Vom Mittelalter bis in die heutige Zeit.


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7. September 1922 - Berlin Wedding

Die billigen Eisbeine.
Schmackhaftes in der Vorweihnachtszeit des Johann Magd.
Eines Tages ging der mehrfach vorbestrafte Schweizer Johann Magd, es war kurz vor Weihnachten 1921, an einem Lokal am Wedding vorüber, wo man gerade eine Schüssel rosiger Eisbeine auftrug. Da er arbeitslos und hungrig war, sein Portemonnaie aber im umgekehrten Verhältnis zu den Wünschen seines Magens stand, reifte in ihm ein Plan, den er noch in derselben Nacht ausführte. Er war früher bei einem Landwirt Müller in Reinickendorf beschäftigt gewesen und wußte, dass dieser Schweine hielt. Diese sollten ihm nun die so sehnlich begehrten Schweinebeine liefern. Gedacht, getan, zwei Ferkel und zwei Schweine, die er in dem Stall vorfand, mußten daran glauben, sie wurden abgeschlachtet und auf einem mitgebrachten Handwagen in die Wohnung des Angeklagten geschafft. Hier hub ein Schmausen an, wie er es sich lange nicht hatte leisten können, sämtliche Eisbeine wurden aufgegessen.
Als die Polizei, nachdem der Verdacht auf Magd gefallen war, in seiner Wohnung eine Haussuchung vornahm, fanden sie das übrige Fleisch fein säuberlich eingepökelt vor.
Das Schöffengericht Berlin-Wedding hatte Magd in erster Instanz zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt, gegen welches Urteil er Berufung eingelegt hatte. Die Ferienstrafkammer verwarf gestern seine Berufung und hielt die aufgegessen Eisbeine mit sechs Monaten Gefängnis für hinreichend bezahlt.



24. August 1920 - Berlin

Verhafteter Bettelschwindler - Tagesverdienst 150 DM.
Den Bettelschwindel im Großen betrieb ein Arbeitsinvalide, der frühere Bergmann Richard Wendt aus der Müncheberger Straße 4, der jetzt von der Kriminalpolizei entlarvt worden ist.
Wendt hat, wie er angibt, im Jahr 1912 auf einer Zeche in Westfalen einen Unfall erlitten und dabei ein Bein verloren. Er bezog eine kleine Rente, trieb aber nebenbei einen Straßenhandel mit Briefpapier, der ihm, wie er selbst zugibt, etwa 20 Mark einbrachte und mit Bonbons, die er als Invalide vom Magistrat erhielt und ihm 500 bis 600 Mark monatlichen Verdienst abwarfen. Seine in Wilhelmsbruch getrennt von ihm lebende Familie unterstützte er, solange der in Westpreußen gelegene Ort noch zu Deutschland gehörte, weil er sonst wegen Nichtversorgung seiner Familie bestraft worden wäre, sandte ihr aber nichts mehr, als der Ort an Polen abgetreten und er nun nichts mehr zu befürchten hatte.
Seine Handelsgeschäfte betrieb Wendt, wie sich jetzt herausgestellt hat, nur zum Schein. In Wirklichkeit betrieb er einen ganz planmäßigen Bettel im ganzen Deutschen Reich, der ihm große Summen einbrachte. In Berlin trug er ein künstliches Bein, mit dem er sich so gut bewegen konnte, dass ihm kaum anzusehen war, dass er einmal verunglückt ist. Dieses Bein legte er ab, nahm dafür zwei Krücken zur Hand, setzte sich eine Soldatenmütze auf, obwohl er gar nicht gedient hat, und markierte dann den feldgrauen „Schüttler“. Schon unterwegs im Zug begann er zu betteln. Er reiste von Ort zu Ort, setzte sich an einer Straßenecke nieder und „schüttelte“. Seine Bettelfahrten führten ihn überall hin, sogar nach der Insel Rügen. Trotzdem er überall nur ein paar Stunden „arbeitete“, hatte er einen Tagesverdienst von rund 150 Mark. In Breslau hatte er in einer Woche allein 2000 Mark Einnahmen.
Nie kehrte er ohne dickgefüllte Brieftasche nach Berlin zurück. Hier brachte er das erbettelte Geld dann immer ebenso rasch wieder durch, wie es ihm zugeflossen war.
Er legte hier sein künstliches Bein wieder an und spielte den Kavalier. Er hatte stets eine oder auch zwei Bräute, leichtsinnige Mädchen, die er nach der neuesten Mode einkleidete und machte mit diesen solange Zechgelagen, bis das Geld wieder alle war.



23. Oktober 1937 - Eggenberg (Graz, Österreich)

Der zehnmalgescheite Meisterschmuggler in der Falle.

Auf nicht alltägliche Weise ist in den letzten Tagen der Gendarmerie in Eggenberg ein langgesuchter Verbrecher in die Hände geraten. Es handelt sich um einen gewissen Karl Puschnigg, einen dreiundzwanzigjährigen Burschen aus Kappl, der einer der gefürchtetsten Viehdiebe und Schmuggler im steirisch-jugoslawischen Grenzgebiet ist.
Vergeblich wurde der verwegene Bursche seit Monaten verfolgt. Nun ist er durch seine eigene Frechheit der Gendarmerie ins Gehege gekommen. Puschnigg hatte „geschäftlich“ in Graz zu tun.

Da er nur sein armseliges Arbeitskleid anhatte, wagte er es nicht, sich in einem Gasthof einzuquartieren, auch in ein Asyl wollte er aus Angst vor einer Revision nicht gehen, so fuhr er, um es besonders raffiniert anzugehen, nach Eggenberg hinaus und bat kurz entschlossen bei der Gendarmerie um ein Nachtquartier.
Er glaubte nämlich, dass einer, der gar zur Gendarmerie um ein Nachtquartier kommt, nicht verdächtig sein könne. Er hat sich aber geirrt, den Gendarmen fiel gerade seine Frechheit auf, sie forderten ihn zur Ausweisleistung auf und schließlich entpuppte er sich als der langgesuchte Viehschmuggler.
Er ist nun für längere Zeit aller Quartiersorgen enthoben.



4. März 1927 - Budapest

Den Liebhaber zwei Jahre lang gefangen gehalten.

Aus Budapest wird berichtet: Ungeheures Aufsehen erregt hier die Affäre einer Frau Meszaros, der Gattin eines Provinznotars, die, von ihrem Gatten getrennt, in Budapest lebt und in ihrer Wohnung ihren Liebhaber, einen jungen Studenten, zwei Jahre lang gefangen gehalten hat.
Den Hausbewohnern fiel es auf, dass zwei Fenster der Wohnung der Frau Meszaros wochen- und monatelang dicht verhängt blieben. Den jungen Mann sah man nie ein- oder ausgehen. Als ihn zufällig der Hausinspektor erblickte, war er bestürzt, wie sich der Student in wenigen Wochen verändert hatte. Er trug einen langen Bart, sein Gesicht war fahl und seine Körperhaltung gebeugt.
Schließlich kam man darauf, dass die Frau den Studenten in einem Zimmer ihrer Wohnung Tag und Nacht gefangen halte und dass der junge Mann aus unbekannten Gründen vollständig in die Gewalt der Frau geraten sei. Er ließ seine Studien an der Universität im Stich, gab jeden Verkehr und jede Korrespondenz mit seinen in Fünfkirchen lebenden Verwandten auf und rührte sich monatelang nicht aus seinem verdunkelten, stets dicht verhängten Hofzimmer.

Flucht und reuige Rückkehr.

Vor etwa einem Jahre unternahm der Student einen regelrechten Fluchtversuch aus seiner Gefangenschaft. Er kletterte zum Fenster hinaus, sprang in den Hof und reiste, in vollständig herabgekommenem Zustand, nach Fünfkirchen zu seinen Eltern. Nach zwei Wochen erklärte er jedoch seiner Mutter, dass er nach Budapest zurückkehren müsse, weil er ohne die Frau, seine Geliebte, nicht leben könne. Er sagte, dass er zur Frau Meszaros in einem sexuellen Hörigkeitsverhältnis stehe und infolgedessen auch den Wunsch der Frau erfülle, die gemeinsame Wohnung niemals, auch nicht für Augenblicke, zu verlassen.
Alle Bitten seiner Eltern und Verwandten blieben fruchtlos, und Ladislaus Körtvelyessy kehrte vor einem Jahre reuig wieder in die freiwillige Gefangenschaft der Frau Meszaros nach Budapest zurück. Erst vor kurzer Zeit gelang es der Mutter des Studenten, die nach Budapest gekommen war, ihren Sohn unter großen Schwierigkeiten und mit Hilfe mehrerer Detektive den Händen der Frau zu entreißen und ihn nach Fünfkirchen zurückzubringen.
Bei dieser Gelegenheit wurde auch eine gerichtliche Anzeige gegen Frau Meszaros erstattet, wodurch die Angelegenheit in die Öffentlichkeit kam.



5. September 1919 - Berlin

Die missglückte Zuckerschiebung - Für 40.000 Mark Zucker unterschlagen.
Eine Zuckerschiebung lag einer Anklage wegen Diebstahls, Unterschlagung und Hehlerei zugrunde, die die 1. Ferienstrafkammer des Landgerichts I beschäftigte. Angeklagt waren die Schiffseigner Johannes Ducker und Albert Krankemann und der Bergmann Erich Ducker.
Die Angeklagten Ducker und Krankemann hatten während des Krieges viel Geld verdient und sich eine Zille gekauft. Vor einiger Zeit erhielten sie durch Vermittlung eines hiesigen Transportbüros den Auftrag, 4000 Zentner Zucker für eine Berliner Firma Groß u. Neumann, von einer Zuckerfabrik in Posen nach Berlin zu schaffen.
Auf der Fahrt hierher reifte in ihnen der Plan, die ganze Zuckersendung, die bei den damaligen Schleichhandelpreisen einen Wert von ungefähr 2.400.000,- Mark hatte, zu verschieben. Sobald der Zucker, der zur Nachtzeit an einer bestimmten Stelle des Großschiffahrtskanals Berlin-Stettin ausgeladen werden sollte, verschwunden war, wollten sie den Kahn gegen einen Brückenpfeiler laufen lassen oder ihn durch Herbeiführung eines Lecks versenken. Ducker telegraphierte von Landsberg aus an seinen Bruder Erich, der sich als Dritter im Bunde an dem Unternehmen beteiligen sollte.
Schon unterwegs führten die drei ein flottes Leben, denn sie begannen mit der Landbevölkerung einen schwunghaften Tauschhandel indem sie Butter, Eier, Schinken gegen Zucker eintauschten. Den Plan, den ganzen Zucker zu verschieben, scheiterte lediglich daran, dass sich niemand fand, der eine so hohe Summe zum Ankauf aufbringen konnte.
Immerhin fehlten, als die Zille endlich in Berlin ankam, 278 Sack Zucker im Werte von 40.000 Mark.
In der Verhandlung waren die Angeklagten zum Teil geständig, behaupteten aber, dass ihnen unterwegs viele Zentner Zucker gestohlen worden seien.
Nach mehrstündiger Sitzung kam das Gericht zu der Verurteilung der drei Angeklagten, und zwar wurden Johannes Ducker und Krankemann zu je einem Jahr Gefängnis, Erich Ducker zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt.



28. Februar 1923 - Berlin

Die Morphinistin mit dem Jagdschein - Der gute Ton auf der Anklagebank.

Die früher als „Großfürstin“ aufgetretene Putzmacherin Anny Sanneck, die jetzt den Namen Frau Bernicke führt, sollte sich gestern wiederum wegen fünf selbstständiger Betrugshandlungen vor der Strafkammer des Landgerichts I verantworten. Wie bei früheren Prozessen zeigte die Angeklagte sich wieder in der Rolle der „wilden Frau“, so dass gegen sie diesmal überhaupt nicht verhandelt werden konnte.
Schon vor der Vorführung hörte man sie in der Zelle toben. Mit den Worten: „Was fällt euch Quatschköpfen ein, mich so spät zu rufen und unten im Stall sitzen zu lassen“, betrat die Angeklagte die Anklagebank. „Was wollt Ihr überhaupt von mir, ihr alten Dussels, ihr habt mir ja keine Anklageschrift zugestellt, erst muß ich eine Morphiumspritze haben“.
Als der Vorsitzende, Landgerichtsdirektor Marschner, ihr sagte, er würde ihr zur Beruhigung ein Glas Wasser reichen lassen, schrie die Angeklagte: „Det wäre ja noch schöner, Wasser, das könnt ihr selbst saufen, eine Spritze will ich haben“.
Wie heißen Sie, fragte der Vorsitzende: „Jotte doch, so fragt man Diebe, vielleicht fragen Sie auch noch, wo ich mal geschlafen habe, übrigens können Sie mit mir reden, wie mit dem Kaiser“.
Als ihr der Anklagebeschluß vorgelesen wurde, schrie die Sanneck immer wieder: „Erst eine Spritze, dann wollen wir darüber reden, was hier gespielt wird“.
Vorsitzender: „Seit wann heißen Sie Bernicke, wo haben Sie geheiratet?“
Angeklagte: „Der liebe Gott und der Dompfaff haben mich getraut. Wat die hier überhaupt für eenen Heckmeck machen!“
Auf die Frage, wo sie geboren sei, antwortet die liebenswürdige Dame: „Ach was, laßt mich in Ruhe, ich will nichts wissen von eurem Mist. Mir ist alles wurschtig“.
Der Sachverständige, Doktor Ludwig Bürger, erklärt die Angeklagte für verhandlungsfähig und für eine Simulantin. Auf dieses Gutachten erging sich die Angeklagte in den wüstesten Beschimpfungen des Sachverständigen, die sich noch steigerten als Doktor Bürger sie als eine Morphinistin und hysterische Psychopathin, aber nur von verminderter Zurechnungsfähigkeit bezeichnete. „Warum muß dieser Mann immer gerade kommen, den ich nicht leiden kann, ich verlange Doktor Störmer. Ich habe ja einen Jagdschein von der Irrenanstalt“.
Vorsitzender, unterbrechend: „Wollen Sie nun verhandeln oder nicht, sonst lasse ich Sie abführen und Sie können noch lange sitzen“.
Angeklagte: „Was heißt das: Sie wollen nicht verhandeln? Ich bin doch die Angeklagte, aber meinetwegen können Sie Hackepeter aus mir machen“.
Weil mit der Angeklagten nicht zu verhandeln war, machte der Vorsitzende kurzerhand Schluss und hob die Sitzung auf. Beim Abführen schrie die Angeklagte: „Ja, so machen es diese Hunde. Ihr seid die Betrüger und müßtet hier sitzen und wir da oben“.



10. Januar 1923 - Berlin-Mitte

Sie werden nicht klug.

Durch das gemeingefährliche Treiben eines elegant auftretenden Schwindlers sind zahlreiche junge Damen auf das empfindlichste geschädigt worden. Vor dem Schöffengericht Berlin-Mitte hatte sich dieser Gauner, ein Kaufmann Arthur Landeman jetzt wegen Betruges zu verantworten.
Der Angeklagte, der stets in der vornehmsten Kleidung auftrat, machte sich in den Kaffeehäusern, in denen 5-Uhr-Tees stattfinden, an junge Damen heran. Im Laufe des Gesprächs erwähnte er dann so nebenbei, dass er nach langer Zeit mal wieder eine Vergnügungsreise durch Berlin machen möchte.
Die mehr oder weniger lebenslustigen Damen waren auch nicht abgeneigt, sich daran zu beteiligen. Sie schöpften auch keinerlei Verdacht, als der Kavalier sie um ihre Garderobenmarke bat, um die Garderobe selbst zu holen. Sie warteten längere Zeit. Doch, wer nicht kam, war ihr Kavalier, der, wie sich bald herausstellte, nicht nur mit ihrer Garderobe spurlos verschwunden war, sondern auch noch vergessen hatte, die Zeche zu bezahlen.
Die Folge war, dass die jungen Damen ohne Hut und Mantel nach Hause gehen mußten. Dieser Reinfall scheint jedoch die schnell entflammte Zuneigung zu dem eleganten Herren nicht beseitigt zu haben, denn in der gestrigen Verhandlung flogen recht zärtliche Blicke zu der Anklagebank hinüber, die erst erloschen, als zur Sprache kam, dass der Angeklagte verheiratet und Vater mehrerer Kinder ist.
Mit Rücksicht auf die Gemeingefährlichkeit seines Tuns und dem von ihm angerichteten großen Schaden erkannte das Gericht auf ein Jahr Gefängnis.


18. Januar 1936 - Berlin

Ein Warenlager als Indizienbeweis.

Einen seltsamen Anblick bot der Verhandlungssaal der 9. Großen Strafkammer des Landgerichts im Prozeß gegen den „Schrecken des Westhavellandes“, den vielfach, auch mit Zuchthaus vorbestraften Otto Boese.
Auf den Bänken, die sonst für die Sachverständigen und die Pressevertreter bestimmt sind, war ein ganzes Warenlager aufgestapelt. Radioapparate standen einträchtig neben Stiefeln, Wäsche, Bettzeug und Zigarren; ein Fernstecher lag zwischen Bestecks, Trauringen und goldenen Uhren, kurzum, der Bedarf eines kleinen Warenhauses war aufgehäuft.
All diese Dinge waren von Boese auf seinen Beutezügen durch das Westhavelland gestohlen worden, dazu noch Schinken und Speckseiten, ein halber Zentner Wurst, Kaninchen, Hühner und vieles andere mehr. Mindestens ein Dutzend Einbrüche konnten dem Angeklagten in der dreitägigen Verhandlung nachgewiesen werden.
Der aus Tremmen stammende Angeklagte war von März 1934 bis Ende 1935 mit seinem Fahrrad in die Dörfer gefahren und hatte dort die Diebstähle ausgeführt. Als man beobachtete, wie eines Tages ein gewisser Oskar Pelz einen wohlgefüllten Rucksack aus der Wohnung des Otto Boese davontrug, griff man zu.
Wegen einfachen Rückfalldiebstahls in drei und schweren Rückfalldiebstahls in neun Fällen erhielt Boese 8 Jahre Zuchthaus, 5 Jahre Ehrverlust und Stellung unter Polizeiaufsicht. Der bisher unbestrafte Pelz kam wegen Hehlerei in vier Fällen mit zwei Jahren Gefängnis davon.


26. August 1920 - Berlin-Mitte

Die Abenteuer des Zopfabschneiders.

Der Zopfräuber Robert Stöß, über dessen Verhaftung wir vor einigen Tagen berichteten, ist ein alter Bekannter der Polizei und Gerichte, die sich früher wiederholt mit ihm beschäftigen mußten. Stöß stammt aus einer angesehenen hanseatischen Kaufmannsfamilie und ist, wie einwandfrei festgestellt wurde, dem Haarfetischismus verfallen.
Beim Einzug der Kronprinzessin Cecilie in Berlin schnitt er „Unter den Linden“ einer ganzen Anzahl junger Mädchen die Zöpfe ab. Dabei wurde er verhaftet.
Eine Hausdurchsuchung förderte eine große Anzahl weiterer Zöpfe, die er alle mit Bändern und Schleifen versehen hatte, zutage. Zur Beobachtung seines Geisteszustandes wurde er nach der "Maison de santé" in Schöneberg gebracht. In dem vor dem Berliner Schöffengericht anstehenden Termin wurde er aufgrund der Sachverständigengutachten des Medizinalrats Dr. Leppmann und Dr. Hirschfeld freigesprochen. Er verblieb dann noch einige Zeit in der Anstalt und wandte sich nach seiner Entlassung nach Hamburg.
Etwa zwei Jahre später erwischte man ihn in Hamburg bei der Ausübung derselben Straftaten, und auch dort wurde er aufgrund des § 51 freigesprochen.
Nun ging er als Ingenieur (er hatte auf der technischen Hochschule in Charlottenburg studiert) nach Buenos Aires, und auch da wurde ihm nach Verlauf einiger Jahre seine unglückselige Veranlagung zum Verhängnis.
Nach dem Kriege kehrte er nach Deutschland zurück, um hier vor einigen Tagen wiederum als Zopfräuber und Taschendieb verhaftet zu werden. Sein Fall ist in verschiedenen wissenschaftlichen Büchern ausführlich beschrieben, am eingehendsten in einem Buch des Staatsanwalts Dr. Wulffen.
Wie Stöß nunmehr auch zum Taschendieb gesunken ist, konnte noch nicht aufgeklärt werden, denn in allen Gutachten, denen sich auch die Gerichte anschlossen, wurde stets seine große Anständigkeit hervorgehoben; möglich, dass die Not der Zeit ihn zum Taschendieb hat sinken lassen; hatte er doch, dank seiner unglücklichen Veranlagung, genug Übung, sich unbemerkt an seine Opfer heranzuschleichen.



26. August 1920 - Berlin

„Tante Lieschen“.
Eine gemeingefährliche Diebin stand gestern in der Person der unverehelichten Margarete Vogt vor der Strafkammer des Landgerichts I.
Sie sprach auf der Straße kleine Kinder an, nachdem sie festgestellt hatte, dass deren Mütter ihre Wohnung verlassen hatten. Sie wußte die Kinder unter allen möglichen Vorwänden zu bewegen, sie in die Wohnung einzulassen. Bald begrüßte sie die Kinder als „Tante Lieschen“, bald als „Tante Martha“ und gab vor, von der Mutter geschickt zu sein, um irgendetwas zu holen. Dann wieder erzählte sie, dass sie die Schneiderin sei, die Kleider abholen solle, um sie kürzer zu machen, oder sie solle die Garderobe umändern und dergleichen mehr. Gewöhnlich brachte sie auch gleich einen Reisekorb mit, indem sie dann in aller Gemütsruhe in Anwesenheit der gutgläubigen Kinder Garderobenstücke, Wäsche, Gold- und Silbersachen und was ihr sonst in die Hände fiel, packte und dann damit in einer Droschke von dannen fuhr.
Die Angeklagte hat in 15 Fällen dieser Art ihre verbrecherische Kunst mit Erfolg ausgeübt, außerdem hat sie sich noch in zwei Fällen als Ladendiebin betätigt. Der Gerichtshof erkannte auf 2 ½ Jahre Zuchthaus.



26. August 1920 - Berlin-Mitte

Frische Hörnchen.
Beamten des Dezernats B1 fiel gestern auf einer Streife durch die Linienstraße eine Gruppe von Galiziern auf, die mit frischer Backware ein Haus verließen.

Die Beamten gingen in das Haus hinein und kamen in die Wohnung einer Frau Kurz im vierten Stockwerk, wo sie eine groß angelegte Geheimbäckerei entdeckten. In einer Kammer neben der Küche war ein vollständiger Backofen eingebaut, in dem vier Galizier schneeweiße Hörnchen, Schrippen und andere feine Backwaren herstellten.
Die Bäckerei ging sehr flott, denn sie hatte eine ziemlich ausgedehnte Kundschaft, die für Schrippen eine Mark und für Hörnchen 1,25 Mark das Stück zahlte.



1. März 1927 - Berlin

Die „Direktors“ - Gattin in Verlegenheit - Verhaftung einer mitteleuropäischen Hochstaplerin.

Einen der gerissensten Schwindlerinnen, die schon seit 4 Jahren von den Kriminalbehörden Deutschlands, Österreichs und der Tschechoslowakei gesucht wurde, ist gestern endlich in Berlin verhaftet worden.
Bei Direktoren und Aufsichtsräten von Großbetrieben erschien eine Dame, die klagte, dass ihr das ganze Gepäck gestohlen worden sei. Je nach der Stadt ihres Auftretens gab sie sich als die Gattin eines Wiener, eines Prager oder eines Berliner Direktors oder Aufsichtsratsmitgliedes aus. Vornehm gekleidet und sehr gewandt, fand sie überall Glauben, zumal sie über die Familienverhältnisse des Direktors, dessen Namen sie gerade führte, allerlei zu plaudern wußte.
Wo sie es für angebracht hielt, versuchte sie auch, sich durch abenteuerliche Geschichten interessant zu machen. So erzählte sie gelegentlich, dass sich ihretwegen ein polnischer Graf, ein deutscher oder ein österreichischer Offizier erschossen habe. Auch wollte sie sich in Verzweiflung über Zumutungen einmal in die Stirn geschossen haben. Eine Narbe schien das zu bestätigen.
Die „Bestohlene“ wurde überall bedauert, und man half ihr gern mit 200 bis 500 Mark aus. Ihr Gatte sollte das Geld in den nächsten Tagen zurückschicken.
Ein Berliner Direktor hatte nun gerade Besuch einer Verwandten gehabt, als die angebliche Frau Direktor bei ihm vorsprach. Diese Verwandte hatte sich das Bild der Fremden genau eingeprägt. Gestern sah sie die „Dame“, von deren Schwindelexistenz sie dann erfahren hatte, auf der Straße und ließ sie festnehmen. Die „Frau Direktor“ wurde festgestellt als eine 36-jährige Frau Marie Lustig, geb. Leichler, aus Graz. Ein kleiner Ackerbürger hatte sie dort als Kind in Pflege genommen, aber wenig Freude an ihr erlebt. Seit 4 Jahren lebte sie von diesen Schwindeleien. Aus Handelsadressbüchern notierte sie sich die Namen der Direktoren und Aufsichtsratsmitglieder großer Firmen und kundschaftete deren Familienverhältnisse aus. In Berlin allein verübte sie nach den bisherigen Feststellungen 15 Betrügereien, aber auch von mindestens 20 anderen Städten des Reiches wurde sie gesucht.
Erst am Freitag voriger Woche suchte sie noch den Inhaber einer hiesigen Kunsthandlung heim, bei dem sie für 1 Million Mark Gemälde kaufte, die nach ihrem Hotel geliefert werden sollten. Schon dieses guten Geschäftes wegen hatte man auch hier der „Frau Direktor“ gern aus der „Verlegenheit“ geholfen. Als aber die Hausdiener die Gemälde brachten, ergab sich, dass die „Dame“ in dem Hotel nicht abgestiegen war. Es ist anzunehmen, dass mancher Betrogene gar keine Anzeige erstattet hat. Kriminalkommissar Brebeck bittet alle, das jetzt nachzuholen.


