Vom Mittelalter bis in die heutige Zeit.




1. Der Fall - Adolf Höllenthal

Der langjährige Herausgeber der „Annalen der deutschen und ausländischen Kriminalrechtspflege“ Wilhelm Ludwig Demme beschreibt in seinem „Das Buch der Verbrechen“ Bd.1 – Leipzig 1851 den Fall des Musiklehrers Adolf Höllenthal sowie dessen Verurteilung in Württemberg als einen Justizmord. Dieser Ansicht kann man in diesem Falle nicht folgen. Was war geschehen!
Adolf Höllenthal, der sich in bitterster Geldnot befand, hatte sich am Abend des 24. April 1836, um zu stehlen, in das vom dem Stiftungsverwalter Griesinger bewohnte Haus geschlichen. Er führte einen Hammer und einen Dolch bei sich, um damit Behältnisse zu erbrechen. Als er weder seine Absicht zu stehlen ausführen noch ungesehen aus dem Hause entkommen konnte, verbarg er sich in einem Winkel des Bodens, um dort den Morgen und damit eine Gelegenheit zur Flucht zu erwarten. Griesinger ertappte ihn dort; Höllenthal wollte entfliehen; Griesinger vertrat ihm die schmale Bodentreppe und rief um Hilfe. Da versetzte ihm Höllenthal mit dem Hammer zwei Schläge an den Kopf, die die Kopfschwarte durchdrangen und den Schädel einschlugen. Griesinger erlag nach wenigen Tagen seinen Verletzungen.
Höllenthal wurde in zwei Instanzen wegen Totschlages zum Tode verurteilt, aber zu lebenslänglichem Zuchthaus begnadigt.
Mit ausführlicher Begründung suchte Wilhelm Ludwig Demme darzulegen, dass Höllenthal die Schläge nicht mit dem Vorsatz zu töten geführt, sich vielmehr nur einer Körperverletzung mit hinzutretender fahrlässiger Tötung schuldig gemacht habe. Seine subtilen psychologischen Ausführungen überzeugen nicht. Wer in der verzweifelten Lage Höllenthals seinem Gegner mit zwei wuchtigen Hammerschlägen den Schädel an zwei Stellen einschlägt, tötet vielleicht ohne Überlegung, sicherlich aber mit Vorsatz, wenn auch nur mit unbestimmten.

Quelle:
- Die Irrtümer der Strafjustiz unserer Zeit (Geschichte der Justizmorde von 1797 – 1910) von Erich Sello – Ausgabe 2001 – Seite 417 – ISBN 3-929349-40-X



2. Der Fall - Christiane Ruthardt

Christiane Ruthardt ist eine junge Frau mit einer bewegten Vergangenheit. Als 20-Jährige erfährt sie, dass sie ein Kind einer verbotenen Liaison ist. Die Hauptmannswitwe Henriette von Lehste und der Hofmedicus von Klein hatten einst ein romantisches Tete-a-tete - doch von dem kleinen Spross aus der leidenschaftlichen Verbindung durfte die Öffentlichkeit nicht erfahren. Deswegen wächst Christiane Ruthardt unter gefälschtem Namen bei verschiedenen Pflegefamilien in Ludwigsburg auf. Unter dem Namen "Mayer, Tänzers Tochter aus Frankfurt", kennt man sie. Als solche verdient sie jahrelang als Dienstmädchen ihren Unterhalt.

Die Prozessakte


400 Gulden - ein kleines Vermögen - vermacht ihr ihre letzte Dienstherrin. Das Glück scheint perfekt, als sie im Jahr 1839 den Stuttgarter Goldarbeiter Eduard Ruthardt heiratet und mit ihm in die Torstraße nach Stuttgart zieht. Doch der Ehemann verprasst das Vermögen. Er hält sich für einen genialen Erfinder, steckt das Geld in Bücher und Maschinen. Eine kleine Tochter wird kurze Zeit später geboren. Doch ihr Ehemann hat nichts als seine Erfindungen im Kopf. Binnen kürzester Zeit steht die junge Familie vor einem Scherbenhaufen. Das geerbte Vermögen ist aufgebraucht, der Schuldenberg wächst und wächst.
Christiane Ruthardt weiß keinen Ausweg mehr. Denn eine Scheidung kommt nicht in Betracht. Die altwürttembergische Eheordnung von 1689 macht eine legale Trennung so gut wie unmöglich. So schmiedet sie einen unheimlichen Plan.
Bei sechs Ärzten versucht sie unter dem Vorwand, die Rattenplage bekämpfen zu wollen, an Arsenik zu kommen. Das Gift solle den Tieren den Garaus machen, erzählt sie den Ärzten. Drei von sechs verschreiben der jungen Frau das Mittel. Doch sie setzt es nicht gegen die tierischen Plagegeister ein, sie mischt es ihrem Gatten ins Essen und in seine Medizin.
Dieser klagt im Frühjahr 1842 das erste Mal bei seinem Stuttgart Hausarzt Dr. Voettiner über "unzeitiges Unwohlsein, trübe Stimmung und kranken Unterleibe". Am 24. April verschlechtert sich sein Zustand rasant: Der Arzt attestiert eine akute Magenentzündung, verordnet Brausepulver, legt Blutegel an und rät der Ehefrau, Senfteig auf den Magen ihres Mannes zu legen. Erst einige Tage später verschwinden die Symptome.
Nach Arsenik zur Rattenbekämpfung hat Christiane Ruthardt bei ihrem Hausarzt gefragt – und bekommen. Was sie dem Hausarzt nicht verraten hat: Nicht zur Rattenvergiftung setzte sie das Mittel ein, sie mischte es ihrem Gatten ins Essen und in die Medizin.

Das Foto zeigt das Giftbuch, in dem die Ausgabe des Arseniks dokumentiert wurde.

Das Leid der jungen Familie spricht sich in der Nachbarschaft herum. Man bietet Christiane Ruthardt Hilfe an, ist betroffen vom schlechten Gesundheitszustand des jungen Mannes. Am 9. Mai gibt es gute Nachrichten. Eduard Ruthardt leide zwar unter einer "hartnäckigen Gastritis enteritis mucosa", sei durch die häufigen Durchfälle und das heftige Erbrechen sehr geschwächt, so der Arzt. Ruthardt könne aber "über die Krankheit Herr werden".
Wohl zu gute Neuigkeiten für die verzweifelte Gattin. Denn am 10. Mai eilt sie - angeblich verzweifelt - zum Hausarzt und bittet um sofortigen Besuch ihres Mannes, denn "es seye sehr schlimm mit ihm geworden".Dr. Voettiner findet Ruthardt mit eingefallenem Gesicht, kalten Gliedern und aufgeblähtem Bauch - und kann ihm nicht mehr helfen. Zur Mittagszeit stirbt Eduard Ruthardt am 11. Mai 1844. Christiane Ruthardt sitzt am Krankenbett und wird gestützt von ihrer Schwiegermutter.Doch die Witwe macht für die Außenstehenden einen gefassten Eindruck, macht sich gleich an die Vorbereitungen für die Beisetzung. Vier Stunden nach Ruthardts Tod wird seine Ehefrau festgenommen. Polizeidiener Gölz bringt sie direkt auf das Kriminalamt Stuttgart.
Ein Zufall hat die wahre Ursache der Leiden des jungen Ruthardt ans Licht gebracht: Einen Tag vor Ruthardts Tod war Diakon Hofacker zu Besuch, hatte dem schwer kranken Mann Trost zugesprochen. Danach traf er sich mit seinem Schwager zu einem Spaziergang. Dort erzählt er ihm und seiner Gattin von seinem Krankenbesuch bei Ruthardt. Schlagartig erinnert sich des Schwagers Frau an eine Begebenheit im Haus ihres Hausarztes Dr. Johann Wilhelm Camerer. Dort habe sie Christiane Ruthardt getroffen, die sich ein Abführmittel sowie eine Portion weißen Arsenik zur Rattenvergiftung verschreiben ließ . . .
Das Geständnis der jungen Gattin lässt nicht lange auf sich warten. Am 4. Februar 1844 wird sie zum Tode verurteilt. Die Gnadengesuche ihres Verteidigers aus Marbach - er hatte ein psychologisches Gutachten beantragt - werden verworfen. Am 23. Juni pilgern tausende Stuttgarter zur Feuerbacher Heide. Dort wird die junge Frau mit dem Schwert hingerichtet.

Quellen:
- Der Artikel wurde am 3. Juni 2005 von Katja Sommer in der Ludwigsburger Kreiszeitung veröffentlicht. Akteneinsicht: Die Akte kann im Staatsarchiv Ludwigsburg unter der Signatur E 319 Bü 159 - 160 bestellt und eingesehen werden.


Richtigstellung:
Die Angaben zum obengenannten Ruthardt-Fall in Stuttgart sind nicht richtig. Wahrscheinlich bezog die Autorin die Daten aus einer unsicheren Quelle.
Die Ruthardt wurde am 20. Dezember 1844 vom Kreisgerichtshof in Esslingen zum Tode verurteilt (nicht 4. Februar 1844, weil der Mord ja erst im Mai 1844 passiert ist!) und am 27. Juni (nicht 23.) 1845 hingerichtet. Der Eintrag erweckt den Eindruck, als sei sie 1844 enthauptet worden.
Diese Angaben sind absolut verläßlich, denn sie stammen aus dem riesigen Hinrichtungsarchiv des Autors Wolfgang Krüger aus Celle, dem ich hiermit für die Richtigstellung meinen Dank ausspreche möchte.      -erich-



3. Der Fall - Johann Georg Ahles

Selbstmord.

Diese zehn Buchstaben gehen Johann Georg Ahles nicht mehr aus dem Kopf. Der Ludwigsburger Schuster hat eine schwere Zeit hinter sich, das Schicksal hat ihn schwer getroffen. Nur ein Sohn ist ihm aus seiner Ehe geblieben. Die drei anderen Kinder, ebenso seine geliebte Friederike, starben früh.
Ahles nimmt den Schicksalsschlag hin, öffnet sein Herz für eine andere Frau, verliebt sich in Caroline Endriss. Die Hochzeitsglocken läuten, ein Kind soll die Liebe des Paares besiegeln. Kurze Zeit später ist Caroline schwanger, das Familienglück scheint perfekt. Doch die Geburt ist kompliziert. Sowohl Mutter und Kind müssen bei der Entbindung ihr Leben lassen. Ahles ist verzweifelt.
Der Schuster, den die Ludwigsburger als gutmütig und freigiebig kennen, hadert mit dem Schicksal. Er greift immer öfters zur Flasche und führt dem Stadtschultheißamt zufolge einen "leichtsinnigen Lebenswandel". Die Kunden bleiben aus, sie bestellen keine Schuhe mehr bei Ahles. Das Leder wird knapp, noch knapper das Geld. Doch weder Geselle noch Magd kündigt er - aus Scham, seine vornehme Kundschaft zu verlieren. Sie müssen ihr Arbeitswerkzeug erst aus der Hand legen, als nichts mehr zu retten ist.
Am 20. Februar 1824 weiß Ahles nicht mehr ein noch aus. Die Stiefel für den Obristen von Gaisburg kann er nicht vollenden, das Geld für zusätzliches Leder fehlt. Selbst sein Vater kann ihm nicht aus der finanziellen Misere helfen. Selbstmord - bislang immer nur ein Gedanke. In dieser Nacht überkommt Ahles der dringende Wunsch, von dieser Welt zu gehen. Seinen einzigen Sohn will er mit ins Jenseits nehmen - um ihm eine Jugend in Armut, bei fremden Menschen und ohne Vater zu ersparen.
Georg Ahles bringt seinen Sohn zu Bett, spricht mit ihm den Abendsegen und legt sich dann ebenfalls schlafen. Doch der Kummer lässt ihm keine Ruhe. Gegen Mitternacht steht er erneut auf, schleicht zum Bett seines Sohnes und entzündet eine Kerze. "Zwölf Thore hat die Stadt, seelig wer den Eingang hat", zitiert Ahles den Nachtwächter, der auch in dieser Nacht durch die Ludwigsburger Straßen zieht. Ahles verwirft seine Gedanken, er kann das friedlich schlafende Kind nicht töten.Ahles tapst mit nackten Füßen zurück in sein Bett. Doch er findet keinen Schlaf. Zu groß ist die Verzweiflung. Ahles macht sich erneut auf den Weg zum Bett seines Sohnes - schreitet dabei an der Küche vorbei, wo er sich ein Brotmesser greift. Die Zeit des Zögerns ist für Ahles vorbei: Er sticht zu. Mehrfach lässt er die Hand mit dem Brotmesser nach unten fallen und verletzt seinen Sohn schwer. Dieser wacht auf, blickt seinem Vater ins Gesicht und fragt: "Vater, hast Du es getan? Kommen wir jetzt zur Mutter?"
Ahles bejaht, geht wieder zu Bett und stößt sich das Brotmesser selbst in die Brust. Ahles stöhnt vor Schmerzen, die Schreie des Sohnes gellen durch die stille Nacht. Die beiden Nachbarn - der Schlosser Friedrich Maier und der Bäcker Gottfried Müller - hören die Rufe und brechen die Wohnung des Nachbarn auf. "Im Blute schwimmend" finden sie die Beiden. Später erzählen sie, Ahles habe immer wieder gestammelt: "Er sey lebenssatt und sein Kind wolle er auch nicht im Elende herumlaufen lassen." Ahles Verletzungen sind nicht tödlich. Aber der Sohn ringt um sein Leben. Den gerufenen Ärzte ist schnell klar: Der junge Ahles wird seine schwere Verwundung nicht überleben. Das Kind schreit vor Schmerzen und schlägt wild um sich, dies verursacht weitere Verletzungen und innere Blutungen. Ein Tatbestand, der sich am Ende trotz allem mildernd auf das Urteil gegen den Vater auswirken wird.
Am 22. Februar stirbt der junge Ahles. Sein Vater gesteht die Tat, nachdem der Ludwigsburger Stadtschultheiß Preyß sogleich Anzeige beim Oberamtsgericht wegen versuchten Mordes erstattet hatte.

