hier eine entschuldbare heftige Gemütsbewegung vorgelegen habe. Er erinnerte schließlich die Mitglieder des Gerichtshofes an ihr Gewissen, bei der Fällung des Urteils gut zu überlegen, denn, und so brachte er es zum Ausdruck: „Sie tragen die entsetzliche Verantwortung, wenn etwa nach Fällung eines Urteils wegen gemeinen Mordes eine Frau wegen eines Affektdeliktes justifiziert werden würde. Denken Sie daran, ich bin überzeugt, Sie werden das richtige Urteil sprechen!“
Nach dieser Stellungnahme gab der Pflichtverteidiger Dr. Jacobsen, der den Angeklagten Karl Dudek zu vertreten hatte, seine Erklärung ab. Nach seinen Ausführungen sei: „… Dudek von keinem egoistischem Interesse geleitet worden. Er habe nur versucht Rosa Hasel bei der Wiedererlangung der Verzichtserklärung zu unterstützen. Die belastenden Angaben der Rosa Hasel über Dudek seien nicht voll zu werten. Dudek habe sich in den ganzen Streit nur eingemengt, weil er von der Hasel gegen Kaufer zu Hilfe gerufen wurde. Es war für ihn, der gewohnt war, der Hasel zu parieren, ein selbstverständliches Signal, ihr sofort Hilfe zu leisten, zumal er das Messer in der Hand des Kaufer sah.“ Und weiter führte Dr. Jacobsen aus: „Dudek habe sich damals in einem entschuldbaren Erregungszustand befunden. Er war damals seiner freien Willenskraft nicht mächtig und geriet dadurch in jenen unbegreiflichen Zustand, der dann das Furchtbare, das geschah, ermöglichte. Wer aber dann das furchtbare Zerstückelungswerk vollbrachte, darüber wird man niemals Klarheit finden. Über diese Verunglimpfung eines Geschöpfes Gottes, werde endgültig ein höherer Richter entscheiden.“
Dann beendete der Verteidiger Dudeks seine Rede mit folgenden Worten: „Ich bitte Sie, meine Herren vom hohen Gerichtshof, lassen Sie sich durch das Schreckliche, was nachher geschah, Ihren klaren Richterblick nicht trüben. Dudek wird gewiß für seine Schuld bestraft werden müssen. Strafen Sie ihn aber nicht härter, als er es verdient, nicht strenger, als es seinem juristisch zu beurteilenden Verschulden entspricht. Dudek hat nicht in vorsätzlicher Tötungsabsicht gehandelt. Seien Sie ihm nicht nur gerechte, sondern auch gnädige Richter.“
Nach diesen Schlußreden gab der Vorsitzende bekannt - das Urteil noch heute, am Samstag gegen 11 ½ Uhr zu verkünden.
Bereits um 11 Uhr vormittags war der große Schwurgerichtssaal des grauen Hauses völlig überfüllt und schien förmlich aus den Nähten zu platzen. Viele Leute hatten sich bereits lange vor der festgesetzten Zeit vor dem Eingang in der Alserstraße eingefunden. Hunderte mußten aber, sichtlich enttäuscht, wegen Platzmangels abgewiesen werden. Im Zuhörerraum versammelten sich auch zahlreiche Richter, Staatsanwälte und viele Rechtsanwälte.
Ein Raunen, einhergehend mit einer sichtlichen Bewegung, durchzog die Reihen, als kurz vor halb zwölf die Angeklagten, flankiert von je zwei Beamten in den Saal geführt wurden. Beide, sowohl Rosa Hasel als auch Karl Dudek schienen sehr gefaßt und ruhig.
Punkt halb zwölf betraten die Mitglieder des Schwurgerichtshofes den Verhandlungssaal. Dann verkündete der Vorsitzende Vizepräsident Edmond Hellmer, das Urteil:
„Die Angeklagte Rosa Hasel und Karl Dudek sind:
- des Verbrechens des gemeinen Mordes,
- Rosa Hasel auch der Diebstahlsteilnehmung, begangen durch Verhehlung gestohlener Sachen, schuldig erkannt worden und
- sie werden zur Strafe des Todes durch den Strang,
- sowie zum Ersatz der Kosten des Verfahrens verurteilt.
- Die Todesstrafe ist zuerst an Rosa Hasel und
- dann an Karl Dudek zu vollziehen.
- Vom übrigen Teil der Anklage werden beide Angeklagten freigesprochen.“
Rosa Hasel und Karl Dudek nahmen das Urteil gefaßt und vollkommen ruhig auf. Erst als der Vorsitzende die Worte „…zum Tode durch den Strang“ aussprach, sah man, trotz gespielter Scheinruhe, an ihren bleichen Gesichtern und dem Zittern der Hände die starke innere Bewegung.