21. Januar 1921 - Gran

Vom Tode auferstanden - Das Abenteuer eines Scheintoten.

Gran, 7. Januar. Der Oberbuchhalter der Graner Industriewerke Paul Sinka wurde mit einer Brustfellentzündung in das dortige Spital gebracht. Die Ärzte nahmen eine Operation vor, der Patient starb aber während der Operation.
Die Leiche wurde in das städtische Totenhaus gebracht, wo die Aufbahrung erfolgte. Die Angehörigen hatten bereits Vorsorge für das Leichenbegängnis getroffen.
In der Nacht wurde der Friedhofsgärtner, dessen Wohnung in der Nähe des Leichenhauses sich befindet, durch heftiges Pochen aus dem Schlaf geweckt. Er glaubte, dass jemand in der Friedhofskapelle eingebrochen hätte und begab sich dorthin. Als er in die Nähe des Leichenhauses kam, hörte er zu seinem Entsetzen, dass der vermeintlich Verstorbene um Hilfe schrie.

Der Gärtner öffnete die Tür und der Totgeglaubte stand im Leichengewande an allen Gliedern zitternd vor ihm. Sinka war infolge der großen Kälte zu Bewußtsein gekommen, wollte sich im Sarge aufsetzen, als dieser umkippte und zu Boden stürzte. Fast wahnsinnig lief er darauf zur Tür, um aus der peinlichen Situation gerettet zu werden.
Der Gärtner gab Sinka Kleider und begleitete ihn bis zu seiner Wohnung, wo sich seine Frau und seine Kinder unter Tränen auf den Auferstandenen stürzten.


12. Februar 1929 - Wien

Erpressung an der Mutter.
Ein arbeitsloser junger Bursche stand gestern wegen Erpressung vor den Schöffen. Er hat seiner 64-jährigen Mutter, die sich als Näherin mühsam fortbringt, und der er immer im Sack hängt, einen Drohbrief voll wüster Beschimpfungen geschickt, weil die alte Frau ihn einmal krankheitshalber nicht empfangen konnte.
Er nannte seine Mutter in diesem Schreiben „entmenschte Bestie“, verfluchte sie und drohte ihr mit allerlei Racheakten.
Die geängstigte Greisin erbat Hilfe von der Polizei.
Der Schöffensenat verurteilte den Angeklagten zu zehn Monaten schweren Kerkers.


11. Februar 1929 - Wien

Das Geheimnis der Zelle Nummer 7 - Die verschwundenen Häftlinge.

Jeder Wiener hat sicherlich schon von der „Promenad“ gehört; so heißt das Polizeigefangenenhaus auf der Roßauerlände. Es ist nach dem Muster der amerikanischen Strafanstalten gebaut. Die Zellen liegen in einem sogenannten panoptischen Trakt, der infolge seines Traversenbaus von einem Punkt aus vollständig überblickt werden kann. Er enthält 141 Zellen, davon sind 91 Einzelzellen und 50 gemeinsame Zellen.
Im Erdgeschoß befindet sich eine große Zelle zur Unterbringung solcher Häftlinge, die darauf warten, zum Generalverhör geführt zu werden. Eines Tages waren der Vorstand des Gefangenenhauses und die Aufseher überzeugt, dass es in dieser Zelle nicht mit rechten Dingen zugehe. Sie hatten allen Grund zu dieser Meinung.
In dieser Zelle befand sich ein gefährlicher Verbrecher. Bevor man ihn eingesperrte, traf man alle erdenklichen Sicherheitsvorkehrungen, damit es ihm nur ja nicht gelinge, sich vor dem Verhör aus dem Staube zu machen. Die Gitter der Fenster, die Schlösser der Türen wurden auf das genaueste untersucht. Als der Häftling endlich in die Zelle gebracht war, stellte man einen Doppelposten vor die Türe.
Als aber der Auftrag kam, den Verbrechern vorzuführen, war der Vogel ausgeflogen...
Wohin? Die Wachleute waren ratlos. Die Untersuchung der Fenstergitter ergab nicht den geringsten Anhaltspunkt; sie waren in Ordnung. Durch die Türe war er nicht geflohen, die Mauern hatte er auch nicht durchbrochen. Wohin war er gekommen?
Das Haus wurde sofort abgesperrt und genau durchsucht, von dem Häftling aber war keine Spur zu finden. So kamen schließlich die Gangposten in den Verdacht, dem Verbrecher zur Flucht verholfen zu haben. Eine andere Erklärung gab es nicht.
Einige Zeit später. In der Zelle befanden sich drei Häftlinge. Plötzlich waren es nur mehr zwei…
Also konnte das mit rechten Dingen zugehen! Die Gitter waren intakt, die Mauern unbeschädigt, die Tür war versperrt und die Wachposten waren alte, erfahrene und bewährte Aufseher. Wohin war der Mann geraten?
Lachend plauschte es der eine der Häftlinge aus:
Der Entflohene war so mager, dass er durch die relativ weit voneinander abstehenden Gitterstäbe, die noch dazu keine Quersicherung hatten, hindurchschlüpfen konnte. Neben dem Fenster läuft der Blitzableiter und an diesem gelang es dem Manne, in den Gefängnishof zu klettern. Von dort mußte ihm die weitere Flucht leicht fallen. Täglich in der Frühe fährt der „grüne Heinrich“, der Schubwagen, dort vor, um die in den Polizeikommissariaten der einzelnen Bezirke gesammelten Häftlinge abzuliefern. Darauf spekulierte unser Mann. Er hielt sich im Hofe so lange versteckt, bis sich der „grüne Heinrich“ zur Abfahrt bereit machte. Unter dem Wagen wollte er sich dann verbergen und mit ihm ins Freie kommen.
Als man von dem Mithäftling das Geheimnis erfuhr - die Schubautos waren noch nicht weggefahren - durchsuchte man sofort den Hof und stöberte den Flüchtling auf.
Nun löste sich auch das Rätsel, wohin der kürzlich verschwundene Gefangene gekommen war. Seither hütet man sich aber im Polizeigefangenenhaus, einen mageren Häftling in die Zelle Nummer 7 zu stecken. Überdies wurde das Fenstergitter bereits durch eine starke Querstange gesichert.



24. Februar1928 - San Franzisko, Washington, Kanada (Montreal), Belgien, Wien und Paris

Der entlarvte Salonlöwe - Die Welt wurde ihm zu klein.

Als Viktor Glück vor 38 Jahren zu Lundenburg, damals noch Niederösterreich, das Licht der Welt erblickte, da ahnten seine Eltern noch nicht, welch glanzvolle, allerdings auch abschüssige Laufbahn ihrem Sprössling bevorstand.
Später hatten sie allerdings ein rechtes Kreuz mit ihm: Viktor dachte nicht daran, etwas zu lernen oder gar zu arbeiten. Nein, von der Gattung war er nicht. Sein Lebensziel war bummeln, durch die ganze Welt bummeln. Sein Wunsch ging in Erfüllung. Auf zwei Kontinenten hat der Lundenburger von sich reden gemacht. In Amerika begann es. San Franzisko, Washington, Kanada sendeten ihm ihre Steckbriefe nach: „Viktor Glück“, hieß es da, „rekte Wenner, rekte Werner, rekte Winny wird wegen zahlreicher Betrügereien und Unterschlagungen gesucht. Er verkehrt gern in Damengesellschaft, raucht starke Zigaretten und liebt Whisky“. In Kabaretts und Kaffeehäusern, in jeder vornehmen Bar, in den ersten Hotels war „Dr. Wenner aus Montreal“ wohl bekannt, überall hatte er die Zeche gemacht, ohne dem Wirt zu bezahlen. Als ihm drüben der Boden zu heiß wurde, brachte er den Ozean zwischen sich und seine Verfolger.
Europa: Zu seinen sonstigen Betrugschancen kam jetzt noch sein Amerikanertum. Aber das hielt auch nicht allzu lange, die Steckbriefe kamen auch herüber. Also nannte er sich Julius Wolf. Bald lief unter diesem Namen ein belgischer Steckbrief hinter ihm her. Auch die Heimat vergaß „Mr. Wenner aus Montreal-Lundenburg“ nicht.
Im Dezember 1924, als hier für Amerikaner Hochkonjunktur war, erschien er in Wien, stieg auf der Ringstraße ab, stattete einem großen Juwelier auf der Taborstraße einen sehr kostbaren Besuch ab und blieb natürlich alles schuldig. Nun hat ihn doch sein Schicksal ereilt.
Mr. Wenner sitzt im Pariser Untersuchungsgefängnis.


17. März 1929 - Wien

Wenn man im Kaffeehaus schnarcht - Das Lokalverbot ist berechtigt.

Die Kaffeehausbesitzerin Leopoldine Schell stand gestern wegen Verkaufsverweigerung vor dem Strafrichter.
Frau Flora Schön, eine ältere Dame, hatte zur Anzeige gebracht, dass ihr Frau Schell das Verabreichen von Kaffee und Tee in ihrem Kaffeehaus verweigert und sie vom Besuch des Kaffeehauses ausgeschlossen hat. Bei ihrer polizeilichen Einvernahme erklärte Frau Schell, es sei wohl richtig, dass sie der Anzeigerin nichts mehr in ihrem Kaffeehaus verabreichen ließ, allein mit Fug und Recht. Die Anzeigerin, so behauptete Frau Schell, ist ein sehr unleidlicher Gast. Immer wenn sie ins Kaffeehaus kam, ist sie nach kürzester Zeit eingeschlafen, hat geschnarcht und den Mund dabei so aufgemacht, dass ihr das künstliche Gebiss herausgefallen ist. Die übrigen Gäste haben sich darüber beschwert und so ist ihr nichts anderes übriggeblieben, als dieser Frau nichts mehr verabreichen zu lassen.
Die polizeilichen Erhebungen haben zwar die Richtigkeit der Angaben der Frau Schell bestätigt, trotzdem wurden sie aber wegen Verkaufsverweigerung angeklagt.
Ohne in das Beweisverfahren einzugehen, sprach der Richter die Angeklagte mit der Begründung frei, dass Kaffee und Tee nicht zu den notwendigen Lebensbedürfnissen gehören.



13. März 1929 - Budapest

Der alte Bettler - Er tobt und brüllt im Gerichtssaal - Er war, Gott sei Dank, jeden Tag betrunken.
Budapest, 11. März. Auf dem Kalvinplatz und in der Gegend des Museumsringes pflegte sich schon seit längerer Zeit, auf seinen gelben Stock gestützt, ein alter Bettler herumzutreiben. Er hatte schon wiederholt mit der Polizei Konflikte gehabt, weil er ohne Erlaubnis bettelte, und auch wegen Fluchens war er auf Grund der neuen Sittenverordnung schon wiederholt bestraft.
Vor einigen Tagen war er besonders schlechter Laune. Wenn ihm die Leute weniger als 20 Heller schenkten, warf er ihnen das Almosen zurück, indem er sie dabei anmaulte: „Davon kann man ja nicht einmal Hungers sterben!“
Der Alte wurde zur Polizei gebracht. Auf dem Wege balgte er sich mit den Polizisten, schlug mit dem Stock auf sie los und überhäufte sie noch dazu mit einer Flut von Schimpfreden, von denen aber ein großer Teil auf den Reichsverweser Horthy und auf die Regierung abfiel.
Dafür hatte sich der alte Bettler gestern vor dem Strafgerichtshofe zu verantworten. Mit Rücksicht auf sein hohes Alter von 70 Jahren - wie der Angeklagte behauptete, von 78 Jahren - gestattete der Präsident, dass er sitzend sich verteidigen kann. „Wovon er lebt? “ – „Derzeit…“, gab er trotzig zur Antwort, „…habe er Gefängniskost. Er habe nie jemand beleidigt, ihn aber habe die ganze Welt verfolgt, er war einmal Bildhauer, dann sei er im Leben untergegangen, die Menschen hätten ihn zugrunde gerichtet“. Eine Weile ruhig vor sich hinsinnend, fragte der Alte plötzlich: „Was will man denn eigentlich von mir haben? Man soll mich in Ruhe lassen, ich bin schon ein alter Mann!“
Es begannen die Zeugenverhöre. Der Greis wurde unruhig, als er hörte, wie die Zeugen gegen ihn belastend aussagten. Als der Polizist verhört wurde, begann er zu murren, wozu man diesen eigentlich verhört, er werde ja doch nicht sagen, dass er einen friedlichen, ehrlichen alten Mann deshalb verhaftet hat, weil er nichts angestellt hat. Als er dann einen anderen Zeugen in grober Weise beleidigte, erhielt er vom Vorsitzenden eine Ordnungsstrafe von zwei Tagen Einzelarrest. Dadurch geriet der Angeklagte Josef Simonovics nur noch mehr in Erregung, er begann laut zu schimpfen und zu toben und als die Zeugenverhöre endlich beendet waren, rief er mit gellender Stimme: „Im nüchternen Zustande habe ich noch nie jemand beleidigt, im Jahre 1928 bin ich - Gott sei Dank- niemals nüchtern ins Bett gekommen! Ich bin schon alt, ich muß rasch und viel trinken ehe ich sterbe!“
Der Staatsanwalt hielt seine Schlussrede, der alte Bettler machte laute Zwischenrufe und schrie schließlich aus voller Kehle: „Ich pfeife auf die Polizei! Ich pfeife auf den Polizeiminister!“ Dann blieb er einige Minuten lang wieder still.
Es folgte die Verkündigung des Urteils. Er bekam anderthalb Jahre Kerker.
Nun geriet der Alte völlig außer sich, er brüllte: „Das ist keine Gerechtigkeit! Das ist eine Schurkerei!“
Der Vorsitzende unterbrach die Verkündigung des Urteils und verhängte für diesen Zwischenruf über ihn eine Ordnungsstrafe von zwei Tagen Dunkelarrest.
„Und wenn ich 25 Tage bekomme…“, schrie Simonovics, „…es ist doch eine Schurkerei, einen alten Mann ohne Verteidiger vor Gericht zu stellen!“
„Hierfür bekommen Sie weitere vier Tage Dunkelzelle!“ verkündete der Vorsitzende.
„Es ist doch eine Schurkerei!“ rief Simonovics und erhielt dafür weitere vier Tage Dunkelzelle.
Inzwischen hatte sich aber der alte Mann schon dem Ausgang zugewendet, bei der Türe blieb er noch stehen und rief: „Räuberbande!“
Er wurde von den Justizsoldaten zurückgeschleppt. Er schimpfte und tobte in den unflätigsten Ausdrücken, fuchtelte mit seinem Stock herum, es bestand keine Aussicht, ihn zum Schweigen zu bringen.
Der Staatsanwalt ließ aus dem Gefängnis Fesseln holen. Noch immer brüllte und tobte der Alte. Der Staatsanwalt ließ ihm die Fesseln anlegen. Mit den gefesselten Händen schlug er auf die Bänke und wurde schließlich laut brüllend aus dem Gerichtssaal geführt.


12. April 1929 - London

Der Riesenschatz des Bettlers - Das Geheimnis eines alten Buches.

Vor wenigen Wochen ist in London ein 83-jähriger Arzt gestorben, ohne dass dessen Ableben in der großen englischen Hauptstadt irgendwelches Aufsehen erregt hätte. Dieser Arzt, sein Name war Dr. Foster, führte das Leben eines Bettlers, fristete in einer Mansarde sein kümmerliches Dasein und kam nur selten mit der Außenwelt in Berührung.
Dieser Tage aber ist der Tod Doktor Foster plötzlich zu einer sensationellen Angelegenheit geworden. Man hat nämlich die seltsame Entdeckung gemacht, dass dieser angebliche Bettler über ein Vermögen von 50.000 £ Sterling verfügte, also ein dreiviertel Million Schilling. Dr. Foster aber hat dieses Vermögen niemandem vergönnt und es so sorgsam versteckt, dass es erst jetzt durch einen Zufall entdeckt werden konnte.
Dr. Forster soll in jungen Jahren aus dem damals noch deutschen Elsass-Lothringen nach England eingewandert sein und im Armenviertel Londons sich als Arzt etabliert haben. Jedenfalls übte er die ärztliche Praxis nur kurze Zeit aus.
Mit vierzig Jahren zog er sich von diesem Beruf zurück. Was er dann getrieben hat, ist noch heute ein Geheimnis. In dem Hause, wo er, wie erwähnt, eine Mansardenwohnung innehatte, richtete er sich ein Laboratorium ein. Hier standen allerlei Apparate, Retorten und Phiolen, in buntem Durcheinander. So erzählen die wenigen Leute, die zu dieser Werkstätte Eintritt hatten.
In der Umgebung selbst hielt man den Doktor für einen Alchimisten, der mit seinen geheimen Experimenten das Rätsel des Goldmachens zu lösen sucht. Forster hatte auch eine große Bibliothek, die zum Teil auch nach seinem Tode vorgefunden wurde. Die meisten seiner Bücher waren lateinische Werke mittelalterlicher Goldmacher und moderne naturwissenschaftliche Bücher. Die Bücher rechtfertigten gewissermaßen die Gerüchte, dass Foster sich tatsächlich mit Goldmacherei befasst habe. Sicherlich dürfte er dabei ebenso wenig einen praktischen Erfolg erzielt haben wie seine zahlreichen Vorgänger.
In den letzten fünf Jahren verließ der alte Mann, der 83 Jahre gelebt hat, nur in den seltensten Fällen seine Behausung. Die alte Wirtin, die im selben Hause ein kleines Kabinett innehatte, durfte auch nicht mehr die Werkstätte Dr. Fosters betreten. Die Nahrungsmittel zu Mittag und Abend mußte sie durch eine Fensterluke dem alten Sonderling hereinreichen. So konnte auch der Tod Fosters einige Tage lang verborgen bleiben. Die alte Dienerin bemerkte eines Tages, dass die von ihr in die Wohnung hereingereichten Speisen unberührt geblieben waren.
Sie schöpfte Verdacht, die Tür wurde eingebrochen, man fand den alten Doktor auf einer Pritsche, über einem Haufen Bücher liegend, tot auf.
In der Mansardenwohnung herrschte die denkbar größte Unordnung. Die Einrichtung des Laboratoriums war bis auf wenige Apparate vollständig zertrümmert. Die Scherben von Retorten und Phiolen lagen auf dem Boden verstreut. Der alte Mann dürfte in der Vorahnung seines herannahenden Todes zuletzt seine Instrumente vernichtet haben. Bargeld wurde nur in einer Tischlade vorgefunden. Auch einen Teil seiner Bücher hatte der alte Sonderling vor seinem Tode verbrannt
Zwei Verwandte Doktor Fosters, die den alten Mann seit vierzig Jahren nicht gesehen hatten, kamen auf die Nachricht seines Todes nach London. Da sie in der Wohnung gar keine Wertobjekte außer den Büchern fanden, entschlossen sie sich, diese einem Trödler zu verkaufen. Dieser erklärte sich bereit, die meisten Bücher für wenig Geld zu erwerben.

Unter den Büchern, deren Ankauf er ablehnte, befanden sich einige dicke Bände. Auf diesen Bänden liegend, hatte man seinerzeit die Leiche Fosters aufgefunden.
Die beiden Verwandten erwogen bereits, diese Bücher zu verbrennen, als aus einem Bande plötzlich eine Banknote herausfiel. Eine nähere Untersuchung ergab, dass die Bände 50.000 £ enthalten haben. Die einzelnen Blätter waren zusammengeklebt und die Banknoten zwischen den verklebten Blättern verborgen.


3. Januar 1930 - Schwechat (Stadtgemeinde, südöstlich von Wien)

Bettlers Glanztag.

„Heut‘ hab‘ ich‘s aber gnädig!“ ruft ein kleines, bewegliches Männlein mit weißen Haaren im Vorraum des Verhandlungssaales des Bezirksgerichtes in Schwechat.
„Wir san ja net beim Rasierer, Herr…“, antwortet der Saalaufseher, „…sondern beim Gericht. Da geht‘s schön der Reihe nach“.
„Mit Stammkundschaften wird immer eine Ausnahm‘ g‘macht, auch beim Gericht“, erwidert der Alte und tritt in den Verhandlungssaal.
Richter: „Nun, Herr Christoph Wunderbaldinger, ausgerechnet am letzten Tag im Jahr beehren Sie mich mit so eiligem Besuch. Sie müssen warten, bis die laufende Verhandlung zu Ende ist. Dann nehme ich Sie gleich vor“.
„Das hab‘ ich doch gleich g‘sagt“, entgegnet der Mann. Nach wenigen Minuten, in denen der Alte seiner Ungeduld durch Hüsteln und Räuspern Ausdruck verliehen hat, ruft ihn der Richter zu Anklagebank.
Angeklagter: „Herr Richter, heut‘ machen Sie‘s kurz, denn heut‘ hab‘ ich wenig Zeit. Heut‘ ist ein Glanztag für mein Geschäft“.
Richter: „Ihr Geschäft ist ein verbotenes. Sie gehen immer wieder betteln, trotzdem ich Sie schon so oft eingesperrt habe“.
Angeklagter: „Das macht mir ja nix, es ist schön warm, a guat‘s Essen kriegt ma a, also z‘wegen was sollt‘ i denn net betteln geh‘n?“
Richter: „Sie sind doch in einer Anstalt für Altersschwache. Dort kriegen Sie ihr Essen, Ihre Kleidung, Ihr warmes Bett, was wollen Sie denn noch?“
Angeklagter: „Das hab‘ ich Ihnen doch schon ein paarmal erklärt, Herr Richter. I rauch‘ gern mein Wetschinerl (Anmerkung: eine Wetschinerl = Virginiazigarre) nach dem Essen und für das gibt mir die Anstalt leider kein Geld. Na und Sie werden begreifen, dass ein so alter Mann wie ich, schon ein Anrecht auf ein Seitel Bier hat“.
Richter: „Wenn Sie nur auf ein Wetschinerl und ein Seitel Bier fechten würden, könnte ich Sie freisprechen. Aber Sie trinken ja leider Schnaps“.
Angeklagter: „Weil mir die Leut in meinen Rayon damit aufwarten. Die kennen mich schon lange Jahre und jeder gibt mir gern an Schluck. I vertrag eh schon was, aber zum Schluß wird mir doch z’viel“.
Richter: „Diesmal haben Sie sich eine besondere Unverschämtheit geleistet. Sie sind zur Privatwohnung des Gendarmerie-Wachtmeisters von Schwechat gekommen und haben dort einen Schilling verlangt“.
Angeklagter: „Der wird ihn doch hergeben können. Bei der heutigen Zeit der Arbeitslosigkeit muß man sich an Fixangestellte halten“.
Richter: „Sie sind jetzt schon mindestens 20 Jahre im Bezirk, Ihnen würde so mancher kleine Arbeiten zukommen lassen. Stattdessen haben Sie so gegen dreißig Vorstrafen wegen Bettelei gesammelt und halten mir dann immer Vorträge, wie schlecht es Ihnen geht.“
Angeklagter: „So schlecht, dass ich auf meine alten Täg zum Arbeiten anfang, geht es mir noch lange nicht“. (Heiterkeit.)
Richter: „Sie haben 48 Stunden Arrest, gehen Sie ins Gefangenenhaus und treten Sie die Strafe gleich an“.
Angeklagter (entsetzt): „Gleich an? Was fällt Ihnen ein, Herr Richter? Heut ist mein bester Geschäftstag im Jahr, da gibt jeder was her. Heut gehts ganz ausgeschlossen, i komm am 2. Jänner. Heut kriag i sogar vom Neidigsten a Stamperl Schligowitz“.
Richter: „Also kommen sie halt am 2. Jänner. Und etwas Gutes heben wir Ihnen als ‚Stammkundschaft‘ auch auf“.
Angeklagter: „Sie haben a goldenes Herz. Sie sollen noch recht lange leben und in Schwechat Richter bleiben, das wünsch ich Ihnen zum näuchen Jahr“.



16. Juli 1936 - Ohlsdorf (Ohlsdorf - Gemeinde in Oberösterreich im Bezirk Gmunden)

Ein bettelnder Hausbesitzer.

Linz, 15. Juli. In der vergangenen Woche wurde in sämtlichen Bundesländern eine große Razzia nach berufsmäßigen Bettlern durchgeführt. Die meisten Verhaftungen erfolgten in Oberösterreich, Salzburg und Kärnten.
Im Zuge der Razzia in Oberösterreich wurde in Ohlsdorf der Kriegsinvalide Karl Wolfsgruber aus Ebensee festgenommen. Bei der Überprüfung seiner Personalien wurde festgestellt, dass Wolfsgruber eine monatliche Rente von 138 Schilling bezieht und in Ebensee, Kalvarienberg 7, ein eigenes Haus besitzt.



30. Mai 1929 - Gyöngyös (Gyöngyös - ungarische Stadt; etwa 90 km östlich von Budapest)

„Mit dem Pfeil, dem Bogen…!“
Sonderbarer Schweineraub in Ungarn. - Der 82-jährige Scharfschütze. - Seit 60 Jahren in den Wäldern verborgen.