Im Protokoll:

Johann Georg Ahles hat der Polizei genau erläutert, wie er sein eigenes Kind ermordet hat.

Im April sind die Wunden bei Georg Ahles verheilt, das Strafverfahren gegen ihn wird eröffnet. Der Kriminalsenat in Esslingen verurteilt den Ludwigsburger Schuster im August 1824 zum Tode durch das Schwert.
Sein Verteidiger reicht allerdings ein Gnadengesuch ein, das Erfolg zeigte. Bereits im Oktober verwarf das Obertribunal zu Stuttgart die Todesstrafe und verurteilte Ahles zu einer achtjährigen Zuchthausstrafe.

Quellen: - Der Artikel wurde am 25. Juni 2005 Von Katja Sommer in der Ludwigsburger Kreiszeitung veröffentlicht. Akteneinsicht: Die Akte kann im Staatsarchiv Ludwigsburg unter der Signatur E 319 Bü 156 bestellt und eingesehen werden.



4. Der Fall - Lizzie Borden

Lizzie Borden wurde am 19. Juli 1860 in Fall River im Bundesstaat Massachusetts geboren. Als Lizzie zwei Jahre alt war, starb ihre Mutter. Lizzies ältere Schwester Emma hat versprochen, sich der Lizzie anzunehmen und ist ihr zur Mutterfigur geworden. Lizzie hatte schon immer eine enge Beziehung zu ihrem Vater, Andrew Borden. Später heiratete Andrew Borden die junge Abby Durfee Gray.



Lizzie Borden

Lizzie Borden



Der Vater Andrew Borden ....und seine Frau Abby Durfee Borden (geb. Gray).

Andrew hatte es im Laufe der Jahre zu bescheidenem Wohlstand gebracht, aber die Bordens lebten weiterhin viel bescheidener, als sie es sich hätten leisten können. Das hatte Lizzie schon immer geärgert, denn ihr größter Wunsch war es, das üppige Leben einer jungen, schönen und reichen Frau zu führen und vielleicht sogar auf den „großen Hügel“ zu ziehen, wo die Wohlhabenden von Fall River wohnten. Aber Lizzies Vater verbot ihr, mit Ausnahme der Tätigkeit in der Kirche, das Leben in der Gesellschaft. Die Spannung bei den Bordens wuchs mit Lizzies Frustration wegen der Einschränkungen durch den Vater und auch wegen des gespannten Verhältnisses zwischen den Schwestern und Abby Borden. Diese Spannung soll schließlich zu einem der berühmtesten Mordfälle in der amerikanischen Geschichte geführt haben.
Am 4. August 1892 wurde einer der bekanntesten Morde in der amerikanischen Geschichte verübt. Abby Borden war mit Staubwischen beschäftigt und ging nach oben, um das Gästezimmer aufzuräumen. Dort wurde sie später tot aufgefunden, das Gesicht gegen den Fußboden und mit zahlreichen Stichen im Rücken. Dem Anschein nach konnten diese von einem axtähnlichen Gegenstand stammen. Im Erdgeschoss fand man bald darauf die Leiche von Andrew Borden.

Das Haus der Bordens in dem der Doppelmord geschah.

 



Die im Gästezimmer erschlagene Abby Borden.



.....und der auf seinem Sofa erschlagene Vater Andrew Borden.

Es sah so aus, als sei er während eines Nickerchens auf dem Sofa im Wohnzimmer ermordet worden. Auch er war wiederholt mit einem axtähnlichen Gegenstand geschlagen worden. Ein Vergleich der Mengen geronnenen Blutes bei beiden Opfern ergab, dass Abby Borden anderthalb bis zwei Stunden vor ihrem Mann getötet worden war.



Der eingeschlagene Schädel von Andrew Borden und die zur Tat benutzte Axt.

Die einzigen Personen, die zurzeit von Abbys Tod zu Hause gewesen waren, waren Lizzie und das Dienstmädchen, Bridget Sullivan. Aber Bridget hatte ein Alibi. Sie hatte in ihrem Zimmer ein Nickerchen gemacht, weil sie sich unwohl gefühlt hatte. Davon abgesehen hatte Bridget keinen Grund, ihre Arbeitgeber zu ermorden. Lizzie hatte dahingegen das Motiv, ihre Eltern zu ermorden. Sie behauptete, sie sei zur Zeit des Mordanschlags auf ihre Stiefmutter im Erdgeschoß gewesen und habe von oben nichts Außergewöhnliches gehört. Sie behauptete außerdem, zu der Zeit, als ihr Vater ermordet wurde, in der Scheune gewesen zu sein. Die Ermittlungen der Polizei ergaben jedoch, dass es in der Scheune sehr staubig war und dass jeder, der hineingegangen wäre, Spuren hätte hinterlassen müssen. Die einzigen Fußabdrücke in der Scheune waren aber die der Polizisten. Auch war es in der Scheune unglaublich heiß, und es war doch klar, dass kein Mensch es dort mehr als ein paar Minuten hätte aushalten können. Wohlgemerkt: Als Lizzie ihre Aussage machte, hatten ihr die Polizisten zur Nervenberuhigung Drogen gegeben, die eventuell ihre Denkfähigkeit etwas getrübt hatten.



Lizzies ältere Schwester

Emma Lenora Borden

(1.März 1851 - 10. Juni 1927)

...und das Dienstmädchen

Bridget Sullivan

(1869 - 25. März 1948)

Die Polizisten fanden auch ein Beil im Haus, das so aussah, als passe es zu den Wunden. Jemand hatte auch vor kurzem versucht, es mit weißer Asche sauber zu machen. Des weiteren hatte man Lizzie gesehen, wie sie ein Kleid mit braunem Fleck verbrannt hatte. Sie behauptete, es habe sich dabei um einen Lackfleck gehandelt, aber zufällig haben auch Blutflecke eine braune Farbe. Emma Borden hatte ein Alibi, sowie auch John Morse, ein Gast bei Bordens zur Zeit der Morde. Obwohl Andrew Borden bekanntlich viele Feinde hatte, bezweifelten die Polizisten, dass der Mörder von außen gekommen sei, weil er sich dann fast zwei Stunden im Haus hätte verstecken müssen.
Lizzie Borden wurde wegen Mordes an Vater und Stiefmutter verhaftet. Sie nahm den besten Verteidiger, der für Geld zu haben war, und erklärte, sie sei unschuldig. Die Geschworenen waren alle Weiße. Es fiel diesen voreingenommenen Männern schwer, zu glauben, dass diese Frau, dazu eine Sonntagsschullehrerin, einen so brutalen Mord hätte begehen können. Die Geschworenen berieten eine Stunde lang, und Lizzie wurde in beiden Anklagepunkten freigesprochen. Nach dem Freispruch zog Lizzie mit ihrer Schwester auf den „großen Hügel“ und benutzte das kleine Vermögen ihres Vaters, um das Leben zu führen, von dem sie schon immer geträumt hatte. Die Bürger von Fall River jedoch haben Lizzie bis zu ihrem Lebensende geächtet. Es gibt zum Fall Borden einen allgemein bekannten Spruch:
Lizzie Borden nahm eine Axt und schlug den Vater vierzig mal. Als sie sah, was sie getan, die Mutter einundvierzig mal.

Quellen: - Recherche und alte Kriminalfälle in Amerika / Kriminallexikon



5. Der Fall - Hugo Schenk

In den letzten 120 Jahren sind im Raum Wien mehrere Serienmörder in den Annalen der Kriminalistik aufgelistet. Der erste war der legendäre Dienstbotenmörder Hugo Schenk, dessen Taten selbst nach seiner Hinrichtung bei Generationen von Köchinnen und Stubenmädchen noch Angst und Entsetzen auslösten.

Hugo Schenk

Ottokar von Buschmann, ein Beamter des Finanzministeriums, kehrte am 20. August 1883 nach einem längeren Italien-Aufenthalt nach Wien zurück. Seine Wohnung in der Florianigasse in Wien-Josefstadt war versperrt und die Köchin Theresia Ketterl, die während seiner Abwesenheit die Wohnung beaufsichtigen hätte sollen, war verschwunden. Buschmann musste einen Schlosser holen, der die Wohnungstür öffnete. Die Wohnung war durchwühlt und es fehlten Wertgegenstände. Auch der Hund und der neue Hundekoffer waren verschwunden. Buschmann wandte sich an die Polizei. Die 37-jährige Köchin war am 4. August 1883 zuletzt gesehen worden  – in Begleitung eines 30 bis 35 Jahre alten Mannes, der Theresia Ketterl schon vorher mehrmals in der Wohnung Buschmanns besucht hatte. Ketterl galt als anständig und sparsam, hatte in noblen Häusern gearbeitet und ihren Verdienst in Schmuck und Sparbüchern angelegt. Der leere Hundekoffer wurde am 10. August 1883 in einem Waggon eines Zuges der Westbahn gefunden. Die Polizei erließ einen Steckbrief mit einer Personsbeschreibung des unbekannten Begleiters von Theresia Ketterl: stattlich, blond, bärtig und elegant gekleidet.
Vier Monate später, am 20. Dezember 1883, zeigten besorgte Angehörige im Kommissariat Rossau in Wien an, dass die 47-jährige Köchin Katharina Timal und ihre 33-jährige Nichte Josefine Timal seit dem Sommer verschwunden seien und dass man ein Verbrechen vermute, weil die beiden aus Böhmen stammenden Frauen als verlässlich galten. Sie sollen im Sommer 1883 mit dem angeblichen Bauingenieur Hugo Schenk nach Krakau gereist sein, hätten sich aber nicht mehr bei den Angehörigen gemeldet.
Vom Kommissariat Rossau wurde der Fall der verschwundenen Dienstmädchen mit einem Zirkulartelegramm an das Wiener Sicherheitsbüro gemeldet. Die Ermittler setzten beim Namen „Hugo Schenk“ an. Er war in der Verbrecherkartei unter der Rubrik Heiratsschwindler eingetragen. Auf ihn passte die Personsbeschreibung, die nach dem Verschwinden Theresia Ketterls angefertigt worden war. Die Kriminalisten durchsuchten nun in Wien Wohnungen, um Schenk zu finden. Der Leiter des Wiener Sicherheitsbüros Karl Breitenfeld, der Konzeptsbeamte Moritz Stukart, und zwei Kriminalbeamte fuhren nach Linz, wo Schenk eine Wohnung gemietet hatte. Der Gesuchte war aber in der Zwischenzeit mit der Bahn nach Wien gefahren, wo er am 10. Jänner 1884 in der Wohnung seines Komplizen Karl Schlossarek in der Sturzgasse verhaftet werden konnte.

Bei Hausdurchsuchungen wurden Gegenstände aus dem Besitz der verschwundenen Frauen gefunden. In den folgenden Tagen wurden auch Hugo Schenks um zwei Jahre jüngerer Bruder Karl sowie Karl Schlossarek festgenommen.
Es stellte sich heraus, dass Hugo Schenk mit Unterstützung seines Bruders und Schlossarek mindestens vier Dienstmädchen ermordet hatte – Theresia Ketterl, Katharina und Josefine Timal sowie Rosa Ferenczy. Die drei Männer verübten zudem Raubüberfälle und Betrugsdelikte.