Das Urteil begründete der Vorsitzende folgendermaßen: „Was zunächst den Mord anbelangt, so hat das Schwurgericht aufgrund des Geständnisses der Rosa Hasel und des teilweisen Geständnisses des Karl Dudek - die Angaben beider stehen mit den Ergebnissen des Beweisverfahrens im Einklang - den Sachverhalt als erwiesen angenommen, der der Anklage zugrunde liegt. Auf Grund des Gutachtens der psychiatrischen Sachverständigen stand außer Frage, daß beide Angeklagten weder geisteskrank noch geistesschwach sind, noch zur Zeit der Tat sich in einem Zustand vorübergehender Sinnesverwirrung befunden haben. Auch sonst liegt kein Strafausschließungsgrund vor, insbesondere nicht Volltrunkenheit, die auch von den Angeklagten selbst nicht behauptet wurde. Auch von einem pathologischen Rauschzustand könne nicht gesprochen werden. Der Gerichtshof hat entgegen der Verantwortung der beiden Angeklagten - denn auch Rosa Hasel hat bestritten, in Tötungsabsicht gehandelt zu haben - als erwiesen angenommen, daß sowohl sie als auch ihr Mittäter und Helfer Karl Dudek die Absicht hatten, den Leopold Kaufer zu töten. Die Annahme einer anderen Absicht erschien dem Gerichtshof geradezu als ausgeschlossen. Dies schon im Hinblick auf das verwendete Werkzeug und die Art und Weise, in der es sowohl von Rosa Hasel als auch von Karl Dudek gebraucht worden ist - nämlich gegen den Kopf des Leopold Kaufer.
Die Verurteilung der Rosa Hasel wegen Übertretung der Diebstahlsteilnehmung, begangen durch Verhehlung gestohlener Sachen, erfolgte ebenfalls aufgrund ihres Eingeständnisses. Die Strafe wegen Verbrechens des Mordes nach den Paragraphen 134, 135/IV Strafgesetz war bei beiden Angeklagten nach Paragraph 136/I in der Fassung des Strafrechtsänderungsgesetzes vom 1. Juni 1934 (Wiedereinführung der Todesstrafe im ordentlichen Verfahren) auszumessen. Im Gesetz ist die Strafe absolut angedroht, sowohl dem unmittelbaren Mörder als auch jenem, der unmittelbar bei der Vollziehung Hand angelegt oder auf eine tätige Weise mitgewirkt hat.
Eine entschuldbare heftige Gemütserregung zur Zeit der Tat kam nach Ansicht des Schwurgerichts weder bei Rosa Hasel noch bei Karl Dudek in Frage. Entschuldbar ist eine Gemütsbewegung nur dann, wenn dem Täter kein sichtlicher Vorwurf daraus gemacht werden kann, daß er in Erregung geriet, und wenn die Ursache seiner Erregung nicht in seinem Charakter, nicht in verwerflicher Neigung oder Leidenschaft, sondern lediglich in äußeren, zufälligen Umständen zu suchen ist. Die beiden Verurteilten befanden sich zweifellos in einer aus mehrfachen Ursachen entstanden Gemütserregung, aber als entschuldbar kann diese Regelung nicht angesehen werden. Weder die Trunkenheit der beiden Angeklagten noch die Reizbarkeit der Rosa Hasel sowie die des Karl Dudek sind entschuldbar.“
Vom übrigen Rest der Anklage wurden beide Angeklagten aus Mangel an verläßlichen Beweisen freigesprochen. Die Kosten des Verfahrens erklärte man für uneinbringlich.
Rosa Hasel und auch Karl Dudek machten nach der Urteilsbegründung, jedenfalls dem äußeren Anschein nach, einen recht gefaßten Eindruck. Der Vorsitzende erteilte beiden anschließend noch die Rechtsmittelbelehrung, worauf die beiden Pflichtverteidiger Dr. Flandrak und Dr. Jacobsohn für die beiden Angeklagten die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung anmeldeten.
Vors.: „Der Gerichtshof zieht sich zurück zur Beratung darüber, ob die Verurteilten gnadenwürdig sind und welche Strafe für den Fall einer Begnadigung anstelle der Todesstrafe zu treten hätte.“
Dr. Flandrak: „Es ist üblich, daß man der Verteidigung auch Gelegenheit gibt, dazu Stellung zu nehmen.“
Vors.: „Das wird nicht möglich sein, weil der Gerichtshof alle in Betracht kommenden Momente erwägen wird.“
Nachdem der Gerichtshof den Saal verlassen hatte, ging Rosa Hasel auf ihren Verteidiger Dr. Flandrak zu und bedankte sich in lebhaften Worten bei ihm für die hervorragende Verteidigung. „Leider…“, so ihre Worte, „… empfinde sie es außerordentlich schmerzlich, daß sie ihren Dank nur mit bloßen Worten abstatten könne. Ich habe kein anderes Urteil erwartet“, sagte sie zum Schluß. Rosa Hasel schüttelte ihrem Verteidiger noch einmal kräftig die Hand. Dann verließ sie mit energisch zurückgeworfenem Kopf und einem leichten Lächeln um den Mund ruhig und sicher, den Saal. Karl Dudek schlich mit gesenktem Haupt hinterher. Rosa Hasel und Karl Dudek warteten vergeblich auf eine Begnadigung.
Ein Jahr später:
Am 12. November 1938 - wurde in der Presse Österreichs die folgende, fast immer gleichlautende Mitteilung veröffentlicht. - Rosa Hasel und Karl Dudek hingerichtet. -
Wien, 12. November 1938
Die Justizpressestelle Wien teilt mit:
Am 12. November 1938 sind die am 20. Dezember 1900 geborene Rosa Hasel und der am 28. April 1889 geborene Karl Dudek hingerichtet worden, die vom Landgericht für Strafsachen Wien I (Schwurgericht) wegen gemeinschaftlichen Mordes zum Tode verurteilt worden sind.
Die beiden Verurteilten haben den Händler Leopold Kaufer in rohester Weise ermordet und die Leiche zerstückelt.