In den letzten Monaten wurden bei der Gendarmerie in Gyöngyös ganz mysteriöse Schweinediebstähle angezeigt. Die Tiere verschwanden auf ganz mysteriöse Art und Weise. Schließlich fehlten in der Umgebung von Gyöngyös nicht weniger als 150 Schweine. Da alle Nachforschungen vergebens blieben, griffen die Gendarmen zu einer List.
Zwei Beamte versteckten sich in einem dichten Gebüsch und ließen ein fettes, rosiges Jungschweinderl auf die Weide treiben. Zwei Stunden lang erlabte sich das Dickerchen an den saftigen Pflanzen. Da fiel es plötzlich wie vom Blitz getroffen um und hatte damit ausgegrunzt.
Von der anderen Seite des Weideplatzes kam ein alter Mann in Bauernkleidung aus dem Gebüsch und ging auf das tote Schwein zu. Die Gendarmen sprangen mit schussbereiten Gewehren aus ihrem Versteck und verhafteten den Alten, der sich widerstandslos festnehmen ließ.
Stolz rief er: „Ich bin der Takacs-Michel, der Betyar! Ich war schon Mitglied der berühmten Idroczyn-Bande“.
Der Mann ist 82 Jahre alt. Das Schwein hatte er mit Pfeil und Bogen erlegt.
Bei den Behörden gab er eine Schilderung seines romantischen Lebenslaufes. Nach seiner letzten Verurteilung vor 60 Jahren verschwand er in den dichten Wäldern. Bei Tag verbarg er sich, bei Nacht besuchte er die Dörfer und tauschte in Schlingen gefangenes Wild gegen Lebensmittel ein. Vor kurzem organisierte er aus jungen Burschen eine Bande, die sich an den Schweineraub machte. Der Alte war selbst der Schütze. Man konnte nicht glauben, dass der 82-jährige noch eine derartige Treffsicherheit besitze.
Gekränkt verlangte er seinen Bogen und die Pfeile. Auf eine Distanz von 300 Schritten traf er bei Dutzend Schüssen einen kaum armdicken Ast - jedes Mal!
Er bedauerte nur, dass er wegen so einer Kleinigkeit, wie es der Schweineraub war, den Behörden in die Hände fiel. Seine Bandenkameraden kennt Takacs nur nach dem Vornamen, sodass sie die Gendarmen bisher noch nicht ausforschen konnten.


27. September 1934 - Budapest

Ehebruch mit der Schwiegermutter.

Die groteske Tatsache, dass zwischen einem Schwiegersohn und seiner Schwiegermutter ein ehebrecherisches Verhältnis bestand, beschäftigte ein Budapester Gericht. Durch das Verhältnis zwischen Schwiegermutter und Schwiegersohn ging die Ehe eines jungen Mannes in die Brüche, obwohl er Vater wurde. Aber Vater des Kindes seiner Schwiegermutter.
Die junge Frau K. war auf Sommerfrische gefahren. Sie tat es mit bestem Gewissen, den Heim und Mann waren in guten Händen. Hatte ja ihre eigene Mutter ihre Vertretung übernommen.
Diese Vertretung ließ sie sich aber mehr angelegen sein, als es der jungen Frau wünschenswert erscheinen mochte. Und die Folge dieser Urlaubsvertretung war ein intimes Verhältnis des Ehemannes mit seiner Schwiegermutter. Und nun ist es der jungen Frau keineswegs zu verübeln, dass sie sich, als sie zurückkam und erfuhr, dass sie Schwester eines Kindes werden soll, dessen Vater ihr eigener Mann war, scheiden ließ.
Das schönste am Ganzen ist aber nun, dass der Schwiegersohn für das Kind seiner Schwiegermutter Alimente zahlen muß. Die Schwiegermutter hatte nämlich gegen den zärtlichen Schwiegersohn eine Alimentationsklage eingebracht.


27. September 1934 - Wien

Ein Millionär, der nicht lesen und schreiben kann.

Es ist geradezu unglaublich und seltsam, dass es heute noch einen Kaufmann, einen Millionär gibt, der weder lesen noch schreiben kann. Von dieser Tatsache konnte man sich gestern in einer Verhandlung vor dem Fünfhauser Richter Landgerichtsrat Dr. Stark überzeugen. Dort hatte sich der Inhaber eines Konfektionsgeschäftes Jakob B. Wegen einer Ehrenbeleidigung zu verantworten. Er soll gegen seinen Nachbarn und Konkurrenten Herrn Dominik P. Eine Anzeige erstattet haben, in der es hieß, P. habe Passanten aufgefordert, den Laden des Klägers zu plündern.
Herr Jakob B. verantwortete sich damit, dass die Anzeige gar nicht von ihm stammen könne, da er weder lesen noch schreiben könne. Die Anzeige sei von seinen Kindern, allerdings ohne sein Wissen, geschrieben worden.
Die Verhandlung endete mit einem Vergleich.



28. Februar 1935 - Wien

Verwegener Heiratsbetrug mit Hilfe eines Ärztemantels.

Einem besonders verwegenen Heiratsschwindler, der zuletzt gleichzeitig mit drei Hausgehilfinnen verlobt war, wurde dieser Tage das Handwerk gelegt.
Der heißt Johann Bigel, wohnte zuletzt in der Bürgerspitalgasse 22 und wurde in Währing verhaftet. Durch ein Inserat in einer Wochenzeitung lernte er drei Hausgehilfinnen kennen. Das Inserat hatte folgenden Wortlaut:
„Junger, intelligenter Mensch sucht Köchin oder Gasthausangestellte mit Kapital zur Geschäftsgründung.“
Auf dieses Inserat fielen ihm auch drei Hausgehilfinnen hinein, denen er erzählte, dass er Zahntechniker sei und die Absicht habe, sehr rasch einen eigenen Hausstand zu gründen.
Er verlobte sich mit allen dreien, ohne dass eine von der anderen etwas wußte, und trat zu allen dreien gleichzeitig in intime Beziehungen. Er bestellte die drei Mädchen in das Atelier eines befreundeten Zahntechnikers, wo er seine Bräute in einem Ärztemantel begrüßte. Der Reihe nach empfing er die drei Mädchen in dieser Aufmachung, und der Reihe nach, wie er sie kennengelernt hat, nahm er ihnen ihre Ersparnisse ab, angeblich zum Ausbau seines Ateliers.
Die drei Mädchen opferten dem Gauner 3400 Schilling. Eines der drei Mädchen ist bereits Mutter geworden, während die beiden anderen vor der Entbindung stehen. Der gewissenlose Heiratsschwindler, der innerhalb kurzer Frist Vater von drei ledigen Kindern wird, ist verheiratet und Vater von sechs ehelichen Kindern.
Bigel, der auch noch andere Gaunereien verübte, wurde dem Landesgericht überstellt.


2. und 3. Oktober 1934 - Wien

Der Hausgehilfinnen - Trost sitzt wieder!

Einer der gefährlichsten Heiratsschwindler, den die Wiener Polizei in ihrem Strafregister verzeichnet hat, der schon wiederholt erwähnte Otto Trost, der zuletzt in der Josefstädterstraße 16 gemeldet war, wurde wieder einmal verhaftet. Er hat diesmal eine Hausgehilfin um ihre Ersparnisse von 2000 Schilling gebracht.
Otto hat es auch diesmal nicht anders gemacht als in den früheren Fällen. Es begann mit einer Heiratsanzeige:
„Eisenbahner sucht ernste Bekanntschaft zwecks Ehe“.
Sie war kurz, aber der Titel „Eisenbahner“ verfehlte die Wirkung nicht. Die Hausgehilfin Maria, die bei einer Familie in Floridsdorf seit Jahren in Diensten stand, antwortete auf die Annonce, denn sie suchte seit langem schon einen solchen Eisenbahner. Ottos stilles und einnehmendes Wesen betört das arme Mädel, das durch zehn Jahre harter Arbeit, in der Zentralsparkasse 2000 Schillinge Ersparnisse liegen hatte, die ihr bisher 50 Schilling Zinsen eintrugen.
Man kam anfangs fast täglich zusammen. Otto und Maria gingen ins Kino. Arm in Arm gingen sie an Sonntagen spazieren und es dauerte nicht lange, und Otto und Maria zeigten ihre Verlobung an. Man traf sich in „Maria Zell“ und dort wurden schon die letzten Vorbereitungen für die Hochzeit getroffen. Otto zeigte dem Mädchen seine schöne Eisenbahneruniform - sie wurde gestern in der Wohnung des Trost versteckt gefunden - , und knapp vor der Hochzeit kam Otto plötzlich auf die Idee, dass Maria rasch ihr Geld abheben und gemeinsam mit seinen Ersparnissen im „Ausland“ anlegen müsse.
Maria hob das Geld ab. Sie übergab es Otto. Otto steckte es in seine Taschen. Und was weiter geschah, ist nichts Neues: Die Zusammenkünfte wurden seltener…
Aber Maria war schließlich doch geriebener als Otto. Es gelang ihr, ihn doch noch zu einem Stelldichein zu bewegen. Gestern Vormittag sollte es auf der Floridsdorfer Brücke stattfinden. Otto kam pünktlich hin. Aber Maria nicht. Statt ihr wartete ein Kriminalbeamter auf Otto.

Nun sitzt Otto Trost wieder dort, wo er Monate und Jahre zuvor schon öfters gesessen ist.
Trost stand übrigens vor zwei Jahren im Mittelpunkt einer aufsehenerregenden Affäre. Er hatte damals vom Gefängnis aus seine Stiefschwester beschuldigt, die eigene Mutter, den Stiefvater und die Schwägerin ermordet, also einen Dreifachmord begangen zu haben. Weiter erzählte Trost auch, dass ihm seine Mutter gebeichtet habe, dass einer seiner Brüder den berühmten Raubmord an der Trafikantin Jüllich von Jüllichstal verübt habe. Seine Behauptungen waren aber reine Erfindungen und Trost mußte sich einmal mehr nicht nur wegen Heiratsschwindels, sondern auch wegen Verleumdung verantworten.
In der Wohnung des berüchtigten Heiratsschwindlers Otto Trost wurde ein sensationeller Fund gemacht. Man fand Notizbücher, in denen Trost seine Erlebnisse mit den betrogenen Bräuten wie der Verwalter eines großen Warenlagers sachgemäß registriert hatte.
Otto Trosts Bräute-Registratur ist in zwei kleinen Notizbüchern untergebracht, die aber förmlich „Bände sprechen“. Die Registratur ist zweifellos sachgemäß und peinlichst sauber angelegt. Sie besteht aus drei Teilen. Im ersten Teil sind die Inserate eingetragen, durch die er Heiratslustige gesucht und gefangen hatte. Alles ist genau eingetragen und ebenso gewissenhaft wie übersichtlich registriert. Der Name der Zeitung, das Datum, das Kennwort, der Inhalt der Annonce und im Telegrammstil ist auch die Antwort auf Inserate von Ehebewerberinnen festgehalten.
Im zweiten Teil befindet sich eine Übersicht über die jeweiligen Quartiere, in die Bräute bestellt wurden oder in denen seine Briefsachen hinterlegt werden mußten.
Der interessanteste Teil jedoch ist der dritte Teil seiner Bräuteregistratur. Hier hat sich Otto Trost wirklich selbst als großer Frauenkenner entlarvt. Hier sind alle Frauen und Mädchen eingetragen, mit denen Otto Trost auf Grund von Inseraten in briefliche oder persönliche Verbindung getreten war. Man findet Dutzende Namen und Adressen. In dieser Rubrik hat er aber auch seine eigenen Pseudonyme und falschen Namen übersichtlich eingetragen, um nicht Gefahr zu laufen, der Antschi einmal als Franz Maser und ein anderes Mal als Robert Weber zu schreiben.
In dieser Rubrik sind aber auch die für sein Geschäft besonders wichtigen Daten eingetragen: die finanziellen Verhältnisse der Bräute. Da liest man, dass die Mary von der Bennogasse ein „schönes Haus“ hat und die Rosalia von Währing „Ersparnisse“ oder die Mia von der Praterstraße eine „schöne Wirtschaft“ und so fort.
Das eingelaufene Inseratenmaterial ist jedenfalls sehr gewissenhaft aufgearbeitet worden. Da findet man auch rote Striche bei jenen Bräuten, die „ausdrücklich“ erklärten, „vermögenslos“ zu sein, und diese roten Striche waren natürlich für Otto Trost das rote Tuch.
Und in einer weiteren Rubrik findet man die „persönlichen Eindrücke“ von jeder einzelnen Braut eingetragen: Sparsam, tadelloses Vorleben, vorsichtig, misstrauisch, leidenschaftlich, Vorkriegscharakter, hübsch aber dumm, fliegt auf das Gewisse, Vielschreiberin, sonnig und so fort bis Nr. 79. Das ist die Josephine von der Rechten Wienzeile. Sie ist die letzte in dieser sonderbaren Reihe interessanter Frauenanalysen Trostscher Methode…


11. Februar 1926 - Tarent (Tarent: Stadt in Italien - liegt in Apulien)

Eine sonderbare Trauung - Der gefesselte Bräutigam.
Vor dem Standesamt in Tarent in Italien fand dieser Tage unter recht ungewöhnlichen Umständen die Ziviltrauung des Paares Angelo Conte und Clara Cesca statt. Der Bräutigam, der wegen öffentlicher Gewalttätigkeit und wegen Verführung einer Minderjährigen eine mehrmonatige Strafe abzubüßen hat, kam zum Standesamt vom Kerker mit gefesselten Händen und unter Bewachung von zwei Karabiniere.
Als die Braut auf die Frage des Beamten antworten sollte, ob sie den Conte zum Mann nehme, brach das Mädchen in Tränen aus und bejahte die Frage schluchzend.
Plötzlich erschien ein starkes Aufgebot von Karabiniere, welches das Paar unter seinen Schutz nahm. Der Staatsanwalt hatte nämlich eben erfahren, dass eine gewisse Caterina Minio, eine frühere Geliebte Contes, erklärt hatte, sie werde den Conte erschießen, wenn er die Cesca heiraten sollte.

Da die Minio nicht gefunden werden konnte, schickte der Staatsanwalt eine starke Abteilung Karabiniere zum Standesamt mit dem Auftrag, das Paar zu schützen und die Minio sofort in Haft zu nehmen, falls sie sich zeigen sollte.
Der Bräutigam wurde unter starker Bedeckung in das Gefängnis zurückgebracht.



8. Februar 1933 - Wien

Poldl unter der haute vole‘e - Der Schmuck im Giletfutter.

Laut Polizeiprotokoll ist der 20-jährige Schneidergehilfe Leopold Slabihoud unterstandslos. Wie kommt also dieser Poldl in Nachtlokale, in denen meist nur solche Leute verkehren, die sich eine luxuriöse Lebensweise leisten können?
Wozu fragen, der Slabihoud wird schon wissen, warum er am 8. d. M. ein Nachtcafé auf der Wieden besuchte. Dort schloß er Bekanntschaft mit einem ungarischen Baron, der an dem jungen Mann so viel Gefallen fand, dass er ihn einlud, er solle ihn am nächsten Tag in seinem Hotel besuchen.
Der Schneidergehilfe ging frohgemut in das vornehme Hotel. Sein Pech wollte es, dass ihm der Baron irrtümlich eine falsche Zimmernummer gesagt hatte.
Slabihoud drückte auf eine Klinke und sah sich in einem Hotelzimmer, in dem keine Menschenseele zu finden war. Der Besucher ging bis ins Badezimmer, dort fand er zwar nicht den Baron, aber dafür anderes, was ihm wertvoller erschien - mehrere Schmuckstücke, und zwar einen Platinring, ein paar japanische Ohrgehänge und ein Halsband aus französischen Imitationsperlen. Diese Schmuckstücke waren Eigentum einer im Hotel wohnenden Gräfin.
Solch eine Gelegenheit durfte man nicht ungenützt lassen. Slabihoud steckte die Schmuckstücke ein, dann begab er sich zum Hotelportier, um ihn nach der Zimmernummer des Barons zu fragen.
Als er endlich am richtigen Ort angelangt war, erhielt er ein opulentes Frühstück und einige Schillinge.
Tags darauf fand in einem Café im zweiten Bezirk eine Tanzunterhaltung statt.
Unter den Gästen fielen vier Herren, die sich‘s an einem Tisch bequem gemacht hatten, nicht weiter auf. Am Tanz der Paare beteiligten sie sich nicht, offenbar war es ihnen im Saal zu warm.
Diese vier Gäste waren die Kriminalbeamten Oberinspektor Hagleithner und die Inspektoren Bock, Kadlec und Hoi. Als sie so um sich schauten, sahen sie einen jungen Mann, der neben ihm am Tische sitzenden Leuten einige Schmuckstücke zeigte, die er aus dem Futter seiner Weste hervorgezogen hatte.
Die Kriminalbeamten sprachen kein Sterbenswörtchen, sie verständigten sich nur durch kurze Blicke. Als der junge Mann das Lokal verließ, standen die vier Gäste auf, sie gingen auf die Straße. Plötzlich legten sich schwere Hände auf die Schultern des Jünglings - er wurde zur Ausweisleistung aufgefordert. Und dann griff einer der Beamten unter das Gilet - er zog das Perlenhalsband, den Ring und die Ohrgehänge hervor.
„Woher haben S‘ denn das?“ Der junge Mann - es war Slabihoud - stotterte verlegene Worte, er behauptete, ein Unbekannter habe ihm den Schmuck zum Verkauf übergeben.
Beim Verhör im Kommissariat Brigittenau mußte er aber seine Erlebnisse vom Vortage eingestehen. Vierzehn Stunden, nachdem die Gräfin den Diebstahl bemerkt hatte, konnte sie schon von der Zustandebringung des Schmuckes verständigt werden.
Jetzt hat die Polizei ein Auge auf den freundlichen Gastgeber Slabihouds, den ungarischen Baron, der es vorgezogen hat, das Weite zu suchen.


8. Februar 1933 - Wien

Beim Schmuggel mit 40 kg Seidenstrümpfen ertappt - Ein Wiener und ein Rumäne verhaftet.

Der Wiener Polizei ist es abermals gelungen, eine große Schmuggelaffäre aufzudecken. Über telegrafische Weisung der österreichisch-schweizerischen Grenzstation in Buchs wurden von der Polizeiinspektion des Westbahnhofes unmittelbar nach dem Eintreffen des Pariser D-Zuges auf dem Westbahnhof zwei Männer verhaftet, die im Verdacht stehen, seit Monaten einen großzügigen Schmuggel zwischen der Schweiz und Österreich betrieben zu haben.
Bei den beiden Männern, es handelt sich um den Rumänen Idelovic und den Wiener Josef Rapard, wurden zwei Reisekoffer gefunden und beschlagnahmt, die insgesamt 40 Kilogramm Seidenstrümpfe enthielten.
Die Seidenstrümpfe wurden, wie die Erhebungen ergaben bei Buchs über die Grenze geschmuggelt. Da nach der Meldung der Grenzorgane die beiden Koffer bei der Grenzvisitation leer waren, wurde nachgeforscht, wie es den beiden möglich war die Seidenware über die Grenze zu schmuggeln.
Sie wurden einer eingehenden Leibesvisitation unterzogen und dabei wurden im Mantel des Rumänen versteckt Schraubenzieher und Schraubenschlüssel gefunden, mithilfe deren die beiden die Holzverschalungen in ihrem Coupé, in dem sie die Fahrt nach Wien machten, abschraubten.
Hinter den Holzverschalungen haben sie dann die in Buchs gekaufte Seidenware versteckt und auf diese raffinierte Weise gelang ihnen der Schmuggel.
Der Schaffner des Zuges gab an, dass die beiden schon in Buchs ein eigenes Coupé bestellt hatten und streng darauf achteten, dass sie in ihrem Abteil bis nach Wien alleine blieben. Idelovic und Rapard wurden dem Landesgericht überstellt.


10. Februar 1933 - Freistadt (oberösterreichische Stadtgemeinde im Unteren Mühlviertel)

Der Hüterbub als Falschmünzer.

Als ein Zeichengenie, aber auch als arger Missetäter hat sich der 16-jährige Hüterbub Anton Engleitner aus Liebenau entpuppt.
Durch die Gendarmerie wurde festgestellt, dass Engleitner in Ortschaften des Bezirks Freistadt etliche falsche Noten zu 100 Schilling an den Mann brachte, die er zuvor mit freier Hand, mit Pinsel und Feder hergestellt hatte.
Über Auftrag der Staatsanwaltschaft wurde der Hüterbub in Haft genommen, ebenso sein Vater, der Kleinbauer Ignaz Engleitner und zwei seiner Geschwister, die dem jugendlichen Fälscher bei der Ausgabe der „Hunderter“ behilflich waren.
Engleitner hatte behauptet, dass er insgesamt nur sechs Noten hergestellt und fünf ausgegeben habe. Nun wurden aber neuerlich Falsifikate beschlagnahmt, so das feststeht, dass der Hüterbub mindestens neun Noten zeichnete.

Wie die Geschädigten erklärten, erkannten sie die Fälschungen überhaupt nicht, erst bei Vergleich mit einer echten Note waren Unterschiede wahrzunehmen.
Auch die Nationalbank bezeichnete die Falsifikate als überaus gut gelungen. Unter den Geschädigten befindet sich der Kaufmann Ignaz Kallina aus Harrachstal, der erst durch die Gendarmerie veranlasst wurde, in seiner Kasse Nachschau zu halten und bei dieser Gelegenheit eine falsche Note zu 100 Schilling entdeckte.
Anton Engleitner hat angegeben, dass er für die Herstellung eines Falsifikates stets eine Woche benötigte.
In diesem Zusammenhang wäre noch daran zu erinnern, dass vor Monaten auf ähnliche Weise ein 14-jähriges Mädchen aus dem unteren Mühlviertel falsche 50-Schilling-Noten hergestellt hatte, die durch ihre Geschwister in Verkehr gesetzt worden sind.



18. Februar 1933 - Niederösterreich

Schreckliche Unvorsichtigkeit

Der Landarbeiter Rudolf Böhm weilte mit seinen drei Kindern in der Wohnung des Landarbeiters Josef Schmalzbauer. Die Kinder spielten mit einer Petroleumflasche und zerbrachen sie, sodass sich das Petroleum auf den Boden ergoss.
Böhm schickte die Kinder aus der Wohnung und wollte nun die Spuren ihres Spieles dadurch beseitigen, dass er das Petroleum anzündete.
Die Wirkung war katastrophal. Eine mächtige Flamme ergriff einen Kasten und ein Bett. Das Feuer breitete sich auf dem Dachboden aus und in wenigen Minuten stand ein Gebäudekomplex von 78 Meter Länge und 14 Meter Breite, bestehend aus Futterspeicher, Maschinen- und Geräteraum und acht Arbeiterwohnungen, in Flammen.
Alle Gebäude brannten bis auf die Grundmauern nieder. Der Schaden beträgt 110.000 Schilling.



25. Februar 1933 - Niederösterreich

Verhaftung eines „Wunderdoktors“.

In verschiedenen Volkshochschulen Niederösterreichs trieb sich ein Mann herum, der sich als Dr. Donecker-Forst vom Außendienst des Ministeriums ausgab, um psychoanalytische Studien an Kindern zu machen.
Als er Verdacht erweckte, wurde er verhaftet und als der zwölfmal abgestrafte Betrüger Karl Donecker-Forst erkannt. Die Gendarmerie stellte fest, dass Donecker, der Schweizer sein soll, sich vor Jahresfrist als Wunderdoktor in der Gegend von Stubenberg in Steiermark herumgetrieben hat. Von weit und breit kamen kranke Bauern zu ihm.
Der Patientenzustrom wurde so groß, dass er sich in der Person eines arbeitslosen Bergarbeiters einen Assistenten nahm. Bei dem „Wunderdoktor“ wurden die gefährlichsten Gifte, so ein halbes Kilogramm Strychnin, Tollkirschengift, Opium und Zyankali, gefunden.
In Rabenwald hatte er einem Kind Herztropfen verschrieben, worauf dieses zwei Tage später tot war.



17. Februar 1933 - Wien

Um den Vater zu ärgern.

Der 20-jährige Franz G., Sohn eines Polizeibeamten, hatte mit seinem Vater Streit. Wutentbrannt verließ er die elterliche Wohnung und dachte darüber nach, wie er seinen Vater am empfindlichsten treffen könnte. Für einen Polizeibeamten ist es sicherlich das Peinlichste, wenn eines seiner Familienmitglieder ins Landesgericht eingeliefert wird, also wollte Franz ins Landesgericht kommen. Deshalb kam er auf folgende absonderliche Idee.
Er betrat ein fremdes Haus, aus dem er ein achtjähriges Mäderl heraustreten gesehen hatte und wahrnahm, dass es nur einen kleinen Auftrag besorgen und gleich zurückkehrten werde.
Als das Kind wieder zurückkam, ging er ihm bis vor die Wohnungstür nach und ohne ein Wort zu sprechen betastete er das Kind in unsittlicher Weise, damit rechnend, dass es nun kräftig schreien und Leute herbeirufen werde. Tatsächlich schrie das Kind mörderisch, der Vater kam sogleich heraus, die Nachbarsleute stürmten auf den Gang und Franz wurde als „Kinderverzahrer“ fest verprügelt und dann aufs Polizeikommissariat gebracht.
Vor dem Schöffensenat Strasser hatte er sich gestern wegen versuchter Schändung zu verantworten und wurde in geheimer Verhandlung nur wegen Übertretung gegen die öffentliche Sittlichkeit zu fünf Wochen strengen Arrests verurteilt. Die harte Strafe begründete der Vorsitzende mit Recht damit, dass das arme, unschuldige Kind durch den Bubenstreich in seiner seelischen Gesundheit schwer geschädigt wurde und seither keinen Schritt ohne Begleitung Erwachsener auf die Straße machen will.