Hugo Schenk, geboren am 11. Februar 1849 in Czech in Mähren (Morava, Tschechien) als Sohn des 1959 verstorbenen Kreisgerichtsrats Wilhelm Schenk, verhielt sich schon als Schüler auffällig und undiszipliniert. Er flog vom Gymnasium und trat 16-jährig als Kadett in die k. k. Armee ein. Wegen seines Verhaltens beim Militär wurde er degradiert. Während eines Urlaubs von der Armee versprach er einem 17-jährigen Mädchen aus einer wohlhabenden Familie die Ehe. Er gab sich als „Boleslav Fürst Wolopolsky“ aus, der aus Polen flüchten hätte müssen. Er lockte der Mutter seiner Verlobten einen hohen Geldbetrag heraus und verschwand. Die Betrogene erstattete Anzeige bei der Polizei. Daraufhin wurde Schenk verhaftet und im Dezember 1870 in Olmütz wegen Heiratsschwindels und Betrug zu einer fünfjährigen Kerkerstrafe verurteilt. Das Berufungsgericht reduzierte die Haft auf zweieinhalb Jahre. Nach der Haftentlassung arbeitete er in mehreren Fabriken, lernte eine Frau kennen und heiratete sie.

Im Wiener Kriminalmuseum sind grafische Darstellungen von Hugo Schenk ausgestellt. Man erkennt einen schlanken, fast zarten Mann mit feinem, fast könnte man sagen: sanftem Gesicht und markantem schwarzem Schnurrbart. Es gehörte wohl zur Strategie von Hugo Schenk, dass ihm jene Unberührtheit und Kälte niemand zutrauen würde, mit der er tatsächlich zu Werke ging.

1881 wurde Schenk erneut wegen Heiratsschwindels festgenommen. Er wurde neuerlich zu einer Kerkerstrafe verurteilt und saß zwei Jahre lang in der Strafanstalt Stein an der Donau, wo er den Mithäftling Karl Schlossarek kennenlernte. Nach seiner Haftentlassung im Jänner 1883 planten Hugo Schenk, sein Bruder Karl und Schlossarek, Raubüberfälle und andere Straftaten zu verüben.
Durch ein Zeitungsinserat lernte Hugo Schenk im Juni 1883 die Dienstbotin Josefine Timal kennen. Er gab sich als Bahningenieur aus, versprach ihr die Ehe und lud die Frau zu einer „Hochzeitsreise“ nach Krakau ein. In einem Wald bei Mährisch-Weißkirchen betäubte er Timal und warf die Bewusstlose, beschwert mit einem Stein, in einen Tümpel. Er stahl ihr Sparbuch, den Schmuck und einige Habseligkeiten. Bei diesem Raubmord unterstützte ihn Karl Schlossarek. Die Leiche wurde sechs Wochen später, am 17. Juli 1883, gefunden. Weil Schenk befürchtete, er könnte von Katharina Timal, der Tante seines Opfers, verraten werden, plante er, sie ebenfalls umzubringen. Er lockte die Frau nach Krummnußbaum in Niederösterreich. In einem Auwald fielen Schenk und Schlossarek über die Frau her, stachen auf sie ein und erschlugen sie. Die Männer beschwerten die Leiche mit einem Stein und warfen sie in die Donau. Auch Hugos Bruder Karl war am Tatort anwesend.
Über ein Zeitungsinserat lernte Hugo Schenk die Köchin Theresia Ketterl kennen. Schenk traf sich mit ihr vor der Votivkirche in Wien, wo er vorschlug, am 4. August 1883 eine „Landpartie“ nach Pöchlarn in Niederösterreich zu machen. Schlossarek und Hugo Schenks Bruder Karl begleiteten das Paar. In einem Wald wurde Theresia Ketterl umgebracht. Die Mörder nahmen ihren Schmuck und andere Habseligkeiten mit und ließen die Leiche im Wald liegen. Hugo Schenk behauptete bei den Einvernahmen, Ketterl hätte sich beim „Russischen Roulette“ selbst in den Schädel geschossen.
Nachdem die Zeitungen von der Verhaftung Schenks und seiner Komplizen berichteten, meldete sich ein Wiener Apotheker bei den Ermittlern. Im Juli 1883 begegnete der Apotheker bei einem Spaziergang in Weidlingau einem großen Mann, der ihm zurief, dass im Wald eine sterbende Frau liege und er einen Arzt holen werde. Der Apotheker fand ein bewusstloses Mädchen, das bald zu sich kam und sich erholte. Die junge Frau erzählte, dass sie von einem freundlichen Mann angesprochen worden sei. Sie habe sich mit ihm auf einer Bank unterhalten. Er habe gesagt, er wolle für sie Blumen pflücken, habe sich aber dann ihr von hinten genähert und ein weißes, stark riechendes Tuch über Mund und Nase gedrückt. Danach wisse sie nichts mehr. Ihr fehlten ihre Ringe, die Geldbörse und andere Wertgegenstände. Der Unbekannte ließ ein Buch („La Fontaines Fabeln“) zurück, in dem der Name „Hugo Schenk“ eingetragen war. Der Apotheker sagte zur Überfallenen, sie solle am nächsten Tag zu ihm in die Apotheke kommen, er würde sie als Zeuge zur Polizei begleiten. Das Mädchen erschien aber nicht und die Anzeige unterblieb.
Die Brüder Schenk und Schlossarek planten, im Juli 1883 in Marbach einen Briefträger zu überfallen. Sie bestellten auf den Namen des Pfarrers und des Försters bei Juwelieren und Wechselstuben Schmuck und Devisen per Nachnahme. Schenk wusste, dass der Briefträger die bestellten Wertsachen von der Bahnstation abholen und durch einen Wald zum Postamt bringen musste. Sie hatten vor, den Briefträger im Wald zu betäuben und zu berauben. Der Plan scheiterte, weil der Briefträger an diesem Tag nicht wie üblich allein unterwegs war, sondern von einem Postamtsdiener begleitet wurde.
Über ein Zeitungsinserat suchte das kriminelle Trio „kautionsfähige“ Dienstnehmer. Als sich daraufhin der Müllergehilfe Franz Podpera meldete, wurde ihm eine gut bezahlte Arbeitsstelle versprochen. Während Schlossarek am 3. April 1883 mit dem Opfer durch einen Wald ging, folgte ihnen Schenk unauffällig. Schlossarek zog eine Pistole und schoss auf Podpera. Es begann ein Kampf um den Revolver. Obwohl Podpera durch Schüsse verletzt wurde, konnte er flüchten. Auch Schlossarek erlitt Verletzungen. Der in der Nähe wartende Schenk hatte in den Kampf nicht eingegriffen.
Achtzehn Tage nach dem missglückten Überfall auf Podpera wurde der Gehilfe Franz Bauer in Weidlingau in einen Wald gelockt, betäubt und ausgeraubt. Bauer hatte sich ebenfalls über ein Inserat bei Schenk gemeldet. Schenk und Schlossarek verzichteten darauf, Bauer wie geplant zu erschießen. Vermutlich wollten sie keine Aufmerksamkeit durch den Schussknall erwecken.
Im Jänner 1881 lockte Hugo Schenk in Wien einem Mann einen Geldbetrag heraus, indem er vorgab, ihm einen gut bezahlten Posten bei einer Schuhfabrik zu verschaffen. Bei der Aufteilung der Beute ihrer Opfer behielt Hugo Schenk den Großteil für sich. Sein Bruder und Schlossarek erhielten nur einen geringen Teil. Es kam deshalb zu einem heftigem Streit.
Die 25-jährige Josefine Eder überlebte, weil sie die Geliebte Hugo Schenks war. Er sagte ihr, er sei nach Linz versetzt worden und mietete für sie eine Wohnung in Linz. Sie galt als sparsam und hatte ein Sparbuch. Auch sie wurde als vermutliche Komplizin bzw. Mitwisserin festgenommen. Sie hatte über Aufforderung Schenks ihrer Dienstgeberin eine wertvolle Perlenkette gestohlen. Als sie erfuhr, dass ihr Geliebter als Raubmörder und Heiratsschwindler verdächtigt wurde, wollte sie sich das Leben nehmen. Wegen des Diebstahls wurde Eder am 8. Februar 1884 zu drei Jahren Kerker verurteilt.
Auch Emilie Höchsmann war längere Zeit die Geliebte von Hugo Schenk. Im April 1883 suchte sie über eine Zeitungsannonce einen Lebenspartner und wurde von Schenk kontaktiert. Beim ersten Treffen am 26. April gab er sich als „Zivilingenieur“ aus. Als sie ihn später bat, sie zu heiraten, erzählte er der leichtgläubigen Frau eine abenteuerliche Geschichte: Er heiße nicht Schenk, sondern sei in Wirklichkeit ein polnischer Adeliger aus der Grafenfamilie Wielopolski und habe aus politischen Gründen aus Polen flüchten müssen. Auf seinen Kopf seien 20.000 Gulden ausgesetzt und er sei ein Vertreter der russischen Nihilisten, die ihn großzügig finanzieren würden. Er könne sie nicht unter seinem Tarnnamen Schenk heiraten, weil sonst die Ehe ungültig wäre und unter seinem „echten“ Namen Graf Wielopolski auch nicht, weil sonst sein Leben gefährdet sei. Höchsmann wohnte bei der Familie ihrer Schwester und besaß keine nennenswerten Wertsachen. Das rettete ihr möglicherweise das Leben. Hugo Schenk unternahm mit ihr Reisen und schenkte ihr im August 1883 Schmuckstücke, von denen er behauptete, ein guter Freund hätte sie ihm geschenkt. Die Pretiosen stammten allerdings aus dem Besitz der kurz zuvor ermordeten Theresia Ketterl. Die anderen von Ketterl geraubten Schmuckstücke verkaufte Schenk einem Juwelier in Breslau. Schenk mietete für Höchsmann Anfang September 1883 eine Wohnung in Weidlingau. Er versprach ihr, sie zu heiraten und mit ihr nach Cincinnati zu ziehen. Dort hätte er einen reichen Onkel mit ausgedehnten Ländereien. Im November 1883 brachte Schenk seine Geliebte in Salzburg unter.

Schenks letztes Mordopfer.

Hugo Schenk und Karl Schlossarek warfen die Leiche ihres Opfers Josefine Timal in die Donau

Die 33-jährige Rosa Ferenczy lernte Hugo Schenk ebenfalls durch ein Zeitungsinserat kennen. Schenk behauptete, Eisenbahndirektor mit einem hohen Jahresgehalt zu sein. Ferenczy verliebte sich in den attraktiven Mann und verfasste für ihn Gedichte in ungarischer Sprache. Sie hatte etwas Geld erspart und drängte auf eine baldige Heirat. Hugo Schenk und sein Bruder Karl besprachen, wie sie Ferenczy beseitigen könnten und wählten als Tatort Pressburg. Hugo Schenk kaufte eine Axt und Draht und im Dezember 1883 holte Schenk die Frau in ihrer Unterkunft ab. Sie fuhren mit der Bahn nach Pressburg, begleitet von Karl Schlossarek. Sie kehrten in einem Gasthaus ein und als es dunkel wurde, spazierten sie zum Donauufer. Schlossarek trat von hinten an Rosa Ferenczy heran und schlug ihr mit der Axt auf den Kopf. Die Frau fiel zu Boden und Schlossarek versetzte dem Opfer weitere Axthiebe. Dann nahm er ihre goldene Uhr, die Ringe, Geld und andere Habseligkeiten und warf den reglosen Körper über eine Böschung in die Donau.

Am 13. März 1884 begann im Landesgericht Wien der Gerichtsprozess über die Angeklagten Hugo Schenk, Karl Schlossarek und Karl Schenk. Im Gerichtsverfahren wurde bekannt, dass Hugo Schenk einmal die Absicht geäußert hatte, ein Opfer an einen Baum zu binden, es mit Petroleum zu übergießen und anzuzünden. Hugo Schenk und Karl Schlossarek wurden am 15. März 1884 im Landesgericht Wien wegen mehrfachen meuchlerischen Raubmordes, versuchten meuchlerischen Raubmordes sowie Raubes zum Tod durch den Strang verurteilt. Karl Schenk erhielt wegen meuchlerischen Raubmordes, der Mitschuld an einem Raub und der Teilnahme an einem meuchlerischen Raubmord ebenfalls die Todesstrafe. Er wurde aber von Kaiser Franz Joseph Mitte April 1884 begnadigt; die Todesstrafe wurde in lebenslangem Kerker umgewandelt.
Hugo Schenk und Karl Schlossarek wurden am 22. April 1884 im Wiener Landesgericht vom Scharfrichter Heinrich Willenbacher und seinen Gehilfen auf dem Würgegalgen hingerichtet - oder justifiziert, wie es die beschönigende Amtssprache damals verkündete. Einen Tag darauf erstellte der Scharfrichter die Rechnung über 141,20 Gulden.
Der Schädel des hingerichteten Schenk wurde nach der Obduktion abgetrennt, um untersuchen zu können, ob eine Abnormität vorliege. Der Schädel ist im Wiener Kriminalmuseum ausgestellt.