18. Februar 1933 - Wien

Wo Frauen neugierig sind.

Wegen einer merkwürdigen Einschränkung der persönlichen Freiheit waren gestern vor dem Schöffensenat Strasser beim Landesgericht II drei junge Frauen angeklagt, und zwar Frau Therese B., die Hausgehilfin Anna F., und Frau Rosa K.. Alle drei wohnen in Mödling.
Eines Tages hörte ein 13-jähriges Mädchen, dass der 16-jährige schwachsinnige Wilhelm W. sich seiner Mannbarkeit rühmt. Daraufhin erklärt die Dreizehnjährige, man müsse diese Angaben überprüfen; Anna F. und Rosa K. waren dazu bereit. Sie fielen über den Schwachsinnigen her, entblößten ihn, rangen ihn zu Boden und nahmen die merkwürdige Untersuchung auf ihre Art vor. Dem Burschen gelang es schließlich, sich den Händen der beiden Weiber zu entwinden und davonzulaufen. Aber er kam nur vom Regen in die Traufe, denn als Frau B. von der Sache hörte, war auch sie neugierig und wiederholte den Vorgang.
Die Angehörigen des Schwachsinnigen erstatteten die Anzeige.
Der Schöffensenat verhandelte gestern über diese Sache unter Ausschluß der Öffentlichkeit, fand aber nur zwei Angeklagten der Übertretung der öffentlichen Sittlichkeit schuldig und verurteilte Anna F. und Rosa K. bedingt zu je fünf Tagen strengen Arrests und zur Tragung der aufgelaufenen Prozesskosten. Therese B. wurde freigesprochen.
In der Begründung sagte der Vorsitzende, dass der Schwachsinnige mit der Abtastung einverstanden war.



4. Juni 1929 - Frankfurt am Main

Vier Jahre lang als Dienstmädchen verkleidet.

Die Stadt Frankfurt am Main hat eine kleine Sensation: Einer ihrer Bürger, ein junger Mann, ist vor vier Jahren nach Amerika ausgewandert und hat sich in New York zwanzigtausend Mark als Dienstmädchen erworben.
Der junge Mann machte als neu angekommener Auswanderer in New York die Erfahrung, dass es nicht leicht sei, in New York als Mann eine einträgliche Beschäftigung zu finden, dagegen herrsche in der Stadt große Nachfrage nach deutschen Hausgehilfinnen.
Kurz entschlossen zog sich der Frankfurter Jüngling Frauenkleider an und alsbald hatte er eine gut bezahlte Stelle als „Perle des Hauses“ bei wohlhabenden Leuten in Brooklyn gefunden.
Vier Jahre lang verrichtete er, ohne sein Inkognito zu lüften, sämtliche Hausarbeiten zur Befriedigung seiner Gnädigen und lernte auch noch kochen, so dass sein Monatslohn sich in den zwei letzten Jahren von 80 auf 120 Dollar, natürlich bei freier Verpflegung, Quartier und Bekleidung, steigerte.
Vor einigen Tagen ist der junge Mann, mit einem Bankscheck auf zwanzigtausend Mark in der Brieftasche, an Bord eines Hapag-Dampfers in Hamburg angekommen.



7. Januar 1930 - Warschau

Ein Irrsinniger „enterbt“ seine Frau. 3200 Schilling zum - Waggonfenster hinausgeworfen.

Vor etwa einer Woche reiste Stanislaus Schimainsky, ein angesehener Warschauer Kaufmann, von Posen, wo er in einer geschäftlichen Angelegenheit geweilt hatte, im D-Zug nach Warschau zurück.
Seinen Mitreisenden fiel das unheimliche Benehmen des Mannes auf. Er führte irre Reden, aus denen die Leute in seinem Abteil herauszuhören glaubten, dass er in Posen einen großen geschäftlichen Verlust erlitten habe und vor dem gänzlichen Ruin stehe. Alles Geld - sagte er - das er noch besitze, habe er bei sich, werde es aber zu verhindern wissen, dass seine Frau ihn beerbe.
Plötzlich, es war hinter der Station Bentschen, sprang der unheimliche Passagier auf, drückte das Fenster hinunter, ergriff seine Koffer und warf sie zum Fenster hinaus. Während die Mitreisenden vor Schrecken gelähmt, regungslos dasaßen, zog Schimainsky unter irrem Lachen seine Brieftasche heraus und begann ihren Inhalt, Banknoten im Werte von 4000 polnischen Zloty (etwa 3200 S.) einzelnen hinaus zu streuen.
Jetzt endlich hatte sich einer der Passagiere gefasst und zog die Notbremse.
Während der Kaufmann, dem der Wahnsinn Riesenkräfte verliehen zu haben schien, durch das Stehenbleiben des Zuges aufs Äußerste gereizt war und wie rasend um sich schlug, ohne dass die anderen seiner Herr werden konnten, erschien das Zugpersonal. Endlich gelang es den vereinten Kräften der Beamten und der Passagiere, den Tobsüchtigen zu überwältigen.
Die Gepäckstücke und etwa die Hälfte des hinausgeworfen Geldes konnten zustandegebracht werden. Der Rest, etwa 2000 Zloty, war durch den Wind verstreut worden oder im metertiefen Schnee verschwunden.
Der Wahnsinnige wurde in das nächste Spital gebracht. Dort verabreichte man ihm ein Beruhigungsmittel, worauf er sofort in tiefen Schlaf verfiel.
Als er nach 36 Stunden erwachte, war er wohl sehr schwach, aber bei klarem Bewußtsein. Er erklärte, sich von dem Augenblick an, wo er den Zug bestiegen habe, an nichts mehr erinnern zu können. Weinend bat er seine Frau, die sofort an das Krankenlager ihres Mannes gereist war, um Verzeihung. Die Einwohner von Bentschen warten jetzt mit Spannung den Eintritt der Schneeschmelze ab, um nach den verschwundenen 2000 Zloty zu suchen.



20. Januar 1917 - Wien

Ein Drama vor 25 Jahren - Die Aufforderung an einen mutmaßlich Toten, vor Gericht zu erscheinen.

Eines jener gerichtlichen Edikte, die oft die Nachschrift zu einer erschütternden Tragödie bilden, ist an der Amtstafel des Zivillandesgerichts ausgehängt.
Ein Verschollener, der vor einem Vierteljahrhundert nahezu zweifellos von der Brigittabrücke hinabsprang und ertrunken ist, wird entsprechend den gesetzlichen Formen des Todeserklärungsverfahrens aufgefordert, vor dem Gericht zu erscheinen. Da sein Tod damals nicht als vollkommen erwiesen angenommen wurde, bedarf es dieses umständlichen Verfahrens, um ihn aus der Reihe der Lebenden zu streichen.

„Mich siehst nimmer! Ich wart‘ nur, bis‘ s finster wird…“

Das Edikt hat folgenden Wortlaut:
„Der am 16. Jänner 1858, Pfarre Roßau geborene, nach Wien zuständige Eisengießer Franz Sales Biefel, katholisch, verheiratet, zuletzt Währing, Kreuzgasse 60 bei Kolanek wohnhaft, begegnete am 28. April 1892 in angetrunkenem Zustande mehreren von der Leopoldstadt aus der Arbeit kommenden bekannten Eisengießern auf der Brigittabrücke und sagte zu einem derselben, Eugen Bognar: ‚Mich siehst nimmer! Ich wart‘ nur, bis‘ s finster wird‘.
"Am selben Abend meldete ein unbekannter Zivilist auf der Wachstube, dass soeben ein Mann von der Brücke in den Donaukanal gesprungen sei und übergab auf der Brücke gefundene Effekten, die als dem Vermissten gehörig erkannt wurden. Seither fehlt von dem Vermissten jede Spur und Nachricht. Es ist anzunehmen, dass die gesetzliche Vermutung des Todes, im Sinne der mit kaiserlicher Verordnung, vom 12. Oktober 1914, Reichsgesetzblatt Nr. 276, geänderten Fassung des § 24 a. b. G. B. eintreten wird. Deshalb wird auf Ansuchen der Ehefrau Josefa Biefel, Büglerin, 16. Bezirk, das Verfahren zur Todeserklärung eingeleitet und die Aufforderung erlassen, dem Gerichte oder dem Kurator Dr. E. Kraus, Nachricht über den Vermissten zu geben.
Franz Sales Biefel wird aufgefordert, vor dem Gerichte zu erscheinen oder auf andere Weise Nachricht von sich zu geben“.
Das Gericht wird nach dem 1. Februar 1918 auf neuerliches Ansuchen über die Todeserklärung entscheiden.



2. Juni 1929 - Möllersdorf (Möllersdorf bei Traiskirchen (ca. 20 km südlich von Wien) Niederösterreich)

Wenn Häftlinge Rummy spielen - Eine lustige Verwechslung im Polizeigefangenenhaus.

Der Hilfsarbeiter Ludwig Michelitsch wurde vor einiger Zeit dem Polizeigefangenenhause eingeliefert, um nach Verbüßung einer sechsjährigen Kerkerstrafe, der Zwangsarbeitsanstalt Möllersdorf überstellt zu werden.
Während seines Aufenthaltes bei der Polizei, lernte Michelitsch in der Zelle den Hilfsarbeiter Johann Körber kennen, der wegen einer geringfügigen Übertretung, nämlich wegen Vogelfanges, eine dreitägige Polizeistrafe zu verbüßen hatte. Als die Strafe Körbers vorbei war und sein Name vom Gefangenenhausaufseher aufgerufen wurde, damit er entlassen werde, trat Michelitsch vor und meldete sich dem Gefangenenaufseher als Johann Körber.
Der Aufseher bedeutete ihm, dass er gehen könne, worauf sich Michelitsch auf Nimmerwiedersehen entfernte. Einige Minuten später meldete sich der richtige Körber beim Aufseher zur Entlassung und tat ganz verwundert, als er hörte, dass ein anderer unter seinem Namen sich vorgestellt und die Entlassung erwirkt hatte.
Der Schwindel kam bald auf. Michelitsch wurde nach wenigen Tagen in Linz verhaftet und nach Verbüßung einer wegen des Betruges im Polizeigefangenenhaus verhängten Strafe der Zwangsarbeitsanstalt eingeliefert. Johann Körber hatte sich gestern wegen Mitschuld an dem Betruge im Polizeigefangenenhaus vor dem Bezirksrichter zu verantworten. Er erklärte, dass er mit Michelitsch sich vorher in keiner Weise verabredet hatte. Michelitsch dürfte gesprächsweise erfahren haben, dass er, Körber, zur Entlassung reif war.
Richter: „Der Gefangenenaufseher hat ja den Namen Johann Körber mit lauter Stimme ausgerufen, warum haben Sie sich denn nicht gemeldet?“
Angeklagter: „Damals habe ich gerade mit mehreren Häftlingen im Tagraum Rummy gespielt und war in die Kartenpartie derart vertieft, dass ich wahrscheinlich meinen Namen überhört habe“.
Der als Zeuge vernommene städtische Gefangenenaufseher Anton Kraus erklärte, dass die Verwechslung nicht möglich gewesen wäre, wenn nicht Michelitsch und Körber vorher den ganzen Plan genau verabredet hätten.
Der Richter verurteilte den bereits vorbestraften Körber wegen Mitschuld am Betruge zu vierzehn Tagen strengen Arrests.


26. Mai 1929 - Lugos (Frankreich)

Im Hotel „Zum Zuchthaus“ - Wie in Lugos der Fremdenverkehr gefördert wurde.

Im Hotel „Zum Zuchthaus“ stiegen die reichsten und zahlungskräftigsten Bauern aus der ganzen Umgebung ab. Weit und breit gab‘s nirgends eine bessere Verpflegung, nirgends eine gemütlichere Unterkunft, eine aufmerksamere Bedienung, und trotz allem: billigere Preise… Wenn darum auch rings in der Stadt die Hotelportiere die einzigen waren, die sich vor den Hoteleingängen „drängten“, im Hotel „Zum Zuchthaus“ war jede Zelle - pardon - jedes Zimmer, ausverkauft.
Im Hotel „Zum Zuchthaus“? Um der Wahrheit die Ehre zu geben, es war nichts anderes als das Zuchthaus selbst. Das Gefängnis von Lugos. Ein grauer, öder Ziegelbau mit langen Gängen, mit Doppelreihen vergitterter Zellentüren, Fensterluken und „Zimmern“, die zweieinhalb Schritte in der Breite, sieben in der Länge maßen.
Aber der Direktor des Zuchthauses war ein findiger Kopf und ein ausgezeichneter Geschäftsmann, darum vermietete er leerstehende Zellen an durchreisende Kaufleute, an Popen, Bauern und an Juden. Einzelzellen als einbettige Zimmer. Gemeinschaftszellen an Familien und Brautpaare.
Es gab immer Auswahl in Lugos und die Bauern stiegen gern im Zuchthaus ab. Allerdings nur für eine Nacht.
Pascu Busgan, der Gefängnisdirektor, saß an seinem papierübersäten Schreibtisch. Der Profoß klirrte mit einem Schlüsselbund. Im Ofen glühte ein lustiges Kohlefeuer…
“Alles vergeben?“
„Alles, Herr Direktor! Kein Loch ist frei im ganzen Haus, sogar die Isolierzelle hat ein Reisender für drei Tage gemietet“.
Pascu Busgan blickte seufzend auf den papierübersäten Tisch: „Und morgen ist Jahrmarkt! Die Hotels sind ausverkauft. Wir könnten konkurrenzlos vermieten. Da ist ein Großbauer, der zahlt, was wir verlangen“.
Aber der Profoß gibt nicht nach: „Alles vermietet, Herr Direktor“.
„Auch Zelle 47?“
„Da sitzt doch der Hühnerdieb, der sieben Monate bekommen hat“. –
„Und 69?“
„Der Totschläger“.
„105?“
„Ein Brandstifter…“
Die Zwangsinsassen des Hotels „Zum Zuchthaus“.
Die Faust trifft den wackligen Schreibtisch. Und das ist immer ein Zeichen: Pascu Busgan hat sich zu einem Entschluß durchgerungen. –
„Dann müssen wir sie alle auf Urlaub schicken!“
Der Profoß versteht nicht, wagt nicht, zu verstehen. -
„Hast Du verstanden, du Lümmel, acht Tage Gefängnisurlaub. Nach den Markttagen sollen sie sich wieder einfinden“.
Sein Wille geschah! Die Zellen öffneten sich. Diebe, Räuber, Einbrecher, Totschläger und Brandstifter verließen erhobenen Hauptes das Gefängnis. Feiertagsurlaub! Aber unten beim Tor wurde jedem noch extra eingeschärft: Wer wieder Urlaub bekommen wolle, der möge auch nicht mit leeren Händen zurückkommen.
Im Hotel „Zum Zuchthaus“ war jede Zelle vermietet. Die Gefängniswärter hatten sich in Stubenmädchen, Lohndiener und Köche verwandelt. Acht Tage währte die Herrlichkeit. Acht schöne lange Tage…
Dann kehrten die „Bodenständigen“ ins Haus zurück und brachten mit, was sie unterwegs „gefunden“ hatte: Ziegen, Hühner, Mehl, Eier, Wein, Kukuruz (österr. und altbayr. für – Mais), Geld, Umhängetücher…
Pascu Busgan trug alles fein säuberlich in sein Hauptbuch ein und rechnete es gewissenhaft dem Staat auf. Ja, er verstand sich aufs Verdienen! In Lugos gedieh der Fremdenverkehr und wer in die Stadt kam, fragte zuerst nach dem Zuchthaus. Pascu Busgan wurde ein reicher Mann, besaß ein mächtiges Zinshaus und ging daran, ein zweites anzukaufen.
Da traf in Bukarest ein Brief ein.
„Die Hotelbesitzer und Steuerzahler von Lugos erheben auf das entschiedenste ihre Stimme gegen die Konkurrenz, die ihnen das Zuchthaus macht.“
Eine Revision kam und fand in Lugos - keinen Verbrecher. Pascu Busgan wurde verhaftet und wird nun wohl selbst ein sicheres Abonnement auf so eine Einzelzelle in Lugos bekommen.
Die Bauern aber jammern über die Hotelpreise und denken an die seligen Zeiten zurück, wo man noch im Zuchthaus übernachten konnte.



25. Mai 1929 - Graz

Heiratsschwindler und Heimwehrorganisator - Ein interessanter Prozess in Graz.

Josef Rybak war lange Zeit einer der Macher der steirischen Heimwehren. Seine Aufgabe war es, die Autokolonnen zu organisieren, die zur größten „Freude“ der bodenständigen Bevölkerung Sonntag für Sonntag das Land unsicher machten. Rybak war mit Ragoßnig, dem Heimwehrmacher von Graz, gut bekannt und genoss in den sogenannten „heimattreuen“ Kreisen großes Ansehen.
Welche Enttäuschung! Gestern stand dieser Josef Rybak vor den Grazer Schöffen und die Anklage warf ihm Veruntreuung, Betrug, Falschmeldung, Dokumentenfälschung und Übertretung des Waffenpatentes vor.
Es ist nun gewiss interessant, das Vorleben dieser Heimwehrgröße kennen zu lernen. Rybak hat das, was man eine „bewegte Vergangenheit“ nennt. Er stammt aus einer tschechischen Familie, war erst ein verbummelter Student, wurde im Krieg Kadett und bekam nach dem Krieg in Prag drei Jahre schweren Kerkers! Was tut man nun, wenn man als schwer vorbestrafte Verbrecher einen Namen loswerden will? Sehr einfach; Rybak kaufte einem anderen seine Dokumente ab, fuhr damit nach Prag und warf sich zunächst auf eine Branche, in der schon mancher Gauner es zu was gebracht hat.
Er wurde Heiratsschwindler.
Eines Tages erschien in einer Grazer bürgerlichen Zeitung eine Annonce: Ein Offizier suchte - natürlich ehrbarsten - Anschluss an eine Dame. Und noch dazu unter „Bergheil 35“.
Eine siebenunddreißigjährige Lehrerin ging dem Schwindler auf den Leim.
Rybak-Blöderl - so nannte er sich auf Grund der falschen Dokumente - erzählte ihr einen fantastischen Lebensroman: Er sei Rittmeister, habe bei den Windisch-Grätz-Dragonern gedient, sein Vater sei Gardeoberst gewesen.
Wie er den Krieg verbracht hat? Oooh…, damals war er Spionageoffizier in Serbien und später war er bei den Flammenwerfern. Die Lehrerin erglühte in Liebe für diesen Flammenwerfer und lieferte ihm ihre ganzen Ersparnisse aus: 7300 Schilling! Ihr Bruder steuerte noch 3000 Schilling bei. Kurz und gut, der Heiratsschwindler kam auf seine Rechnung. Aber nun fand er die Heiratsbranche abgeschmackt. Er wollte auf eine neue Art Geld „verdienen“.
So kam er - zur Heimwehr!
Unter Abenteurern fällt ein Abenteurer nicht weiter auf und das Vorleben? Wer kümmert sich bei der Heimwehr um solche Kleinigkeiten. Die Hauptsache ist die Lust am Stänkern, Raufen und Morden!
Kurz und gut der Heiratsschwindler und vorbestrafte Verbrecher ging zur Heimwehr und wurde einer ihrer steirischen Organisatoren. Seine Aufgabe war es, die Autokolonnen zu organisieren. Unnötig zu sagen, dass der saubere Heimwehrheld auch da dick verdient hat. Das Nachsehen hatten diesmal die Chauffeure.
Rybak trug sich noch mit allerlei Ideen. Unter anderem dachte er an eine Neuauflage der steiermärkischen Schwindelbanken, aber schließlich wurde es in Graz doch bekannt, wer dieser Hahnenschwänzler Rybak-Blöderl eigentlich sei, und der Staatsanwalt erhob die Anklage.
Gestern drückte der saubere Heimwehrheld die Anklagebank. Vergeblich faselte er etwas von Schadensgutmachung. Das Gericht sprach ihn schuldig und verurteilte ihn zu fünf Jahren schweren Kerkers.
Eine Zierde des Heimatsschutzes hat sich zur Ruhe gesetzt.



31. Mai 1929 - Brüssel

Eine Heiratsschwindlerin und ihre siebenhundert Opfer.

Mit einem ungewöhnlichen Exemplar der Verbrecherspezies Heiratsschwindler werden sich demnächst die belgischen Gerichte zu beschäftigen haben.
Adrienne Guyot - sie wird beschuldigt, sich auf betrügerische Weise fünfzigmal verheiratet und 652 mal verlobt zu haben - diese Ziffer gibt wenigstens ihr Tagebuch an, das sie als ordentliche Geschäftsfrau geführt hat, und das nun zu ihrem Unglück in die Hände der Polizei gefallen ist, für die es eigentlich gar nicht bestimmt war.
Adrienne Guyot ist etwas über dreißig Jahre alt. Sie stammt von einer englischen Mutter und einem französischen Vater, der sich in „Mons“ als Geschäftsmann niedergelassen hatte.
Die Abenteuerin sieht gut aus, hat goldrotes Haar, eine elegante Figur und beherrscht fliesend mehrere Sprachen. Ihre Opfer suchte sie sich in den internationalen Luxushotels aus. Mit zahlreichen amerikanischen Reisenden trat sie dann die romantische Fahrt nach Gretna Green an, wo man in der berühmten Schmiede ohne allzu große Schwierigkeiten getraut werden kann.
So kam es, dass die Guyot immer mehrere „legitime“ Ehemänner hatte, bei denen sie abwechselnd lebte. Sie fand sich jahrelang unterwegs zwischen Paris, Brüssel, London und Rom. Einem Amerikaner, den sie auf diese Weise „geheiratet“ hatte, nahm sie so viel Geld ab, dass sie für vier Jahre auf eine Weltreise gehen konnte. Unterwegs warf sie aufs Neue ihre Netze aus. In Australien brachte sie es fertig, mit zwei Brüdern zur gleichen Zeit die Ehe einzugehen.
Nur durch einen Zufall gelang es, die Heiratsschwindler zu entlarven.
Ein Mann, der vor einiger Zeit das Glück gehabt hatte, Adrienne geheiratet zu haben, besuchte zufällig eine Kirche in Brüssel, in der gerade eine Hochzeitszeremonie vor sich ging. Die Braut kam ihm etwas bekannt vor und er erkannte in ihr seine ihm vor einigen Jahren angetraute und seitdem verschwundene Ehehälfte. Er teilte seine Entdeckung sofort dem Priester mit, worauf die Braut mit ihm in der Sakristei konfrontiert wurde.

Adrienne erklärte seelenruhig, den Mann nie vorher gesehen zu haben. Der Priester gab sich jedoch mit dieser Erklärung nicht zufrieden, sondern benachrichtigte die Polizei, die die Schwindlerin denn auch überführte. Die Guyot leugnete jetzt nicht mehr, im Gegenteil: sie erklärte sogar, sie habe nicht alle Ehen in ihr Tagebuch eingetragen, und es sei wohl möglich, dass die Zahl der ihr angetrauten Gatten noch höher sei.
Übrigens leben einige der Opfer nicht mehr; verschiedene Männer haben sich das Leben genommen, weil sie das Leben ohne den „Engel von Mons“, wie einer der fünfzig seine Adrienne genannt hat, nicht mehr ertragen zu können glaubten.


6. Januar 1923 - Berlin

Kettenhandel mit Zement - Schwere Bestrafung durch das Wuchergericht.

In der Bauwelt herrschen seit langem lebhafte Klagen darüber, dass es nur unter den größten Schwierigkeiten möglich ist, Zement zu erlangen und es ist schon offenes Geheimnis, dass Riesenmengen dieses so überaus wichtigen Materials über die Grenze verschoben werden, und zwar zu Preisen, die die deutsche Bauindustrie nicht zahlen kann.
Aus welchen Kanälen dieser „Schieberzement“ kommt, bewies eine die gesamte Bauwelt interessierende Verhandlung, die das Wuchergericht des Landgerichts III beschäftigte. Wegen Kettenhandels bzw. Preiswuchers mit Gegenständen des täglichen Bedarfs waren angeklagt der Kaufmann Bardelle, der Kaufmann Jagow, der Direktor Pernet, der Kaufmann Lampe und der Kaufmann Thrierer.
Der Architekt Latte in Hohenschönhausen hatte größere Fabrikanlagen und dazugehörige Wohnhäuser zu bauen. Alle Bemühungen, von dem sogenannten Zementverband Zement zu erlangen, scheiterten. Er wandte sich schließlich an die Baumaterialfirma Bardelle & Jagow in Charlottenburg und bat diese, ihm Zement zu beschaffen. Er betonte dabei, dass er auch höhere Preise zahlen würde.
Die Angeklagten Bardelle und Jagow wandten sich an den jetzigen Mitangeklagten Thrierer, der ebenfalls ein Baumaterialiengeschäft betreibt. Dieser wiederum setzte sich mit dem Angeklagten Lampe in Verbindung, der Inhaber der „Adri“-Waren-Vertriebsgesellschaft in Charlottenburg ist. Die Folge war, dass Latte durch die Kette der verschiedenen Zwischenhändler tatsächlich in den Besitz von zwei Waggons Zement kam. Als er aber einen Überpreis von 80.000 Mark je Tonne bezahlen sollte, wurde ihm die Sache zu bunt. Er wandte sich an das Wucheramt und erstattete Anzeige.
Der Staatsanwalt beantragte verhältnismäßig niedrige Geldstrafen. Hierüber ging das Gericht in Anbetracht der Sachlage weit hinaus.
Das Urteil lautete deshalb gegen Pernet auf 1 Million Mark Geldstrafe und zwei Wochen Gefängnis, ohne Anwendung einer Bewährungsfrist, gegen Bardelle und Jagow auf je 200.000 Mark und gegen Lampe und Thrierer auf je 100.000 Mark Geldstrafe.



24. Mai 1929 - Wien

Wozu die Polizei Zeit hat, und wie sie die Leute schikaniert.
Vor 21 Jahren, wirklich und wahrhaftig im Jahre 1908, hat ein löblicher k. und k. Bezirkshauptmann in Baden, den Marktfahrer Salomon E. aus Niederösterreich abgeschafft.
Inzwischen kam der Krieg, der Umsturz, die Republik.
21 Jahre vergingen. Salomon E. hat sie in Wien verbracht. Er war 20 Jahre lang anstandslos polizeilich gemeldet. Als er aber vor kurzem um eine neue Aufenthaltsbewilligung ansuchte, bekam irgendein Polizeifunktionär einen Rappel und erstattete die Anzeige. Nach 21 Jahren!
In der Verhandlung erklärte der Angeklagte, dass er in den letzten zwanzig Jahren, ohne jemals beanstandet worden zu sein, in Wien gewohnt habe und immer richtig gemeldet war. In den letzten Jahren habe er Wien überhaupt nicht verlassen. Der Verteidiger führte aus, dass, abgesehen von der Verjährung, von einer verbotenen Rückkehr seines Klienten nicht gesprochen werden könne, da das Abschaffungserkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Baden sich auf das frühere Niederösterreich erstreckt habe, Wien jedoch nicht mehr zu Niederösterreich gehöre.
Was der Bundespolizei offenbar bis jetzt entgangen ist.
Der Richter sprach den Angeklagten von der Übertretung der verbotenen Rückkehr frei.


31. Mai 1929 - London

Ein sechsjähriger Mörder - Mit dem Gewehr des Vaters.

London. Vor Gericht steht ein sechsjähriger Knabe. Die weißen Puderperücken der Richter, der feierliche Ernst des Saales machen keinen Eindruck auf ihn. Unbekümmert spielt er mit ein paar Zinnsoldaten, die er aus einer Hosentasche gezogen hat. Für den Gang der Verhandlung hat er kein Interesse.
Trotzdem ist es ein Sensationsprozess.
Die Ladies und Gentlemans auf den Zuhörerbänken betrachten den kleinen Knaben wie ein fremdes, bösartiges Tier. Sie können sich, wenn er kindlich lächelt, eines Schauers nicht erwehren. Denn dieser Sechsjährige, der mit der ganzen Unbefangenheit seines Alters vor dem ehrenwerten Gerichtshof seiner Majestät des Königs von Großbritannien und Irland steht, ist ein blutiger Mörder.
Mit einem achtjährigen Spielkameraden stritt er auf der Straße wegen eines Hufeisens, den sie beide gleichzeitig liegen gesehen hatten. Der Achtjährige erwies sich als der Stärkere; er prügelte seinen um zwei Jahre jüngeren Widersacher windelweich und nahm das Hufeisen an sich.
Der Sechsjährige lief in die Wohnung der Eltern, nahm das Gewehr des Vaters vom Nagel, lief auf die Straße, ein Schuß krachte und der Achtjährige lag, die tödliche Kugel im Herzen, in seinem Blute auf dem Pflaster.
Früher hatte er Zinnsoldaten mit Gummibolzen niedergeschossen. Sie fielen um, waren „tot“. Und jetzt schoß er mit einem richtigen Gewehr, und ein Gegner, der nicht ein Zinnsoldat, sondern ein kleiner, achtjähriger Mensch war, lag „richtig“ tot auf dem Pflaster. Der kleine Mörder wurde arretiert.
Der Gerichtshof verurteilte ihn zu 15 Jahren Erziehungsanstalt.
Vielleicht verstand er das Urteil nicht recht, vielleicht weiß er nicht einmal, was das ist: tot, unwiederbringlich Verlorenes, ewig Zerstörtes, das nie, nie mehr gut werden kann…
Er wurde abgeführt. Fünfzehn Jahre lang wird er nun erzogen werden. Dazu ist eine Erziehungsanstalt ja da. Das Ergebnis wird abzuwarten sein...


22. Januar 1927 - Berlin

Der lebende Leichnam - Die Invalidenkarte brachte es an den Tag.

Ein kaum glaublicher Schwindel wurde jetzt in Berlin nach acht Jahren durch einen Zufall aufgedeckt. Am 28. Juli 1918 fiel nach der Mitteilung der 5. Kompanie des Reserve-Infanterieregiments 93 der Grenadier Karl Schulz aus Berlin an der Westfront. Kameraden hatten ihn am selben Tag beerdigt. Seine Papiere und Wertsachen wurden der Witwe zugeschickt, die auch später einen amtlichen Totenschein erhielt. Im April 1924 heiratete sie einen Werkmeister und lebte seitdem mit ihm in glücklicher Ehe.
Vor einigen Tagen wurde die wiederverheiratete Frau Schulz vom Landesversicherungsamt Brandenburg vorgeladen. Dort war eine Invalidenkarte mit dem Namen Karl Schulz eingegangen, der nach Kenntnis des Landesversicherungsamtes 1918 gefallen war.
Die frühere Frau Schulz sollte nun angeben, ob ihr dieser Karl Schulz bekannt sei. Man teilte ihr die Wohnung des Mannes mit und sie fuhr dahin, um festzustellen, dass ihr seit acht Jahren totgeglaubter Mann lustig und vergnügt lebt.
Die Frau erlitt einen Nervenzusammenbruch. Ihr erster Mann hatte schon eine andere Frau geheiratet, bevor er die Ehe mit ihr schloß. Der angebliche Heldentod des Grenadiers ist nur damit zu erklären, dass er seine Papiere und Habseligkeiten einem gefallenen Kameraden in die Tasche steckte und dieser in der Dunkelheit als Schulz beerdigt wurde. Schulz muß dann desertiert sein und sich bis Kriegsende verborgen gehalten haben.
Diese abenteuerliche Geschichte wird allerdings für den Haupthelden, den lebenden Leichnam, peinliche Folgen haben, denn er wird sich nun wegen Desertion, Bigamie und Betruges vor den Justizbehörden verantworten müssen.


29. Januar 1927 - Stainach (Obersteiermark)

Ein Irrsinniger will einen Eisenbahnzug zur Entgleisung bringen, um eine Anstellung bei der Bahn zu erhalten.

In Stainach in Obersteiermark war vor einigen Wochen der Wechsel vor Eintreffen des Nachtschnellzuges mehrmals mit Steinen verkeilt. Eine Nacht passte man auf, und man faßte den Bäckermeister Max Gaßner ab, als er eben wieder den Wechsel mit Steinen verkeilen wollte. Max Gaßner hat das Bäckereigewerbe zurückgelegt, da die Bäckerei im Scheidungsprozess seiner Frau zugesprochen worden war. Nun wollte Gaßner eine Stelle bei der Bahn bekommen.
Dies erhoffte er sich dadurch, dass er den Schnellzug zur Entgleisung bringen würde, wodurch dann die Eisenbahner, auf die sich der Verdacht, den Anschlag verübt zu haben lenken würde, abgebaut werden würden und ihm sich die Aussicht eröffnet hätte, zur Bahn zu kommen.
Der Bedauernswerte, wurde natürlich als geistig nicht zurechnungsfähig befunden und in die Heilanstalt Feldhof gebracht.


Bevor im Nachgang weitere Kuriositäten folgen, hören wir doch zunächst einmal bei einer etwas ausgefallenen Berliner  Gerichtsverhandlung zu. Deshalb bitte ganz leise, denn im Gerichtssaal verkündet gerade der Beschuldigte die bedeutungsvollen Worte:

„Ich lehne das ganze Gericht ab“.


16. Februar 1923 - Berlin-Schöneberg

„Ich lehne das ganze Gericht ab“.

„Das ganze Schöffengericht mit allen Amtsanwälten, Staatsanwälten und Referendaren lehne ich ab, weil sie so große Schandtaten gegen mich ausgeführt haben“.
Mit diesen Worten betrat der Schneidermeister Anton Gaza die Anklagebank der Schöffenabteilung Schöneberg, wo er sich wegen öffentlicher Beleidigung der Beamten des Postamtes W. 30 verantworten sollte.
Es handelt sich um einen Kampf, den der Angeklagte seit drei Jahren wegen vermeintlicher Schädigung durch dieses Postamt führt. Er fühlt sich dadurch beeinträchtigt, dass seine Zeitung, die „Czennik Berlinski“, wiederholt nicht zugestellt worden ist. Er ist der Meinung, dass dies absichtlich geschehen sei und hat die Postbehörde seit Jahren mit Beschwerden und schwersten Beschimpfungen bombardiert. Auch bis zum Reichspräsidenten ist er mit seiner Beschwerde gegangen.
Zur Begründung seiner Eingangsworte führte der Angeklagte aus, dass die „Schandtaten“ der Post und der Gerichte ihm den Kopf verwirrt hätten.
„Heute bin ich geisteskrank und kann mich nicht verteidigen. Das Amtsgericht hat mich ermorden lassen wollen“.
Als der Vorsitzende dagegen einwenden wollte: „Um Gotteswillen“, drehte sich der Angeklagte um und rief in den Saal: „Gerichtsdiener, schleppen Sie die Akten herein! Man hat den Postdirektor Kohun und sein Kind auch schon ermordet, weil er in meiner Sache zu viel ausgeplaudert hat. Ich verlange, dass ich unter ärztliche Beobachtung gestellt werde“.
Vors.: „Sie sollten beobachtet werden, haben sich aber nicht gestellt“.
Angeklagter: „Wenn ich dorthin gegangen wäre, hätte man mich auch ermordet wie den Postdirektor. Einbrecher und Verbrecher fürchte ich nicht, aber die Verschwörer, die mir Tag und Nacht nach dem Leben trachten“.
Das Gericht hielt es für angebracht, den Angeklagten dringend durch den Gerichtsarzt auf seinen Geisteszustand untersuchen zu lassen...


8. Oktober 1936 - Preßburg

Es war einmal ein Bettler

In Preßburg hat sich am vergangenen Samstag folgendes zugetragen:
Um die zehnte Vormittagsstunde kam ein Bettler vor die Tür einer im zweiten Stockwerk befindlichen Wohnung und läutete die Hausfrau heraus. Sagt sein gewohntes Sprüchlein, vom Stück Brot, einer kleinen Gabe und dem Segen des lieben Herrgotts. Erst slowakisch, dann deutsch, und schickt sich eben an, es auch auf Ungarisch herzusagen. Aber gleich nach der deutschen Ansprache fällt ihm die Hausfrau ins Wort und bedauert lebhaft, daß sie ihm, genauso wie seinen heutigen sechs Vorgängern, nichts geben könne, denn sie habe selbst keinen Heller im Haus, da ihr Mann seit mehreren Monaten abgebaut wurde und nichts verdiene. Sie weiß selbst nicht aus noch ein, denn um elf Uhr wird der Milchmann um sein Geld kommen und da soll sie ihm 20 Tschechen Kronen geben, sonst wird er die Milchlieferung einstellen. Was sie dann mit ihren Kindern machen werde, das wisse nur der liebe Herrgott.
„Ja, das ist eine verzwickte Geschichte“ meinte der Bettler, „aber wissen Sie was, gnädige Frau, Sie haben mir schon so oft etwas geschenkt und die Kinder müssen ihre Milch bekommen, das ist klar. Sie werden es mir schon zurückgeben, gnädige Frau, und wenn nicht, so werde ich doch nicht in die Donau springen.“
Sagt es, greift in die Tasche und steckt der verdutzten Frau eine 20 Tschechen Kronen-Note in die Hand. Noch bevor die so überraschend Beschenkte ein ablehnendes Wort oder einen Dank herausbringen konnte, war der Bettler auf der Treppe verschwunden.
Es war einmal ein Bettler…


9. November 1922 - Leipzig

Der etwas andere Fleischeinkauf.

Der Gefangene als Wächter seiner Aufseher.
Der kuriose Fall, dass ein Gefangener seine total betrunkenen Aufseher selbst wieder nach dem Gefängnis bringt, spielte in einer Strafsache wegen Gefangenenbefreiung eine Rolle, die den 2. Strafsenat des Reichsgerichts in Leipzig beschäftigte. Es handelt sich um eine Anklage gegen den Strafanstalts-Oberwachtmeister Kahlenberg von dem Berliner Untersuchungsgefängnis und einem Hilfsaufseher von dem früheren Festungsgefängnis Spandau. Die beiden Angeklagten hatten im September vorigen Jahres den Auftrag erhalten, mit einem Strafgefangenen Krieger in Spandau Fleisch einzukaufen.
Hieran schloß sich eine Bierreise. Während die beiden Aufseher dem Bier und Kognak zusprachen, mußte der Gefangene vor der Tür warten.
Schließlich hatten sich die beiden Angeklagten so betrunken, dass sie von dem ihrer Obhut anvertrauten Gefangenen unter die Arme gepackt und unter dem Gejohle der Straßenjugend wieder nach dem Gefängnis zurückgebracht werden mußten.
Das Gericht sprach die Angeklagten seinerseits frei. Das Gericht nahm an, dass die bloße Möglichkeit einer Flucht zum Tatbestand der Gefangenenbefreiung nicht ausreichend sei.
Da diese Auffassung von der feststehenden Rechtsprechung des Reichsgerichts abwich, hob der 2. Strafsenat des Reichsgerichts auf die Revision der Staatsanwaltschaft hin das freisprechende Urteil auf und verwies die Sache zur nochmaligen Verhandlung an das Landgericht.



4. August 1920 - Berlin

Um Hilfe rufende Diebe - Ein Denkzettel mit dem Ochsenziemer.

Einen gehörigen Denkzettel von den ergrimmten Bestohlenen hatten zwei Einbrecher erhalten, welche sich gestern vor der Ferienstrafkammer zu verantworten hatten. Wegen schweren Diebstahls im strafverschärfenden Rückfalle waren der 24-jährige Arbeiter Karl Gohlke und der Artist und Vorkämpfer Walter Reckzeh angeklagt.
In der Nacht zum 21. April vernahm der Werkmeister B. auf dem über seiner Wohnung gelegenen Boden verdächtige Geräusche. Er weckte seinen 19-jährigen Sohn, und beide begaben sich im Dunkeln, jeder mit einem sog. Ochsenziemer* bewaffnet, auf den Boden.
Einige Augenblicke später ertönte ein furchtbares Wehgeschrei, durch das die übrigen Hausbewohner geweckt wurden, die mit allen möglichen Lampen und Waffen nach dem Boden eilten, wo sich ihnen ein merkwürdiger Anblick bot.
Vater und Sohn schlugen fast taktmäßig auf zwei gefaßte Einbrecher ein, die jämmerlich um Hilfe riefen.
Erst als die von einem Hausbewohner alarmierte Polizei erschien, hatten die beiden Diebesfänger ihr Mütchen gekühlt.
Die beiden Einbrecher, die jetzigen Angeklagten, welche schon die gesamte Wäsche von den Böden zusammengepackt hatten, mußten in einer Droschke in das nächste Krankenhaus geschafft werden, da sie völlig blutüberströmt und mit Beulen und Striemen bedeckt waren.
Vor Gericht beantragte der Staatsanwalt je zwei Jahre Zuchthaus. Das Gericht schenkte offenbar der Versicherung der beiden verbleuten Diebe, „…nie mehr klauen zu wollen“, Glauben und erkannte unter Zubilligung mildernder Umstände, womit offenbar die Prügel gemeint waren, auf je ein Jahr Gefängnis.

* Ochsenziemer:
Als Ochsenziemer bezeichnet man eine Schlagwaffe, die aus einem getrockneten Bullenpenis hergestellt wird und eine fertige Länge von 80–100 cm hat. Der Ochsenziemer ist sehr elastisch und schwer. Den Ochsenziemer benutzte man früher zur Bestrafung von Menschen und Tieren. Die Wirkung des Schlags ist erheblich und kann starke Verletzungen hervorrufen.



14.September 1922 - Berlin

Die Lasterhöhle der Frau Professor - Geselligkeit der besonderen Art.

Ein trübes Sittenbild zeigte gestern eine Verhandlung vor der Ferienstrafkammer des Landgerichts III, die unter Ausschluß der Öffentlichkeit verhandelt wurde. Wegen schwerer Kuppelei hatte sich die geschiedene Frau eines Professors, Marie N., und mit ihr ihre Tochter Gertrud zu verantworten.
Nach der Ehescheidung von ihrem Manne hatte Frau N. ein mehr als zweifelhaftes Leben geführt und mit ihrer Tochter bestimmte Lokal aufgesucht, wo sie Herrenbekanntschaften suchten. Die eingefangenen Kavaliere wurden dann nach der hocheleganten Wohnung in der Ansbacher Straße gebeten, die eine Lasterhöhle schlimmster Art darstellte. Die Geselligkeit, die man dort pflegte, war eigener Art, und um auch den weitgehendsten Ansprüchen einer verwöhnten Kundschaft entsprechen zu können, gab es neben Kokain auch Morphiumspritzen.
Junge Lebemänner, Schieber und Ausländer fanden dort alles, was ihr Herz begehrte. Schließlich kam die Kriminalpolizei dahinter und hob eines Abends den sauberen Betrieb aus. Ein Teil der dabei betroffenen Herren befand sich infolge des starken Kokaingenusses in einem derart „verkoksten“ Zustande, dass diese Kavaliere weder stehen, geschweige denn gehen konnten.
Weitere Ermittlungen ergaben, dass die Frau Professor sogar ihre eigene Tochter an ihre Kundschaft verkuppelt hatte.
Das Gericht verurteilte die Angeklagte N. zu 1½ Jahren Gefängnis und ihre Tochter Gertrud zu 4 Monaten mit einer Bewährungsfrist.



17. März 1892 - Peralada (Spanien)

Die Auswahl: „Messer oder Strick“? - Unangenehme Situation.

In Peralada wurde, wie in einem italienischen Blatte zu lesen ist, jüngst eine Bauerntochter, die sich allein zu Hause befand und im Auftrage ihres Vaters einen Betrag von 1500 Lire in einem Commodekasten zu überwachen hatte, überfallen.
In Abwesenheit des Vaters vermummte sich nämlich ein Nachbar, namens Foulanon, welcher von dem vorhandenen Geld Kenntnis hatte, brach bewaffnet mit einem Messer in das Haus und verlangte von der 20-jährigen Bauerntochter sofort das Geld. Das Mädchen wehrte sich, was möglich war, jedoch wurde sie mit Händen und Füßen an eine Kaminsäule gebunden und mißhandelt, bis sie endlich sagte, wo das Geld sei. Kaum hatte sich der Räuber des Geldes bemächtigt, erklärte das Mädchen, dass er der Nachbar sei und das Geld hergeben solle.
Da nun der Dieb sah, dass er erkannt sei und angezeigt würde, erwiderte er dem Mädchen, nun müsse sie sterben, könne aber wählen, ob durch Messerstiche oder durch Erhängen.
Da das Mädchen das Letztere erwählt hatte, befestigte er, auf einen Tisch gestiegen, an einem am Oberboden befindlichen Ringe eine Schlinge und legte sich dieselbe selbst um den Hals, um die Haltbarkeit der Vorrichtung zu erproben.
Da fiel zufällig der Tisch um und der Gauner baumelte in der Luft. Er beschwor das Mädchen unter allerhand Versprechungen ihn zu befreien, aber vergebens, sie war ja an Händen und Füßen festgebunden.
Da kam endlich ein Bekannter hinzu, der sofort das Mädchen und den Gauner befreite. Der noch lebende Gauner wurde vorläufig in das Spital überbracht.



27. November 1937 - Wien

Seltsames Ergebnis einer Diebstahlsaffäre.
Statt Brillantschmuck - pornographische Bilder.

Auf der Suche nach einer schon vor siebzehn Monaten in einer Badeanstalt verschwundenen Brillantbrosche ist dieser Tage die Polizei auf die Spur einer geheimen Erzeugungsstätte für pornographische Bilder gekommen.
Die verschwundene Brillantbrosche ist im Juni des vorigen Jahres der privaten Friederike Wolfersberger, Zirkusgasse 47, in einer Badeanstalt gestohlen worden. Man hatte sich damals vergeblich bemüht, die Diebin zu eruieren. Die einzige Person, die nähere Angaben machen konnte, war die damalige Bademeisterin, die 47-jährige Chauffeursgattin Leopoldine Dworzak, die in der Mozartgasse wohnt. Frau Dworzak erklärte damals, dass als Täterin nur „ein Mädchen in einem beigefarbigen Badekostüm“ infrage kommen könne. Dieses Mädchen ist aber, außer von Frau Dworzak, sonst von niemand gesehen worden.
Jetzt, nach siebzehn Monaten, stellte sich heraus, dass die Bademeisterin selbst die Täterin gewesen war. Man wäre ihr wahrscheinlich nur schwer auf den Diebstahl gekommen, wenn sie nicht die Brillantbrosche auf etwas umständliche Weise hätte veräußern wollen. In der vorigen Woche übergab sie nämlich das wertvolle Schmuckstück einem Bekannten, dem 29-jährigen Hilfsarbeiter Ignatz Swoboda, 10, Klausenburgerstraße 24, damit er einen Käufer dafür suche.
Swoboda zeigte die Brosche dem Handelsangestellten Friedrich Greguric, 10, Ettenreichgasse 10, und aus den Händen des Greguric kam das Schmuckstück zu der Schneiderin Anna Fiolic, 10, Quellengasse 14, die als Pfand für die Brosche sieben veruntreute Damenkleider übergab. Als nun die Fiolic die Brosche veräußern wollte, erfuhr die Polizei von dem Schmuckschacher, und so flog dann die ganze Sache auf.
Alle vier Beteiligten wurden verhaftet, doch die Suche nach der Brosche selbst blieb erfolglos. Das Schmuckstück war verschwunden und konnte bis jetzt nicht aufgefunden werden.
Die Hausdurchsuchungen, die in den Wohnungen der vier Verhafteten veranstaltet worden sind, blieben dennoch nicht ohne Erfolg, wenn auch in einem ganz anderen Belang.
In der Wohnung des Ignatz Swoboda entdeckte man nämlich ein ganzes Lager von unzüchtigen Bildern, ferner wurde festgestellt, dass die pornographischen Bilder in der Wohnung des Swoboda in größeren Mengen serienweise hergestellt worden sind und dass Swoboda auch den Vertrieb der Bilderserien selbst geleitet hatte.
So bekam die Polizei wieder eine neue Arbeit.



29. November 1937 - Floridsdorf (Wien - 21. Gemeindebezirk)

Ein irrsinniges Ehepaar verschanzt sich.

In der Nacht vom Samstag auf Sonntag wurde in Floridsdorf, Barmer Straße 3, ein irrsinniges Ehepaar, dass eine Gefahr für die Umgebung bildete und dem auch ein gemeinsamer Selbstmord zuzutrauen war, gewaltsam aus der Wohnung gebracht.
In dem Hause Baumgasse 3 wohnt der 39-jährige Schlossergehilfen Josef Ottinger mit seiner 37-jährigen Gattin Adele. Das Ehepaar hat ein vierjähriges Kind. Ottinger, der als Gewalttäter bekannt ist, erkrankte vor einiger Zeit; es war eine Geisteskrankheit und er befand sich auch in irrenärztlicher Behandlung. Auch seine Gattin wurde wegen einer Geistesstörung bereits psychiatriert.
Vor kurzem kam in die Wohnung ein Amtsorgan, um wegen einer geringfügigen Polizeistrafe Erhebungen zu pflegen. Ottinger empfing den Beamten mit wüsten Beschimpfungen und wies ihn brutal aus seiner Wohnung.
Als dann zwei Sicherheitswachebeamte kamen, holte Ottinger eine Repetierpistole und brachte sie in Anschlag. Er erklärte, dass der Weg in seine Wohnung nur über seine Leiche führe.
Der Mann mußte nun seine Verhaftung befürchten und er beschloß, alles zu wagen, um sich dem Zugriff der Behörden zu entziehen. Er und seine Frau verschanzten sich nun im wahrsten Sinne des Wortes in der Wohnung und ließen keinen Menschen mehr ein. Durch Nachbarn und Bekannte ließen sie sich durch das Fenster verproviantieren. Auch das Kind durfte die Wohnung nicht verlassen.
In Floridsdorf bildete das merkwürdige Verhalten des Ehepaares das Tagesgespräch und oft standen Neugierige vor dem Haus. Seit etwa zwei Wochen nahm das Ehepaar auch keinen Proviant mehr an, es lebte mit seinem Kind von den angesammelten Vorräten.
Da man jedes Blutvergießen vermeiden wollte, redete man Ottinger gütig zu, die Wohnung zu verlassen. Seine Haltung wurde aber immer drohender. Vor den Türen und Fenstern der Wohnung hatten Ottinger und seine Frau Möbelstücke aufgetürmt. Auf Transparenten in den Fenstern teilten sie auch mit, dass sie die Wohnung in Brand stecken und Selbstmord begehen werden.
Nun entschloß man sich, da das Ärgste zu befürchten war, doch, das Ehepaar mit Gewalt aus der Wohnung zu bringen.
In der Nacht vom Samstag auf Sonntag wurden die Feuerwehr und die Rettungsgesellschaft um Intervention ersucht; die Polizei selbst rückte im Überfallsauto aus.
Mit Stahlhelm und Pistolen ausgerüstet, drangen die Polizisten gewaltsam in die Wohnung ein. Ottinger lag mit seiner Frau im Schlafe. Als er aber das Geräusch hörte, sprang er auf und ergriff eine Pistole. Er wollte tatsächlich schießen, die Pistole versagte aber.
Die Polizisten stürzten sich nun auf Ottinger, entrissen ihm die Waffe und fesselten ihn. Das Ehepaar wurde zunächst in das Kommissariat und dann in die psychiatrische Klinik gebracht. Das Kind wurde einem Jugendheim übergeben.
In der Wohnung Ottingers fand man siebzig scharfe Patronen für die Pistole.