Quellen/Literatur:
Altmann, Ludwig: Hugo Schenk und seine Genossen. Aus dem Archiv des grauen Hauses – Eine Sammlung merkwürdiger Wiener Straffälle, Band 2. Rikola Verlag, Wien/Leipzig/München, 1925.
Benedikt, Moriz; Frank, Rudolf: Anthropologischer Befund bei dem Mörder Hugo Schenk. In: Wiener Medizinische Blätter, 14. Jg., Nr. 1/1885.

Wiener Zeitung 02.04.1997/extra Lexikon (von Beppo Beyerl) – Wiener Chriminalchronik / Wien 1993
Werner Sabitzer
Bundespolizeidirektion Wien: Kriminalpolizeiliches Museum – Bundespolizeidirektion Wien (Redaktion: Harald Seyrl, Ernst Trybus). Amtsdruckerei der BPD Wien, Wien, 1984.
Der Proceß der Mädchenmörder; in: Die Presse, 15. März 1884, S. 10-12.
Der Raubmörder Schenk und seine Complicen; in: Die Presse, 12. Jänner 1884, S. 13-14.
Ein Professions-Raubmörder und seine Opfer; in: Die Presse, 10. Jänner 1884, S. 10-11.
Proceß gegen Hugo Schenk und Genossen; in: Neue Freie Presse, 16. März 1884, S. 6-7.
Ergänzungen und Bildeinfügungen – erichs-kriminalarchiv.com



6. Der Fall - Johann Berchtold

Im Februar 1896 wurden in der Münchener Karlstraße die Ministerialwitwe Caroline von Roos, deren Tochter und deren gemeinsame Köchin tot aufgefunden. Da der Polizei bei der ersten Besichtigung des Tatorts außer einer Flasche Arsenik auf dem Küchentisch nichts Verdächtiges aufgefallen war, ging man zunächst davon aus, dass sich die drei Damen versehentlich vergiftet hätten. Eine endgültige Klärung der Todesart sollte erst die Obduktion bringen. Diese führte zu einem eindeutigen Ergebnis: dreifacher Tod durch Ersticken. Da keinerlei äußere Spuren von Gewaltanwendung festzustellen waren, ging die Polizei davon aus, dass die Köchin, die dem Mörder die Tür geöffnet haben musste, diesen erkannt haben musste. Eine detaillierte Untersuchung der Wohnung erfolgte aber erst nach der Sezierung der Leichen. Dabei konnte mit Hilfe des Sohnes der Frau von Roos festgestellt werden, dass neben dem Bargeld von 800 Reichsmark auch zahlreiche Pfandbriefe fehlten.
Das Motiv für die Ermordung der drei Damen war damit geklärt: Raubmord.Da die Damen kränklich waren und aufgrund dieser Tatsache ein sehr zurückgezogenes Leben geführt hatten und keine unbekannten Personen in ihre Wohnung ließen, schien der Kreis der Tatverdächtigen nicht sonderlich groß. Die Ermittlungen im Verwandtenkreis führten jedoch zu keinerlei Ergebnissen, so dass die Polizei bald ziemlich ratlos dastand. Hilfe brachten erst zwei Hinweise aus der Bevölkerung. Sie beide führten zu derselben Person: dem 1862 in München geborenen und in Schwabing lebenden Maurer Johann Berchtold. Mit einem Indizienprozess konnte Berchtold überführt werden. Zahlreiche Zeugen glaubten Berchtold zur Tatzeit in der Karlstraße gesehen zu haben. Außerdem stellte sich heraus, dass Berchtold bereits Maurerarbeiten in der Wohnung der Ermordeten ausgeführt hatte. Darüber hinaus besaß der Verdächtige einen Lebensstil, der aufwendiger war, als es sein Verdienst erlaubt hätte. Zwei weitere Raubmorde durch Erwürgen wurden in Zusammenhag mit Berchtold gebracht, konnten ihm aber nicht eindeutig nachgewiesen werden. Sie entfielen damit der Anklage.

Am 14. Oktober 1896 wurde Johann Berchtold wegen dreifachen Raubmordes zum Tode verurteilt. Ein halbes Jahr später wurde die Strafe aber auf dem Gnadenwege zu lebenslänglichem Zuchthaus abgemildert. Am 18.August 1925 starb Berchtold im Alter von 65 Jahren im Zuchthaus in Kaisheim.
Die Polizeidirektion München glaubte, die Akte „Berchtold“ damit für immer schließen zu können und bereitete sie im Jahr 1939 zur Abgabe an das Reichsarchiv zur Archivierung vor.

Doch genau in diesem Jahr musste die Akte „Berchtold“ erneut geöffnet werden. Sie wurde in einem mindestens ebenso Aufsehen erregenden Verfahren gegen den mehrfachen Frauenmörder Johann Eichhorn als Vergleichsmaterial gebraucht. Der Grund dafür:

...Johann Berchtold war der Großvater von Johann Eichhorn!!!

Quellen: - Polizeireport München (1999), S.78-89 und -Das grosse Lexikon des Verbrechens (von Norbert Borrmann) Ausgabe 2005 - S.83-84 – ISDN 389602-543-0



7. Der Fall - Dossena

Am 11. August 1874 wurde der Apotheker Z. in Lodi von einem gewissen Dossena durch einen Stich mit einer Schusterahle in die linke Schläfe tödlich verwundet. Der Täter, der damals 66 Jahre alt war, hatte mit vierzig Jahren an einer Affektion der Leber und des Herzens gelitten, im sechsundfünfzigsten Jahr ein Anfall von Hirnkongestion mit Angstzuständen gehabt und in den Monaten vor der Tat unter Steigerung einer früheren Affektion Ruhelosigkeit gezeigt und die Angst geäußert, dass man ihn vergiften wolle. Den Apotheker Z. hielt er für das Haupt einer Bande, die ihm nach Gesundheit und Leben trachtete; Z. verteile unter sie das Gift, womit sie ihm nachstelle.
Dossena wurde zu lebenslänglichem Kerker verurteilt. In der Nacht darauf schlug er einen Mitgefangenen mit einem Stein ein Loch in den Schädel, weil er sich von ihm verfolgt wähnte. Die hierdurch veranlasste sorgfältige Untersuchung führte zu folgendem Ergebnis: Dossena war vor seiner Krankheit ein unbescholtener Mann. Z. hatte ihm nie etwas zuleide getan und ihm jedes mal, wenn sich Dossena über seine Verfolgung beschwerte, geduldig auseinandersetzte, dass er nichts gegen ihn habe. Dossena war von Vater- wie von Mutterseite her schwer erblich belastet. In beiden Familien fanden sich nicht wenige Fälle von Idiotismus, Blödsinn und Irresein. Dossena selber war von Kindesbeinen an verschroben und oft hypochondrisch verstimmt. Mit sechsundfünfzig Jahren hatte er einen mehrmonatlichen Anfall von Melancholie, von dem er sich nicht wieder ganz erholte. Er blieb sonderbar, reizbar, ängstlich, arbeitsunlustig und litt an Verdauungsbeschwerden wie an asthmatischen Anfällen. Seitdem ihm der Apotheker Z. einmal gesagt hatte, er könne möglicherweise an diesem Übel sterben, hegte er gegen diesen ein Misstrauen, das sich zu dem Wahn steigerte, dieser stelle seinem Leben mit Gift nach. Die Beschwerden, woran er litt, führte er auf solche Vergiftungsversuche zurück. Er hatte dann Z. wiederholt gewarnt und ihn und andere, die er für seine Schuldgenossen hielt, mit Schlimmem gedroht. Daneben hatte er beständig Ärzte befragt, mediziniert, um das Gift unschädlich zu machen, und zu gleichem Zweck die verkehrtesten Maßnahmen getroffen. Seiner ganzen Umgebung brachte er das größte Misstrauen entgegen. Überall sah er Feinde, überall Mitschuldige des Apothekers.
In einer Nacht war er voller Angst ins Krankenhaus gelaufen und hatte verlangt, man solle ihm eine Wunde verbinden, die ihm zugefügt worden sei. Der Arzt fand keine Spur einer Verletzung. Kurz vor der Tat hatte Dossena abermals wiederholt über Vergiftung geklagt und sich so verkehrt benommen, dass seine Angehörigen ihn ins Krankenhaus bringen wollten. Der herbeigerufene Arzt hielt es für unnötig, und freiwillig wollte sich Dossena nicht dazu verstehen, da er alle Ärzte des Landes für Mitverschworene des Apothekers hielt und im Krankenhaus seinen sicheren Tod voraus sah. Am Morgen der Tat hatte er sich sehr unwohl gefühlt und gemeint, der Tod durch Vergiftung stehe ihm unmittelbar bevor.
Im Gefängnis dauerte der Wahn fort; das Gift werde ihm an die Kleider und auf die Haut getan, ins Essen gestreut, in alle Öffnungen seines Körpers eingeführt; seine nervösen und Verdauungsbeschwerden wie seine Schlaflosigkeit seien Symptome dieser Vergiftung.
Das Gutachten wies die übersehene, seit vielen Jahren in der Form der Paranoia persecutoria bestehende Geisteskrankheit und die Unzurechnungsfähigkeit zur Zeit der Tat nach.
Quellen: - Die Irrtümer der Strafjustiz unserer Zeit – Geschichte der Justizmorde von 1797 – 1910 (von Alfred Sello) Ausgabe 2001 - Seite 410 – ISBN 3-929349-40-X



8. Der Fall - Margaret Waters

Fünf Pfund Sterling war der Witwe Margaret Waters das Leben eines Säuglings wert. Denn dies war der Betrag, den die aus dem Südlondoner Stadtteil Brixton stammende „Babyfarmerin“ für die Adoption eines ungewollten Kindes verlangte. Dafür warb sie in Zeitungsinseraten und konnte sich über mangelnden Zulauf nicht beklagen. Doch anstatt die Neugeborenen in gut situierten Familien unterzubringen, ließ sie die Babys verhungern. Innerhalb von vier Jahren soll sie auf diese Weise zwischen 16 und 35 Kindern ermordet haben.

Als ihr im Juni 1870 die Polizei auf die Spur kam, bot sich den Gesetzeshütern in ihrem Haus ein Bild der Schreckens: Sie fanden 10 völlig verwahrloste Babys und Kleinkinder vor, die bis auf die Knochen abgemagert waren und in ihren Exkrementen lagen. Einige von ihnen waren mit Opiumlösung betäubt worden, um sie vom Schreien abzuhalten. Die Kinder wurden ins Armenhaus gebracht, doch trotz intensiver Pflege starben fünf von ihnen infolge der Unterernährung. Waters gestand nach und nach immer mehr Morde. Neben den fünf im Armenhaus verstorbenen Kindern, gab sie zu, elf Babys durch Nahrungsverweigerung getötet zu haben.
Als der Fall um die Kindermörderin im September 1870 vor Gericht kam, zeigte sich die Bevölkerung in Aufruhr über die Verbrechen. Obendrein wurde Margaret Waters lediglich wegen eines Mordes angeklagt und schuldig gesprochen. Sie zeigte sich dennoch empört über den Schuldspruch und empfand es als eine Ungerechtigkeit, dass man nicht auch die leiblichen Eltern für die getöteten Kinder verantwortlich machte. Margaret Waters wurde am 11. Oktober 1870 im Alter von 35 Jahren in Horsemonger Lane hingerichtet.
Quellen: -Lexikon der Serienmörder (von Peter & Julia Murakami) 2. Auflage 2000 – S.191 – ISBN 3-548-35935-3


 

9. Der Fall – Frederick Bailey Deeming

Lange bevor der 1853 in Liverpool geborene Frederick Deeming in Australien als Serienmörder bekannt wurde, betätigte er sich als Heiratsschwindler, Betrüger und Dieb. Unter verschiedenen Namen beging er Betrügereien in Südafrika, Belgien, Südamerika und Australien, indem er sich als Besitzer einer Diamantmine ausgab und überwiegend Juweliere betrog.