23. Juni 1908 - Breslau (Polen)

Die lustige Witwe und der Landonkel.

Breslau. Die Tischlermeisterswitwe Thekla Rost, eine fesche, junge Österreicherin, war nach Breslau gekommen, um ihre Finanzen aufzubessern.
In verführerischer Toilette ging sie daher auf Abenteuer aus. In einem feinen Restaurant wurde sie auf einen Herrn aufmerksam, den sie seiner gesunden Gesichtsfarbe wegen für einen Landwirt hielt. Natürlich war die „lustige Witwe“ gleich entschlossen, sich den „Landonkel“ zu kapern, denn er sah recht zahlungsfähig aus.
Als er das Lokal verließ, brach sie gleichzeitig auf, näherte sich ihm draußen, indem sie ihm verheißungsvolle Blicke zuwarf, und erklärte dem „Biederen“ schließlich ganz unumwunden, dass sie nicht Nein sagen würde, wenn er sie in ein Hotel oder in ein Restaurant mit Chambers Séparées führen wollte.
Der Herr schien auch gleich anbeißen zu wollen. Er ging ohne weiteres mit ihr, führte sie aber nicht nach einem mit allem Komfort eingerichteten modernen Gastlokal, sondern machte vor einem - finsteren Gebäude mit Gitterfenstern halt, wo sich der vermeintliche Landwirt als ein - Kriminalbeamter entpuppte.
Ihr Versuch, sich durch Angabe falscher Personalien aus der Affäre zu ziehen, mißglückte und so war der nüchterne Abschluß ihrer Abenteuerfahrt ein Strafprozess vor dem Schöffengericht, der mit ihrer Verurteilung zu zehn Tagen Haft endete.


7. Februar 1936 - Berlin

Das Hemd als Bankdepot. Greisin im Schmutz fast verkommen.

In Berlin wurde die Kriminalpolizei in eine Wohnung in der Brunnenstraße gerufen, wo angeblich eine 85-jährige verarmte Frau tot in ihrem Bett liegen sollte. Der 37 Jahre alte Stiefneffe, der mit der Greisin seit langem zusammenhauste, sollte an dem Tod nicht ganz unschuldig sein.
Der Kriminalbeamte stellte fest, dass die Frau nicht gestorben, wohl aber buchstäblich im Schmutz fast verkommen war. Es wurde nun die unverzügliche Überführung der halbverhungerten Greisin ins Krankenhaus angeordnet. Der Stiefneffe, der sich in ähnlich verkommenem und krankem Zustand befand, gab an, zur Deckung der erforderlichen Unkosten kein Geld zu besitzen.
Als man jedoch näher in ihn drang, machte man eine sonderbare Entdeckung. Nicht nur in den Taschen seines Rockes, sondern auch auf seinem Leibe, im Hemd, in den Unterkleidern, ja sogar im Hutfutter versteckt, fand man überall Geld in Tüten und in selbstgefertigten Geldbeutelchen; Kupfer, Kleingeld und Scheine im Gesamtwert von etwa 2500 Mark. Bei der Durchsuchung der Kleider rieselte das Geld förmlich auf die Erde.
Beim Umkleiden der Stieftante im Krankenhaus wurden ebenfalls 500 Mark entdeckt, die die Greisin unter der zerlumpten Wäsche auf dem Körper getragen hatte.
Als man daraufhin die Wohnung der beiden etwas näher in Augenschein nahm, kam noch mehr Geld zum Vorschein, darunter einige tausend Pfennigstücke, ferner bankmäßig gebündelte Rollen und einige Pakete 20- und 50- Mark-Scheine und zwei Dollarnoten im Werte von ein und fünf Dollar. Es dürfte sich insgesamt um etwa 9000 Mark handeln, die zunächst polizeilich sichergestellt wurden.



27. Juli 1927 - Berlin

Der Hochzeitsschatz an der Kirchenmauer.
Bräutigam und Braut verhaftet.

Eine wilde Jagd gab es vor einigen Tagen in der Siemensstraße. Hier hatte ein 25 Jahre alter Fritz M. unter verwickelten Umständen versucht, sich in den Besitz eines Hochzeitsschatzes zu setzen, der ihm eine sofortige Heirat ermöglichen sollte.
M. war häufiger Gast in einem Lokal in der Siemensstraße und hatte in Erfahrung gebracht, wo die Wirtin ihr Geld und ihre Schmucksachen aufbewahrte.
Als sie neulich zu einer Besorgung das Lokal verließ, faßte er den Entschluß, sich die Werte anzueignen. Vom Hof aus zwängte er sich durch ein enges Klosettfenster, drang in das Schlafzimmer der Wirtin ein und holte aus einem Schränkchen bares Geld und Schmucksachen im Gesamtwert von etwa 4000 Mark.
Auf demselben Wege, auf dem er gekommen war, kehrte er auf den Hof zurück und setzte sich dann, um keinen Verdacht zu erregen, als harmloser Gast in den Schankraum.
Als die Wirtin zurückkehrte, wurde der Diebstahl entdeckt.
Die Frau, die „…ihre Pappenheimer kannte“, wollte rasch die Polizei holen und bat einige andere Gäste, solange ein Auge auf M. zu haben. M. dem dies natürlich nicht entging sprang plötzlich auf. Alle glaubten, dass er zur Tür hinaus wollte, und verstellten ihm den Weg. Er aber setzte über die Theke, rannte durch die Wohnung und versteckte sich im Keller. Als man ihn auch hier aufstöberte, sauste er mit einem Lastenaufzug in das vierte Stockwerk hinauf, erkletterte das Dach und flüchtete über einige Nachbarhäuser hinweg auf die Straße. Ehe seine Verfolger ihn ergreifen konnten, war er in ein Auto gestiegen und davongefahren.
Die Wohnung seiner Braut wurde in der Ramlerstraße ermittelt, und hier nahmen die Beamten der Dienststelle B.3 eine Durchsuchung vor. Von dem gestohlenen Gut wurde aber nichts gefunden. Das Pärchen bestritt alles und M. gab an, dass er lediglich aus Furcht vor seinen Verfolgern geflüchtet sei.
Man setzte sie wieder auf den freien Fuß, hielt sie aber unter ständiger Beobachtung. Es fiel auf, dass das Paar seine Spaziergänge mit Vorliebe in dem Humboldthain unternahm und hier einem bestimmten Platz an der Himmelfahrtskirche besondere Aufmerksamkeit schenkte.
Beim Nachgraben entdeckte man dort die der Wirtin gestohlenen Sachen, die den Grundstein zu der neuen Ehe hatten bilden sollen.
Jetzt wurden M. und seine Braut festgenommen.
Der junge Mann gab den Diebstahl zu. Er ist bisher unbescholten, war aber so verliebt, dass er vor keinem Mittel zurückschreckte.



27. Juli 1927 - Kürtös  (Siebenbürgen)

„Das Wunder von Kürtös“.

Ein Mann, der mit erhobenen Händen seit drei Monaten regungslos im Bett liegt. - Er wurde in dem Augenblicke vom Schlag getroffen, als er seinen Schwager ermorden wollte.
Das „Wunder von Kürtös“ ist die Sensation Siebenbürgens. Das Wunder ist ein Schmied namens Andreas Gergely, der seit drei Monaten regungslos und stumm im Spital liegt, mit hoch über seinem Haupte erhobenen Händen, in denen er krampfhaft je ein Stück vom Stil einer Hacke hält. Das Wunderliche an der Sache wird von folgendem Ergebnis beleuchtet:
Der Bauer Paul Riß wanderte im Jahr 1912 nach Amerika aus. Er lebte dort sehr bescheiden, sandte fortgesetzte die Dollarersparnisse seiner Frau nach Hause und entschloß sich endlich, jetzt im Frühjahr endgültig in seine Heimat zurückzukehren. Anfangs April erhielt die Frau einen Brief, in dem Riß sie verständigte, er werde am 17. April eintreffen, sie möge ihn am Bahnhof in Kürtös erwarten.
Der Brief enthielt auch die Mitteilung, dass er mehrere tausend Dollar mitbringe.
Am 17. April lag aber die Frau vom Fieber befallen im Bette, sie konnte daher nicht zur Eisenbahnstation gehen. So ersuchte sie nun ihren Schwager, den Schmied Andreas Gergely, ihren Gatten zu empfangen. Gergely, der vom Inhalt des letzten Briefes Kenntnis hatte, machte sich bereitwilligst auf den Weg und fuhr in seinem Wagen zu der zehn Kilometer entfernten Station.
Spät abends kam der Zug, dem tatsächlich auch der sehnsüchtig erwartete Auswanderer entstieg. Nach einer herzlichen Begrüßung bestiegen die zwei Männer den Wagen und in freudiger Stimmung ging die Fahrt dem Heimatdorfe zu.
Auf halbem Wege ließ Gergely plötzlich den Wagen halten. Dann befahl er dem Schwager, auszusteigen, und als dieser der Aufforderung nicht sofort Folge geleistet hatte, stieß er ihn hinunter. Paul Riß hatte erst geglaubt, Gergely mache einen Scherz, doch bald mußte er sehen, dass er sich getäuscht hatte. Gergely zog nämlich aus dem Wagen eine Hacke hervor, trat vor den entsetzten Schwager und rief ihm zu: „Jetzt stirbst du, bereite dich auf den Tod vor!“
Paul Riß warf sich auf die Knie und flehte Gergely an, ihn doch am Leben zu lassen, damit er seine Familie wieder sehen könne und versprach ihm die Hälfte seines Geldes. Gergely aber war nicht zu erweichen. Riß versuchte nun zu entfliehen, wurde aber von seinem Gegner eingeholt, gefesselt und zu Boden geworfen. „Jetzt stirbst du!“ rief Gergely wieder und hob mit beiden Händen die Hacker hoch über sein Haupt. Die Beine gespreizt, den Oberkörper nach rückwärts gebeugt, stand er da, um den Schlag wuchtig führen zu können. Riß erwartete starr vor Entsetzen mit gesenktem Haupte den Tod. Doch es verging eine Sekunde, noch eine, es vergingen noch zehn - der Schlag kam nicht.
Langsam erhob Riß seinen Blick zu seinem Gegner. Ein gellender Schrei entrann seinen Lippen, seinen Augen bot sich ein furchtbarer Anblick. Gergely stand noch immer da, die Beine gespreizt, den Oberkörper nach rückwärts gebeugt, die Hacke in den hoch erhobenen Händen und starrte mit gläsernem Blick in die Luft.
Paul Riß entledigte sich rasch der Fesseln, sprang auf den Wagen und eilte in rasender Fahrt in das nächste Dorf, von wo er in Begleitung einiger Bauern zurückkehrte.
Gergely aber stand doch immer regungslos in dieser Positur da wie zuvor. Man lud ihn auf den Wagen und brachte ihn in das Krankenhaus nach Arad. Die Hacke hielt er so krampfhaft in den Händen, dass der Stiel zersägt werden mußte.
Auch heute, nach drei Monaten, liegt er noch bewegungslos, stumm im Bett, die Hände noch immer hoch über seinem Haupte, und stiert vor sich hin. Die Ärzte meinen. Gergely, der an Arterienverkalkung leidet, sei in dem Augenblick, als er den Mord begehen wollte, infolge der großen Erregung vom Schlage getroffen worden.
Die katholische Bevölkerung aber glaubt, von der Kirche an den Wunderglauben gewöhnt, an eine Strafe Gottes und legt einem jeden Fremden ans Herz, sich den Anblick des „Wunders von Kürtös“ ja nicht entgehen zu lassen.
Offenbar ist eben auch in Siebenbürgen die große Mode, nebst der Fürsorge für die ewige Seligkeit, die - Hebung des Fremdenverkehres.


23. November 1893 - Mecheln (Belgien)

Freche Gauner.

Ein keckes Gaunerstückchen wurde in der vorigen Woche in Mecheln verübt. In einem der ersten Hotels stiegen drei vornehm aussehende Herrn ab, die sich als amerikanische Commissäre bei der Antwerpener Weltausstellung bezeichneten und ein so flottes Leben führten, dass bereits nach drei Tagen ihr Conto auf mehrere hundert Francs angewachsen war.
Am Abend dieses Tages kurz vor dem Table d´hôte, erschien in dem Hotel ein vierter Gast, der sich dem Wirthe als Pariser Geheimpolizist legitimierte und ihm mittheilte, dass er auf der Suche nach drei gefährlichen Pariser Gaunern sei. Dabei zeigte er dem Wirthe die Photographien von drei Männern, in denen dieser mit Entsetzen jene drei Ausstellungs-Commissäre erkannte.
Nunmehr entwarf der Geheimpolizist folgenden Plan, bei dessen Ausführung ihm der Wirth behilflich sein sollte. Letzterer sollte dafür sorgen, dass keiner der Gauner aus dem Haus entweichen könnte, er selbst dagegen werde an der Table d´hôte Platz nehmen und im geeigneten Momente die Verhaftung der drei Cumpane bewirken.
Also geschah es auch.
Der Geheimpolizist setzte sich mit zu Tische und ließ sich außer den Speisen auch den feinsten Wein des Hotels trefflich munden. Beim Dessert erhob er sich und eröffnete den verblüfften Gästen, dass die drei Herrn ihm gegenüber drei gefährliche Verbrecher seien, die er als Geheimpolizist verhaften müsse. Die drei Herren versuchten zu flüchten, rannten aber dem Wirthe, der sich mit seinem ganzen Personal vor der Tür aufgestellt hatte, gerade in die Arme. Auf Befehl des Geheimpolizisten wurde ein Wagen herbeigeholt, in welchem er mit den Verbrechern Platz nahm.
Haben die Kerle ihre Rechnung bezahlt?“ fragte er den Wirth. „Nein“ - „Wie hoch beläuft sie sich?“ - „295 Francs“. - „Gut. Wir werden die Burschen auf dem Polizeibureau untersuchen und das bei ihnen gefundene Geld vor allem zur Tilgung Ihrer Forderung benutzen. Meine Rechnung können Sie auch dorthin senden. Und nun, Kutscher, vorwärts nach dem Polizeibureau“.
Bis jetzt hat der Wirth weder von den Verhafteten, noch von dem Geheimpolizisten Geld sehen können, da, wie wiederholte Nachfragen ergaben, noch kein einziger von ihnen auf dem Polizeibureau angelangt war.

Anmerkung:
In Frankreich bezieht sich der Ausdruck table d´hôte meist auf das gastronomische Angebot des chambre d´hôte, was am besten mit Fremdenzimmer oder Bed & Breakfast übersetzt werden kann. Oft sitzen die Gäste gemeinsam, auch mit den Gastgebern an einem Tisch, um morgens das Frühstück und abends ein kleines Menü aus Vorspeise, Hauptgericht und Dessert einzunehmen. Es handelt sich meist um gute, regionale Hausmannsküche, der Preis dafür ist meist in den Übernachtungskosten inbegriffen.



27. Januar 1892 - Chimilin (Frankreich)

Ein Schwiegervater als Schwiegermutter.

Der Bauer Pierre in Chimilin (Departement Iseré) verträgt sich sehr schlecht mit seinem Schwiegersohn. Eines Tages klagte er einem Nachbarn, einem gewissen Duclos, sein Leid. Duclos versprach, die Sache zu ordnen. Nur 25 Francs forderte er, um den Schwiegersohn ins Jenseits zu befördern. Pierre ging auf den Handel ein und schon nach einer halben Stunde führte Duclos den Pierre zu seinem Schwiegersohn, der, mit Blut bedeckt, ohne Lebenszeichen dalag.
Für weitere 10 Francs erbot sich zu Duclos, ein Grab zu graben und das Opfer zu verscharren.
In Gegenwart des Pierre versenkte er denn auch den Leichnam in die Grube und ersuchte seinen Auftraggeber, während er das Grab zuschüttete, ihn im Café zu erwarten.
Pierre entfernte sich und nach kurzer Zeit kam auch Duclos ins Café. Zahlreiche Schnäpse besiegelten den Handel und gemeinschaftlich verließen beide das Café. Aber, oh Graus! Auf der Straße bemerkte Pierre seinen Schwiegersohn der ihm Gesichter schnitt. - Halbtot vor Schrecken wankte er nach Hause, während Mörder und Gemordeter auf seine Kosten lustig weiterkneipten.
Der Schwiegersohn hatte, mit Hühnerblut bepinselt, den Toten gespielt, um Pierre glauben zu machen, dass der Mord vollbracht sei.



18. August 1921 - Berlin

Ein fideles Gefängnis. Der nachsichtige Gefangenenaufseher.

Allerlei Intimitäten aus dem Charlottenburger Amtsgefängnis kamen in einer Verhandlung zur Sprache, die gestern vor der Ferien-Strafkammer des Landgerichtes III stattfand. Wegen Bestechung war der Ingenieur Theodor Friebel angeklagt; mit ihm mußte sich der Hilfsgefangenen-Wachtmeister Karl Knütter wegen passiver Bestechung, versuchter Erpressung, Urkundenfälschung und Amtsunterschlagung verantworten.
Der Angeklagte Knütter, der von Beruf Tischler war, wurde seinerzeit von der Verwaltung des Polizeigefängnisses in Charlottenburg als Hilfsbeamter eingestellt. Die Anklage legte ihm zur Last, verschiedenen Insassen des Gefängnisses allerlei Vergünstigungen um seinen Vorteils willen gewährt zu haben.
Die Beweisaufnahme förderte in dieser Hinsicht merkwürdige Dinge zu Tage. Es ergab sich, dass er eine Reihe von Gefangenen vom Gefängnis aus telefonieren ließ und sie ständig Besuche empfingen.
Das erstaunlichste Stück aber war, dass der Angeklagte Knütter es einem Gefangenen ermöglichte, einem jungen Mädchen, das ebenfalls in dem Gefängnis untergebracht war, einen nächtlichen Besuch abzustatten. Der Gefangene wurde von Knütter gegen Abend nach der Zelle des Mädchens gebracht. Knütter will dann anderweitig dienstlich abberufen worden sein und die Sache vergessen haben, so dass die beiden Gefangenen bis zum anderen Morgen zusammenblieben.
In einem anderen Fall soll der Angeklagte Knütter einen Scheck über 5000 Mark entwendet und diesen später zu einem gegen den Gefangenen gerichteten Erpressungsmanöver benutzt haben.
Das Treiben Knütters ist schließlich durch eine von dem Angeklagten Friebel erstattete Anzeige herausgekommen. Friebel war mit Knütter in Differenzen geraten und machte in dieser Stimmung, dem Vorsteher des Gefängnisses, von den vorliegenden Durchstechereien Mitteilung.
Der Staatsanwalt beantragte gegen den Angeklagten Knütter 4 ½ Jahre Gefängnis. Gegen Friebel 9 Monate Gefängnis.
Der Verteidiger Knütters, Rechtsanwalt Grothusen plädierte für ein milderes Strafmaß. Er wies in längeren Ausführungen darauf hin, dass der Angeklagte Knütter durch die in dem Gefängnis herrschenden, nicht ganz einwandfreien Verhältnisse, zu seinen Straftaten verführt worden wäre.
Das Gericht ließ zwar diesen Milderungsgrund gelten, war aber doch der Ansicht, dass die schweren Verfehlungen Knütters auch eine schwere Strafe nach sich ziehen müßten und erkannte wegen Bestechung, versuchter Erpressung, Amtsunterschlagung und Betruges auf drei Jahre Gefängnis.
Der Angeklagte Friebel wurde wegen Bestechung zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt.


31. August 1920 - Berlin

Der Haftentlassungstrick.

Wie bequem den Betrügern ihr Handwerk durch die Leichtgläubigkeit ihrer Mitmenschen gemacht wird, zeigte eine Verhandlung, die gestern vor der Ferienstrafkammer des Landgerichts I gegen den Schlächter Otto Hengstmann wegen Betruges geführt wurde.
Der Angeklagte ist bereits zwanzigmal vorbestraft und arbeitet mit einem eigenartigen Trick. Er verfolgte in den Zeitungen den polizeilichen Bericht über Verhaftungen, begibt sich dann zu den Angehörigen der Verhafteten und weiß von ihnen unter allerlei Vorspiegelungen nicht unbedeutende Summen zu erlangen. Gewöhnlich erscheint er mit einer Aktenmappe unter dem Arm und in der Maske eines Kriminalbeamten.
Als der Unternehmer eines Spielclubs in Haft genommen worden war, begab er sich zu dessen Frau, stellte sich als Kriminalwachtmeister Schulz vor und erklärte, beauftragt zu sein, eine Kaution von 10.000 Mark abzuholen, gegen deren Einzahlung die Haftentlassung des Ehemannes stattfinden würde. Die geängstigte Frau zahlt in ihrer Leichtgläubigkeit dem Beamten ohne Prüfung seiner Legitimation die 10.000 Mark, die sie dann nicht wieder gesehen hat.
In einem anderen Falle war einem Kaufmann Ware durch die Staatsanwaltschaft beschlagnahmt worden. Hier erschien er mit einem selbstverfertigte Aktenstück, gab sich wieder als Kriminalwachtmeister aus und erklärte dem Kaufmann, ihm wieder zu den beschlagnahmten Sachen verhelfen zu können. Er erhielt für dieses Angebot 300 Mark.
In einem dritten Falle erschien der Angeklagte bei den Angehörigen eines Verhafteten und verlangte eine Kaution von 15.000 Mark für dessen Freilassung. Ein Bruder des Verhafteten erklärte sich bereit, diese Summe zu zahlen, erbat sich aber Teilzahlungen, mit denen sich der Angeklagte auch abfand. Der Bruder schöpfte Verdacht, bestellte den Angeklagten zur Empfangnahme der ersten Teilzahlung auf den nächsten Tag wieder, und als er dann erschien, wurde er von der inzwischen benachrichtigten Polizei verhaftet.
Der Angeklagte verübte aber auch Betrügereien der angeblichen Lebensmittelversorgung. Er erzählte gutgläubigen Menschen, dass er Angestellter der Polizei sei und die Beschlagnahme von Lebensmitteln auszuführen habe; er könne daher Lebensmittel billig verkaufen. In vier Fällen sind ihm dann Gelder in Höhe von 600 bzw. 500 Mark anvertraut worden, die der Angeklagte unterschlagen hat.
Das Gericht verurteilte den Betrüger zu drei Jahren und 6 Monaten Zuchthaus und 900 Mark Geldstrafe.


11. März 1927 - Berlin

Das „Begräbnis“ seiner lebenden Schwester.
Ein toller Streich seiner Folge.

Durch einen leichtsinnigen Streich hat sich der Handlungsgehilfe F. eine Bestrafung wegen Urkundenfälschung zugezogen. Die Geschichte der Anklage wirkte bei ihrer Verhandlung vor dem Erweiterten Schöffengericht Mitte wie eine Tragikomödie.
Der leichtsinnige junge Mann hatte angegeben, dass seine Schwester gestorben sei und hatte das zum Vorwand genommen, um bei seiner Firma anstelle der ausgebliebenen Weihnachtsvergütung, auf die er schon Schulden gemacht hatte, einen Vorschuß von 150 Mark zu nehmen.
Der Direktor der Gesellschaft hatte aber zur Bedingung gemacht, dass F. einen Nachweis für die Auslagen und für die Beerdigung der angeblich auswärts gestorbenen Schwester beibringe.
Nun war die Schwester zwar schwer krank, aber doch noch am Leben. Als der Bruder ihr von seinem Schwindel mit ihrem angeblichen Tode erzählte, fiel sie vor Schreck in Ohnmacht. Später riet sie ihm dringend, das Geld zurückzuzahlen. F. folgte auch dem Rat.
Da der Personalchef aber des Direktors wegen Bedenken äußerte, entschloß sich F. nun auch den Beerdigungsschwindel durchzuführen und fuhr nach Angermünde, bestellte dort einen Sarg, auf den er 20 M. anzahlte und erwarb eine Grabstelle für 40 M. Auf dem Formular der Friedhofsverwaltung füllte er dann noch die fehlenden Kosten für Leichenträger, Grabschmuck usw. selbst aus und legte diese Urkunde seinem Chef als Beleg vor.
Tragischerweise ist die Schwester einige Monate später tatsächlich gestorben.
F. hatte den Vorschuß längst zurückgezahlt, als die Sache durch seine Frau, die sich von ihrem 23-jährigen Manne getrennt hatte, aus Rache zur Anzeige gelangte.
So hatte sich nun, der bisher unbescholtene junge Mann, wegen Urkundenfälschung zu verantworten und bekam für seinen unüberlegten Streich eine Woche Gefängnis. Doch wurde ihm dreijährige Bewährungsfrist zugebilligt.


21. September 1922 - Berlin

Über Nacht zum Millionär.
Freigabe eines gerichtlich beschlagnahmten Tuchlagers.

Mit den Worten: „Na, da haben sie ja großes Glück gehabt, ich kann sie als Millionär entlassen“, schloß der Vorsitzende der 5. Strafkammer des Landgerichts I gestern eine Verhandlung gegen den Händler Luigi Cariello und den Kaufmann Gonaro Esposito, zwei Italiener, die sich in der Berufungsinstanz, wegen Preistreiberei, versuchten Betruges und Kettenhandels zu verantworten gehabt hatte.
Die beiden Angeklagten stammen aus Neapel, hatten halb Europa als Hausierer bereist und waren schließlich über Frankreich und Belgien nach Düsseldorf und Berlin gekommen, wo ihr weniges Barvermögen infolge der Valuta doch ausgereicht hatte, um einen fliegenden Tuchhandel einzurichten.
Für 100 Mark das Meter kauften sie Stoffe, und in der Uniform englischer Seeleute, die sie sich angezogen, erweckten sie, zumal sie das Deutsch nur radebrechten, bei ihren Abnehmern den Eindruck von Engländern, die echt englische Qualitätsware zum Kauf anboten. Einer ihrer Kunden, der noch vor dem Geschäftsabschluß festgestellt hatte, dass es sich um deutsche Stoffe, wie sie in Chemnitz, Guben und Aachen hergestellt werden, handelte, hatte an ein Betrugsmanöver geglaubt und die beiden angezeigt.
Wegen der oben angegebenen Delikte waren die beiden Italiener unter Anklage gestellt worden. Man hatte ihr Warenlager beschlagnahmt, und das Schöffengericht Berlin-Mitte hatte sie schließlich zu je 2000 Mark Geldstrafe verurteilt.
In der von den beiden angestrengten gestrigen Berufungsverhandlung trat ihr Verteidiger R.-A. Dr. Schwindt durch Sachverständige und Zeugen dafür den Beweis an, dass die Angeklagten durch ihren Einkauf bei Grossisten und ihrer Abgabe der Waren ohne Ladengeschäft, also als Hausierer, keine außergewöhnliche Zwischeninstanz im Handel gebildet hätten. Von einem Kettenhandel könne also keine Rede sein, ebenso wenig hätten sie sich die Angeklagten der Preistreiberei und des versuchten Betruges schuldig gemacht.
Das Gericht folgte auch diesen Ausführungen und sprach beide Angeklagten frei, unter gleichzeitiger Freigabe ihrer beschlagnahmten Stoffe, von denen heute das Meter 3000 Mark wert ist, so dass die Händler infolge der gerichtlichen Verkaufssperre über Nacht zum Millionären geworden sind.



Juli 1921 - Berlin

Gräfin Wartensleben zu 66.000 Mark Geldstrafe verurteilt.
Die Rationskarten des gräflichen Haushalts.

Recht eigenartige Verhältnisse in der Lebensmittelversorgung eines Haushaltes in der Tiergartenstraße kamen in einer Verhandlung zur Sprache, die gestern das Schöffengericht Berlin-Mitte beschäftigte.
Wegen Übertretung der Rationierungsvorschriften war die Gräfin Wartensleben angeklagt, die erst kürzlich in einer Perlenhalsbandaffäre, viel genannt wurde. Es war gegen sie ein Strafmandat über 200 Mark Geldstrafe erlassen worden, weil sie nachweislich, für ihren aus sechs Personen bestehenden Haushalt in der Tiergartenstraße, in den Jahren 1919 und 1920, täglich 5 l Milch und wöchentlich sieben Pfund Butter auf Karten bezogen hatte. Dies soll sie dadurch ermöglicht haben, dass sie, obwohl sie auf ihrem Gut in Blankenfelde lebte, in ihrer Berliner Wohnung Personen ihres Haushalts anmeldete, die sich ständig auf dem Gute aufhielten.
Gegen den erlassenen Strafbefehl über 200 Mark ließ die Gräfin durch ihren Rechtsbeistand Widerspruch erheben. Dies veranlasste den Vorsitzenden zu der Bemerkung: „Ich verstehe nicht, wie die Staatsanwaltschaft nur einen Strafbefehl über 200 Mark erlassen konnte, wo sie neulich gegen eine einfache Frau 300 Mark beantragt hatte!“
Der Rechtsbeistand der Angeklagten beantragte indessen die Freisprechung, da jeder Nachweis fehle, dass die Gräfin sich selbst um den Haushalt gekümmert habe. Tatsächlich habe sie erst jetzt durch den Strafbefehl Kenntnis von den Vorkommnissen erhalten. Verantwortlich seien lediglich der Verwalter und die Mamsells, die die Anmeldungen vorgenommen hätten.
Der Amtsanwalt führte aus, dass dies kein strafmildernder Grund sei. Die Angeklagte habe sich eben um ihren Haushalt kümmern müssen, um solche unglaublichen Zustände zu verhindern. Mit Rücksicht darauf, dass durch derartige Geschehnisse der ärmeren Bevölkerung, Kindern und Kranken wertvoller Rohstoffe, wie Milch und Butter, entzogen worden seien, erscheine eine weit höhere Strafe am Platze und deshalb beantrage er eine Geldstrafe von insgesamt 18.000 Mark.
Das Gericht ging angesichts der Vermögensverhältnisse der Gräfin Wartensleben und der Tatsache, dass durch ihr Verhalten ein Vergehen an der Allgemeinheit verübt worden sei, weit über diesen Antrag hinaus und setzte für die drei Einzelvergehen die Höchststrafen fest.
Das auf eine Gesamtstrafe von 66.000 Mark lautende Urteil wurde von dem Vorsitzenden wie folgt begründet: Es sei der Verteidigung ohne weiteres zu glauben, dass sich die Angeklagte nicht um ihren Haushalt gekümmert habe. Die Angeklagte sei aber mitschuldig. Dies gehe schon daraus hervor, dass sie sich absichtlich nicht in die Liste der Selbstversorger hatte aufnehmen lassen, wozu sie verpflichtet gewesen sei.
Was das Strafmaß anbetreffe, so lasse die Handlungsweise der Angeklagte eigentlich überhaupt keine Milderungsgründe erkennen.
Das Gericht hätte gegen die Gräfin rücksichtslos auf Gefängnisstrafe erkannt, wenn sich ergeben hätte, dass zwei Straftaten auch in den Kriegsjahren 1917 und 1918 schon begangen worden wären. Dies festzustellen sei Aufgabe der Staatsanwaltschaft, ebenso ein Vorgehen gegen den Verwalter und die Mamsells. Nur aus der Erwägung heraus, dass sich die Straftaten in den Jahren 1919 und 1920 abgespielt hatten, als die Rationierungsvorschriften schon abgebaut wurden und es Lebensmittel im freien Handel gab, hat das Gericht von einer Gefängnisstrafe Abstand genommen.


14. Juni 1927 - Berlin

Nachspiel vor dem Schwurgericht.

Die Anklage geht auf Totschlag. Der Fall selbst hat ja eine trübe Berühmtheit erlangt. Mit Erschütterung las man seinerzeit in den Blättern von dem Vater, der seinen Sohn im Finanzamt Neukölln erschoss.
Nun ist die Sache vor Gericht. Die Geschworenen hören und beraten, um das Recht über diese Tragödie zu sprechen.
Der Kaufmann Paul Hackbusch also steht in der Anklagebank. Diese Vormittagsstunden füllte allein seine Vernehmung, der Bericht über die Tat, die Erzählung von dem Motiv.
Hackbusch sagte aus, über seinen Werdegang als Kaufmann, wie er vom Leben herumgestoßen wurde, wie er sich in Sibirien ein gutes Geschäft gebaut, wie er dann gleich vielen durch den Krieg alles verloren. Ein Schicksal zweifellos, gleich vielen... wie er ohne Mittel dann nach Berlin zurückgekommen, sich im Fabrikunternehmen seines Bruders betätigt. Wie dann das Finanzamt mit seinen Forderungen kam...
Als um 3000 Mark ist es damals bei ihm gegangen. Hackbusch berichtet über die Einzelheiten dieser Geschichte, und die Ruhe, mit der er sie vorträgt, ist das Furchtbare, wenn man dabei den Tod des Kindes denkt. - Er bekam die Aufforderung, die Zahlung zu leisten. Er befand sich seelisch in größter Erregung, beschloß, auf dem Finanzamt zu reklamieren, er beschloß schon seine furchtbare Tat. Er sagte zu seinem Jungen: „Du kannst heute zu Hause bleiben, brauchst nicht zur Schule. Du kannst mitkommen!“
Er ging dann mit seinem Kinde nach dem Finanzamt Neukölln.
„Ich habe mit dem Steuersekretär soundso gesprochen“, sagte jetzt Hackbusch, „ich erklärte ihm, Sie haben zwei Menschen auf dem Gewissen. Der Steuersekretär macht eine Äußerung, die hörte sich für mich etwa an…: das ist mir gleich“.
Hackbusch geriet in maßlose Erregung. Er zog einen Revolver und schoß seinem Sohn eine Kugel in den Kopf. Er richtete die Waffe dann auf sich selbst, die versagte. So blieb der Tod seines Jungen nicht mehr als eine Demonstration gegen das Finanzamt… eine furchtbare Demonstration. Berechtigte oder unberechtigte Empörung gegen das Finanzamt… Das steht hier nicht zur Debatte.
Zur Beantwortung allein bleibt die Frage, wie es möglich war, dass ein Vater seinen Jungen erschießen konnte… um das Finanzamt zu ärgern, um es einmal richtig der Steuer zu zeigen. Das ist das ganz Unfassbare bei dieser Angelegenheit. Ein Kohlhaas? Einer, der sich mit Tod und Blut sein Recht suchte? Dieser Mann in der Anklagebank macht nicht den Eindruck. Er scheint ein schwerer Hysteriker. Die Sachverständigen haben noch nicht gesprochen, aber ohne Zweifel wird ihr Urteil so sein.
Der Richter wandte sich zu dem Angeklagten: „Die Steuersumme ist nachher herabgesetzt? Nach dem Tode des Kindes?“
„Jawohl“.
Dann trat eine Pause ein. Nach ihr sollen die Zeugen vernommen werden. Auf den Korridoren hört man Gespräche, Fragen: „Was kann Hackbusch bekommen? Zuchthaus? Gefängnis?“
Wie aber auch die Strafe sein wird, dies ist der Eindruck: Diese Sache appelliert über das juristische Gericht hinaus an einen höheren Richter. An jenen Richter, den wir Gewissen nennen. Der hat den Vater zu fragen, wie es möglich war, dass er um eine Steuergeschichte, aus Wut, aus Zorn, meinetwegen aus Verzweiflung, wie es möglich war, dass der Vater seinen Jungen, man verstehe, nicht sich, sondern seinen Jungen erschoss.



25. August 1920 - Berlin

Ein schwerer Junge verhaftet.

Ein 36 Jahre alter Schlächter Franz Hoffmann, der ungefähr die Hälfte seines Lebens im Gefängnis und Zuchthaus zugebracht hat, lebte nach Verbüßung seiner letzten schweren Strafe wieder ausschließlich vom Diebstahl und Einbruch.
Er war schwer zu finden, weil er sich stets wohnungslos in Berlin umhertrieb.
Vor 14 Tagen gelang es, ihn zu erwischen, und er wurde wegen schweren Diebstahls im strafverschärfenden Rückfall der Staatsanwaltschaft I vorgeführt.
Hoffmann hatte das ungewöhnliche Glück, trotz seiner langen Strafliste vom Untersuchungsrichter einstweilen wieder freigelassen zu werden.
Die Kriminalpolizei merkte bald, dass er sofort wieder an die „Arbeit“ gegangen war.
Während sie eifrig nach ihm fahndete, geriet der Verfolgte gestern bei einem neuen Einbruch in eine Falle. Auf dem Grundstück Friedeberger Straße 12 sah er im Erdgeschoß am Hofe ein Fenster aufstehen. Er stieg ein und sah sich zunächst in einer Küche. Von dort aus „arbeitete“ er sich weiter vor. Jetzt hatte er aber das Pech, dass durch ein Geräusch die Wohnungsinhaber und andere Hausbewohner auf ihn aufmerksam wurden. Als er sich bemerkt sah, wollte er entfliehen, geriet aber in der Dunkelheit an die Klosettür, statt an die Küchentür. Es blieb ihm keine Zeit mehr, seinen Irrtum zu verbessern, und so hielt er sich mäuschenstill in der Falle, in der Hoffnung, später entschlüpfen zu können.
Die Hausbewohner suchten aber alle Räume ab, entdeckten den Verbrechern und nahmen ihn fest.
Die Kriminalpolizei führte den Verhafteten erneut der Staatsanwaltschaft vor.



3. Mai 1927 - Berlin

Eine Nacht unter Irren.

Auf Veranlassung seiner Angehörigen in einer Anstalt interniert. - Sie räumen ihm inzwischen die Wohnung aus.
Ein eklatanter Fall von Freiheitsberaubung, der noch ein gerichtliches Nachspiel haben wird, hat sich, wie jetzt erst bekannt wird, am Freitag zugetragen.
Der in der Akazienallee 25 wohnende Molkereibesitzer Friedrich von Gunten erhielt von den Kuranstalten Westend in der Nußbaumallee 38 in Charlottenburg einen Brief, in dem er um seinen Besuch gebeten wurde.
Ahnungslos begab sich von Gunten nach der Anstalt. Hier wurde ihm von dem wachhabenden Arzt eröffnet, dass er als Patient in der Anstalt bleiben müsse.
Trotz seines Widerspruchs wurde von Gunten mit Irren zusammen in ein Zimmer gesperrt und mußte die Nacht hindurch dort verbleiben, bis sich am anderen Tage der Irrtum herausstellte.
Inzwischen hatte seine Frau, auf deren Betreiben er in die Anstalt gebracht worden war, mithilfe ihrer Söhne die Wohnung des Molkereibesitzers ausgeräumt.
Von Herrn von Gunten wird uns, auf unsere Anfrage zu dem Vorfall, folgendes mitgeteilt: „Ich lebe seit zehn Jahren von meiner Frau, die in der Stargarder Straße in Berlin ein Haus besitzt, getrennt. Am Freitagabend um 7 ½ Uhr erschien bei mir ein Bote mit einem Brief der Kuranstalt Westend, in dem ich ersucht wurde, sofort hinzukommen, um über die Lieferung von größeren Milchmengen einen Vertrag abzuschließen. Als ich ahnungslos in Begleitung meiner Wirtschafterin in der Anstalt angekommen war, wurde diese fortgeschickt und ich trotz meines Widerspruchs in ein Zimmer gesperrt. Alle meine Proteste verhallten ungehört. Erst am nächsten Morgen wurde ich, wie ich glaube, auf einen Anruf meiner Frau hin, die erklärt haben soll, dass ich doch nicht geisteskrank bin, entlassen“.
Die Anstaltsleitung erklärt uns dazu: „Richtig ist, dass Frau von Gunten mit ihren Söhnen bei einem Arzt, der nur aushilfsweise in der Anstalt praktizierte, erschien und mitteilte, dass ihr Mann gemeingefährlich geisteskrank sei. Sie bat, ihn zu internieren. Daraufhin habe dieser Arzt, ohne die Anstaltsleitung zu benachrichtigen, sich entschlossen, von Gunten den Brief zu schreiben, um ihn so unauffällig in die Anstalt zu locken.
Am anderen Tage, als man bei genauerer Untersuchung, zu der auch der Kreisarzt zugezogen war, feststellen mußte, dass der angebliche Patient geistig völlig gesund sei, wurde seine Entlassung natürlich sofort vorgenommen.“
Herr von Gunten hat gegen seine Frau und deren Söhne sowie gegen die Anstaltsleitung Anzeigen wegen Freiheitsberaubung erstattet, gegen die ersteren auch wegen Einbruchsdiebstahls.


16. März 1913 - Zirndorf  (Bayern)

Lebendig sieben Tage eingemauert.

In Zirndorf in Bayern - (Zirndorf (fränkisch: „Dsiʳndoʳf“) ist die Kreisstadt im Landkreis Fürth (Mittelfranken, Bayern). Die Stadt ist Teil der Metropolregion Nürnberg) - bekannt durch Wallensteins Lager, das Gustav Adolf am 4. Sept. 1632 vergeblich angriff.

In Zirndorf befindet sich eine alte historische Feste mit einem unterirdischem Gang, der in letzter Zeit hauptsächlich von Gesindel zum Unterschlupf gewählt wurde.

Die Besitzer der alten Feste, die Zirndorfer Brauerei ließ nun den Gang zum Keller zumauern. Dies geschah am 6. März d. Monats.

Als nun am Abend des 11. März die Maurer zufällig nach dem zugemauerten Gang kamen, hörten sie plötzlich von innen heraus Klopfen und schwaches Rufen.

Man brach ein Loch in die Mauer, und fand hier einen völlig erschöpften Menschen, der nach seiner späteren Aussage am 4. März abends in den Gang gekrochen war, um hier zu nächtigen. Er wurde als ein stellenloser Kaufmann Albert Woska aus Wels in Oberösterreich ermittelt, der zwecks Arbeit auf die Wanderschaft gegangen war.


                                                Das Bild zeigt den eingemauert Gewesenen.

Der Erschöpfte, der nur durch einen Zufall einem elenden Hungerstode entronnen, wurde von den mitleidigen Zirndorfern mit Kleidung und Trank versehen.


13. Dezember 1932 - Warschau
Der Delinquent, der dem Henker gefährlich wird. Ein seltsamer Prozess vor den Warschauer Gerichten.

Die Warschauer Gerichte beschäftigen sich zurzeit mit einem Prozess, den der offizielle polnische Henker gegen den Staat führt. Die Vorgeschichte des Prozesses ist interessant genug, um hier wiedergegeben zu werden:
Vor kurzem sollte ein zum Tode Verurteilter hingerichtet werden. Der Henker hatte den Galgen errichtet und harrte des Delinquenten, um seines Amtes zu walten. Als dieser endlich erschien, wartete er keineswegs darauf, dass ihm der Scharfrichter in der üblichen Weise den Strick um den Hals legte, um ihn zu exekutieren, sondern er stürzte sich selbst auf den überraschten Scharfrichter, um ihn an seiner Statt zu hängen.
Bei dem sich entwickelnden Handgemenge, in dessen Verlauf es dem Delinquenten gelang sich zu befreien und schleunigst aus dem Staub zu machen - er konnte bis heute noch nicht wieder gefasst werden - , wurde der Scharfrichter so schwer verletzt, dass er einem Krankenhaus zugeführt werden musste. Er erlangte erst nach drei Tagen das Bewusstsein zurück. Auch nach seiner völligen Wiederherstellung wurde er nicht wieder „voll berufsfähig“, sondern er musste sich pensionieren lassen.
Seine Klage gegen den polnischen Staat geht jetzt dahin, dass der Staat für die ausreichende Bewachung der Delinquenten verantwortlich sei. Demzufolge müsse er ihm für den durch den Zwischenfall bei der misslungenen Hinrichtung erlittenen Schaden - vorzeitige Pensionierung - haften.
Bei dem eingeklagten Betrag handelt es sich um etwa 150.000 Mark.



11. März 1938 - Warschau

Zehn Minuten vor der Hinrichtung getraut.

Aus Warschau wird berichtet: Einer der gefährlichsten Banditen Polens, Gregor Wiekowski, wurde jetzt dem Henker überliefert. Dabei hat sich ein in der Kriminalgeschichte vereinzelt dastehender Fall ereignet.
Am Morgen der Hinrichtung äußerte der Bandit seinen letzten Wunsch und erklärte, dass er seine langjährige Lebensgefährtin, mit der er ein zweijähriges Kind habe, heiraten möchte.
Dem Brauch der Erfüllung des letzten Wunsches eines Todeskandidaten entsprechend, wurde daraufhin von der Gefängnisverwaltung die Abhaltung der Heiratszeremonie angeordnet. Die Lebensgefährtin des Verurteilten wurde herbeigeholt und die blonde, an allen Gliedern zitternde Frau, erklärte sich damit einverstanden, die Gattin eines Mannes zu werden, dessen Kopf in wenigen Minuten vom Rumpf getrennt werden sollte.
Die Trauung wurde rasch vom Gefängnisgeistlichen vollzogen und nachher erklärte die Frau: „Für mein Kind wäre es besser gewesen, dass es nie erfahren hätte, wer sein Vater gewesen ist und welche Schande er über seine Frau gebracht hat. Aber ich habe nicht die Kraft gehabt, Gregor diesen Wunsch zu versagen. Ich vergebe ihm alles!“
Zehn Minuten nach seiner Trauung fiel der Kopf Wiekowskis unter dem Beil des Henkers.


27. November 1937 - Wien
Die Schatzkammer einer Bettlerin.

Im Juni des Jahres erstattete die Altersrentnerin Cäcilie Ablinger bei der Polizei eine Anzeige, dass bei ihr verschiedene Gegenstände gestohlen worden seien. Den Kriminalbeamten kam die Geschichte schon von allem Anfang an mysteriös vor und es wurde daher bei der Anzeigerin, die als arme Frau bekannt war, eine Hausdurchsuchung vorgenommen. Dabei fand man 100 Paar Schuhe, einen ganzen Lastwagen voll Kleider, Möbel und verschiedene Gebrauchsgegenstände, sowie drei Sparkassenbücher, die auf 20.000 Schilling lauteten. In einem besonderen Versteck standen sieben Koffer mit wertvollen Gegenständen aus dem Besitz eines verstorbenen Aristokraten, darunter Geschirr mit dem Familienwappen. Frau Ablinger erzählte, dass das Geschenke wohltätiger Leute seien.
Die Erhebungen ergaben freilich, dass die Eigentümer dieser Dinge nichts von den Geschenken an Frau Ablinger wussten. Die Frau war als Bettlerin bekannt. Sie schlich sich mit Vorliebe in Familien von Aristokraten und hoch angestellten Beamten, manchmal auch in Pfarrhöfe ein. Sie erklärte immer, dass sie sich nichts schenken lasse, sondern, dass sie sich die Almosen gewissermaßen durch Arbeit verdienen werde. So wurde sie für kleinere Hilfsarbeiten verwendet und sie benahm sich dabei so zurückhaltend und bescheiden, dass man ihr bald das größte Vertrauen schenkte. Die Gelegenheiten, die sich ihr dann boten, benützte sie, um alles Mögliche zu stehlen. Merkten die Bestohlenen das Fehlen manches Gegenstandes, so verstand es Frau Ablinger geschickt, den Verdacht auf andere Hausgenossen abzulenken. Wenn sie aber die Diebstähle zugeben musste, dann versprach sie Besserung. Die Bestohlenen glaubten ihren Versicherungen und erstatteten aus Mitleid keine Anzeige. Die raffinierte Frau ist nun durch ihre eigene Diebstahlanzeige ins Netz gegangen.
Cäcilie Ablinger wurde des Gewohnheitsdiebstahls schuldig erkannt und zu einem Jahr schweren, verschärften Kerkers verurteilt.



1. März 1923 - Berlin

Verhaftung eines Heiratsschwindlers.

Als Arzt oder Pfleger im Virchow-Krankenhause trat ein Heiratsschwindler auf, der nach den bisherigen Feststellungen binnen einigen Wochen 50 Witwen und Mädchen bestohlen hat. Unter dem Namen Weber oder Menzel erließ er in hiesigen Zeitungen ein Heiratsinserat, nach dem ein Mann in mittleren Jahren die Bekanntschaft einer Witwe mit einem Kinde, womöglich mit einer größeren Tochter, oder auch ein junges Mädchen zur Frau suchte.
Er erhielt viele Angebote. Auf schriftlichen Verkehr ließ sich der angebliche Arzt oder Pfleger nicht weiter ein.
Der Mann hatte ein so einschmeichelndes Wesen, dass die Bewerberinnen sofort Vertrauen zu ihm faßten und ahnungslos seinen Besuch annahmen. Dabei wußte er es in der Regel so einzurichten, dass er den letzten Straßenbahnwagen versäumte und wohl oder übel über Nacht bleiben mußte, weil er angeblich am entgegengesetzten Ende der Stadt wohnte und so weit nicht zu Fuß gehen könnte. So verschaffte er sich Gelegenheit, auszukundschaften, wo die Wert- und Schmucksachen lagen, und steckte sie heimlich ein.
Frühmorgens erbot er sich, vom Bäcker frische Semmeln zu holen und verschwand mit der Beute. Bisher hatte er sich nicht getraut, die Briefe der Bewerberinnen selbst vom Postamt abzuholen. Gestern aber erschien er persönlich, um neue Eingänge in Empfang zu nehmen. Jetzt wurde er festgenommen und als ein 41 Jahre alter Friseur Wilhelm Wohlfahrt entlarvt, der sich ohne feste Wohnung bald in Berlin, bald in irgendeinem Vorort aufhielt.
Bei ihm fand man noch viele Briefe von heiratslustigen Witwen und Mädchen, auch einen Gepäckschein vom Schlesischen Bahnhof. Hier hatte er einen Reisekorb in Verwahrung gegeben, indem er seine Beutestücke zunächst verschwinden ließ, um sie später zu Geld zu machen. Der Korb enthielt noch allerlei gestohlene Wertsachen, goldene Ringe, Uhren, Ketten, Stickereien usw.
Wie viele Mädchen und Witwen der Verhaftete bestohlen hat, weiß er selbst nicht mehr. 50 wurden bereits festgestellt.