Anfang 1891 ermordete er seine Frau Mary und seine vier Kinder, die er unter dem Küchenboden einer herrschaftlichen Villa in Rainhill bei Liverpool einzementierte.

Anschließend machte er Emily Mather, der Tochter der Hausbesitzerin, den Hof, der gegenüber er seine Frau als seine Schwester ausgegeben hatte. Noch im gleichen Jahr heiratete er Emily und siedelte mit ihr nach Australien über, wo er sich im Dezember 1891 in Melbourne niederließ. 14 Tage später war Emily tot und unter dem Boden des Kamins einzementiert.
Deeming hatte sich unter dem Namen Baron Swanton abgesetzt und wurde am 11. Mai 1892, als er eine andere junge Frau, die kurz zuvor eine beträchtliche Erbschaft gemacht hatte, zu hofieren begonnen hatte, festgenommen. Die Polizei hatte die einzementierte Frauenleiche entdeckt, weil seinem Vermieter ein starker Verwesungsgeruch aufgefallen war. Auch die britischen Behörden stießen auf die in der Liverpooler Villa einzementierten Leichen von Mary Deeming und ihren Kindern. In drei weiteren Häusern in Südafrika, in denen er gelebt hatte, wurden ebenfalls Frauenleichen entdeckt.



Deeming alias..., alias...,

Deeming mit seiner 1. Frau Mary



Emily Williams Mather

Frederick Bailey Deeming



Illustration der Mordwaffen, mit denen Deeming seine Frau Emily tötete.

Illustration mit Emily Mathers Schädel und der Streitaxt, die die Wunden zugefügt hat.



»Er war ein äußerst leidenschaftlicher Mann, und wenn er außer Fassung war, hatte er keine Kontrolle über sich selbst«, erklärte Fredericks älterer Bruder Edward in einer eidesstattlichen Erklärung. »Frederick war nie ein Liebling meines Vaters. Er scheint ihn von Geburt an nicht gemocht zu haben.« Deemings ermordete Kinder sind in einer Illustration abgebildet.

Die Totenmaske von Frederick Bailey Deeming.

Bei seinem Prozess in Melbourne im Mai 1892 gab Deeming an, dass ihn der Geist seiner verstorbenen Mutter gezwungen habe, die Morde zu begehen. Trotz aller Versuche seines prominenten Verteidigers und späteren australischen Premierministers Alfred Deakin, den Serienmörder wegen Unzurechnungsfähigkeit in eine geschlossene Klinik einweisen zu lassen, verurteilte ihn die Jury des Geschworenengerichts zum Tode. Wie der Engländer Dr. Thomas Neill Cream, der im gleichen Jahr in London hingerichtet wurde, behauptete auch Deeming, der gefürchtete „Jack the Ripper“ gewesen zu sein, obwohl er zur Zeit der Rippermorde im Gefängnis saß. Nur wenige Tage vor seiner Hinrichtung empfing Deeming zwei Besucher in seiner Todeszelle – Sidney und Marion Dickinson.
Das amerikanische Ehepaar glaubte, Deeming sei Jack the Ripper und überzeugte ihn, sie einen Gipsabdruck seiner rechten Hand machen zu lassen – dieselbe Hand, die auf gegenüberliegenden Seiten der Welt so viel Tod gebracht hatte – in der Hoffnung, die Linien in seiner Handfläche könnten seine Wahrheit enthüllen Identität.

Frederick Bailey Deeming wurde am 23. Mai 1892 im Swanston Gefängnis in Melbourne gehängt.
Quellen: - Lexikon der Serienmörder (von Peter & Julia Murakami) 2. Auflage 2000 – S.581 – ISBN 3-548-35935-3



10. Der Fall – Franz Troglauer

Franz Troglauer wurde am 8.Juli 1754 in der Marktgemeinde Mantel geboren und starb am 6. Mai 1801 in Amberg. Er war ein Räuberhauptmann und Wilderer in Nordbayern.
Geboren und aufgewachsen im Markt Mantel in der bayerischen Oberpfalz soll er schon in seiner Jugend ein Dieb und Räuber gewesen sein. Nachdem er wegen verschiedener Vergehen dreimal im Amberger Zuchthaus eingesessen war (das erste mal 1786), schloss er sich mit einigen Brüdern und Schwestern der später so genannten „Großen Fränkischen Diebes- und Räuberbande“ an. In dieser über 180-köpfigen Bande brachte er es schnell zum Rädelsführer. Bei einem Diebstahl in Bamberg entwendeten sie Beute im Wert von 12.000 Gulden - unter anderem den Bischofsstab des Weihbischofs. 1796/97 saß Troglauer wegen eines Pferdediebstahls in Untersuchungshaft in Vilseck.
Diese Stadt war eine bambergische Enklave in bayerischem Gebiet. Obwohl man ihn hier ursprünglich zu ewigem Kerker verurteilen wollte, begnügte man sich ihn an den Pranger zu stellen und danach des Landes zu verweisen. Als die „Große Fränkische Diebes- und Räuberbande“ 1798 durch Verrat aufflog und viele Bandenmitglieder verhaftet wurden, musste Troglauer quer durch Bayern flüchten. In Regensburg wurde er verhaftet, konnte jedoch bei einem Gefangenentransport fliehen. Einige Wochen später wurde er in Straubing inhaftiert, konnte aber auch von dort entkommen. Schließlich scharte er einige Kumpane um sich und gründete eine eigene kleine Räuberbande.
Von 1799 bis Dezember 1800 trieb Troglauer mit seiner Bande in der gesamten Oberpfalz und in Franken sein Unwesen. Er wurde öffentlich gesucht und hatte nicht mehr viel zu verlieren. Aus Rache für frühere Verhaftungen wollte er den Landrichter Georg von Grafenstein auf Parkstein ermorden. Angeblich hatte er diesen schon mehrere male aufgelauert. Die Regierung in Amberg setzte 100 Gulden Belohnung für denjenigen aus, der Franz Troglauer gefangen nahm. Obwohl Troglauer steckbrieflich gesucht wurde, scheute er sich nicht mit seiner Bande öffentlich im Wirtshaus zu zechen (im März 1800 in Hirschau). Niemand wagte es gegen diese Räuber öffentlich vorzugehen. Auf Troglauers Konto gehen viele Diebstähle und Einbrüche in Kirchen. Ein anderes Delikt war aber die Wilderei, die alleine schon aus Überlebensgründen an der Tagesordnung war.
Im Dezember 1800 gelang es schließlich einem Gerichtsdiener in Freystadt bei Neumarkt, Troglauer festzunehmen. Von dort wurde er nach Amberg transportiert, wo man ihm den Prozess machte.
Am 6. Mai 1801 wurde er am Galgen in Amberg hingerichtet.
Eine Beurteilung Franz Troglauers aus heutiger Sicht ist schwierig. Die zeitgenössischen Akten gehen mit ihm schwer ins Gericht. Man muss hierbei jedoch berücksichtigen, dass alle überlieferten Schriftstücke aus der Hand der Strafverfolger stammen. Ohne einen gewissen Rückhalt in der Bevölkerung hätte sich Troglauer wohl nicht so lange halten können.
Quellen: - Der Galgen ist mein Grab - auf den Spuren der Räuberbande des Franz Troglauer durch Oberpfalz und Franken (von Bernhard Weigl) Verlag Eckhard Bodner, Pressath/Oberpfalz 2005 - ISBN 3-937117-22-9.



11. Der Fall – Johann Oberreiter

Ein Ex-Bürgermeister als Seriengiftmörder

Tod durch den Strang lautete das Urteil gegen den Lebzelter und Bürgermeister Johann Oberreiter aus Werfen in Salzburg. Nach fünftägigem Prozess im k. k. Landesgericht Salzburg wurde der Angeklagte am 4. März 1865 schuldig gesprochen, seine Tochter und Stieftochter aus Geldgier vergiftet zu haben. Johann Oberreiter, 1803 in Dienten am Hochkönig geboren, lernte den Beruf des Lebzelters in Radstadt und kam 1832 als Geselle nach Werfen, wo er im Lebzeltergeschäft einer jungen Witwe arbeitete, die er auch heiratete.
Die Familie galt als angesehen, obwohl die Frau als cholerisch galt und ihre Kinder vernachlässigte; 1843 wurde Oberreiter zum Bürgermeister ernannt. Dieses Amt übte er bis 1848 aus. Im Jahr 1855 starb seine Frau und der Witwer wurde Alleinbesitzer des stattlichen Hauses. Vier Jahre später heiratete der inzwischen verschuldete Lebzelter eine „Chirurgenswitwe“.
Im Jahr 1864 starben innerhalb von wenigen Wochen eine Stieftochter und eine Tochter an denselben Symptomen. Oberreiter versuchte auffällig, eine möglichst schnelle Beerdigung zu erreichen. Seine Frau, der zu Ohren gekommen war, ihr Mann hätte seine erste Gattin umgebracht, erstattete kurze Zeit später beim Bezirksgericht St. Johann die Anzeige, ihr Mann hätte die beiden Mädchen mit Grünspan vergiftet, weil sie ihm zu einer „unerträglichen Last“ geworden seien. Die Obduktion der beiden Leichen ergab, dass die Mädchen mit Arsen vergiftet worden waren.
Johann Oberreiter wurde wegen des „Tatbestands des Verbrechens des Meuchelmordes“ verhaftet. Im k. k. Bezirksgericht St. Johann legte er ein Geständnis ab, allerdings gab er an, er hätte die „Leiden“ der Töchter „abkürzen“ wollen. Nach dem Geständnis wurde die Leiche seiner ersten Frau exhumiert und untersucht. Die körperlichen Überreste enthielten Spuren von Arsen und Kupfer. Der Verdacht verstärkte sich, dass Oberreiter seine Frau mit Arsen vergiftet hatte. In diesem Punkt wurde der Angeklagte aber vom Gericht mangels Beweisen freigesprochen. Es blieb die Verurteilung wegen der Vergiftung seiner Tochter und Stieftochter. Die Vollstreckung des Todesurteils war die letzte Hinrichtung im 19. Jahrhundert in Salzburg.

Quellen: -ÖFFENTLICHE SICHERHEIT 5-6 / 2007



12. Der Fall - Darja Nikolajewna Saltykowa

Das russische Gegenstück zu Elisabeth Báthory stellt zweifelsohne Darja Nikolajewna Saltykowa (1730-1801) dar.
Darja Nikolajewna Saltykowa, genannt Saltytschicha, war eine russische Gutsbesitzerin im Moskauer Gouvernement, die über 100 Leibeigene, in der großen Mehrzahl junge Mädchen, zu Tode quälte.

Über ihre Kindheit ist nicht viel bekannt, außer dass sie die dritte Tochter eines Adligen gewesen sein soll. Sie heiratete Gleb Saltykow, einen Offizier der Leibgarde, gebar ihm zwei Söhne und wurde mit 26 Jahren Witwe. Nach dem Tod ihres Ehemannes avancierte sie zur alleinigen Besitzerin von Tausenden leibeigenen Muschiks (Bauern) und ausgedehnten Landgütern, die sich im Südwesten des riesigen russischen Reiches befanden.  Zur Erholung hielt sie sich gern auf ihrem Landgut Troizkoje nahe der Stadt Podolsk südlich von Moskau auf, wo sich auch die meisten Folterungen und Morde ereigneten. Zunächst verbreiteten sich in den umliegenden Dörfern Gerüchte von der grausamen Gutsherrin, die eigenhändig auf ihre Leibeigenen bis zu deren Tod einschlug.

Ein Porträt der Gräfin Darya Petrovna Saltykova.

Am 17. Mai 1764 wurde die Strafsache gegen Darja Nikolajewna eingeleitet. Die Saltytschicha konzentrierte ihren Hass vornehmlich auf Frauen bzw. junge Mädchen. Gewöhnlich bekam sie den Rappel, wenn das Mädchen den Fußboden reinigte. Diese einfache Handlung brachte sie in einen Zustand extremer Aufregung und Wut. Sie stürzte sich auf ihr Opfer, schlug mit einem Holzscheit oder mit einem glühend heißem Bügeleisen auf das Opfer ein. Anderen steckte sie den Kopf ins Eis, ließ sie Tag und Nacht hungern oder verbrannte ihnen mit kochendem Wasser das Gesicht. Sie quälte die Leibeigene Larionowa, indem sie die Kerze nahm und mit der Flamme die Haare des Mädchens anzündete. Die Leibeigene Petrowa jagte sie in den Teich hinein und ließ sie bei Novemberkälte bis zum Hals im Wasser stehen. Schwangeren Frauen trat sie in den Bauch, zwei zwölfjährige Mädchen quälte sie zu Tode.

In ihrem blutigen Verzeichnis fanden sich auch die Namen von zwei Männern.
Im staatlichen Ermittlungsverfahren, das sechs Jahre dauerte und das etliche Beamten der Korruption und Unterschlagung von Beweisen überführte, klagte man die Saltytschicha für 38 Verbrechen an. In das Verzeichnis der Mordopfer gingen 75 Namen ein. Auf Befehl Katharinas der Großen, die ein politisches Zeichen setzen wollte, wurden ihr am 12. Juni 1768 der Adelsstand, die mütterlichen Rechte und das gesamte Vermögen aberkannt. Auf die Todesstrafe wurde allerdings verzichtet – auch in Russland wollte man es sich mit der herrschenden Klasse nicht verscherzen.

Am Morgen des 17. November 1768 führte man Darja Nikolajewna Saltykowa bei heftigem Schneefall auf den Roten Platz in Moskau. Dort, wo alle Bestrafungen stattfanden, musste sie mit der angehängten Aufschrift „Peinigerin und Mörderin“, in Ketten gefesselt, öffentlich am Pranger stehen. Dann wurde sie lebenslänglich in einer Zelle unterhalb der Kirche des Iwanowski Klosters eingesperrt.  Sie soll dort 33 Jahre gesessen haben und starb 1801 als gebrechliche Frau.

Quellen: - Historische Serienmörder - Menschliche Ungeheuer vom späten Mittelalter bis zum Ende es 19. Jahrhunderts (von Michael Kirchschlager) 1. Auflage Arnstadt 2007 - S. 214 - ISBN 978-3-934277-13-7


13. Der Fall - Christian Hussendörfer

Maximilian II. hatte 1854 durch königliche Verordnung festgelegt, dass die Todesstrafe nicht mehr durch das Schwert, sondern durch ein Fallbeil zu vollziehen sei.
Den äußeren Anlass dafür bot ihm die unglücklich verlaufene Enthauptung des 19 Jahre alten Sattlergesellen Christian Hussendörfer aus Syburg im Landgericht Greding. Dieser war am 11. Mai 1854 in München hingerichtet worden, weil er seinen Lehrmeister Joseph Lindermaier aus Eurasburg brutal ermordet und ausgeraubt hatte.
Der Scharfrichter musste 7 mal zuschlagen bis der Kopf von Hussendörfer fiel.


Maximilian II von Bayern (1848 - 1864)

Christian Hussendörfer, 19 Jahre alt, lediger Sattlergeselle von Syburg, k. Landgerichts Greding, führte seither kein tadelfreies Leben. Er neigte sich dem Trunke und der Nachtschwärmerei hin, war dem fremden Eigentum gefährlich, und bestahl auch schon einen seiner früheren Meister. Im Monat Juli 1853 trat Christian Hussendörfer bei dem Sattlermeister Joseph Lindermaier von Eurasburg als Geselle gegen Kost und Lohn in Arbeit, und befand sich im September des Jahres 1853 mit demselben bei einem Bauern in Holzburg auf der Störe. Als sie am 29. desselben Monats die Arbeit dort vollendet hatten, begaben sie sich nachts zwischen zehn und elf Uhr auf den Rückweg nach Eurasburg. Hussendörfer, welcher schon einige Tage vorher den Entschluss gefasst hatte, seinen Meister zu ermorden und ihm den vereinnahmten Arbeitslohn, welcher in dreizehn fl dreißig kr bestand, abzunehmen, überfiel nun plötzlich am Ende eines Waldes denselben, tötete ihn nach langer vergeblicher Gegenwehr durch mehrere Schläge und Messerstiche, und nahm sodann dessen Barschaft zu sich.
In Eurasburg angekommen, rief Christian Hussendörfer sogleich um Hilfe, und sagte unter Vorzeigung seiner blutigen Hände, er und sein Meister seien von Räubern überfallen worden, und dieser liege noch im Walde. Erst am anderen Tage wurde Joseph Lindermaier grässlich verstümmelt und in einem Acker auf dem Rücken liegend entseelt gefunden.
Bei der gerichtlichen Besichtigung der Leiche ergab sich, dass der Hirnschädel gänzlich zerschmettert, das rechte Schläfenbein durchstoßen und die edelsten Organe der Brust und des Unterleibes mehrfach beschädigt waren, - Verletzungen, welche notwendig, unmittelbar und ihrer allgemeinen Natur nach tödlich gewesen.
Christian Hussendörfer wurde als der Tat verdächtig alsbald in Untersuchung gezogen und nach erfolgter Verweisung vor das Schwurgericht von Oberbayern in der Sitzung vom 20. März 1854 abgeurteilt. Die Geschworenen erkannten ihn des Verbrechens des doppelt qualifizierten Mordes für schuldig, worauf der Schwurgerichtshof von Oberbayern durch das Urteil vom 20. März die Todesstrafe gegen ihn aussprach.
Nachdem der oberste Gerichtshof, welchem die Prüfung des Urteils gemäß Artikel 233 des Strafprozess-Gesetzes vom 10. November 1848 von Amts wegen zustand, weder in dem gegen den Angeklagten durchgeführten Strafverfahren, noch in dem erlassenen Strafurteil einen Nichtigkeitsgrund gefunden hatte, haben Seine Majestät der König am 1. Mai 1854 zu erklären geruht, dass zur Begnadigung des Christian Hussendörfer kein zureichender Grund vorliege.
Demzufolge wurde am Vormittag das Todesurteil an Christian Hussendörfer durch öffentliche Enthauptung mit dem Schwert vollzogen. Tragisch an der Hinrichtung war, dass es dem Münchner Scharfrichter Lorenz Scheller nicht gelang, Hussendörfer mit einem einzigen Schwerthieb zu enthaupten. Zeitgenössischen Berichten zufolge musste er siebenmal zuschlagen, ehe Hussendörfers Kopf vom Leib getrennt war.

Durch häufigen Gebrauch hat die kolorierte Planzeichnung zur bayerischen Variante des Fallschwerts stark gelitten. Sie wurde von der Restaurierungswerkstatt des Bayerischen Hauptstaatsarchivs plangelegt und in mühevoller Detailarbeit wiederhergestellt.

König und Justizverwaltung reagierten prompt, da sie das Unruhe- und Protestpotenzial erkannten, das einer misslungenen Hinrichtung innewohnte. Die Einführung der Fallschwertmaschine lag Mitte des 19. Jahrhunderts in der Luft. Das Königreich Bayern war auch keineswegs der erste deutsche Staat, der sie offiziell einführte. In Sachsen, Württemberg, und Hessen-Darmstadt war man schon in den Jahren zuvor zu dieser Hinrichtungsart übergegangen.
Hatte man die Guillotine in der ersten Jahrhunderthälfte vor allem mit der französischen Revolution, also mit Umsturz und Gewalt in Verbindung gebracht, so sah man im Fallschwert nun mehr und mehr ein Mittel zur Stabilisierung der Monarchie. Aus dem Symbol der Unordnung war – wie der Historiker Richard J. Evans festgestellt hat – ein Symbol der Ordnung geworden. Damit diese Logik aufging, bedurfte es allerdings eines zuverlässig funktionierenden Mechanismus.
Wie ein erst kürzlich vom Staatsarchiv München neu erworbener Akt der bayerischen Bauverwaltung, der auch den Bauplan des bayerischen Fallschwerts enthält, dokumentiert, wurde 1854 eine Hinrichtungsmaschine aus Württemberg ausgeliehen, um deren Praxistauglichkeit erproben zu können. Die Mitarbeiter der Münchner Bauinspektion I bestätigten die Funktionalität der württembergischen Hinrichtungsmaschine, formulierten zugleich aber eine Reihe von Kritikpunkten. Ein zentraler Einwand bezog sich darauf, dass deren Obergestell aus eisenbeschlagenen Hölzern hergestellt war, die beim Kontakt mit Feuchtigkeit aufquellen und so die Funktionsfähigkeit gefährden konnten.
Bei der bayerischen Hinrichtungsmaschine wurden daher nicht nur das Schwert und der Schlitten, sondern auch der Rahmen selbst aus massivem Eisen hergestellt. Außerdem schlug die Bauverwaltung eine geringere Fallhöhe vor, um das Gerät leichter und besser transportabel zu machen.

Quellen: - Kriminal- Geschichte Bayerns (von Reinhard Heydenreuter) Ausgabe 2003 - S.293 - ISBN 3-7917-1826-6 und - BSZ Bayrische Staatszeitung vom 23. März 2007



14. Der Fall - John Bishop, Thomas Williams und James May

Die Leichenräuber von London

Das London des 19. Jahrhunderts war ein in vieler Hinsicht finsterer Ort. Armut, Krankheiten und Verbrechen hatten die Stadt im Griff, Zehntausende Obdachlose kämpften um das tägliche Überleben. Manche von ihnen fielen "Körperjägern" zum Opfer - Mördern im Dienste der medizinischen Forschung.


Kinderkrankenhaus: Seltenes Privileg.

John Bishop erwacht vor Morgengrauen in seiner Zelle aus kurzem, tiefem Schlaf. Er fährt sich mit der Hand durch das Haar und sagt, so erinnert sich später der Wärter: "Ich verdiene, was auf mich zukommt." Dann nimmt er eine letzte Mahlzeit zu sich, etwas Toast und Tee, scheinbar gleichgültig. In seinem Kerker nebenan fleht Thomas Williams verzweifelt um Vergebung. Er stammelt den Anfang eines Gebetes, bricht ab, beginnt ein anderes, dessen Text er aber ebenfalls vergessen hat. Als er herausgeführt wird, muss er gestützt werden. So gehen John Bishop und Thomas Williams, Leichendiebe und Mörder, dem Galgen entgegen. Der eine entrückt und beinahe in Trance, der andere zitternd vor Angst. Draußen treibt ein kalter Wind Nebelschwaden durch die Straßen der Stadt. Dennoch haben sich seit fünf Uhr morgens mindestens 30.000 Schaulustige vor Old Bailey, dem Strafgericht, versammelt, wo die beiden Mörder gehängt werden sollen.
Gesühnt wird der Tod eines Straßenkindes wahrscheinlich italienischer Herkunft, das in den Zeitungen unter dem Namen "The Italian Boy" bekannt geworden ist. Es ist von John Bishop und Thomas Williams ermordet worden, die seinen Körper anschließend an die anatomische Fakultät des King's College verkaufen wollten - zu Lehrzwecken. Der Tod des Jungen ist ein Medienereignis. Die Zeitungen sind voller Zeichnungen des schönen kleinen Knaben, voller Geschichten über dessen angebliche Herkunft und sein Leben als Vagabund in den Straßen. Gegen acht Uhr verstummt das Gemurmel der Menge.
William Calcraft, der Henker, betritt mit seinem Assistenten das Schafott. Er ist dafür bekannt, sich vor öffentlichen Auftritten mit Brandy zu betäuben - und auch dafür, die Fallhöhen schlecht zu berechnen: Mehr als einmal schon hat er sich an den Rücken eines Verurteilten klammern müssen, damit dessen Genick durch das zusätzliche Gewicht auch tatsächlich brach. James May, einem dritten Leichenräuber und Komplizen von Bishop und Williams, bleibt der Strick erspart - er war an dem Mord nicht beteiligt und wird zwei Wochen später mit der "Justitia" in die australische Verbannung segeln.
John Bishop betritt das Gerüst über eine Treppe. Sofort beginnen die Zuschauer zu kreischen und Verwünschungen auszustoßen. Bishop nimmt dies hin, ohne sich zu bewegen. Als Calcraft ihm den Sack über den Kopf zieht und die Schlinge um den Hals legt, geht ein Jubelschrei durch die Menge. Bishop steht ruhig da und wartet. Zwei Minuten später wankt Thomas Williams auf das Schafott. Obwohl sein Körper bebt, verbeugt er sich vor den Massen wie ein Schauspieler nach einer gelungenen Premiere. Schließlich legt Calcraft auch ihm die Schlinge um den Hals. Dann öffnen sich die Falltüren mit einem Knacken. Bishop ist sofort tot. Aber Williams strampelt und kämpft. Fünf schreckliche Minuten dauert es, bis auch sein Körper reglos am Galgen hängt. Das Publikum ist entzückt.


Polizeikontrolle: Machtlose Gesetzeshüter.