3. Februar 1929 - Wien
Der „Vermögende“ mit der bevorstehenden Erbschaft.

“Älteres Fräulein, tüchtige Hausfrau, mit kleinen Ersparnissen, sucht passenden Lebensgefährten, auch Witwer, mit gutem Herzen und etwas Vermögen“. Unter „Womöglich mit eingerichteter Wohnung“.
So oder ähnlich lautet der Stoßseufzer vieler einsamer Frauen, den sie in der nimmermüden Hoffnung auf eine bessere Zukunft in Form einer Zeitungsannonce in die Welt hinaussenden.
Pünktlich erscheint dann der vom Schicksal Auserkorene, stellt sich als wohlbestallter Beamter oder Werkmeister vor und erzählt von seinem guten Einkommen oder einer bevorstehenden Erbschaft. Nach wenigen Tagen befindet er sich zufällig in Geldverlegenheit, worauf ihm die vom kommenden Glück träumende Eheanwärterin bereitwilligst aushilft. Damit ist der Traum gewöhnlich zu Ende, der „passende Lebensgefährte“ ist weg.
Mit einem gefährlichen Schwindler dieser Art hatte sich gestern ein Schöffensenat unter Vorsitz des OLGR. Doktor Kahler zu befassen. Die durch Staatsanwalt Dr. Lindermann vertretene Anklage gegen den 39-jährigen arbeitslosen Kutscher Franz Schuster nennt eine ganze Reihe von Frauen, die den Betrügereien des Angeklagten zum Opfer gefallen sind.
Schuster ist wegen verschiedener Heiratsschwindeleien bereits wiederholt vorbestraft und hat seine letzte, vierzehnmonatige Kerkerstrafe erst im vorigen Sommer verbüßt. Trotzdem warf er sich kurz nach seiner Freilassung wieder eifrig auf den Heiratsschwindel. Besonders tüchtig erwies sich der Betrüger in den letzten Monaten seiner Tätigkeit, innerhalb welcher kurzen Zeit er nicht weniger als elf Frauenbekanntschaften in betrügerischer Absicht einging.
Der verwitweten Bedienerin Karoline Fernmüller stellte sich Schuster als Werkmeister vor und macht ihr einen Heiratsantrag. Nach wenigen Tagen kam er auf seine geliebte Frau zu sprechen, die angeblich anlässlich der Juli-Demonstrationen ums Leben gekommen war und erzählte, wie er durch die Kosten für das Leichenbegängnis derart in Schulden gekommen ist, dass er seinen ganzen Schmuck versetzen mußte. Die gutgläubige Bedienerin lieh dem Schwergeprüften 200 Schilling, worauf Schuster auf Nimmerwiedersehen verschwand.
Dann machte sich der Betrüger an die Kaffeehausköchin Anna Leeb heran. Diesmal gab er sich für eine Monteur aus, der sich von seiner Frau hatte scheiden lassen. Er trat als ernstlicher Bewerber auf, berichtete nach einigen Tagen, dass er bereits die Möbel gekauft habe und wies als Beweis dafür, einen sich auf 1500 Shilling belaufenden Posterlagschein vor. Im Laufe der nächsten zwei Wochen borgte er sich von der Angebeteten erst 30, dann 40 und schließlich 100 Schilling aus, für die er angeblich noch das Küchengeschirr kaufen wollte. Die betrogene Köchin wartet seither vergeblich auf ihren Freier.
Das nächste Opfer war die Hilfsarbeiterin Marie Hannes. Vor ihr gab er sich als städtischer Obermonteur mit 600 Schilling Monatseinkommen und einem Vermögen von 7000 Schilling aus, der außerdem noch einen Verkaufsstand am Naschmarkt besitzt. Er setzte die Hochzeit fest und begab sich mit seiner Braut zu einem ihrer Bekannten, den er bat, bei der Feier als „Beistand“ mitzuwirken. Diesmal trug Schuster das ganze Manöver bloß wenige Schilling ein.
Der Hausgehilfin Anna Fenz machte Schuster ebenfalls einen Heiratsantrag, fuhr mit ihr zu ihren Eltern nach Obernalb bei Retz und ließ sich dort neun Tage lang aushalten. Die entzückten Leute schlachteten dem Bräutigam zu Ehren ein Schwein und ließen ihm nichts abgehen. Das war auch ganz begreiflich, denn der künftige Schwiegersohn hatte erzählt, dass auf dem Pratergasthaus seiner verstorbenen Frau 50.000 Schilling für ihn sichergestellt sind, von denen er den Eltern der Fenz einen Teil für den Umbau ihres Hauses vorstrecken wollte. Dem Vater versprach er außerdem noch ein Pferd, das er von Wien holen wollte. Die Hin- und Rückfahrt hatte das Mädchen inzwischen vorgestreckt, aber der Liebhaber kam weder mit dem Pferd, noch zu Fuß wieder.
Der geschiedenen Bedienerin Theresia Schleglhofer machte Schuster vor, dass er eine Wohnung und ein Milchgeschäft kaufen wolle, damit sie eine gesicherte Zukunft haben. Die Bedauernswerte lieh ihm daraufhin 800 Schilling. Nach drei Tagen rief sie der Brautwerber telefonisch an und berichtete ihr, dass er einen Unfall erlitten hat und im Spital der Barmherzigen Brüder liege. Dort habe er sofort 100 Schilling zu erlegen, sei aber augenblicklich nicht in der Lage, sich das Geld zu beschaffen. Die brave Bedienerin lieh auch diesen Betrag her. Das war das letzte, was sie von ihrem verletzten Liebling erfuhr.
Die nächste Braut war die Hilfsarbeiterin Helene Kronawetter. Wieder ließ sich Schuster den Eltern vorstellen und führte abermals einen Schwindel auf. Dass das Geld, das er dem fleißigen Mädchen herausgelockt hatte, ihr gesamter Wochenlohn war, bekümmerte den hilfsbereiten Menschenfreund wenig.
Der Betrüger ließ sich nun zum Turbinenmonteur mit 800 Schilling Monatsgehalt avancieren und fand in dieser Rolle das Vertrauen der Hilfsarbeiterin Hedwig Herf. Auch hier hatte er angeblich schon die Heiratsausstattung besorgt, stellte sich dem Vater des Mädchens vor und verschwand, nachdem er Geld herausgelockt hatte.
Damit schien aber für Schuster eine wenig günstigere Zeit angebrochen zu sein. Verschiedene Frauen, die er aufgrund von Heiratsannoncen aufsuchte, schöpften, infolge seiner Großrednerei Verdacht und seine Bemühungen, ihnen Geld zu entlocken, blieben erfolglos. Er verlegte sich auf andere Betrügereien, wurde aber angezeigt und verhaftet.
Damit fand das Wirken des heiratslustigen Kutschers ein Ende und es blieb nur der vorbestrafte arbeitslose Kutscher Schuster, dessen bedauernswerte Gattin, eine brave Hausbesorgerin, sich durch ehrliche Arbeit fortbringt und sich überdies noch bemüht, den durch ihren Mann angerichteten Schaden wieder gutzumachen.
Der Schöffensenat verurteilte Schuster zu 18 Monate Kerkers.



19. Dezember 1926 - Mecklenburg und Pommern
Übertriebenes Vertrauen zu einer angepriesenen Erfindung.

Ein erfindungsreicher Mann kündigte in mecklenburgischen und pommerschen Orten eine von ihm hergestellte Tarnkappe „Mefi“, einen Scherzartikel in Form einer grauslich anzusehenden Gesichtslarve, an. Dass es sich um einen Scherz und eine Larve handelte, war in den Anpreisungen allerdings nicht zu lesen. Zwei harmlose Bauern und ein Gutsinspektor, die sich aus ihrer Schulzeit noch dunkel an Siegfrieds Tarnkappe erinnerten, bestellten nun gegen Einsendung von 1,50 Mark die „Mefi“, in der Überzeugung, es handle sich um eine wirkliche Tarnkappe, die sie unsichtbar mache. Das hatten alle drei nämlich nötig, da sie unentwegt bestohlen wurden und die Diebe nie fassen konnten.
Auch durch das Tragen der neuen Tarnkappe änderte sich nichts daran. Die drei Männer blieben so sichtbar wie vorher und die Diebstähle nahmen womöglich noch zu.
Damit schien den Käufern die Unwirksamkeit der Kappe genügend bewiesen. Sie erstatteten Anzeige wegen Betrugs gegen den geschäftstüchtigen Erfinder, der seinerseits beteuert, an einen Betrug nicht gedacht zu haben.
Das Gericht wird zu entscheiden haben, wie weit die Gutgläubigkeit eines Käufers und die Verschmitztheit eines Erfinders gehen darf.


10. März 1931 - Wien

Gröbliche Verletzung der öffentlichen Sittlichkeit.

Der Vertreter Alfons J. und die Bedienerin Stefanie K. hatten sich vor dem Fünfhauser Strafrichter wegen gröblicher Verletzung der öffentlichen Sittlichkeit zu verantworten.
Während die Verhandlung selbst unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt wurde, und mit einem Freispruch endete, wurden aus der öffentlich gegebenen Urteilsbegründung folgender Sachverhalt bekannt:
Die Angeklagten haben, wie der Richter ausführte, erwiesenermaßen die öffentliche Sittlichkeit dadurch verletzt, dass sie ständig während der heißen Jahreszeit unbekleidet im Zimmer herumgingen, wobei es manchmal sogar zu Intimitäten gekommen sei. Diese Tatsache wurde der Polizei durch den Betriebsleiter einer gegenüber der Wohnung der Angeklagten gelegenen Papierfabrik bekannt, der sich bei einem Wachmann darüber beklagte, dass die ganze Erzeugung in der Fabrik stockt, da alle Arbeiter sich dieses Schauspiel nicht entgehen lassen wollten.
Der Einblick in die Wohnung der Angeklagten war nämlich sehr günstig, weil diese nie das Fenster verhängten und meist sogar offen ließen.
Dennoch gelangte der Richter zu einem Freispruch, da seiner Ansicht nach zu einer Verurteilung wegen Verletzung der öffentlichen Sittlichkeit dar wichtigste Tatbestandsmerkmal fehlt, nämlich die Erregung öffentlichen Ärgernisses. Das Beweisverfahren habe ergeben, dass sich die Arbeiter der gegenüberliegenden Fabrik an den ihnen dargebotenen Anblick ergötzt haben, sie haben sich sogar gut unterhalten und seien unmutig gewesen, als sie vom Fenster weggewiesen wurden.
Betriebsleiter Fritz W.: „Aber bitte, Herr Richter, sagen Sie den Herrschaften, dass sie das in Zukunft unterlassen sollen, es entsteht ja so viel Materialschaden in unserer
Fabrik“.
Richter: „Selbstverständlich, verhängen sie die Fenster! Ihr Benehmen ist geeignet, die
Schamhaftigkeit zu verletzen.



28. Januar 1928 - Barcelona (Spanien)

Der Haupttreffer des Toten.

Ganz Spanien hat im Dezember einen einzigen Gedanken: die Weihnachtslotterie. Mindestens sechs Wochen vor Weihnachten kauft sich jeder Spanier, vom Bettler bis zum Minister, ein Los oder, seinen Verhältnissen entsprechend, einen Losanteil, die bis zum Betrag von 50 Centimos beim Schuhputzer, beim Friseur, im Kramladen, beim Schneider, kurz, überall zu haben sind. Das ganze Los kostet zweitausend Peseten. Damit ist die Kleinigkeit von fünfzehn Millionen Peseten zu gewinnen. Es trifft also auch auf den kleinen Anteilnehmer immer noch eine für seine Verhältnisse recht respektable Summe, wenn auf seine Nummer der „Gordo“ - der Dicke - der Haupttreffer fällt.
Mit fiebernder Spannung erwartet dann das Land den Tag der Ziehung. Auf öffentlichen Anschlagtafeln werden in den Städten die Nummern der Treffer bekanntgegeben. Jedermann drängt sich dazu, hofft mit leidenschaftlichem Glauben, dass sein Los den „Gordo“ bekommt.
Ist der schicksalsschwere Augenblick vorüber, so beginnt ein lebhaftes Fragespiel: Wer hat den Haupttreffer gewonnen, ist es ein Würdiger, einer den der Glücksfall von Not befreit oder sind einem Satten, Reichen zu allen Tauben, neue hinzugeflogen? Nach der letzten Weihnachtsziehung blieb die brennende Frage lange unbeantwortet.
Soviel war bekannt: das Glückslos war in Barcelona gekauft worden. Aber der Gewinner meldete sich nicht.
Eine Woche später erst rührte sich die Witwe Maria Rovero. Ihr Mann war am 22. Dezember gestorben. In ihrem Weh hatte sie an die Lose, die der Selige gespielt hatte, nicht gedacht. Erst als sie an die Ordnung der Hinterlassenschaft ihres Ernährers gegangen war, hatte sie einen Zettel mit den Nummern seiner Lose gefunden. Was war denn das? 39.002? Das war doch der Haupttreffer!
Aber wo war das Los? Sie suchte und suchte und fand nichts. Da fiel ihr schließlich ein, dass man den teuren Toten im guten Anzug begraben hatte. In der Erregung des Augenblicks aber hatte sie nicht daran gedacht, erst die Taschen zu leeren.
Was tun?
Schließlich gab ihr eine Nachbarin den guten Rat zum Bezirksrichter zu gehen und die Öffnung des Grabes zu verlangen.
Das Grab wird geöffnet.
Das ist nun keine ganz einfache Geschichte, und der Bezirksrichter überlegte lange hin und her. Dann aber gab er den inständigen Bitten der Witwe nach. Eine behördliche Kommission erschien bei der Gruft. Langsam öffnete sich die Erde, der Sargdeckel wurde gehoben und zitternde Hände durchwühlten die Taschen des Leichnams. Weder die Heiligkeit des Todes noch der Ekel vor der Verwesung störten die Frau in ihrer Gier nach dem Gelde. Alles Suchen war vergeblich, das Los blieb verschwunden. Nun sah der Bezirksrichter ein, dass er mit seiner anfänglichen Weigerung, die Friedhofsstille zu stören, doch recht gehabt hatte...
Die Witwe Maria aber haßt nun ihren Mann übers Grab hinaus. Oder war er ein Spieler, ein Säufer, ein lockerer Vogel in seinem ganzen Leben, der es sich gut gehen ließ und sie recht knapp hielt.
Dass er aber den Reichtum zu den Engeln hinübernahm und sie arm in dieser Welt zurückließ, das wird sie ihm bis zu ihrem Ende nicht verzeihen.


26. November 1932 - Nagyperente

(Siebenbürgen - Rumänien)

Von Leichenschändern wiedererweckt.

Bukarest, 25. November. In der Siebenbürger Gemeinde Nagyperente wurde die verstorbene Frau des Landwirts Nagy wie in dieser Gegend üblich mit allen Schmuckstücken begraben. Gestern Nacht haben drei Unbekannte das Grab der Frau geöffnet, um den Schmuck zu stehlen. Als sie den Sarg heraushoben, wurde dessen Deckel plötzlich von innen geöffnet und die Räuber sahen, starr vor Erschrecken, dass sich die Totgeglaubte in ihrem Sarg aufrichtete. Die Frau fragte mit leiser Stimme: „Was wollen Sie von mir?“
Einer der Räuber bekam einen Nervenschock, die beiden anderen ergriffen die Flucht.
Die Frau wurde ins Spital gebracht, wo man sich alle Mühe gibt, sie am Leben zu erhalten.



13. Dezember 1932 - Atlantic City (New Jersey - USA)

Die Tabelle im Tresor.

Aus New York wird uns geschrieben: In zahlreichen Polizeihauptquartieren der vereinigten Staaten befinden sich große Sicherheitsschränke, in denen vor allem die Papiere der Polizeidetektive aufbewahrt werden. Diese Schränke werden stets mit den neuesten Errungenschaften der Geldschrankbautechnik versehen, damit Unbefugte sie nicht aufbrechen können. Das wird nämlich nicht selten von Angeklagten oder deren Komplizen versucht, falls für sie belastende Dokumente im Schrank sind.
Der Sicherheitsschrank im Polizeihauptquartier von Atlantik City ist nur bei Kenntnis ganz bestimmter Zahlenkombinationen zu öffnen.
Unglücklicherweise hatte nun der dienstführende Polizeihauptmann die Tabelle mit dieser Zahlenkombination, die nur in einem Exemplar existiert, im Schrank liegenlassen, bevor er ihn zuklappte.
Am nächsten Morgen wurde dieses papierne „Sesam öffne dich“ vergeblich gesucht und die allgemeine Verwirrung war groß. Denn der Schrank enthielt unter anderem Beweismaterial für die am gleichen Morgen vor dem Polizeigericht zur Verhandlung kommenden Fälle.
Um an die Akten kommen zu können, schien nichts anderes übrigzubleiben, als mit einem Schweißapparat den Schrank gewaltsam zu öffnen.
Die Polizei grübelte noch fieberhaft über das Problem nach, als sich ein armselig gekleideter Mann einfand und um Unterkunft bat. Der Mann, der anfangs in der allgemeinen Aufregung unbeachtet blieb, erbot sich, als er die Situation übersah, den Schrank in kurzer Zeit zu öffnen. Er erklärte, dass er früher „in diesem Geschäft“ gearbeitet und den Ruf besonderer Tüchtigkeit genossen habe. „Ich war einer der Fürsten meines Gewerbes“, meinte er.
Ohne weiteres ließ man den seltsamen Gast an den Schrank. Kaum fünf Minuten hantierte er an dem Zahleneinsteller herum, wobei er den erwartungsvoll herumstehenden Beamten erzählte, dass er zehn Jahre im Zuchthaus gesessen habe und es jetzt vorziehe, das riskante Gewerbe zu meiden; dann kam ein gleichmütiges: „…so jetzt wird es gehen, drehen sie den Knopf herum“. Einer der Detektive griff an den Hebel und die schwere Tür öffnete sich tatsächlich.
Natürlich war der Geldschrankknacker, der der Polizei einen so großen Dienst erwiesen hatte, der Held des Tages. Er wurde von Kopf bis Fuß neu eingekleidet, erhielt ein gutes Essen, auch Geld und mußte den inzwischen benachrichtigten und im Sturmschritt herbeigeeilten Reportern seinen wahrhaft abenteuerlichen Lebenslauf erzählen.
Die Polizeibehörde tat noch ein Übriges und erwies sich ihm dankbar, indem sie ihm eine feste Stellung besorgte.
Jetzt schiebt er am Strande von Atlantik City für drei Dollar täglich einen Rollstuhl. Mindestens das Dreifache verdient er jedoch nebenbei durch Trinkgelder, denn jeder möchte gern von ihm gefahren werden und sich mit dem Geldschrankknacker unterhalten.
Besondere Freundschaft sollte er, wie berichtet wird, mit dem Direktor einer Geldschrankfabrik geschlossen haben, der seine Erfahrungen gern seinem Werk dienstbar machen will.
Es ist keineswegs ausgeschlossen, dass der Geldschrankknacker eines Tages also noch einmal technischer Beirat dieser Geldschrankfabrik wird.



28. November 1932 - Habenshausen  (Bremen)

Ein Helfer wider Willen.

Die Diebe pflegen in der Auswahl ihrer Beutestücke nicht immer wählerisch zu sein. Auch die kuriosesten Gegenstände haben schon auf diese Weise ihren unerwünschten Liebhaber gefunden. Von der Stecknadel und der Briefmarke bis zur ganzen Eisenbahn – die Liste der Objekte, an denen Diebe sich erprobt haben, ist wirklich nicht klein.
Aber das ein Dieb einfach den Auftrag erteilt, für ihn die Kugel einer Kirchturmspitze zu klauen, dürfte bisher in Deutschland noch nicht vorgekommen sein.
Ein biederer Klempnermeister in Habenshausen bei Bremen wurde kürzlich von einem Mann angerufen, der ihm in würdevollem Ton den Auftrag erteilte, die Kugel des Arstener Kirchturms herunterzuholen, da sie reparaturbedürftig sei. Mit vieler Mühe gelang es dem Klempner, die große Kugel loszumachen und zu ebener Erde zu befördern. Dann brachte er mit seinem Gehilfen die Kugel in die Werkstatt, um die gewünschte Reparatur vorzunehmen.
Mit Rücksicht darauf, dass die Kugel einhundertdreißig Jahre alt und also historisch wertvoll ist, wurde sehr behutsam zu Werk gegangen. Aber wie erstaunt war der gute Klempnermeister, als am nächsten Tag die Kugel aus seiner Werkstatt verschwunden war. Angsterfüllt lief er zum Pfarramt und erfuhr dort, dass man von einem angeblichen Auftrag nichts wußte. Der Dieb hatte aus Bequemlichkeit den Klempnermeister zu seinem unfreiwilligen Helfer gemacht.



3. November 1922 - Berlin

Die goldene Freiheit für einen Anzug verkauft.

Das Schwurgericht des Landgerichts III hatte sich mit einer Anklage zu beschäftigen, die eines komischen Beigeschmacks nicht entbehrte. Der Schneidermeister Gienat war vom Schöffengericht wegen Unterschlagung zu einem Monat Gefängnis verurteilt worden.
Als sein Geschäft mitten im Hochbetrieb war, erhielt er die Aufforderung zum Strafantritt. Der kluge Schneidermeister wußte sich jedoch zu helfen. Er schickte statt seiner seinen 20jährigen Gesellen Bernick, der bereit war, die Strafe für seinen Meister abzusitzen, nachdem er einen Anzug gratis bekommen hatte.
Der Geselle begab sich in Begleitung der Ehefrau seines Meisters ins Gefängnis, wo er von seiner angeblichen Frau unter Tränen rührenden Abschied nahm. Im Gefängnis legitimierte er sich mit den Papieren seines Meisters.
Bernick hat tatsächlich die Strafe für diesen abgesessen, der ihm sein Los dadurch zu erleichtern suchte, dass er ihm reiche Lebensmittelpakete schickte. Der Schwindel wäre auch geglückt, wenn nicht der Zufall dem Schneider einen Strich durch die Rechnung gemacht hätte.
Gerade als nämlich der Geselle aus dem Gefängnis entlassen werden sollte und sich in Begleitung des Wachtmeisters zum Sekretariat begab, um seine Papiere in Empfang zu nehmen, begegnete ihm ein Bekannter, der ihn mit seinem richtigen Namen ansprach.
Das machte den Wachtmeister stutzig. –
Nunmehr hatte sich Bernick und Gienat wegen schwerer Urkundenfälschung, begangen durch Herbeiführung falscher Eintragungen in öffentliche Register, zu verantworten. Noch bis zum Schluß suchten die Angeklagten ihre Rolle durchzuführen, indem Bernick auf Veranlassung von Gienat das Zusammentreffen im Gerichtsgebäude dadurch zu erklären suchte, dass er nur die Papiere für seinen Meister abgeholt habe, während die Strafe von Gienat selbst verbüßt sei.
Während der Staatsanwalt die Geschworenen ersuchte, die Schuldfrage zu bejahen, machte R.-A. Dr. Brandt für den Angeklagten Bernick geltend, dass er das Opfer seiner Gutmütigkeit sei und durch die unschuldige Verbüßung der Strafe für seinen Meister die Tat bereits gesühnt habe. Die Geschworenen verneinten auch die Schuldfrage nach Urkundenfälschung und sprachen die Angeklagten lediglich der Begünstigung schuldig.
Das Urteil lautete gegen B. auf fünf Monate Gefängnis, die durch die Haft für verbüßt erachtet wurden, und gegen G. auf neun Monate Gefängnis.
Die Angelegenheit wird noch ein gerichtliches Nachspiel gegen die beteiligten Gefängnisbeamten haben, die beschuldigt werden, von der Täuschung gewußt zu haben.



12. November 1922 - Berlin-Mitte

Taschendiebstähle einer 73-jährigen.

Eine ungewöhnliche Rüstigkeit, freilich zum Leidwesen ihrer Mitmenschen, hatte die 73-jährige Frau Elise Pohl gezeigt, die sich gestern unter der Anklage des Taschendiebstahls vor dem Schöffengericht Berlin-Mitte zu verantworten hatte.
Die unternehmungslustige Greisin wurde unlängst von Beamten der ständigen Taschendiebs-Patrouille beobachtet, wie sie im Gedränge der Zentralmarkthalle die Handtaschen zahlreicher Käuferinnen einer Revision unterzog. Beim Herannahen der Beamten eilte sie mit einer Leichtfüßigkeit, um die sie manches junge Mädchen beneiden könnte, nach dem Ausgang. Zu ihrem Unglück erscholl gerade in diesem Augenblick das den Schluß der Verkaufszeit ankündigende Klingelzeichen, und die herausströmende Menge bildete einen Wall, in den die Angeklagte fest eingekeilt wurde.
Bei ihrer Festnahme fand man in einer sackartigen Tasche, die sie unter dem Umhang trug, ein buntes Durcheinander von Würsten, Butter, Käse, Fleisch, Schokolade, Kinderhöschen, Zigarren und zerknitterten Geldscheinen.
Die daktyloskopische Untersuchung des Erkennungsdienstes beim Polizeipräsidium ergab, dass es sich um eine wegen derartiger Straftaten schon vielfach vorbestrafte Frau handele.
Das Gericht hatte Bedenken an der Zurechnungsfähigkeit der 73-jährigen Greisin und beschloß zuerst eine Beobachtung ihres Geisteszustandes.

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