London 1831: Zu dieser Zeit die größte und wohlhabendste Stadt der Welt ist auch eine der unruhigsten. Regelmäßig machen die Armen ihrer Wut über Preiserhöhungen in Tumulten und Plünderungen Luft. Fast fünfundsiebzig Prozent der Bevölkerung sind verelendet. Trotz staatlicher Lohnzuschüsse müssen schätzungsweise mehr als die Hälfte der Familien mit einem Jahreseinkommen von weniger als 25 Pfund auskommen; damit leben sie unter dem Existenzminimum. Schon ein geringer Anstieg der Lebensmittelpreise, beispielsweise nach Missernten, führt dazu, dass sie sich noch nicht einmal mehr mit Grundnahrungsmitteln versorgen können. Doch auch in besseren Jahren reicht ihr Einkommen kaum aus, um etwa frisches Obst kaufen zu können. Mangelkrankheiten wie Skorbut sind die Folge: Den Kranken fallen die Zähne aus, ihre Gelenke entzünden sich, sie leiden unter Muskelschwund und können schließlich nicht mehr arbeiten. Weil das Trinkwasser ungefiltert aus der Themse gepumpt wird, grassieren in den dicht besiedelten Armenvierteln zudem Durchfallkrankheiten wie die oft tödlich verlaufende Ruhr. In diesen Stadtteilen stirbt ein Fünftel der Kinder noch vor dem ersten Geburtstag. Die dort wohnenden Arbeiter haben eine Lebenserwartung von 22 Jahren, während Angehörige der Oberschicht durchschnittlich 45 Jahre alt werden. Dennoch wächst die Stadt explosionsartig: Seit der Jahrhundertwende hat sich die Zahl der Einwohner im Großraum London auf rund zwei Millionen fast verdoppelt - vor allem durch den Zuzug von Landarbeitern und Kleinbauern, deren Höfe nicht mehr rentabel waren.


Waschung im Obdachlosenheim: Hoffnung auf eine Nacht unter festem Dach.

Nur langsam beginnen Politiker und Versorgungsunternehmen mit der Modernisierung der Region. Die Chelsea Waterworks etwa reinigen das Themsewasser seit 1829 mit einem Sandfilter, in dem die gröberen Verunreinigungen hängen bleiben. Doch pro angeschlossenes Haus verlangt das Unternehmen jährlich eine Gebühr von zehn Pfund. 1826 wird das University College gegründet, die erste öffentliche Universität Londons, zwei Jahre später folgt das King's College. 1831 studieren allein 800 Medizinstudenten an 21 - meist privaten - anatomischen Lehranstalten: so viele wie nie zuvor, doch zu wenige, damit auch künftig eine angemessene ärztliche Versorgung für die Unterschicht gewährleistet werden kann.
Um die Grundbegriffe der Anatomie und die notwendigen Operationstechniken zu erlernen, müssen die Studenten an Leichen üben; insgesamt werden mehr als 1000 Tote pro Jahr benötigt. Doch die einzigen Leichname, die den Medizinern per Gesetz zur Verfügung stehen, sind die von hingerichteten Mördern. Im Jahr 1831 sind das genau zwölf Leichen in ganz England und Wales - zu wenige. Und so ist in der Halbwelt ein neuer, für Angehörige der Unterschicht attraktiver Wirtschaftszweig entstanden: Resurrection Men, "Männer, die die Toten wiederauferstehen lassen", stehlen Verstorbene aus frischen Gräbern, von Totenwachen und aus Krankenhäusern und verkaufen die Leichen für acht bis zwölf Pfund pro Stück an Anatomen und Chirurgen der Stadt.
Männliche Leichen haben einen höheren Marktwert als weibliche, weil deren Muskulatur anschaulicher ausgebildet ist; zur Not akzeptieren die Chirurgen auch Babyleichen. Spitzenpreise erzielen die verstorbenen Insassen von Psychiatrien. Für die Leiche eines jungen Geisteskranken bieten Chirurgen, wohl auf seltsame Verformungen des Gehirns hoffend, schon mal 20 Pfund. Eine enorme Summe - fast das halbe Jahresgehalt eines gut bezahlten Dieners. Bei den Preisen, die von den Ärzten für Leichen gezahlt werden, ist die Versuchung für die Resurrection Men groß, selbst für Nachschub zu sorgen Es ist unklar, wie viele Leichenräuber 1831 ihrer Arbeit nachgehen. Möglicherweise sind es mehr als 200, die gelegentlich ein "Ding", wie sie es nennen, verkaufen, ansonsten aber gewöhnliche Diebe und Betrüger sind. Ein guter Body Snatcher benötigt für die Bergung einer Leiche etwa 30 Minuten. Auf manchen Friedhöfen liegen die Leichen so dicht unter der Erdoberfläche, dass die Arbeit schon fast der eines Pilzsammlers gleicht. Der Kirchhof der St. Clement Danes Church etwa, südlich des Clare Market, ist chronisch überfüllt. Die frisch beerdigten Toten liegen meist nur 30 Zentimeter unter der Oberfläche. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Besucher der Kirche in Ohnmacht fallen, betäubt von dem Gestank, welcher der Krypta entweicht, wo 12000 Körper in Stapeln bestattet sind.
Wirkliche Spezialisten, denen die Anatomen vertrauen und die ihre Ware pünktlich liefern, gibt es vielleicht zehn in der Stadt. Gut möglich, dass John Bishop und Thomas Williams dazu zählen. Bis zu seiner Verhaftung hat John Bishop zwischen 500 und 1000 Leichen an die medizinischen Lehranstalten Londons geliefert. Am 5. November 1831 präsentieren die beiden gemeinsam mit James May den Ärzten des King's College die Leiche eines etwa 14-jährigen Jungen. Doch der Körper, der aus einem Sack auf den steinernen Boden gleitet, macht einen verdächtig frischen Eindruck.
Einen Tag zuvor haben sich die zwei schon morgens von ihrem winzigen Cottage im Viertel Nova Scotia Gardens auf den Weg in ihre Stammkneipe "Fortune of War" gemacht, wo sich Londons Leichenräuber mit ihren Informanten und Trägern treffen, um Details über bevorstehende Todesfälle oder Beerdigungen auszutauschen. Der Pub liegt mitten in Smithfield, an der Ecke Giltspur Street und Cock Lane - jener Kreuzung, an der das große Feuer von 1666 Halt gemacht hat. Unter den Wirtshäusern in der Umgebung, in denen sich die Body Snatcher treffen, ist es das berühmteste. Es soll Zeiten gegeben haben, da lagerten die Leichenräuber ihre "Dinge" einfach, mit einem Namensschildchen versehen, unter den Bänken oder hinter den Tresen, während sie die medizinischen Schulen abgingen, um herauszufinden, wer bereit war, den besten Preis zu zahlen.



Gedränge in der Innenstadt: Mittendrin versuchen 15.000 Straßenjungen mit Betteln, Taschendiebstahl und der Präsentation von Kuriositäten zu überleben – oft im Auftrag eines erwachsenen Patrons.

Arbeiter beladen Speicher am Hafen: Zwei Drittel sind Tagelöhner, die jeden Morgen erneut um einen Job anstehen müssen. Abends treffen sie sich in Pubs wie dem "Fortune of War", wo auch die Leichenhändler verkehren.



Obdachlose: Wer kein Heim hat, schläft im Freien. Eine obdachlose Frau und zwei Jungen gehören zu den Opfern der Leichenbeschaffer.

Blumenmädchen: Oft mussten sie nicht nur Veilchen verkaufen, sondern auch ihre Körper. Es wird geschätzt, dass 80.000 Frauen in der Metropole als Prostituierte arbeiteten.



Rettung von der Straße: Fast die Hälfte aller Londoner Toten ist unter zehn Jahre alt. Selbst deren schmächtige Körper kaufen Ärzte von den Leichenhändlern.

Übernachtung im Freien: Die meisten Obdachlosen Jungen schlafen unter den Dächern des Marktes von Covent Garden, in den Büschen des Hyde Park, in den Heuhaufen von Marylebone - oder unter einer der Themsebrücken.

Leichendiebstahl wird nur milde bestraft. John Bishop etwa ist 1825 zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt worden, nachdem er beim Transport eines exhumierten Leichnams ertappt worden war. Doch weitere Strafen fürchtet er nicht. Eines Tages hat er sich vor dem Gerichtsgebäude an der Bow Street aufgestellt, eine Hand voller Geldstücke in die Höhe gehalten und den herumstehenden Polizisten zugerufen: "Seht ihr? Ihr könnt mich nicht davon abhalten. Letzte Nacht habe ich wieder einen Steifen geholt und neun Pfund dafür bekommen." Für den Jungen will er mindestens zehn haben.

Im "Fortune of War" sitzt an diesem Morgen der Leichenräuber James May am Tresen und trinkt Rum. Bishop bittet May, der gute Kontakte hat, um Hilfe beim Verkauf der Leiche. May hat erst am Tag zuvor zwei "Dinger", die er sich auf dem Land besorgt hat, an Guy's Hospital verkauft. Er hat keine Ahnung, wie Bishop und Williams an die Leiche gekommen sind. Als er den Körper besichtigt, ist er über dessen erstaunliche Frische verwundert - und sicher, einen guten Preis dafür zu bekommen. Später am Abend stellt sich May im "Fortune of War" an den Tresen und beginnt, etwas Wasser über sein Taschentuch zu schütten. Henry Lock, der Barmann, beugt sich über den Tresen, um zu sehen, was May in dem Tuch hält. Es ist ein Satz guter, gesunder Zähne, wie die eines sehr jungen Menschen. "Die sind sicherlich einiges wert", sagt Lock. May, der mit dem Stoff Blut und Zahnfleischreste abzureiben versucht, sagt, er hoffe, für den ganzen Satz zwei Pfund zu bekommen. Neben Zahnärzten gehören auch Perückenmacher zu den Kunden der Body Snatcher. Ein Frauenskalp mit gesundem, langem Haar bringt den Leichenräubern ein ordentliches Handgeld. Die Händler in der Field Lane wiederum bieten die Kleidungsstücke der Toten, gewaschen und ausgebessert, in ihren Schaufenstern an. Am nächsten Morgen kurz vor neun Uhr betritt James May den Laden des Zahnarztes Thomas Mills am Bridge House Place, südlich der Themse. Einer der Schneidezähne weise eine Kerbe auf, sagt Mills, und sähe aus, als gehöre er nicht zu den anderen. May schwört, dass alle Zähne aus demselben Mund stammen und dass der Körper dazu niemals beerdigt gewesen sei - ein Satz, der ihn später fast an den Galgen bringt. "Tatsache ist", sagt May, "dass sie einem jungen Kerl von 14 oder 15 Jahren gehörten. Bei Gott, die gehörten vor kurzem noch alle zum gleichen Kopf."
Doch es ist ein schlechter Tag für Geschäfte. Als James May den Laden verlässt, hat er kaum mehr als ein halbes Pfund eingenommen. Am King's College läuft es nicht besser. Richard Partridge, ein Anatomieprofessor, will den drei Leichenräubern, die bei ihm erschienen sind, nur neun Pfund für den Körper zahlen, obwohl der Leichnam ungewöhnlich frisch aussieht, als wäre er niemals beerdigt gewesen - der Lehm an Torso und Schenkel ist offensichtlich draufgeschmiert worden. Das Kind ist 1,37 Meter groß, hat blondes Haar und graue, blutunterlaufene Augen. Der linke Arm ist eigentümlich nach oben gebogen, die Hand zur Faust geballt. Auf seinem linken Unterarm finden sich längliche blaue Flecke, als hätte ihn jemand mit großer Kraft gepackt. Die Zähne fehlen.

Partridge, der gerade einen Artikel über einen spurlos verschwundenen 14-jährigen Jungen gelesen hat, wird misstrauisch. Er habe nur eine 50-Pfund-Note bei sich, teilt er den Body Snatchern mit, er müsse kurz weggehen, um sie zu wechseln. 20 Minuten später kehrt er mit Superintendent Joseph Sadler Thomas von der Londoner Polizei und einigen Beamten zurück. Auf die Frage, woher er den Jungen habe, antwortet Bishop: "Wenn Sie wissen möchten, wie ich ihn bekommen habe, finden Sie es doch heraus, wenn Sie können." Bishop, May und Williams werden wegen Mordverdachts verhaftet. Niemand kennt die Identität des Toten. Mehrere Elternpaare kommen, auf der Suche nach ihren vermissten Söhnen - vergebens. Unter ihnen sind auch italienische Immigranten. Sie glauben, in dem toten Jungen ein italienisches Straßenkind zu erkennen, das sie häufig mit einem Mäusekäfig um den Hals und einer Schildkröte in Covent Garden gesehen hatten. Die Zeitungen nehmen die mögliche Spur schnell auf - aus dem unbekannten Toten wird "The Italian Boy". Seit Jahren haben Menschenhändler Hunderte italienischer Jungen in die Stadt geschleust. Meist stammen die Kinder aus ärmlichen Verhältnissen und wurden ihren Eltern gegen ein Handgeld abgekauft. In London stehen sie zumeist an Straßenecken und gewähren Passanten für ein paar Pennys einen Blick auf Kuriositäten oder exotische Tiere, die sie bei ihren Herren mieten müssen. Eine Schachtel mit aus Wachs geformten siamesischen Zwillingen oder ein uniformierter Affe bringen dem Vermieter etwa zwei Shilling pro Tag, für vier tanzende Hunde in Kostümen mit Flöte und Tamburin verlangt er fünf Shilling. Auf den Straßen der Stadt leben schätzungsweise 15.000 obdachlose Jungen.
Superintendent Joseph Sadler Thomas von der neu gegründeten Metropolitan Police ist jung und ehrgeizig. Der "Italienische Junge" ist sein erster Mordfall. Er ordnet eine Hausdurchsuchung an - im Jahre 1831 noch ausgesprochen ungewöhnlich. Im Garten von Nova Scotia Gardens Nr. 3 finden seine Männer vergrabene Kinderkleidung, einen Skalp mit langem, braunem Haar sowie einige Stücke Menschenfleisch. Auch das Haus Nr. 2 untersucht der Superintendent; im Abtritt findet er ein Bündel Frauenkleider, eine schwarze Haube und Strümpfe. In den Zeitungen - in der "Times", dem "Morning Advertiser" oder der "Sun" - heißen Bishop, Williams und May schon bald "Die Mörder des italienischen Jungen". Die gezeichneten Porträts der Männer erscheinen von Mal zu Mal düsterer. Gleichzeitig sorgt der Tod des Jungen für eine neue Attraktion in der kargen Gegend von Spitalfields und Bethnalgreen: Die Polizei bietet für fünf Shilling Führungen in "Bishop's House of Murder", um zu verhindern, dass Hunderte von Schaulustigen das Gelände überrennen. Doch auch dieses handverlesene Publikum - "nur die Eleganteren dürfen an der Tour teilnehmen", schreibt der "Morning Advertiser" - ist so erpicht auf Erinnerungsstücke aus dem Haus der Mörder, dass von zwei kleinen Bäumen im Garten nur noch Stümpfe übrig bleiben, nachdem Souvenirjäger Borke und Äste abgekratzt haben.
Am 2. Dezember 1831 ist Old Bailey besetzt bis auf den letzten Platz, obwohl die Preise von den üblichen zehn Shilling auf mehr als ein Pfund angehoben wurden. Unter den Zuschauern sind viele Ärzte, aber auch zwei Söhne des Premierministers Earl Grey und sogar der jüngere Bruder des Königs, der Duke of Sussex. John Curwood und J. T. Barry - ein Anwalt, der für die Abschaffung der Todesstrafe eintritt - stehen den Angeklagten zur Seite. Ihre Möglichkeiten sind begrenzt; sie dürfen zwar Zeugen aufrufen und Kreuzverhöre führen sowie von den Angeklagten vorbereitete Stellungnahmen vorlesen, sich aber nicht mit einem Plädoyer an die Geschworenen wenden. Erst fünf Jahre später wird ein Anwalt in einem Kriminalfall erstmals vor einer Jury plädieren dürfen. Zudem wissen die Anwälte nicht, welche Beweise die Staatsanwaltschaft vorlegen wird. In der Regel dauert ein Prozess in Old Bailey nicht einmal zehn Minuten, selten länger als einige Stunden.
Doch diesmal vergehen neun Stunden, ehe die Geschworenen Bishop, Williams und May des Mordes für schuldig erklären. Denn es sind ungewöhnlich viele Zeugen gehört worden: Der Staatsanwalt hat 40 Belastungszeugen benannt, die Verteidigung sechs Entlastungszeugen. Die drei Angeklagten, die bis zuletzt ihre Unschuld beteuern, werden zum Tod durch den Strang am kommenden Montag verurteilt. Ihre Körper sollen anschließend den Anatomen zur Sektion zur Verfügung gestellt werden. Die Nachricht sorgt unter den Zuschauern auf der Straße für so großen Jubel, dass die Gerichtsdiener die Fenster schließen müssen.


Gefängnishof: Hinter Gittern legten Bishop und Williams ein Geständnis ab.

Zwei Tage später legen Bishop und Williams, ermutigt durch einen Geistlichen, ein Geständnis ab und bekennen sich des Mordes an einer obdachlosen Frau und zwei Jungen für schuldig. "Der Italian Boy", so Bishop, sei in Wirklichkeit "ein Lincolnshire Boy". Sie geben zu, die Opfer mit Rum und Laudanum, einem opiumhaltigen Medikament, betäubt und schließlich in einem Brunnen im Garten ihres Hauses ertränkt zu haben. Sie erklären auch, dass James May mit den Morden nichts zu tun hat. Als May erfährt, dass seine Hinrichtung aufgeschoben (und später zu einer Verbannungsstrafe umgewandelt) werden soll, fällt er vor Erleichterung in nervösen Krämpfen zu Boden, unfähig, auch nur eine einzige verständliche Silbe herauszubringen.
Nach der Hinrichtung der beiden Body Snatcher wird Richard Partridge, dem Anatom des King's College, die Ehre zuteil, John Bishop zu sezieren. Während er dessen Leib vor Studenten mit einem langen Schnitt von der Kehle bis zum Unterleib auftrennt, hält er einen Vortrag über Gerichtsmedizin. Es stellt sich heraus, dass Bishop von ungewöhnlich guter Konstitution war. "Ein gesünderes oder muskulöseres Subjekt ist in den Anatomie-Schulen lange nicht gesehen worden", schreibt später der "Morning Advertiser". Der Körper wird schließlich, mit dickem Garn zugenäht, als Ausstellungsstück in einem Nebenraum gezeigt; viele kommen, um sich ihn anzusehen. Ob John Bishop und Thomas Williams noch mehr Menschen ermordet haben, wird niemals geklärt. Und auch die wahre Identität des Jungen aus dem King's College bleibt im Dunkeln.
Der Mord an dem Italian Boy führt zum Ende der Body Snatcher. Im Unterhaus sagt ein Parlamentarier während einer Aussprache: "Je elender, je einsamer der Mensch sein mag, desto begehrenswerter erscheint er diesen Schuften. Es ist der Mensch, der nackte Mensch, den sie verfolgen." Am 11. Mai 1832 wird ein Anatomiegesetz verabschiedet, das den Ärzten erlaubt, von Anverwandten nicht beanspruchte Leichen aus den staatlichen Arbeitshäusern zu Sektionszwecken zu benutzen. Seither wacht "Her Majesty's Inspector of Anatomy" darüber, dass keine Leichen mehr illegal seziert werden. Zwei Jahre später zwingt ein neues Gesetz die Armen zu Tausenden in die Arbeitshäuser, wo sie unter gefängnisähnlichen Bedingungen leben und arbeiten müssen. Den Medizinstudenten stehen schon bald mehr Leichen zur Verfügung als jemals zuvor.

Quellen: - von Susanne Frömmel 2002 - ( Finsteres London: Originalstiche von Gustave Doré - 1832 - 1883)



15. Der Fall - Nathan Hertling

Missgeschick eines schlaftrunkenen Apothekers

Nathan Hertling schickte im Jahr 1829 seinen Knecht mit diesem Zettel zum Apotheker. Er sollte Magnesia bringen, das gegen das starke Sodbrennen Hertlings helfen sollte.

Der Bestellzettel von Hertling

Nathan Hertling ist ein Lebe-Mann wie er im Bilderbuch steht. Man schreibt das Jahr 1829. Hertling genießt sein Dasein in Affaltrach (Oberamt Weinsberg), wo der ehemalige kaiserlich-königlich österreichische Oberleutnant seit 14 Jahren mit seiner Ehefrau als Privatier lebt. Er isst für sein Leben gern und ist auch dem Wein nicht abgeneigt.
Doch wie so vieles hat auch der übermäßige Weingenuss und die Schlemmerei ihre Schattenseiten: Nathan Hertling plagt das Sodbrennen. Und weil er nicht selten das eine oder andere Hähnchen zu viel in seinem Mund verschwinden lässt oder ein oder zwei Gläser Wein über den Durst trinkt, weiß sich Hertling zu helfen. Mit in Weinstein aufgelöstem Magnesium verschafft er sich regelmäßig ein wohliges Gefühl im Bauch und lässt das Sodbrennen verschwinden.
Am 14. März 1829 kehrt Nathan Hertling von einer dreitägigen Sauftour zurück. Seinem Magen macht der Alkoholkonsum heftig zu schaffen. Es brennt im Bauch. Ständig muss er aufstoßen. Mit diesen Schmerzen ist nicht an Einschlafen zu denken – aber das Magnesium im Hause Hertling ist alle. Hertling schickt seinen Knecht zum Chirurgus von Affaltrach. Doch dieser kehrt mit leeren Händen zurück: „Wohl durch vielen Verbrauch von Hertling hatte der Chirurg von Affaltrach dieses Mittel nicht mehr vorrätig“, schreibt der Oberamtsarzt Justinus Kerner später in einem Gutachten.
Doch Hertling krümmt sich wegen der starken Schmerzen rund um Bauch und Magen und schickt seinen Knecht in das benachbarte Eschenau, er solle beim Apotheker Karl Friedrich Klotz das Mittel besorgen. „Magnessia und purgierten Weinstein bittet für 12 Kreuzer Nathan Hertling“ hat seine Frau auf einen Zettel geschrieben.
Kurz vor halb zehn kommt der Knecht in Eschenau an. Er klingelt den bereits schlafenden Chirurgus Klotz aus dem Bett und reicht ihm den Zettel der Oberleutnant-Gattin. Schlaftrunken wankt der Chirurgus zum Medikamenten-Schrank. Alphabetisch hat er dort seine Mittelchen in den kleinen Schubladen verwahrt. Seine Hände wandern gezielt zum Buchstaben M. Er steht vor den Schubladen und flüstert vor sich hin: „Mag....“
Der Chirurgus öffnet die Schublade, holt das Mittelchen heraus und reicht es dem Knecht. Was dieser zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß: Nicht das wohl bringende Magnesium wurde ihm übergeben, sondern Magisterium Bismuthi, also basischer salpetersaurer Wismut. Müde wie der Chirurgus war, hatte er das falsche Mittelchen aus seinen Schubladen geholt. Niemand bemerkt die Verwechslung und das Unglück nimmt seinen Lauf: Hertling trinkt das tödliche Gemisch und hofft auf Linderung.
Doch das Brennen im Hals wird schlimmer. Hertling muss sich übergeben, krampfartige Durchfälle folgen. Auch die Muskeln verkrampfen, Hertling bekommt hohes Fieber – er macht in dieser Nacht kein Auge zu. Am Morgen ruft Hertlings Frau den Weinsberger Oberamtsarzt – zu dieser Zeit kein geringerer wie Justinus Kerner. Er kann den kritischen Zustand seines Patienten zwar vorübergehend stabilisieren, am 23. März jedoch macht der Oberleutnant gegen 2 Uhr in der Nacht seinen letzten Atemzug.
Kerner wird stutzig, kann sich nicht erklären, was Hertling so schnell das Leben nehmen konnte. Das Oberamtsgericht Weinsberg ordnet daher eine Obduktion an. Kerner untersucht gemeinsam mit anderen Ärzten den Leichnam und die Todesursache steht fest: Vergiftung durch Wismut. Kerner selbst vernimmt später den todunglücklichen Chirurgus Klotz. Ihm war Hertling kein Unbekannter, gemeinsam hatten sie schon das eine oder andere Glas Wein geleert.
Trotzdem muss sich Klotz vor dem Kriminalsenat Esslingen verantworten. Am 20. Juni 1829 wird er zu einer fünfmonatigen Festungshaft auf dem Hohenasperg sowie zur Übernahme aller Verfahrens- und Arztkosten verurteilt.

Quelle: - Ludwigsburger Kreiszeitung vom 14. Mai 2005 (von Katja Sommer) und - Die Akte kann im Staatsarchiv Ludwigsburg unter der Signatur E 319 Bü 155 eingesehen werden.

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